40. POOOOOOOLS

„Gianna, hast du dich hier drin eingeschlossen?", reißt mich eine Stimme aus den wirren Gedankenfäden, die mich schon seit mehreren Stunden gefangen halten. Erschrocken pfeife ich durch die Vorderzähne. Ich bin auf dem Klo eingenickt, na wunderbar.

Meinen starren Nacken bewegend, blicke ich zur Tür. Zwei Schatten verdunkeln den unteren Schlitz. Sonnenlicht dringt in unser Zimmer, von dem sich einige, schwache Strahlen bis ins Bad trauen.

Ungeduldig wische ich das Blut ab und hole mir eine Slipeinlage. Ich stehe auf, spüle, drücke die Klinke herunter.

„Guten Morgen", entkommt es mir träge. Aisha, Linda und die Kleine blicken mich an. Die älteren zwei um einiges besorgter als die jüngste.

„Typisches Frauenproblem?" Womöglich handelt es sich um eine rhetorische Frage. Trotzdem antworte ich Aisha mit: „Mal wieder, ja."

Linda presst die Lippen zusammen. „Dann stellt sich meine Überraschung als eher ungeeignet heraus." Geknickt rammt sie den linken Fuß in den Boden. Nicht stark genug, dass es weh tun würde, aber so, dass sie ihre Frustration rauslässt.

„Solange ich mich setzen kann, ist mir jede Überraschung recht." Müde lächelnd schlinge ich die Arme um meinen schmerzenden Unterleib. Wärme. Langsam breitet sie sich in mir aus, nimmt die Übelkeit mit sich. Der schlimmste Teil scheint überstanden. Die Tablette wirkt. Wenigstens etwas.

In mittlerweile sehr viel weniger gezwungener, geraden Haltung ziehe ich mich um. Meine Mitbewohnerinnen entscheiden sich alle für Bikinis. Der Inhalt der Überraschung ist also nicht zu schwer zu erraten.

Nach einem ausgiebigen Frühstück – die anderen tragen normale Kleidung über den Schwimmsachen – werde ich zu den Duschen geführt. Doch statt wie gewohnt die Rampe hoch, gehen wir durch einen Torbogen, einem mir bisher unbekannten Gang entlang.

Die Spiegelung des Wassers zeigt sich an den Wänden des gedimmten Raumes, während ein riesiger Pool den größten Teil der Bodenfläche für sich einnimmt. Von überall her höre ich ein leichtes Sprudeln, Gurgeln oder Plätschern. Etliche kleine Springbrunnen wurden an die Ecken gemeißelt, bilden verschiedene dreidimensionale Formen. ,Achtung Rutschgefahr!', sage ich da nur... 

„Das ist ja echter Luxus!" Verblüfft versuche ich mir jedes Detail der bunten Mosaikverzierungen einzuprägen. Wenn ich hiervon gewusst hätte, wäre ich wesentlich früher hergekommen.

„Für das Projekt erhalten wir etliche Gelder", erklärt Linda. „Außerdem macht sich ein solches Bild gut auf Prospekten. Leere, verdreckte Korridore will doch eh keiner sehen."

Gebannt starre ich auf die schillernde Oberfläche, finde mich bald schon am Rand des Pools wieder. Meine Beine werden von der kühlen Flüssigkeit umschmeichelt, die gerade warm genug ist, um mir keine Gänsehaut zu bescheren.

Ungewollt hat man mich zur Königin des Gepäckes gekrönt. Die Verantwortung liegt mir jedoch nicht zu schwer im Nacken. Immerhin bleibe ich sowieso immer in der Nähe der Taschen.

Lächelnd beobachte ich die drei, wie sie Wasserschlachten und Tauchwettbewerbe veranstalten. Die Kleine spricht erstaunlich viel, doch wegen ihrem Dialekt verstehe ich äußerst wenig.

„Lueg, do hennd sie e Brülle ligge loh!", berichtet sie mir stolz und drückt mir eine angeschlagene Brille in die Hand. Wem die wohl gehört?

Mit einem der Tücher trockne ich sie ab. Sie hat einen leichten Sprung. Das Gestell ist rostig. Schulterzuckend stecke ich sie in meinen Rucksack. So alt wie die dreinschaut, weilt die Besitzerin oder der Besitzer vermutlich nicht mehr unter uns. Also nicht im Internat. Leben tut sie oder er wahrscheinlich trotzdem noch.

Aisha watet zu mir, stemmt sich hoch. Völlig durchnässt leistet sie mir Gesellschaft.

„Warum ist sie hier?", halte ich die anbahnende Stille von ihrem Aufkeimen ab.

„Wen meinst du?" Aisha schaut in die gleiche Richtung wie ich, beobachtet Linda, wie sie die Kleine hochwirft und diese quiekend und im hohen Bogen die wellige Oberfläche durchbricht. Ich deute auf die jüngere der beiden. Von der älteren weiß ich zwar auch nicht den Grund ihrer Anwesenheit, aber in ihr sehe ich eine Jugendliche und kein Kind.

Ich fühle Aishas Blick von der Seite, entscheide mich dagegen, die Farbe ihrer Augen ein weiteres Mal zu bestaunen. Stattdessen hebe ich das Kinn an und suche im Mosaik nach einer nachvollziehbaren Form.

„Rejka hat als Einzige überlebt. Das macht sie zur Täterin." Die Art und Weise, in der Aisha den Satz ausspricht, lässt mich erschaudern. So nüchtern und sachlich. Als wäre es das einzig Logische.

„Zur Täterin wovon?", hake ich nach.

„Am Mord an ihrer eigenen Familie. Ihr Haus stand in Flammen. Doch das Seltsame war das Blut. Es soll überall hingeschüttet worden sein, als hätte jemand sämtliche Blutbeutel eines nahegelegenen Krankenhauses geklaut und dort verteilt. Damals war sie fünf."

Meine Lider weiten sich erschrocken. So jung und schon so grausame Erlebnisse innehaltend. Und ich dachte, mein Leben ist schwer. Da bemerkt man mal, wie verwöhnt unsere Gesellschaft ist, wie undankbar. Huch, jetzt höre ich mich tatsächlich wie meine Nanny an.

Erschöpft halte ich meine Mundwinkel hoch und zeige meine Anteilnahme. Jedenfalls versuche ich es. Meine Gebärmutter macht mir einen Strich durch die Rechnung. Das Lächeln gelingt eher schlecht als recht. „Man erkennt es gar nicht. Sie muss ein echt starker Mensch sein."

Aisha nickt. „Das stimmt. Das ist sie. Doch wie viele andere hat sie auch gelernt, ihre Abgründe entsprechend zu verstecken."

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