Hoffnung und Enttäuschung.

Ich hatte genau noch zwei Tage Zeit, um den Song zu Nico zu bringen und genau das wollte ich an diesem Tag tun. Vormittags war ich im Büro, weil mal wieder ein neuer Kunde da war. Ich hatte mich mit Universal geeinigt, dass ich nach der Deadline direkt für jemand neuen arbeiten durfte, das stand auch so in dem Vertrag, den mir Nico mal mitgebracht hatte. Er wusste nicht, dass ich abends vorbeischauen würde wegen des Songs, denn er hatte mir geschrieben, er wäre den ganzen Tag im Studio. Gut gelaunt setzte ich mich an den Tisch in dem kleinen Büro, das man mir einmal die Woche zur Verfügung stellte. Es klopfte sanft am Türrahmen, denn ich hatte keine Tür, als ich aufsah, stand Alvaro an den Rahmen gelehnt dort. "Hey!", begrüßte ich ihn freudig. "Na? Kommst du mit Nicos Song voran?", fragte er, während er den Raum betrat. "Ja, bin fertig und werd ihn ihm nachher bringen.", antwortete ich, bevor ich ihn anlächelte. "Das ist schön zu hören! Darf ich ihn sehen?", wollte er vorsichtig wissen. Nickend drehte ich den Laptop zu ihm um. Während er sich den Text durchlas, biss er sich auf die Lippe. Ich wartete geduldig, bis er fertig war und wusste, dass er das Lied mögen würde. "Wow, man wird den Herzschmerz richtig spüren.", kommentierte er. Ich bedankte mich bei ihm und spürte eine Welle von Glück durch meinen Körper schießen. Es war immer ein schönes Gefühl, wenn ein anderer Songwriter mir Komplimente für meine Arbeit gab. "Übrigens, wie läuft es eigentlich mit der Wette?", fragte er danach. Ich seufzte und sah auf meine Hände, die verschränkt auf meinem Schreibtisch lagen. "Er hat gewonnen.", antwortete ich ihm bedrückt. "Oh je, hast du's ihm schon gesagt?", hakte er interessiert nach. "Das mach ich, sobald er den Song hat und ich ihn nie wieder sehen muss.", entgegnete ich, bevor ich meinen Blick wieder anhob. Er sah aus, als würde er konzentriert über etwas nachdenken. "Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es einseitig ist.", sprach er seine Gedanken dann laut aus. "Ich weiß nicht, Alvaro.", zweifelte ich an seiner Aussage. Zwar hatte ich schon das Gefühl gehabt, Nico würde mich mögen, aber ich wollte mir keine falschen Hoffnungen machen. "Du weißt, dass er und ich befreundet sind und wir reden miteinander.", erklärte er. "Warte, ihr habt über mich geredet?", schoss es aus mir heraus. "Nicht direkt, ich hab ihn nach dem Song gefragt und er hat mir erzählt, dass du ihn hilfst. Du hättest hören müssen, wie er dich in den höchsten Tönen gelobt hat, also nicht nur dein Talent, sondern auch deine Person.", erklärte er amüsiert. "Hat er dir denn auch von der Wette erzählt?", wollte ich neugierig wissen. Alvaro nickte mit einem Lächeln im Gesicht.

