Eine ungewöhnliche Bitte.
Eine Woche war vergangen und ich hatte die Arbeit mit Alvaro abgeschlossen. Wir waren uns beide sicher, dass es ein absoluter Hit werden würde. Als ich auf dem Weg zur Kantine war, klingelte mein Handy, es war Nico. Ein Lächeln huschte über meine Lippen, denn wir hatten seit der Party durchgehend Kontakt. "Hallo, du Stalker.", hob ich ab. "Was machst du gerade?", kam es von der anderen Seite des Hörers. "Ich bin arbeiten und du?", antwortete ich, während ich mein Handy zwischen meine Schulter und meine Wange klemmte, um mir ein Tablett für mein Essen zu nehmen. "Ich auch, aber ich hab ne Blockade... Kannst du mir vielleicht helfen?", hörte ich ihn von etwas weiter weg sagen. Es klang so, als würde er sich gerade selbst etwas zu essen machen. "Worum geht's denn?", hakte ich nach. Soweit ich es beurteilen konnte, von dem, was ich bisher von seinen Texten gehört hatte, musste es echt schlimm mit der Blockade sein, wenn er sich an einen Songwriter wandte. Ich wusste aus mehreren Interviews, dass er sich selten Hilfe suchte. "Kannst du nachher ins Studio kommen? Würd dir das lieber zeigen.", seufzte er am anderen Ende. "Danke!", sagte ich etwas leiser zu der Dame, die mir mein Essen über die Theke reichte, "du hast echt Glück, dass Alvaro und ich fertig sind, sonst dürfte ich nicht, aber ja, kann ich machen.", fügte ich dann an Nico gewandt hinzu. "Okay, perfekt. Dann schick ich dir gleich die Adresse! Ich freu mich.", kam es in einem erleichterten Ton zurück. "Gut, ab wann soll ich denn da sein?", wollte ich wissen und machte mich auf den Weg an einen Tisch. Alvaro saß bereits dort. Er hatte unseren gelungenen Song mit einem Essen feiern wollen. "Ich werd so gegen 14 Uhr hinfahren, melde mich aber nochmal.", antwortete Nico. "Ja, okay, dann sehen wir uns später!", verabschiedete ich mich und legte auf. Ich seufzte einmal, danach packte ich mein Handy in meine Handtasche. "Ein neuer Kunde?", fragte Alvaro neugierig nach. "Kann man so sagen.", gab ich ihm als Antwort. Ich war am verhungern, also fing ich sofort an zu essen. "Du scheinst ja nicht so begeistert zu sein.", bemerkte der Spanier, bevor er ebenfalls seine Gabel in die Hand nahm. "Das war Nico Santos und ich bin nicht wirklich erpicht darauf, mit ihm zu arbeiten, aber er hat um Hilfe gebeten und ich bin kein Unmensch.", erklärte ich ihm, nachdem ich meinen Bissen hinunter geschluckt hatte. "Nico bittet um Hilfe, dass ich das nochmal erleben darf!", scherzte er. Die beiden Männer waren befreundet und hatten auch schon mit einander gearbeitet. "Er ist talentiert ohne Ende und schreibt so viele gute Songs, aber ich hab ihn letzte Woche auf diesem Event kennengelernt und er hat nicht unbedingt einen positiven Eindruck hinterlassen.", ließ ich Alvaro wissen. "Er ist schon ein kleiner Womanizer und kommt oft arrogant rüber, wenn man ihn dann aber kennenlernt, ist er eigentlich ein sehr lieber Mensch.", antwortete der Spanier, bevor er mir ein Lächeln schenkte. Ich erwiderte es und überlegte, ob ich ihm von der Wette erzählen sollte, denn ich musste es irgendjemandem sagen. Meine beste Freundin hatte mit der Planung ihrer Hochzeit zu tun, weswegen ich sie in letzter Zeit nicht oft zu Gesicht bekam und mein älterer Bruder, mit dem ich sonst auch über alles sprach, war ebenfalls sehr beschäftigt. Nach etwa fünf Minuten, in denen Alvaro mit mir über Nicos Lieder sprach, erzählte ich ihm, was im Pearl wirklich gelaufen war. Ein herzhaftes Lachen entglitt dem Mann, der mir gegenüber saß. "Das sieht ihm ähnlich, aber, hey, ich bin mir sicher, dass es eine Lektion für euch beide sein wird.", sagte er, nachdem er sich beruhigt hatte. "Wie meinst du?", fragte ich verwirrt nach. "Naja, entweder ihr verliebt euch in einander, das wäre ein Sieg für beide, nur einer verliebt sich oder keiner verliebt sich, was ebenfalls nicht schlimm wäre, dann hättest du einen neuen Freund gewonnen. Also egal, wie es ausgeht, werdet ihr beide etwas lernen.", erklärte er. Ich lächelte ihn an, denn ich mochte seine positive Einstellung. Die ganze Zeit hatte ich nur an die negativen Dinge gedacht, auf diese Art und Weise hatte ich die Wette noch nie betrachtet.
