30. Die Arbeit neben dem Vergnügen
Beginnt der Morgen mit einem ernüchternden Dämpfer, folgt der Mittag mit noch mehr Strapazen. In der Bäckerei herrscht ein erheblicher Ansturm, was sich für die Einarbeitung einer neuen Person im Personal – ich spreche von meiner eigenen Wenigkeit – nicht sonderlich gut eignet.
Gefühlt im Minutentakt wechsele ich von Aisha über Linda zu Ivana. Sie zeigen mir ihre Aufgabenbereiche, erklären mir wichtige Details, während eine Demonstration gegen Massenvernichtungswaffen eine Vielzahl an Kundinnen und Kunden zu uns hereinweht. Es schüttet in Strömen. Kein Wunder, suchen die Menschen nach einer trockenen, warmen Stelle, um sich nach getanem Einsatz ein wenig auszuruhen.
Mit den unzähligen Arten von Gebäcken mehr als verwirrt, stehe ich hinter der Kasse und hoffe auf ein baldiges Ende der Fluten. Meine Haare kleben an meinen Schläfen. Schweiß formt sie zu dicken, durchnässten Fäden.
„Geh abspülen!", schickt mich Ivana in den hinteren Bereich der Backstube. Ich folge ihrer Anweisung ohne Widerworte. Im Moment entspreche ich mit meinen ständigen Fragen sowieso keiner Hilfe. Wenigstens weiß ich, wie man Teller strubbt, damit sie nach einem Durchgang in der Geschirrwaschmaschine vollständig sauber sind. Als ich mich eine halbe Stunde später wieder in die Nähe des Eingangs traue, hat der Spuck bereits ein Ende gefunden. Erleichtert stoße ich Luft aus meinen Lungen.
„Normalerweise ist hier sehr viel weniger los", versichert mir Aisha mit einem müden Lächeln. Sie räumt die letzte Ware aus der Kuchentheke, wobei sie pingelig genau auf eine passende Ausrichtung in der Schachtel achtet.
„Zum Glück machen wir das nur zwei Mal in der Woche." Ich streiche mir über das erhitzte Gesicht. Die Frühschicht morgen wird mich umbringen. Schon nur beim Gedanken an das Weckgeräusch um drei Uhr nachts, verspüre ich Schwindelgefühle.
Aisha deutet auf Ivana, die zu den Öfen verschwindet. „Du kannst ihr beim Bodenaufziehen helfen oder mit Linda die Lichter im Lagerraum ablöschen."
Ich nicke, zu unfähig, ihr meine Wahl mitzuteilen. Stattdessen folge ich Ivana und bekomme gerade noch mit, wie sie einen Wischmopp aus einem hölzernen Schrank herausholt. Erschöpft tue ich es ihr gleich, die Arme vor Anstrengung schmerzend und die Füße plattgelaufen.
Ivana zeigt sich heute reizbarer als sonst. Ihren Frust lässt sie nicht an uns aus, aber ich bemerke ihr häufiges, genervtes Schnauben trotzdem. Wären wir nicht im Internat würde sie nun vermutlich die Winterferien genießen, bevor eine lange Periode des Lernens und der Hausaufgaben sie überrollen und in den Sommer überführen würde. Auf mich tritt das natürlich auch zu. Doch sie scheint eine lange Zeit nach Freizeit zu verspüren. So jedenfalls meine erste Vermutung.
Eine zweite stellt sich beim Warten am Bahnhof ein. Jace winkt mich zu sich. Sichtlich unzufrieden trete ich an ihn heran. Ivanas Starren brennt mir im Nacken. Ein Starren, das ich auf zwei Emotionen festzunageln vermag: Besorgnis oder Eifersucht. Beide wegen mir.
„Erin kauft dir deinen plötzlichen Umschwung nicht ab", flüstert mir Jace zu, als ich ihn in eine Umarmung ziehe. Bei seiner Stimme so nahe an meinem Ohr, breitet sich eine Gänsehaut auf meinem Körper aus. Das Schauspiel geht weiter? Das verwundert mich kein Bisschen. Enttäuscht bin ich über diesen Umstand trotzdem.
„Iss an unserem Tisch zu Abend und sorg dafür, dass alle Zweifel aus dem Weg geräumt sind." Ich nicke, obwohl ich lieber den Kopf schütteln möchte. Unruhig springt mein Blick über die Teenager um uns herum. Viele von ihnen wirken genauso niedergeschlagen wie ich, doch es gibt auch einige unter uns, die genug Energie für eine Unterhaltung mit Witz bereithalten. So jedenfalls interpretiere ich die eher lockere Stimmung.
„Löscht du das Foto, wenn du das Siegesgut der Wetter in den Händen haltest?" Endlich erreiche ich den Zeitpunkt, in dem ich ihn loslassen kann. Die alles entscheidende Frage beantwortet Jace mir von Angesicht zu Angesicht.
Er zuckt mit den Schultern. „Mal sehen", sagt er und die Unbeteiligtheit seiner Worte bringt mich auf die Palme.
„Du kannst mich nicht ewig bedrohen, das muss dir klar sein. Irgendwann wird es jemand herausfinden." Ich erwähne nicht, dass dies bereits geschehen ist. Von einer Partnerin auf meiner Seite muss er nichts wissen. Schließlich spielt er ein falsches Spiel mit seinem Freund Erin. Da würde ich an seiner Stelle kein ehrliches Verhalten von mir erwarten. Denn im Leben kommt alles irgendwie zurück.
„Mach dir nicht in die Hosen. Ich habe alles im Griff", versichert er mir.
Ich raufe mir die Haare. Jace raubt mir den letzten Nerv. Er versteht einfach nicht, wie sich dieser ständige Druck auf meinen Schultern anfühlt, diese Angst, bald entlarvt und gedemütigt zu werden. Natürlich nicht.
Wir gleichen diesem moralisch fragwürdigen, psychologischen Experiment, bei dem eine Gruppe Studierende aufgeteilt wird in Gefangene und solche, die sie mit jedem Mittel vor dem Ausbruch abhalten dürfen. Und das ohne weitere Regelungen.
Nicht umsonst hat es dort mehrere Nervenzusammenbrüche gegeben. Selbst der Forschungsleiter steckte zu fest drin, um zu bemerken, wie sich bereits in kurzer Zeit sein Experiment in ein Institut einer echten, brutalen Strafanstalt umgewandelt hat. Denn Täter entstehen durch grenzenlose Machtunterschiede. Es liegt in der Natur des Menschen, grausame Dinge zu tun, wenn ihm keinerlei Gesetze davon abhalten.
„Noch glaubst du das vielleicht." Aber bald überzeuge ich Jace vom Gegenteil. Denn die Revolution ist nahe.
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