Es ließ mir den ganzen Tag keine Ruhe mehr, also versuchte ich mich irgendwie mit meiner Arbeit abzulenken. Ich recherchierte viel über den nächsten Künstler, der mich in ein paar Tagen anheuern würde. Mein Blick schweifte immer wieder auf den Bildschirm meines Handys ab. Nico schrieb mir seit einiger Zeit nicht mehr zurück, was nicht ungewöhnlich war, wenn er im Studio war, aber seit ich den Entschluss gefasst hatte, ihm meine Niederlage zu beichten, dachte ich viel zu viel über sämtliche mögliche Szenarios nach. Kopfschüttelnd zwang ich mich dazu, mich wieder auf meine Recherche zu konzentrieren. Mein Arbeitstag näherte sich langsam dem Ende zu, weswegen ich immer nervöser wurde. Wenn ich nervös war, konnte ich nicht mehr still sitzen, also ging ich gefühlt alle fünf Minuten zum Snackautomaten in der Kantine oder zum Kaffeautomaten in meiner Etage. Ungeduldig sah ich auch immer wieder auf die Uhr, die Zeit schien viel langsamer zu vergehen als sonst. Um 18 Uhr war ich endlich fertig und packte meine Sachen zusammen. Ich freute mich zwar, Nico den Film zu zeigen, gleichzeitig wollte ich aber auch nicht in dieses Studio fahren. Meine Nervosität wurde mit jeder Bahnstation - ich hatte aus meinem Fehler mit dem Auto und den Parkplätzen gelernt -, mit der ich meinem Ziel näher kam immer schlimmer. Als ich aus der Bahn ausstieg, verstärkte ich meinen Griff um den Riemen meiner Tasche. Zwar hatte mir Nico einen Schlüssel für das Studio gegeben, damit ich einfach reinkommen konnte, wenn er gerade aufnahm, ich klingelte aber trotzdem immer noch jedes Mal aus Höflichkeit. Da er immer noch nicht geantwortet hatte, vermutete ich einfach er war in der Aufnahmebox, also wunderte es mich nicht, dass er die Tür nicht öffnete. Als ich sie aufgeschlossen hatte, ging ich die Treppen nach oben, weil der Aufzug seit etwa einer Woche defekt war. Ich atmete noch einmal durch, bevor ich die Tür zum Studio aufschloss, nachdem ich die sechs Stockwerke nach oben gegangen war. Sehr zu meiner Überraschung war es verdammt still im Gang, ungewöhnlich, wenn an Musik gearbeitet wurde. Ich wunderte mich zwar, ging aber weiter hinein auf die Tür zum Aufnahmeraum zu. Sie war nur angelehnt, ebenfalls sehr ungewöhnlich. Vorsichtig drückte ich sie auf und in dem Moment, als ich hinein sehen konnte, wünschte ich mir, ich hätte es nicht getan. Nico saß mit einer Blondine auf der Couch und tat genau das gleiche, was er circa einen Monat vorher auch mit mir getan hatte. Sie hatten mich nicht bemerkt, also drehte ich mich wieder um. Ich musste dort weg, so schnell wie ich konnte. Leise verließ ich die umgebaute Wohnung und lief dann schnell die Treppen wieder nach unten. Solange ich in der Öffentlichkeit war, riss ich mich wirklich zusammen und unterdrückte die Tränen. Eigentlich hätte ich es wissen müssen, er hatte sich nicht verändert. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass es seine Masche gewesen ist und ich genau wie wahrscheinlich viele Frauen vor mir darauf hinein gefallen bin. Eine halbe Stunde später öffnete ich mit zittrigen Händen meine Wohnungstür. Sobald ich sie hinter mir wieder geschlossen hatte, konnte ich mich nicht mehr zusammenreißen.

Ich hatte stundenlang in meinem Eingangsbereich gesessen und geweint. In dieser Zeit hatte Nico mir auf meine vorherigen Nachrichten geantwortet und mich mehrmals gefragt, ob alles in Ordnung wäre, weil ich ihm sonst immer zurückschrieb. Wütend legte ich mein Handy wieder weg. Irgendwie musste ich meine Wut auf mich selbst und auf ihn loswerden und das konnte ich am Besten, wenn ich meine Gefühle in Lieder verwandelte. Entschlossen stand ich auf, wischte mir dir Tränen aus dem Gesicht und ging dann in mein Arbeitszimmer. Sofort kramte ich den Song heraus, den ich für Nico geschrieben hatte und zerriss ihn - ich hatte immer eine digitale und ausgedruckte Version von allem, was ich schrieb. Dieses Mal nahm ich nicht die Akustik-Version, um darauf einen Text zu schreiben, sondern den Beat, den er mir mitgegeben hatte.

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