33. Schlechte Kommunikation = unnötiges, zukünftiges Drama
Ich lache auf, stupse sie in die Seite. „Dann würdest du dich als meine Freundin bezeichnen? Nach nur wenigen Tagen?", frage ich und kann mein aufkeimendes Grinsen nicht verhindern. Bedingungsloses Vertrauen Fast-Fremden gegenüber gehört definitiv nicht zu einer meiner Eigenschaften. Zu Aishas anscheinend schon.
Sie zieht die Schultern leicht hoch. „Ich würde mich als eine Freundin aller bezeichnen. Wer möchte, kann jederzeit zu mir kommen. Egal wegen was." Dann verschränkt sie die olivgrün lackierten Finger ineinander.
Ich betrachte Aishas markantes Profil, die langen Wimpern und den braunen, äußeren Rand ihrer Augen, die gerade Nase und den eher breiten Mund. Ihre zahlreichen Sommersprossen bringen mich zum Schmunzeln.
„Und wenn sie sich das offensichtlich nicht selbst trauen, verschleppst du sie einfach in ein verlassenes, verstaubtes Schulzimmer." Sarkasmus mischt sich unweigerlich in meine Aussage. Die gewohnte Heiterkeit eines Gesprächs mit Aisha über Nichtigkeiten blubbert in mir auf.
Aisha versucht gar nicht erst, die nicht ernst gemeinte Anschuldigung abzuschreiten. Stattdessen meint sie kurz angebunden: „Richtig. So mache ich das immer", und wendet sich ihrem Rucksack zu, den ich erst in diesem Moment wahrnehme. Sie seufzt. „Aber jetzt, wo alles geklärt ist, können wir ja ein anderes Thema einschlagen."
In freudiger Erwartung hält sie mir eine kleine, graue Schachtel hin. Ein mir unbekanntes Symbol prangt auf der Vorderseite.
„Was ist das?" Anstelle einer Antwort übergibt mir Aisha den eckigen Gegenstand. Er fühlt sich kalt an im Vergleich zu meiner erhitzten Haut.
„Mach es auf, dann weißt du es", fordert sie mich auf. Ich folge ihrem Rat und hebe den oberen Teil an, um ins Innere zu sehen.
„Die kriegen alle", erklärt sie, noch ehe ich den Inhalt vollständig analysiere. „Aber die Lieder habe ich ausgewählt. Wenn du mir deine Lieblingsbands nennst, werde ich sie ebenfalls hinzufügen."
Es handelt sich um einen MP3-Player einer mir unbekannten Marke. Wahrscheinlich eine Anfertigung, eigens für das Projekt in Nottingen konzipiert.
Vorsichtig nehme ich das silberne Modell aus der Box, scrolle durch die Playlist. Der starke Anteil an Blaulicht brennt sich in meine Netzhaut. „Die meisten kenne ich nicht."
Aisha macht eine wegwerfende Handbewegung. „Das kommt noch", meint sie selbstbewusst und da taucht ihre Charakterstärke wieder unter ihrer unauffälligen Erscheinung auf. Wirkt sie ab und an fast ein wenig zurückhaltend, kennt sie doch ihren eigenen Wert an. Den Wert ihrer Person, den auch ich immer häufiger bestaunen darf.
Ich geselle mich zu ihr auf die Tischplatte und ziehe sie in eine Umarmung. „Danke. Nicht nur wegen der Musik, auch wegen deiner gutgemeinten Worte und allem."
Ihr Eigengeruch schlägt mir leicht entgegen, gemischt mit dem Duft ihres Kokosnuss-Shampoos. Ich halte sie ein wenig länger als nötig.
„Sollte ich jemals etwas auf dem Herzen haben, werde ich mich an dich wenden." Die Lüge schmeckt bitter auf meiner Zunge. Wie eine gelbfleischige Grapefruit. Vielleicht entspricht sie dem Maß an Hintergehung, die sich ungewollt in meine Stimme mischt. Denn Aisha eröffnet mir eine Klärung des Missverständnisses und ich bringe es nicht über mich, ihr diese Klärung zu geben.
Ich fühle mich schlecht. Aisha hat recht: Beziehung ist das A und O, doch eine offene Kommunikation ist genauso wichtig.
Wenn ich ihr nicht erörtere, was in mir vorgeht, kann sie meine Handlungsschritte nicht nachvollziehen.
Irgendwie brauche ich das zurzeit. Ich möchte sie nicht in meine Probleme mitreinziehen, nur weil sie es mir anbietet. Lieder löse ich sie alleine – beziehungsweise mit Linda – als Aisha aus ihrer Blase der heilen Welt zu ziehen. Wenigstens eine von uns verdient diese Art des Friedens.
Ich packe die Gelegenheit am Schopf und frage, was mich schon länger unterbewusst interessiert: „Warum trägst du eigentlich immer Schwarz?"
Aisha lacht auf, strahlt mich aus bunten Irden an. „Ich find's toll, wie meine Mitmenschen automatisch einen Schritt zurückgehen, wenn sie mich sehen. So als wäre ich gefährlich." Sie hebt das Kinn an, täuscht Eitelkeit vor. „Dann kann ich sie mit meiner gegensätzlichen Art verwirren, bis sie bemerken, dass die dunkelste aller Farben keinen Rückschluss auf die Natur eines Menschen bietet."
Meine rechte Braue rücken nach oben. Sie macht Gilbert Blythes ständiger Geste in der dritten Staffel von Anne with an E deutliche Konkurrenz. Der macht das mit dem Brauen-Hochziehen nämlich durchgehend. Und damit meine ich wirklich durchgehend.
„Dann setzt dich tagtäglich gegen Rassismus ein?", interpretiere ich Aishas Antwort absichtlich auf eine neue neue Weise.
„Genau." Sie grinst. „Nebenbei bemerkt, mag ich Schwarz halt. Ich kann auch nichts für meine Präferenzen." Unbeteiligt dreht sie die Handflächen zum Himmel.
„Schwarz und grün, oder?", vergewissere ich mich. Überraschenderweise schüttelt Aisha entschieden den Kopf. „Schwarz und Dunkelgelb." Ihre Verbesserung fügt sie mit einem Zwinkern hinzu.
„Dunkelgelb?" Darunter kann ich mir jetzt wirklich nichts vorstellen. Aisha merkt mir wohl an, dass ich mich mit Farbenlehre äußerst wenig auskenne. Sie stützt ihren Kopf auf meiner Schulter ab, zerquetscht ihre Wange, sodass sie wie zwei Kugelfische aussehen und ich lachen muss.
„Ja, hast du noch nie Gelb mit Schwarz gemischt?" Ihr Gesicht befindet sich nahe an meinem. Selbst wenn ich wollte, würde mir keine Erwiderung einfallen. Mein Herzschlag beschleunigt sich.
„Das gibt Oliv", erklärt Aisha und ihre Mundwinkel zucken verräterisch.
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