#40. Einmal Ghost Town bitte!

Ich blieb einfach eine Weile stehen. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun geschweige denn machen sollte, und das war in dieser Situation nicht hilfreich. Um mich herum befanden sich nur diese gruseligen Ruinen, das weite Feld und der wolkenfreie Himmel, und obwohl die Sonne mit aller Macht auf das Fleckchen hier herabschien, war mir eiskalt.

Ich nenne das hier Ghost Town.

Das hatte wirklich so etwas an sich.

Außerdem passte der Name wie die Faust auf's Auge.

Man hätte das Krabbeln einer Ameise auf dem Boden hören können, so gespenstig ruhig war es.

Und das machte mir noch mehr Angst.

Ein riesiger Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet. Wieder kroch mir die Angst in meine Knochen. Ich hatte Angst davor, was passieren wird. Ob ich sterben werde, oder ob das alles doch hier nur ein böser Traum war. Ein böser Traum, der mich wieder verrückt machen wird.

Ich hoffe auf letzteres, aber mittlerweile bin ich mir da gar nicht mehr so sicher.

Langsam, Schritt für Schritt ging ich auf das erste Gebäude hinzu. Es war das wachturmähnliche Haus ganz am Anfang der ersten Reihe. Je näher ich dem Gebäude kam, desto mehr kam in mir der Drang zu laufen.

Weg von hier.

Von diesem gruseligen Ort.

Aber trotzdem ging ich weiter. Etwas zog mich dahin. Meine Beine gingen weiter, ich versuchte stehen zu bleiben, aber ging trotzdem weiter.

Etwas stimmte hier ganz und gar nicht.

Meine Hand legte sich automatisch auf den verrosteten Türknauf und drückte ihn herunter. Schwerfällig öffnete sich die Tür mit einem Quietschen nach innen und ermöglichte mir einen Blick nach innen.

Alte, von einem weißen Tuch verdeckte Möbel standen in einer Ecke, die Fensterläden waren mit Brettern zugnagelt worden. Allgemein wirkte es so, als hätte man das hier so schnell wie möglich verlassen wollen. Ein kleiner Ofen befand sich direkt neben der Tür und eine verwelkte Pflanze hing in einem Topf von der Decke.

Ich bekam noch mehr Angst.

Das wirkte gar nicht mehr wie ein normaler, krasser Alptraum.

Nein.

Ich glaube, wir waren schon längst darüber hinaus.

Aber ich fand einfach nicht den passenden Begriff für das hier. Es war...ja wie war es? Es war etwas ohne Namen. Ich wusste gar nicht, ob es für diesen Gruseligkeitsgrad schon einen Namen gab außer gruselig. Denn das war es schon lange nicht mehr.

„Hallo?", traute ich mich leise zu fragen, aber ich bekam keine Antwort außer dem Wehen des Windes.

Was hatte ich auch anderes erwartet, das jetzt das Mädchen meiner Träume hier auftauchen und mir sagen würde, was das alles mit diesem Traum sollte? Manchmal ging meine Fantasie wirklich mit mir durch. Aber nach alldem, was passiert ist, ist es auch echt kein Wunder.

Der Holzboden unter mir knarzte als ich den nächsten Raum betrat. Es schien ein Schlafzimmer zu sein.

Ein abgenutztes Bett stand im Raum, am Rande ein Schrank und auch hier wurden die Fenster mit Holzbrettern zugenagelt worden. Ein kleiner Strahl der Sonne schaffte es durch ein Loch in das Zimmer.

Das wurde ja immer gruseliger.

„Hallo?"

Wieder keine Antwort.

Wie gesagt, meine Fantasie geht manchmal etwas mit mir durch.

Also verließ ich wieder das Haus. Mit leisen Schritten steuerte ich auf das nächste zu, aber es lag genauso leer da wie das davor auch. Und genauso wie die restlichen. Jedes Haus war verlassen. Es wirkte sogar so, als wäre hier nie ein Menschgewesen, sondern die Häuser nur gebaut worden um mir Angst zu machen.

Wenn das so ist, dann ist es ihnen tatsächlich gelungen.

Ich kam am Dorfplatz an, der seinen Platz genau in der Mitte fand. Ein alter Brunnen brunnte vor sich hin, Moos wuchs zwischen den grauen Steinen. Eine kleine, zerfallene Bank – oder was es auch immer sein sollte – stand direkt davor.

Ansonsten war alles leer.

Was hatte ich auch erwartet?

(Meine Fantasie geht mit mir immer noch durch.)

Neugierig trat ich zu dem Brunnen und schaute an dessen Schacht runter. Es ging dem Anschein ziemlich weit runter, denn den heruntergekurbelten Eimer konnte man gar nicht mehr sehen, oder aber auch er es hineingefallen, weil das morsche Seil ihn nicht mehr halten konnte.

„Hallo?!", rief ich wieder. Meine Stimme echote den Schacht runter – aber auch keine Antwort erwartete mich hier.

Die Angst kroch immer mehr in meine Adern.

Hier wurde man noch mehr verrückt als in der Irrenanstalt in Dublin.

Apropos...wo war ich überhaupt?! Das sah hier nicht nach einem Ort aus, den jemand kennt. Außer die Einwohner natürlich. Außer dass die auch abgehauen sind. Wer weiß aus welchen Gründen?

Ich trat wieder einen Schritt zurück.

