49. Ein überraschender Streit für den Tiefpunkt
Kurz vor der Mittagspause verirrt sich eine Gruppe Jugendlicher im Laden. Ich wische gerade den Staub von den Schränken, als mein Arbeitgeber die Meute freudig begrüßt. Nicht verirrt also, sondern verwandt, ich verstehe.
Trotzdem behandeln sie die Ware wie den letzten Dreck.
Der Enkel - jedenfalls großer Wahrscheinlichkeit nach, denn er spricht den Älteren mit „Opa" an – berichtet seinem Großvater aufgeregt von einer Hütte in den Berger. Seine Kumpane nehmen willkürlich Holzfiguren vom Schaufenster, imitieren den Schaffungsprozess, stellen sie an ganz anderen Plätzen wieder ab. Es entspricht einem heillosen Durcheinander, wenn ich das als Außenstehende so betiteln darf. Dennoch sieht mein Vorgesetzter dieses Szenario nicht als die Art von Gefahr, die ich darin sehe, sondern dreht sich sogar von den Eindringlingen weg, um sich voll und ganz auf seinen Sprössling zu konzentrieren.
Kaum verschwinden sie wieder, formt sich eine erdrückende Stille über uns zwei. „Gehört Bäume fällen zu den häufigen Aufgaben eines Försters?", versuche ich ein Gespräch anzuzetteln. „Weil das würde ich gerne mal ausprobieren. Muss echt ein schönes Gefühl sein, so befreiend, seine ganze Kraft in ein Holz zu stecken, bis man durch ist. Am Ende bietet man den umliegenden Gewächsen die Möglichkeit zum Wachstum."
Mehr als ein zustimmendes Brummen erhalte ich nicht. Es ist mir Antwort genug. Auch zwischen den Zeilen.
„Ich mache jetzt meine Mittagspause", kündige ich an und stehe auf. Genüsslich schlendere ich zum Hinterzimmer, um meinen Rucksack zu holen.
Der Frieden währt nicht lange. Ich greife gerade nach meinem Sandwich, als sich der Ladenbesitzer mit hochrotem Kopf vor mir auftürmt.
„Was hast du damit gemacht?" Sein Keifen erschreckt mich regelrecht. Verwirrt folge ich seinem Deuten, erkenne einen geraden, hellen Strich an eines der großen Kunstwerke im mittleren Gang.
„Ich schwöre Ihnen, das war ich nicht!", versichere ich genauso laut. Demonstrativ verschränke ich die Arme. Fast wäre mein Brot von der Glasschicht runtergerutscht.
„Lüg' mich nicht an. Was du kaputt machst, zahlst du und das war meine wertvollste Skulptur." Sein Gesicht bekommt weißliche Flecken, die Falten wirken um einiges stärker als noch vor ein paar Sekunden. Wie zwei Streithähne stehen wir uns gegenüber. Doch der weisere gibt nach.
Ich seufze. Langsam, auch um ein wenig Zeit für eine gute Antwort zu finden, packe ich mein zugegeben ziemlich mageres Gericht zusammen. Ich ziehe energisch an den Bändern für das Hauptfach. „Aber wenn ich es doch sage – diese Jugendlichen von vorhin, sie..."
Mein Gegenüber gibt mir gar keine Gelegenheit für eine vollständige Aussprache. „...Das sind mein Enkel und seine Freunde", unterbricht er mich barsch. „Die haben absolut nichts damit zu tun."
Dass er sich auf ihre Seite stellt, ohne die Berücksichtigung der Stellungsnahmen aller Beteiligter, macht mich rasend. Das ist zwar mein zweiter Tag hier, aber durch diesen Umstand erhält er nicht das Recht für eine Beschuldigung. Er kennt mich nicht. Kein Stück.
„Und wie sie das haben!", erwidere ich aufgebracht. „Ich verhalte mich der Kundschaft gegenüber freundlich, wische den Boden und schwinge den Staubwedler. Dann kommen die rein, werfen die Figuren um. Bestimmt hat das einer mit dem Sackmesser demoliert." Die Wut in mir wählt die Wörter mehr, als es mein Verstand tut. Luft strömt in rascher Bewegung zu meinen Lungen. Mein Herzschlag beschleunigt sich.
„Also beschuldigst du sie ohne Beweise", wirft er mir vor, sich nicht der Ironie entsinnend, der dieser Satz mit sich bringt. Er ist es doch, der mich für die wahre Schuldige hält. Dabei habe ich bei meinem Putzdurchgang nur die Reihen passiert, die vom Tatort entfernt liegen.
„Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie sie mit den Gegenständen umgehen." Zur eigenen Beruhigung wende ich mich von seinem Anblick ab. Ich atme tief ein und aus. Schweiß dringt aus meinen Achselhöhlen. Wie faszinierend sich doch der menschliche Körper bei Stress zeigt. Trotzdem wünschte ich, mich nicht in dieser Situation zu befinden.
„Eine solche Unprofessionalität, ich hätte es wissen müssen. Geh! Du bist entlassen, hörst du?" Mit weit aufgerissenen Lidern schaue ich ihn an.
„Was? Ist das Ihr Ernst?" Meine gesamte Empörung findet sich in meiner Stimme vor. Verärgert springe ich auf, gehe einen Schritt in seine Richtung.
„Natürlich ist das mein Ernst. Geh, bevor ich die Polizei rufe! Den ganzen Morgen schon machst du mir nur Probleme." Der knochige Herr hat eine Hand bereits am Telefon, als mir der Kragen platzt.
„Entschuldigung, aber was? Ich soll ihnen Probleme bereiten? Sie sind doch der, der für seine Griesgrämigkeit und die Unkooperativität bekannt ist." Meinem Schicksal kann ich nicht ausweichen. Wenn er mich nicht mehr arbeiten lässt, ist das seine Entscheidung. Ich greife nach meinem Rucksack, ziehe in an und stolziere zum Ausgang.
Wegen einem leichten Brennen an meinen Wimpern halte ich inne, richte ein letztes Mal meine Aufmerksamkeit auf den Ladenbesitzer. „Aber wissen Sie was? Das spielt sowieso keine Rolle. Mich zu entlassen ist nämlich Ihr Problem und nicht meines. Schönen Tag noch!"
Wutentbrannt trete ich hinaus. Die Tür kracht so fest ins Schloss, dass ich bei meiner eigenen Handlung zusammenzucke.
A/N: Was hälst du von einer Lesenacht am nächsten Freitag?
(Ca. von 15:00 all halbe Stunde ein neues Kapitel)
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