#47. The End

Einzelne Flocken rieselten vom Wolken behangenen Himmel. Jede einzelne fand ihren Weg zum Boden. Gespannt stand ich auf der Dachterrasse und sah all dem zu. Langsam streckte ich meine Hand aus. Ein paar Schneeflocken berührten meine Hand und zerflossen sofort zu Wasser. Ich lachte leise.

Die Welt war besser geworden.

Zumindest meine.

Einzig allein die paar Narben und die noch vorhandene Verletzung an meinem Knie waren die letzten Überbleibsel des Brandes. Das Gebäude war bis auf die Grundmauern niedergebrannt, die Stadt hat keine Kosten gescheut diese uralte Hütte wieder aufzubauen. Jetzt belebten wieder Patienten die Zimmer der Psychiatrie, aber ich hatte nicht mehr einen Fuß hineingesetzt.

Daniel's Leiche hat man nie gefunden.

Entweder er war schlau genug gewesen und hatte sich irgendwie in Sicherheit gebracht, oder sein Körper wurde so sehr von den Flamen gefressen, dass nichts mehr übrig war.

Meine Familie hatte sich seit langem wieder gemeldet. Ich war regelrecht in Tränen ausgebrochen als sie allesamt vor meiner Zimmertür standen und mich besuchen wollten. Sogar meine Schwester hatte Zeit gefunden, sonst vertiefte sie sich mit Verschwörungstheorien und was weiß ich.

Wir hatten gelacht, gegessen, uns unterhalten. All das, wofür meine Familie noch nie zu haben war.

Doch dieses Mal war es anders gewesen.

Dieses Mal war es wirklich Familie gewesen.

Das war früher bei uns nicht üblich - wir McClain's waren eher Einzelgänger. Es war das Merkmal unserer Familie. Einzelgänger, ehrgeizig, zielstrebig. Das waren wir alle. Naja, bis auf mich. Ich hatte es gehasst wie die Pest. Deswegen war ich dreimal so überrascht, dass Mum gelacht hatte.

Sie lachte sonst nie.

Es war das erste Mal gewesen.

Ein paar Mal hatte ich Niall von der Ferne gesehen. Ich wusste nur vom Hörensagen, dass er die schwere Rauchvergiftung nur durch ein Wunder überlebt hatte. Er hatte jetzt Sitzungen mit einem Psychiater, den seine Freunde ihn besorgt hatten.

Außerdem hatte er sich seine Haare wieder blond gefärbt.

Als ich es gesehen habe, wäre ich beinahe umgekippt.

(In positiver Hinsicht natürlich.)

Ich glaube, ich habe noch nie so angefangen zu schwitzen oder hatte ein so stark pochendes Herz wie in diesem Moment als ich ihm auf dem Gang begegnet bin.

Wir hatten nicht viele Wörter miteinander getauscht.

Einerseits machte es mich traurig. Ich vermisste sein Lachen und seine Witze, seinen ernsten Blick oder dieses Funkeln in den Augen, wann immer er sich für etwas begeisterte. Seine Art sich über etwas lustig zu machen. Er wusste nicht, was er damit in mir auslöste. Manchmal beobachtete ich ihn heimlich, wenn er mit seinen Freunden in der Kantine saß und lautstark mit ihnen über Fußball diskutierte. Jedes Mal zierte ein breites Grinsen meine Lippen.

Einzelne Autos fuhren vor dem Krankenhaus vorbei. Ansonsten herrschte quasi tote Hose.

Mir war das nur recht.

Ich genoss die Stille.

Es waren wahrscheinlich gerade mal vier Grad, und trotzdem stand ich in Jogginghose, dünnem Shirt und Mütze auf der Dachterrasse und blickte auf Dublin herab. Es war ein wunderschöner Anblick. Dublin in Schnee. Ich hatte es noch nie so gesehen, in Bundoran, ein kleines Städtchen an der Grenze zu Northern Ireland, mein Geburtsort, gab es immer viel Schnee, aber durch die Donegal Bay wirkte es nicht...harmonisch.

Meine Finger waren bereits taub und blau vor Kälte. Eine Gänsehaut durchzog meinen kompletten Körper. Ich blieb weiterhin draußen stehen und beobachtete jede einzelne Schneeflocke.

„Ach, hier bist du. Ich habe dich schon überall gesucht."

Ein Lächeln zierte meine Lippen.

Ohne mich umgedreht zu haben, wusste ich, wer da gerade hinter mir stand.

Der Klang seiner Stimme ließ mein Herz schneller schlagen.

„Ich war die ganze Zeit hier", sagte ich, wendete meinen Blick aber nicht vom Himmel ab. Er stellte sich neben mich und schaute zu mir. „Ja, ich sehe es." Er fing an zu lachen. Sein Lachen war lebhaft und ehrlich. Als ich zu ihm sah, blitzten seine hellblauen Augen auf. Eine blonde Strähne fiel ihm ins Gesicht.

„Ich muss sagen, blond steht dir viel besser als braun." Ein Kichern verließ meinen Mund.

„Danke für das Kompliment, Heaven."

„Naja, es war ja eigentlich gar nicht als Kompliment gedacht. Es war eher eine Feststellung." Ich kicherte erneut. Niall verdrehte die Augen. Im nächsten Moment schnappte ich mir etwas Schnee und drückte ihn in sein Gesicht. Er fing wild mit den Armen um sich zu schlagen. Ich lachte, ließ meine Hand von ihm und rannte hinter die Bank. „Du Biest!", rief er und rannte mir sofort hinterer.

