28. Plan 1, 2 oder 3?
Im Nachhinein eine nicht sonderlich hilfreiche Reaktion, aber wenigstens entkomme ich der schieren Wucht meines eigenen Ärgers mit jedem Schritt, den ich mich vom Gewächshaus entferne. Erschöpft falle ich auf mein Bett, genieße die kühle Luft, die vom Fenster ins Zimmer strömt.
Das Polster senkt sich, als eine zweite Person sich zum mir gesellt.
„Den hast du auf den Laken liegen lassen. Ich denke, der ist nicht für die Augen aller bestimmt", berichtet mir Linda leise und schiebt mir den Drohbrief zu. Dankbar nehme ich ihn an mich, zerreiße das Bild in seine Einzelteile und schütte sie in ihren Umschlag zurück.
Aisha, Ivana und die Kleine unterhalten sich im Zwischenstock. Ihre Stimmen dringen gedämpft zu uns herunter. Aisha erzählt gerade von ihrem neuen Buch, das sie bald zu schreiben beginnen möchte, und die anderen hören ihr aufmerksam zu. Wie sehr ich sie doch um ihre Leichtigkeit beneide.
„Und? Was hast du herausgefunden?" Lindas Neugierde blitzt in ihren Augen auf. Sie lächelt ermutigend. Mir geht es zu elend, um diese Geste zu erwidern.
„Der ist tatsächlich von Jace. Er hat eine dumme Wette am Laufen, dass er es schafft, mich für sich zu gewinnen. Jetzt nutzt er die Chance und erpresst mich. Wenn ich nicht tue, was er sagt, veröffentlicht er das Foto." Ich fahre mir müde übers Gesicht, halte bei einem Pickel an der Nasenwurzel kurz angeekelt an, dann setze ich meinen Weg fort. Ein pochender Schmerz auf der Stirn drückt sich gegen meine Fingerkuppen, zieht sich bis zu meinen Schläfen und dem Haaransatz.
Ich bin sowas von verloren. Mein Vater wird mein wohlgehütetes Geheimnis herausfinden und ihn ihr wegnehmen. Er wird mir einen ellenlangen Vortrag unterbreiten, womöglich sogar Maxims Eltern herholen, während ich bloß geschockt zusehe, wie alles zerbricht, was ich mühsam zusammengesetzt habe.
„Dann müssen wir ihn davon abhalten", meint Linda ernst. Sie setzt sich auf und löst eine Spange aus ihrer halboffenen, kinnlangen Flechtfrisur. Mit ihrer Gebärde deutet sie die Bewegung an, die man in Filmen immer sieht, wenn sich die Hauptpersonen urplötzlich vor einer geschlossenen Tür wiederfinden und amateurhaft mit der Nadel im Schloss rumstochern. „Wir können noch heute Nacht in den Computerraum einbrechen, uns in seinen Account haken und die Dateien löschen. Dann dringen wir in den Jungentrakt ein, klauen seine Kamera und löschen mögliche Originale von der Speicherkarte."
Ihr Optimismus zeigt mir ein Weg aus der Hoffnungslosigkeit. Einen, der mehr als übereilt auftritt und vermutlich einiges mehr an Organisation benötigt, doch er existiert. Meine Naseninnenhöhlen fangen zu kribbeln an, so erleichtert bin ich über Lindas Unterstützung.
„Eins nach dem anderen. Das Problem muss nicht von jetzt auf gleich gelöst werden", besänftige ich ihren Überschwung. „Dass du für mich eine Nacht und Nebelaktion starten würdest, weiß ich sehr zu schätzen. Dennoch möchte ich dich in keinerlei kriminelle Aktivitäten verwickeln." Schließlich hat sie, aus logischer Sicht betrachtet, bereits eines eben dieser Aktionen ins Internat gebracht. Und meine eigene, weiße Weste – warte. Warum fühlt sich das irgendwie rassistisch an? – soll weiterhin blutsunbefleckt bleiben.
„Gut, dann kümmern wir uns in den nächsten Tagen um zwei Dinge: das Passwort seines Accounts und die Kamera", schlägt Linda vor und ich nicke zustimmend. Ihre Begeisterung für das Schmieden von Plänen verstehe ich nur zu einem gewissen Grad. Ich meine, sie hilft einer Freundin in Not und das ist durchaus ehrenhaft. Doch wieso fasziniert sie meine Situation stark genug, um sich bedingungslos für mich aufzuopfern? Ob das ihrer Definition von Freundschaft entspricht?
„Ich muss am Freitag sowieso meine Insta-Sucht befriedigen, also schaue ich Jace bei Gelegenheit über die Schulter, wenn er sich für sein Profil einloggt." Linda lässt ihre Spange erneut in ihrer Haarpracht verschwinden. Zufrieden lehnt sie sich gegen die kühle Wand. Ich tue es ihr gleich.
„Danke." Erleichtert drücke ich ihre Hand. Lindas Mundwinkel heben sich. Als ihr eine Erkenntnis kommt, weiten sich ihre Lider für einen Moment. Zerknirscht mahlten ihr Kiefer aufeinander.
„Zwei gleiche Anmeldungen zur selben Zeit sind nicht möglich. Jace bleibt immer ganz zum Schluss, also müssen wir eine Woche bis zum nächsten Schritt warten."
Ich winke ab. Geduld gehört zwar nicht in jedem Fall zu einer meiner Tugenden, doch wenn ich etwas korrekt und ohne Fehler durchführe, so darf es ruhig ein wenig dauern.
„Das macht nichts", gebe ich ehrlich von mir. Ein schlechtes Gewissen, weil ich Linda in meine Angelegenheiten mitreinziehe, brodelt in meiner Brust wie ein kleines Feuer. „Und um die Kamera werde ich mich sorgen. Weißt du zufälligerweise, wo ich sie finde?"
Ein bejahendes Geräusch kommt über Lindas Lippen. „Jace trägt sie meistens in einer beigen Ledertasche mit sich herum."
Na wunderbar. Mit der Erinnerung an mein letztes Gespräch mit ihm fällt mir auf, wie nah ich meinem neuen Ziel bereits gekommen bin. Wenn ich nicht gerade vorhabe, in den Jungenschlaftrakt einzubrechen, was für mich ein absolutes No-Go darstellt, bleibt mir nichts weiter übrig, als auf seine erste Bedingung einzugehen und mich morgen zu seiner Freundesgruppe zu setzen. Wie sehr mich das doch nervt. Nach seiner Pfeife werde ich glücklicherweise nicht mehr lange tanzen. Dafür ist nun gesorgt.
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