38. „Imma eat." - Zendaya

Manchmal frage ich mich, warum das Frühstück in Filmen immer zu kurz kommt. Wollen sie die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht gegen sich aufbringen, weil sie sich vor deren Gelüsten fürchten? Oder soll das eine Art Vorbilderrolle erfüllen, die ich nicht nachvollziehen kann?

Immerhin beginnen manche mit einer typischen, amerikanischen Morgenszene. Man beobachtet, wie Pancakes oder Eier und Speck angebraten werden. Hört das Brutzeln des Fettes, die sanfte Melodie eines pfeifenden Elternteiles im Hintergrund. Und doch rennen die heißgeliebten Sprösslinge nach nur wenigen Sekunden auf den gelben Schulbus, den Mund mit höchstens einem einzigen Bissen dieses Festmahles gefüllt. Nicht dass ich auf Speck stehen würde. Aber ich glaube, mein Grundgedanke ist rübergekommen. Hoffentlich. Sonst noch einmal deutlicher: Was soll dieses verschwenderische Verhalten? Hat ihnen niemand beigebracht, dass man Gerichte vollständig verzehrt?

Ich jedenfalls würde bei einer solchen Aufopferung für die Familie niemals das selbstgekochte Essen verpassen. Deshalb genieße ich mein extra für mich zubereitetes Menu umso mehr. Neben der Tatsache, dass auch Linda einen Löffel voll davon probiert und sich eine Portion auf den Teller befördert hat. Wir machen Fortschritte, Leute!

„Und welchen Plan verfolgen wir morgen?", frage ich in die Runde. Tatsächlich sitzen alle an nur einem Tisch. Also Aisha, Linda, Ivana, die Kleine, Jace, der Hans Gustav Konrad und zugehörige Anhängsel. Im Stillen gratuliere ich mir für meine Idee, wir könnten gemeinsam speisen. So gehe ich Jaces Drängen nach und verbringe trotzdem den Abend mit meiner Schlaftraktgruppe.

Außerdem fühle ich mich wie eine Friedenstifterin, wie jemand, der eine gespaltene beziehungsweise sich gegenseitig verachtende Gesellschaft zu einer Einheit zusammenschweißt. Wenn man möchte, kann man es als die Auflösung des örtlichen Sexismus bezeichnen. Leicht übertrieben vielleicht, dennoch würde es mich freuen.

Eine Durchmischung von unterschiedlichen Menschen – egal wie man sie anfangs zu trennen vermacht hat – schadet nie. Denn nur so lernen wir am Ende voneinander.

„Ivana und Jace gehen Skifahren. Möchtest du mit?" Der Schlaksige zerschneidet seine Wurst in winzige Quader. Was er damit erreichen möchte, weiß ich nicht. Mal ganz im Ernst: Am Ende landet zwar alles im gleichen Magen, aber das ist noch lange kein Grund, ein Gemetzel zu veranstalten. Denn manche leben nach dem Prinzip „Das Auge isst mit." – ich gehöre übrigens nicht zu diesem Glaubenskreis – und da ich Aishas stummen Wunsch nach Frieden, sowie das Vermeiden unnötige Diskussionen respektiere, sage ich nichts zu dieser Angelegenheit.

Für einen Moment blinzle ich irritiert. Worüber reden wir? Ach ja, stimmt! „Nein, davon bin ich kein großer Fan", klinke ich mich in die Wintersportartendebatte aka unseren morgigen Plänen ein. „Die Instandhaltung der Pisten braucht viel zu viel künstlichen Schnee und das wiederum verbraucht unnötig Energie."

Ich drehe mich zu Ivana, die gerade ein Stück Kartoffel in den Mund steckt. „Und wenn wir schon beim Thema sind. Läuft da was zwischen dir und Jace?"

Sie verschluckt sich weder klischeehaft an ihrem Gemüse, noch übernimmt Jace diesen Part. Stattdessen starren sie mich beide in einer Mischung aus Unglauben und Verwirrung an. Als Ivana nicht reagiert, kommt Lindas Enthusiasmus ins Spiel.

„So ein wenig würde ich schon sagen", meint sie und schlürft an ihrem Bananensmoothie. „Es knistert richtig heftig, wenn die zwei sich unterhalten. Also so von weiter weg betrachtet, meine ich."

Mit Daumen und Zeigefinder kreiert sie rechte Winkel, um die beiden in einen imaginären Rahmen zu setzen. Linda seufzt wohlig auf.

„Ob ich ihn date oder nicht, geht euch überhaupt nichts an. Die Arbeit ist schon stressvoll genug, da brauche ich nicht noch jemanden, der mir im Privatleben rumpfuscht." Ivana formt ihre Augen zu misstrauischen Schlitzen. Sie mustert mich abschätzend.

Ich weiche ihrem Blick aus, suche nach einer Erwiderung, die niemandem schadet. Bis auf ein Ablenkungsmanöver bleibt mir nur die Möglichkeit zur lügenhaften Provokation.

„Nun", beginne ich, „wenn er dir gehört, verzichte ich auf ihn. Eine dritte Geige will ich ganz bestimmt nicht spielen." Und nebenbei bemerkt wäre das die perfekte Lösung. Jace kriegt Ivana, ich meine wohlverdiente Freiheit. Wobei – Bei Ivana handelt es sich um kein Objekt, das man beliebig verschieben kann. Also bedarf meine Gleichung eine Aufwertung für ein realistisches Resultat.

„Du kannst Geige spielen?", hakt Hans Gustav Konrad nach und ich lache auf. Mittlerweile erkenne ich die Wahrheit unter seiner gespielten Naivität. Er versucht sich an einer geschickten Lenkung des Gespräches.

„Nein. Definitiv nicht", antworte ich ehrlich. Die Unterhaltung wird ohne meinen Einsatz fortgeführt. Schon bald zweigen meine Gedanken in diesen Ort der unterbewussten Entspannung, die ich der Leichtigkeit halber als einen Tagtraum bezeichne. Erst als ich im Bett liege und die gefleckte Decke betrachte, fällt mir die nicht gegebene Antwort auf. Jedenfalls verbal betrachtet. Bestritten haben Ivana und Jace es nicht, bejaht ebenfalls nicht.

Doch die Art ihres Zögerns interpretiere ich als eine teilweise, vorhandenes romantisches Interesse. Selbst wenn sie von beiden Seiten noch nicht vollständig so aufgefasst worden ist. Ivana tut mir jetzt schon leid. Sie ist trotz ihrer Kratzbürstigkeit und der ständig schlechten Laune um Längen besser als er.

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