52. Der zweite Plan für den Endkampf

Meine Träume entwickeln sich zu einem sich immer weiter auftürmenden Chaos. Jace Berührung an meinem Bein schleicht sich in das Szenario, plötzlich mit anderen Männern, die ich noch nie zuvor gesehen haben. Sie bedrängen mich, lachen, stehen in einem Kreis um mich herum. Es gibt kein Entrinnen. Sie nähern sich trotz meiner wortstarken Gegenabwehr. Nichts davon ist so real wie die Angst und der Schweiß. Beide ziehen sich weit über mein Aufwachen bis tief in meine steifen Knochen.

Blinzelnd stöhne ich, drehe mich träge, aber Ninja-mäßig aus den Federn. Ich lande in der Hocke auf dem Boden. Einem Küken gleich finde ich mich auf wackeligen Beinen wieder. Mühsam nutze ich den Rand des Bettes, um mich daran hochzuhieven, sodass ich in einer leicht geschwächten Haltung zum Stehen komme. Der weiche Stoff des Teppichs kitzelt an meinen nackten Füssen. Puh, bin ich orientierungslos, wenn der Schlummer sich an meinem Nacken festbeißt. Energisch schüttle ich ihn weg, in der Hoffnung bald voll und ganz zu mir komme.

Mit halb geschlossenen Lidern ertaste ich den Weg bis ins Bad. Ich wasche mein Gesicht mit kühlem Wasser und hole die verklebten Körner, die meine beste Freundin liebevoll Sandmännchen getauft hat, aus den Augenwinkeln. Keiner von uns glaubt tatsächlich an dieses Fantasiewesen aus unserer Kindheit und erst recht nicht, dass dessen Überbleibsel oder in unsere Bezeichnung Überreste – ja wir besitzen einen derben Humor und sind nebenbei zu faul, um es „die Körner des Sandmännchens" zu nennen – von einem Zwerg mit Sandsack herrühren. Ich seufze auf.

Wäre ich jetzt bei Jaces Freunden, hätten sie an dieser Aussage bestimmt etwas Zweideutiges entnehmen können. Denn obwohl ich herzlich wenig davon verstehe, weiß ich vom Risiko bestimmter Wörter, die Synonyme zu anderen Wörtern bilden... Egal. Erst mal richtig klar im Kopf werden. Das hat jetzt Priorität.

Kaum will ich mich fürs Umziehen wieder aus dem kleinen Raum wagen, meldet sich Lindas Wecker. Immerhin ist mein Albtraum anständig genug gewesen, mich zu einer einigermaßen freundlichen Uhrzeit aus dem Schlaf zu reißen.

Gemeinsam machen wir uns alle für die Küchenschicht bereit. Linda, Ivana und die Kleine, von der ich den Namen leider nicht in meinem Gedächtnis finde, verhalten sich um einiges munterer als ich. Wieso auch nicht? Ihnen wurde gestern nicht zum ersten Mal in ihrem Leben gekündigt, ihre Periode zeigt sich nicht in hässlichen Schlieren und eine schlimme Nacht haben sie auch nicht hinter sich.

Wobei – Warum sehe ich da einen verwischten Lippenstift bei Ivanas Mundwinkel?

Ich entscheide mich, der Sache ein anderes Mal auf den Grund zu gehen und mich stattdessen um meine eigenen Sorgen zu kümmern. So fülle ich mit Linda die Müslibüchsen voll, die sich beim Frühstückbuffet befinden, während Ivana und Aisha in der Küche werktätigen und die Kleine ihrem Privatunterricht in vollen Zügen genießt.

„Also hör zu", beginnt sie unnötigerweise, denn außer ihr gibt es keine Störgeräusche, die mich ablenken könnten. „Der Plan für Freitag ist folgender: Da du sowieso mit Jace abhängen musst, kannst du ihn auch gleich an diesem Abend ablenken. Diese Ablenkung soll aber mindestens so lange dauern, dass mir genug Zeit bleibt, mich mit seinen Daten einzuloggen und das Foto zu löschen."

Ich seufze. Meine Erschöpfung liegt im gleichen Bereich wie Lindas Euphorie. Irgendwo, viel zu hoch oben. „Geht klar."

Geht klar, sonst nichts? Keinerlei Verbesserungsvorschläge oder Einwände?" Ihre Entrüstung gemischt mit ihrer Begeisterung zu früher Stunde dringt deutlich aus ihrer Stimme heraus. Für sie ist das ja auch sehr viel mehr Spaß als für mich. „Mission Mitbewohnerin Retten" oder so. Für mich handelt es sich um ein weiteres Problem, bei dem ich mir einfach nur wünsche, es würde sich ganz von allein aus der Welt schaffen. So funktioniert das jedoch nicht. Ich muss für jeden kleinen, nervigen Fehler selbst aufstehen und ihn beseitigen.

„Nein, Linda. Dein Plan ist perfekt, genauso wie er ist", werfe ich ihr das Kompliment wenig elegant vor die Füße. Ich gähne ausgelassen.

„Okay." Sie schweigt kurz, ehe sie sich wiederholt. „Okay, gut. Dann machen wir das so."

Ich folge ihr in die Küche. Dort angekommen, helfen wir Aisha bei einer Putzaktion der weniger oft verwendeten Schränke. Sie erinnert mich schmerzlich an die gestrigen Ereignisse, denn überall begegnet uns eine fette Schicht Staub. Neben Schimmel. Seine Begegnung macht unsere Arbeit gleich noch ein Stück unangenehmer.

In einem der untersten Fächer finden wir eine Kartonbox, die wir auf die Tresen stellen. Sorgfältig holen wir den Inhalt hervor. Eckige, faustgroße Geräte mit einer Lampe am oberen Ende blicken uns entgegen.

„Was ist das?", ruft Linda aus und alle treten neugierig näher. Aisha zieht als Einzige eine von den Objekten zu sich.

„Wenn ich mich richtig erinnere, gehören die zu einem Kundenrufsystem. Ihr wisst schon, in manchen Restaurants werden die verwendet, damit die Küche der Kundschaft zeigen kann, dass ihr Essen bereitsteht."

Linda packt das Elektrozeugs wieder in die Kiste und legt sie Aishas Faustwagen für die Dinge, die wir ausräumen.

„Gut, damit wäre das Thema damit wohl abgeklärt", fügt Linda lächelnd hinzu und wischt sich ein imaginäres Pulver von den Fingern.

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