48. Der runde, weiße Kreis in der schwarzen Hälfte

Der mürrische Ladenbesitzer nimmt ein relativ neumodisches Telefon aus seiner Jackentasche und ruft jemanden her, der sich um den Rest kümmern soll.

„Und jetzt?", frage ich, nachdem er auflegt.

„Jetzt gilt es zu warten. Das ist deine offizielle Pause. Fürs Rumstehen zahle ich dir ganz bestimmt nichts. Also mach', was du willst." Er hievt sich vors Lenkrad und schließt die Tür zu. Ausgesperrt vom eigenen Chef. Na wunderbar.

Ich fühle das Zittern durch meine Glieder wandern, durch die Beine und die Arme, weswegen ich mich zu einem kleinen Spaziergang aufraffe.

Nebel taucht den kaum angebrochenen Tag in eine mystische Angelegenheit. Zum Glück geht es geradeaus. So fürchte ich mich nicht vor einem Hänsel-und-Gretel-Szenario. Also Punkto sich in fremdem Gelände verirren. Nicht auf die Hexe bezogen.

Nur zu gut erinnere ich mich an das bunte Blätterdach im Herbst, wo gelb, rot und orange eines der schönsten Gemälde der Natur zeichneten. Davor das satte Grün des Sommers, die Sonnenstrahlen zwischen den einzelnen Ebenen, sodass kein Baum die gleichen Schattierungen aufweist.

Im Moment sehe ich nichts von diesem Leben. Die Stämme sind dunkelbraun, fast schwarz und völlig kahl, während der Himmel sich nicht zwischen grau und weiß entscheidet. Es wirkt wie ein trostloses, altes Foto, ohne Hoffnung und einsamer, als alle Wesen der Erde zusammen.

Kaum zu glauben, wie schnell sich dieses Bild wandeln wird. Meine Wanderung dauert nicht lange und doch taucht die Sonne in meinem Blickfeld auf, verscheucht den Frost und die Feuchtigkeit zu einem Teil. Zum ersten Mal in diesen Stunden spüre ich Wärme gegen den Stoff meiner Kleidung drücken. Ich kehre um, als mir ein Bagger oder etwas in der Art entgegenfährt. Ganz genau kann man das nie wissen. Vor allem dann nicht, wenn man keine Ahnung von Baumaschinen hat.

Gerade noch rechtzeitig kriege ich mit, wie die beiden Profis den Abfallstaudamm brechen und die zurückgelassene Ware passend einsammeln.

Ich betrachte ihr Schaffen als schweigende By-Standerin. Anstatt nach getaner Arbeit einfach abzureisen, drückt der knochige Herr seinem Helfer und mir einen Becher Tee in die Hände. Mehr als überrascht, aber erfreut nippe ich an der heißen Brühe. Vielleicht ist mein Boss nicht immer eiskalt. Nur früh morgens. Und in seinem Laden. Oder das hängt mit dem Alter seines Gegenübers zusammen. Womöglich mag er einfach keine Jugendlichen.

Ich möchte gar nicht erst wissen, wie es sich bei Kindern verhält. Aber bei seiner Enkelin schon. Ich stelle sie mir als eine junge, unabhängige Frau mit voluminöser Mähne vor. Keine Ahnung wieso.

Gemeinsam kehren wir alle drei ins Dorf zurück. Ich zu Fuß, die beiden Männer mit ihren Wagen. Der Weg geht kaum eine viertel Stunde und schon sind wir an der Einkaufsmeile.

Ich verabschiede mich winkend von dem Baggerfahrer, dann treten wir in den Laden ein. Mir fällt auf, dass wir seit etwa einer Stunde kaum ein Wort gesprochen haben.

Eine ewig lange Weile lehne ich am Tresen, während mein Vorgesetzter den einzigen Hocker für sich beansprucht.

„Wie wäre es, wenn ich den Eingangsbereich ein wenig aufwerte?", meine ich in einem Moment der Schwäche. Die Müdigkeit gemischt mit dem miefenden Geruch tun mir nicht gut. Fast nicke ich ein, nur um aus heiterem Himmel beinahe an einem Niesanfall zu sterben.

Ich deute auf den Kessel im unteren Regal hinter der Kasse, in dem sich die Putzutensilien befinde. Bei dieser überall vorhandenen Staubschicht wird es ziemlich einfach, eine Verbesserung zu erreichen.

„Das ist eine gute Idee. Und während du das machst, werde ich eine Lieferung ganz in der Nähe zu einem Kunden bringen. Es dauert nicht lange. Das Geschäft untersteht in dieser Zeit deiner Verantwortung, klar?" Obwohl seine Stimme ernst und streng klingt, würde ich am liebsten Freudensprünge aufführen. Endlich eine Beschäftigung und dabei muss ich mich nicht vor seinem aufmerksamen Blick fürchten. Da sage ich bestimmt nicht nein.

„Geht klar. Na dann viel Spaß", meine ich strahlend. Der Alte schüttelt entschieden den Kopf. Wie kann ich nur vergessen, dass in seinem Lexikon des Lebens das Wort Vergnügen nicht existiert.

„Das ist kein Vergnügen; das ist Arbeit und in wenigen Minuten bin ich wieder da. Wehe, du haust mit meinem Geld ab."

Ich hebe abwehrend die Hände. „Keine Sorge, Boss. Das würde mir im Traum nicht einfallen." Er nickt abgehakt, ehe er Richtung Ausgang stampft.

Übereilt verschwinde ich ins Bad, schäle mich aus der verdreckten Kleidung und trinke einige Schlucke Wasser beim Waschbecken, denn dieser Morgen hat mich erstaunlich durstig gemacht. Ein Staubsauger lugt hinter einem Schrank hervor, den ich sogleich in den vorderen Bereich schleppe.

Als ich zurückkehre steht alles noch an seinem Platz. Keine neue Kundschaft, keine Diebe, gar nichts. Etwas anderes würde mich auch sehr wundern. Dieses Kaff wirkt leerer als meine Geldtasche. Und da ich offiziell enterbt worden bin, entspricht das einer ziemlich hohen Menge des Leer-Seins.

Ich suche nach einer Steckdose, achte auf ein nicht zu gestrafftes Kabel und beginne mit der Sauber-Mach-Aktion.

Wegen dem regelmäßigen, lauten Brummen des Gerätes verpasse ich fast die Ankunft meines heiß geliebten mürrischen Schwarzmalers.

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