Und stoß gegen etwas.

Oder jemanden.

Verwirrt drehte ich mich um, genauso wie derjenige auch, und als ich sah, wer da in lebendiger Form vor mir stand, tat ich das einzig Richtige. Ich schrie. Sie auch. Ihre grauen Augen weiteten sich vor Schreck, sie stolperte ein paar Schritte zurück und fiel auf den Boden.

„D-d-d-du...hier?!"

„Das f-f-fragst du mich? Was tust du hier?!"

Sie gab mir keine Antwort.

Sie schaute mich einfach weiter an.

Aber ich bin ehrlich: Ich tat genau dasselbe.

Wie zum Teufel kam Heaven in meinen Traum?! Klar, wir litten beide an demselben, aber das bedeutete doch noch lange nicht, dass sie jetzt in meinen Träumen als reale Person hier erscheinen musste! ...oder?

„Ich hab als erstes gefragt!", kam es dann doch mit einer ziemlich festen Stimme ihrerseits. Heaven verschränkte die Arme und sah mich abwartend an.

„Das ist mein Traum. Und ich frage mich immer noch, wieso genau du jetzt hier auftauchst."

„Das frage ich mich allerdings auch. Wo sind wir?" Fragend schaute sie sich um. Sie hatte also auch keine Ahnung von dem Theater, was hier gespielt wurde. Wenigstens war ich nicht mehr der einzige Ahnungslose. Das war doch schon etwas.

„Ich weiß es nicht", antwortete ich, „ich hab jedes Haus durchsucht, aber alle sind leer. Es ist wie ausgestorben. Die Leute, die anscheinend mal hier gelebt haben, sind entweder alle auf einmal verschwunden oder irgendetwas hat sie von hier vertrieben." Ich zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung. Um ehrlich zu sein will ich mich auch gar nicht damit befassen, sondern schnellstmöglich wieder hier raus kommen."

Heaven runzelte die Stirn, nickte dann. Für einen Moment blieb sie noch auf dem dreckigen Boden liegen. Anscheinend hatte sie nicht vor aufzustehen. Also hielt ich ihr meine Hand und lächelte mein typisches Niall-Lächeln. Vielleicht war das ein wenig unpassend, aber momentan war mir das so ziemlich egal.

Ihr Blick ruhte auf meiner ausgestreckten Hand. Es schien fast so, als würde sie mit sich streiten, ob sie jetzt diese Hand annehmen soll oder nicht. Irgendwann entschied sie sich dafür, und ich konnte sie hochziehen.

„Wooow, Vorsicht", entfuhr es mir als sie ziemlich wankend auf den Beinen stand. Hilfe suchend stützte sie sich an meiner Schulter ab und seufzte. „Scheiß Gleichgewichtsprobleme", murmelte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen.

„Wie lange hast du das schon?", fragte ich sie.

„Seit...zwei Wochen? Glaube ich." Ihre Stimme klang brüchig.

Ich seufzte.

„Gut, dann werden wir dich jetzt irgendwohin bringen. Was nimmst du dagegen?" Ich hob sie ohne Vorwarnung im Brautstyle hoch und trug sie zu dem Wachturm ähnlichen Haus. Sie quiekte erschrocken auf und schlang ihre zittrigen Arme um meinen Hals. „Warne mich bitte das nächste Mal vor."

Ich konnte einfach nicht anders als aufzulachen.

Dann bemerkte ich dieses merkwürdige Kribbeln, das ich schon ein paar Mal gespürt hatte, es aber nie irgendwohin einordnen konnte. Auch jetzt konnte ich das nicht.

Es war einfach da.

Sobald sie mich berührte, oder mich auch nur ansah, tauchte das Kribbeln auf.

Und ich konnte nichts dagegen tun.

Den ganzen Weg über versuchte ich aus meinen Gedanken zu verscheuchen. Aber es war immer da. Es verschwand einfach nicht. Nicht einmal, als ich sie runterlassen musste um die Türe zu öffnen.

„Man, sieht das alt aus."

Ihre Verwunderung überrascht mich jedes Mal auf's Neue. Wirklich.

„Tja, es liegt auch daran, dass das hier alles alt ist", erwiderte ich und verzog grinsend das Gesicht. Heaven verdrehte nur schnaubend die Augen. Im Alleingang wankte sie sich – an den beinahe zerfallen Möbeln abstützend – in den nächsten Raum.

„Und das Bett sieht aus, als würde es jeden Moment zusammenbrechen." Kurz darauf ertönte ein Knarzen. „Naja, mich hält es noch aus. Und soo unbequem ist es gar nicht!" Noch ein Knarzen. „Okay, das mit dem nicht unbequem nehme ich zurück. Die Matratze ist steinhart!"

Das Grinsen in meinem Gesicht wurde größer. Mein Lachen hallte durch den Raum und drang zu ihr rüber, von Heaven kam und brummendes „Hör auf zu lachen! Davon kriegt man Rückenprobleme!" Ich frage mich echt, was sie in einer Irrenanstalt macht. Abgesehen von den Träumen, die sie genauso plagen wie mich. Aber alles in allem ist sie ein ganz normaler Mensch. Wenn man sie richtig kennt, zumindest.

„Also, ich weiß ja nicht, wie es dir geht. Aber ich habe Hunger. Wie wäre es, wenn wir uns erst einmal etwas zu Essen suchen?"

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