Um halb drei war ich auf dem Weg zu Nicos Studio. Er hatte mir immer noch nichts über diesen Song gesagt, bei dem er Hilfe brauchte. Als ich ankam, wurde ich von seinem Aufnahmeleiter herein gelassen, weil er selbst gerade im Aufnahmeraum stand. Es war das erste Mal, dass ich ihn wirklich in echt singen hörte, nicht über einen Stream oder ein Video und es faszinierte mich. Er hatte so viel Leidenschaft und er fühlte den Song, das konnte man in seiner Stimme hören. Ein breites Grinsen formte sich auf seinen Lippen, als er mich sah. Sofort signalisierte er dem Mann hinter dem Mischpult, dass er die Aufnahme stoppen sollte, dann legte er die Kopfhörer zurück auf ihren Halter und kam aus dem Raum. Mit einer Umarmung wurde ich begrüßt, was mich ein wenig überrumpelte. "Schön, dass du kommen konntest.", sagte er fröhlich. Ich nickte zustimmend, auch wenn ich immer noch ein mulmiges Gefühl hatte, was seine Absichten anging, schließlich hatten wir eine Wette am laufen und vielleicht war das auch seine Masche, mich um den Finger zu wickeln. "Timo, du kannst jetzt erstmal gehen.", wandte er sich dann an den Mann hinterm Mischpult. Dieser nickte, verabschiedete sich und verschwand danach durch die Tür. "Also, was für ein Song bereitet dir Probleme?", fragte ich sofort darauf. "Das Label will, dass ich ein Lied über Herzschmerz rausbringe, aber ich hatte seit Jahren keinen Liebeskummer mehr und hab keine Ahnung, wie ich das machen soll, vor allem, weil er in zwei Wochen fertig sein soll.", erklärte er bedrückt. "Habt ihr schon irgendwas? Einen Beat, eine Melodie oder Teile vom Text?", hakte ich interessiert nach. "Als sie mir gesagt haben, dass sie so einen Song wollen, hatte ich sofort eine Melodie im Kopf und der Beat ist auch schon fertig, aber der Text fehlt eben.", antwortete er entspannt. "Okay, dann zeig ihn mir doch mal.", schlug ich vor. Nickend ging Nico zu seinem Laptop, der auf einem Tisch neben dem Mischpult stand. Konzentriert hörte ich mir das Instrumental an, es war gut und hatte definitiv Potential. Ich mochte die Gitarre am Anfang sehr und auch den Einsatz von Drum und Snare fand ich toll. Man konnte deutlich hören, wann die Bridge und wann der Refrain einsetzen sollten. Als die letzten Töne verstummten, sah mich Nico erwartungsvoll an. "Es hat Potential und ich kann definitiv damit arbeiten. Hast du auch eine Akustikversion davon oder zumindest Noten?", wollte ich interessiert wissen. Nico nickte und ging zu seinem Rucksack auf der Couch. "Spielst du ein Instrument?", fragte er überrascht, während er darin herumwühlte. "Klavier und Gitarre, hatte auch Gesangsunterricht, als ich jünger war.", erklärte ich ihm. "Warum bist du nicht selbst Musikerin geworden?", wollte er dann wissen. Es schien ihn wirklich zu interessieren. "Das Schreiben macht mir Spaß, das Singen eher nicht so und ich stehe auch nicht wirklich gerne im Mittelpunkt.", gab ich ihm ehrlich als Antwort.
Noch am selben Abend setzte ich mich mit den Noten ans Klavier. Als Akustik gefiel mir der Song sogar noch mehr, aber auch ich hatte Schwierigkeiten damit einen passenden Text zu schreiben. Zwar hatte ich gleich eine Rohfassung von dem, was mir im Kopf herumgeschwirrt war, doch ich war nicht zufrieden damit, also zerknüllte ich das Blatt wieder. Einige Stellen schrieb ich mir für später aber trotzdem auf. Nach drei Stunden, in denen ich verzweifelt versuchte, ein Thema für das Lied zu finden, gab ich es auf. Es gab so viele verschiedene Möglichkeiten, Herzschmerz und Liebeskummer ausdrücken, dass es mich ehrlich gesagt etwas überforderte, aber immerhin sollte es keine Ballade sein.
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