31. Erste Misserfolge

„Spricht man dich Ghianna aus?", erkundigt sich Jaces Sitznachbar und betrachtet die eben gebrachten Unterlagen mit meinen Arbeitszeiten für nächste Woche, auf denen auch meine wichtigen Daten auf dem Titelblatt stehen. Ich schenke ihm ein ironisches Lächeln. Leider erkennt er die Entnervung darin nicht, denn er betrachtet mich nur weiter erwartungsvoll.

„Nein. Gianna kommt aus dem Italienischen und wird deshalb mit einem sanften Tsch ausgesprochen."

In Gedanken bereite ich mich auf die immer gleiche Million-Dollar-Frage vor. Prognosen durch frühere Gespräche dieser Art lassen mich auch jetzt nicht im Stich.

„Dann bist du Italienerin?", hakt er weiter nach. Ich unterdrücke den Impuls, meine Augen zu verdrehen.

„Nein, bin ich nicht. Meiner Mutter gefiel der Klang des Namens einfach ziemlich gut." Auffällig – ich soll schließlich in ihn vernarrt wirken - beobachte ich Jace, wie er aufsteht und mit seinen Kumpanen aus dem Speisesaal schlendert, während er mich neben einem Haufen Rucksäcken beim Schlaksigen parkiert. Eine bessere Gelegenheit für das kurze Ausleihen seiner Kamera gibt es nicht. Einziger Minuspunkt: Mein Gegenüber beansprucht meine Aufmerksamkeit unentwegt für sich.

„Sag mal, willst du nicht mit ihnen mitgehen?", erinnere ich ihn an seine Pinguin-Pflichten. Immerhin muss der Leidensdruck, der entsteht, wenn man von seiner Gruppe getrennt wird, jeden Moment um das Doppelte anschwellen.

Dennoch verneint mein verhasster Kollege und lehnt sich zu mir vor. „Und du?"

„Nein, ich rauche nicht." Nebenbei bemerkt gefällt mir die Eiseskälte der Umgebung nicht. Sie empfinde ich als etwa genauso toll, wie Jaces Fangirl zu spielen. Und wer raucht, muss das draußen tun.

„Dann bleibe ich auch hier", sagt der braunhaarige Jugendliche. Ganz große Klasse. Jemand mehr, den ich abwimmeln muss. Ich gähne gelangweilt, wobei ich meine Dokumente sicherheitshalber von mir wegschiebe. Man weiß ja nie, zu welchen Taten sich die Muskeln im Affekt hinreißen.

„Das ist echt nicht nötig." Wir schicken den Ball hin und her, verhalten uns wie ein frisch verliebtes Pärchen, dass sich darum schreitet, wer zuerst den Hörer auflegt. So weiterzuverfahren, missfällt mir.

Eine Pause entsteht, die ich für meine Zwecke nutze. Unter dem Gepäck der anderen suche ich visuell nach einer beigen Herrentasche. Ich werde fündig.

Spontan kommt mir ein passendes Ablenkungsmanöver in den Sinn. „Woher kennst du Jace eigentlich?"

Gespielt interessiert, stütze ich mein Gesicht mit den Händen ab und weite die Lider wie ein Kind an Halloween.

Halbwegs nehme ich die Satzschnipsel „Von früher" und „gemeinsamer Auftrag" wahr, höre ihm aber kaum zu. Viel wichtiger zeigt sich im Moment ein nachvollziehbarer Schein-Grund, warum ich Jaces Sachen durchsuchen sollte. Mir will kein richtiger einfallen. Deshalb entscheide ich mich für das Erstbeste, was mir zufliegt.

„Sieh mal, da läuft 'was aus!", rufe ich hysterisch. Ich springe auf und deute auf einen Turnbeutel ganz links. Bei meiner plötzlichen Bewegung zuckt der Schlaksige zusammen.

Mitten in einer Geschichte unterbrochen, dreht er sich zu mir um. Angeekelt hebe ich das angeranzte Material auf. Er tut es mir gleich, hilft mir und bringt mich somit in meinem Plan einen Schritt weiter.

Mit krausgezogener Nase trete ich von ihm weg. Das Pochen meines eigenen Herzens dröhnt durch mein Bewusstsein. Langsam knie ich mich hin, die Finger nach einem ledernen Untergrund tastend. Nein, das ist es nicht. Das auch nicht. Hm, das fühlt sich eher nach Stoff an.

Dummerweise treffe ich auf warme Haut. Ich schaue auf und blicke in ein Paar von tiefblauen Augen.

„Du bist schon zurück?", entkommt es mir japsend. Hitze jagt wie ein Stromstoß durch meinen Körper. Ertappt streiche ich einige Sekunden lang über nichts Bestimmtes.

„Ich habe mein Feuerzeug vergessen." Jace Zähne blitzen im starken Kontrast zu seiner gebräunten Haut auf. Wie ich sein Grinsen doch verabscheue. Sein Eigentum um die Schulter geschnallt, wendet er sich erneut zum Gehen. Schnaubend neige ich den Kopf. So nah dran und trotzdem am Ziel vorbei.

Der andere Teenager lacht leise. „Du bist ihm wirklich verfallen, was?"

Die Rhetorik anerkennend, wische ich mir imaginären Staub von der Kleidung. Wenigstens ist die stressige Situation für eines gut: Der Schlaksige kauft mir die Nummer ab. Auch wenn ich sie in diesem Moment gar nicht gespielt habe. Wer weiß, vielleicht überzeugt er diesen Erin von seiner Meinung... Wobei - „Heißt du zufälligerweise Erin?"

„Nein." Die Heiterkeit verschwindet sofort aus den Zügen meines Gegenübers. Endlich sieht er mein verstecktes Desinteresse, denn ich stelle keine Folgefrage, will ihn nicht gut genug kennen, um seinen Namen in Verbindung zu seiner Person zu bringen. 

„Na dann habe ich dich wohl mit jemandem verwechselt." Die Lippen zusammengepresst, strecke ich mich zu Jaces Freund, dessen Fußknöchel bereits im Berg stecken. „Komm, ich helfe dir raus. Vermutlich habe ich mich geirrt. Es scheint alles trocken zu sein." Alles, bis auf mein eisiges, verschlossenes Herz. Das beginnt nämlich langsam wegen diesem feurigen Badboy zu schmelzen und sich einer Wasserlache gleich auf dem Boden zu verteilen. Nein, Scherz. Natürlich hat sich an meinen negativen Gefühlen für Jace absolut nichts verändert. Ich bin doch nicht vollkommen geistesabwesend. Duh.

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