Die nächsten Minuten jagten wir uns um die Bank, versuchten uns mit Schneebällen abzuwerfen. Ich war flinker als er, konnte mich in brenzligen Situationen noch schnell wegducken. Lachen erfüllte das Dach. Meine Wangen taten schon vom Dauergrinsen total weh. Aber das war es mir wert.

Ich bückte mich um erneut einen Schneeball zu formen.

Als ich mich wieder aufrichtete und den Ball werfen wollte, war Niall verschwunden. Das Grinsen verschwand von meinem Gesicht.

Mir kam wieder in den Sinn, dass er, wenn ich ihn nicht aus den Trümmern gerettet hätte, nicht mehr da wäre.

Diesen Moment hätte es nie gegeben.

Langsam ließ ich meine Hand mit dem Schneeball sinken. In meinem Kopf herrschte wieder Chaos. Ich musste die bösen Gedanken verscheuchen und mich stattdessen darauf konzentrieren, wo Niall nun war.

„Hab ich dich!"

Ich hatte nicht einmal Zeit zu kreischen, ich sah nur noch Schnee.

Verbittert wehrte ich mich, aber leider musste ich feststellen, dass Niall einfach mal viel stärker als ich war. Aber ich wäre nicht Heaven McClain, wenn ich kampflos aufgeben würde. Ich drehte mich um und griff nach seinen Handgelenken. Da mein lieber Kumpel nicht damit gerechnet hatte, war es umso leichter für mich ihn auf den Boden zu befördern. Nur zog er mich mit, also lief es ganz und gar nicht nach Plan.

„Ey", lachte ich.

„Hey, ich habe einen Grund mich zu beschweren! Du liegst auf mir!"

Erst jetzt bemerkte ich, dass er Recht hatte.

Stumm sah ich ihn an. Nebenbei versuchte ich mein schnellschlagendes Herz unter Kontrolle zu bringen. Aber es ließ sich einfach nicht beruhigen.

Stille breitete sich aus.

Ich wusste nicht, ob es unangenehm war oder nicht.

Ich machte keine Gestalten mich von ihm runterzubewegen. Ich wollte es auch gar nicht.

„Weißt du", fing er leise an, „als...als wir in dem brennenden Gebäude waren, da...da hast du was gesagt." Er schluckte schwer, zwang sich aber in meine Augen zu schauen. „Du hast gesagt, dass du-" - „Du hast es mitbekommen?" Ich richtete mich blitzschnell auf. Meine Stimme klang piepsig und hoch. Mein Herz schlug noch schneller.

„Ich war gerade aufgewacht."

Ich schaute wieder zur Stadt.

Verdammt, wieso konnte ich ihm jetzt nicht in die Augen schauen? Was war auf einmal mit mir los? Ich hatte jetzt die Chance, ihm meine Gefühle zu gestehen. Stattdessen starrte ich zur schneeverdeckten Stadt.

„Heaven?"

Zwei Finger legten sich unter mein Kinn und zwangen mich in seine Augen zu sehen.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals.

Mein Mund stand leicht offen, aber kein Wort kam heraus.

Ich starrte einfach wie hypnotisiert in seine Augen.

„Hast du es nur gesagt, weil ich quasi tot war oder weil du wirklich so fühlst?", fragte er leise. Seine Hand ruhte immer noch an meinem Kinn, wanderte dann zu einer Strähne und strich sie hinter mein Ohr.

„I-Ich..."

„Meintest es du so, wie du es gesagt hast?" Er sah mich noch immer an.

Ich schluckte, nickte dann.

Mein Herz war stehen geblieben. Ich hatte fest damit gerechnet, dass er jetzt aufspringen und mich hier alleine lassen würde. Was aber in den nächsten Minuten passierte, das hätte ich niemals für möglich gehalten.

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Wieso hast du es nicht vorher gesagt?"

„Wieso hast du mich nicht vorher danach gefragt?"

Ich zog eine Augenbraue hoch, er fing wieder an zu lachen.

„Du kannst manchmal echt kompliziert sein."

„Das...kann ich leider nur zurückgeben." Ich lachte wieder. Er nahm meine Hände in seine. Schließlich beugte er sich zu mir und als ich seine kühlen Lippen auf meinen spürte, explodierte in mir ein Feuerwerk.

Ich schlang meine Hände um seinen Nacken, versuchte ihn noch näher an mich zu ziehen.

Vor meinem inneren Auge zogen alle Alpträume an mir vorbei.

Jeder einzelne.

Alle Ereignisse, die während der letzten vier Monate geschehen waren.

Wirklich alle.

Angefangen von meinem ersten Alptraum als ich schweißgebadet in meinem Bett aufgewacht war. Mein Komplettabsturz.

Meine Einweisung in die Psychiatrie.

Meine Begegnung mit Niall.

Der Brand.

Daniel.

Dieser Kuss...

Dann schaltete sich mein Hirn einfach aus.

Es gab nur noch das hier.

Nichts anderes.

Es gab nur noch mich, ihn und den Schnee um uns herum.

„Ich liebe dich, Heaven. Ich habe es immer getan."

THE END

-> Es folgt noch ein Epilog!

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