#35. Sitzung numero 1

Meine erste Nacht in meinem neuen Zimmer hatte ich mehr schlecht als recht überstanden. Mich hatte mal wieder ein Alptraum heimgesucht, aber eher ein Albtraum, wo Nando's weltweit geschlossen wurde.

Und das war eine Katastrophe.

(Zumindest hatte ich schon einmal meinen schlechten Humor nicht verloren.)

Das Frühstück dagegen verlief ereignislos ab – außer das ich einmal bei Mandas Erzählungen einschlief und sie und Peet mich deswegen auslachten. („Jüngchen, schläfst du immer so schnell ein?" „...neeeeein?" „Anscheinend ja schon, wenn ich dich so schnell langweile." „Ha.ha.ha.h.a.")

Ich schlurfte neben den beiden Quasselstrippen zu meiner ersten Therapie.

Wirklich Lust hatte ich nicht, aber wenn es mir helfen würde, dieses Mysterium von Traum aufzuklären, würde ich sogar freiwillig diesen Brei essen – was ich ja schon tat. Zumindest halb.

Ich hatte keine Ahnung, was mich da erwarten würde.

Wirklich nicht.

Meine Vorstellungskraft war gleich null.

Ich konnte nur hoffen, dass das nicht so schlimm wurde, wie ich es mir vorgestellt hatte.

„Komm schon, Niall. Nicht einschlafen", zog mich Manda lachend auf und stieß Peet in die Seite. Ich verdrehte einfach nur die Augen. Mürrisch stiefelte ich weiter hinter ihnen her und betrat den kleinen Saal, in der Mitte stand ein Kreis aus Stühlen. Auf manche der Stühle hatten sich schon welche hingesetzt, darunter auch Dr. Carter. Sie schlug gerade eine Akte auf, hinter ihr auf dem Tisch lagen noch mehr.

Ich ließ mich auf einen leeren Stuhl sinken und legte mein linkes Bein auf mein rechtes Knie ab.

Der Raum füllte sich – wenn auch langsam.

Vorsichtshalber hatte ich meine Kapuze hochgezogen, man wusste schließlich nie, ob hier doch nicht ein heimlicher Fan mit bei war.

„So, sind wir nun vollzählig?", fragte Dr. Carter und ließ ihren Blick über den Stuhlkreis schweifen. „Nein", sagte ein Mann – ich glaube, er hieß Daniel - , „Heaven ist noch nicht an ihrem Platz."

Wo er es erwähnte...

Ein Stuhl genau gegenüber von mir war noch frei. Ich frage mich wohl, ob das Zufall ist, dass wir beide genau gegenüber voneinander sitzen.

Ich war so tief in meine Gedanken versunken, dass ich gar nicht merkte, wie eine zierliche Gestalt den vollen Raum betrat. „E-ehm, tut mir Leid, we-wenn ich so sp-spät komme. Ich habe ver-verschlafen", stotterte das Mädchen mit den langen blonden Haaren und wartete auch nicht die Antwort von Dr. Carter ab, sondern schlich sich beinahe zum besagten Stuhl hin.

Für kurze Zeit suchten ihre grauen Augen den Raum ab.

Für kurze Zeit streifte ihr Blick den meinen.

Und mein Herz blieb automatisch stehen.

Ich wusste nicht, wieso, aber auf einmal verschwamm alles um mich herum.

Es gab nur sie und mich.

Alles um mich herum war nur noch Nebensache, ihre Augen hatten mich fest in ihrem Bann.

Dann wandte sie ihren Blick wieder von mir ab und setzte sich leise auf den Stuhl, dieser Daniel, oder wie auch immer er hieß, schenkte ihr ein freundliches Lächeln, welches sie leicht erwiderte und dann zu Dr. Carter schaute.

In mir stieg dieses eine Gefühl auf.

Dieses Gefühl, was mir nicht besonders fremd war.

Eifersucht.

Aber wieso? Ich kannte sie nicht, und ich kannte diesen Daniel nicht. Die beiden waren wahrscheinlich Freunde. Oder auch nicht. Was weiß ich. Da konnte es mir doch egal sein, wen sie anlächelte und wen nicht.

Maaan, Niall. Jetzt sei nicht eingeschnappt, weil sie dich nicht angelächelt hat. Dafür hat sie dich doch angeschaut, und das ist besser als nichts. Es braucht eine Weile, bis sie dir vertraut. Und du solltest ihr einen Grund dafür geben, dir zu vertrauen, erklang wieder diese Stimme in meinem Kopf.

Ignoriere sie, ignoriere sie...

Niall.

Ich höre dich nicht.

Niall.

Bla.Bla.Bla.

Verdammt Niall! Hör auf, mich zu ignorieren!

WAS MEIN GOTT WILLST DU VON MIR?!

„So, da nun endlich alle da sind, können wir ja anfangen...", begann Dr. Carter und gab das Wort an ihren Sitznachbarn weiter. Der stand auf, und sah sich mit einem ängstlichen Blick um. „Ähm...ich bin...Aiden...und leide a-an...schizoaffektiver Störung..." Und schneller als man eins sagen konnte, saß er auch wieder auf seinem Platz. Ein „Hallo Aiden" folgte.

Gott.

Das war ja wirklich wie im Fernsehen.

Danach stand Daniel auf, mutiger als der Kompadre vor ihm. „Ich bin Daniel. Und ich leide an Hypomanie." Wieder ein „Hallo Daniel" folgte, nur ich sagte nichts.

Ich mochte ihn nicht.

Aber vielleicht lag es auch an seiner Krankheit. War Hypomanie nicht irgendwie das Gegenteil einer Depression?

Dann kam Heaven.

Sie zögerte erst, schluckte schwer und atmete hörbar ein und aus. Ich hatte auf einmal den Drang, ihre Hand zu nehmen und sie beruhigend zu drücken. Sie sah noch einmal in meine Augen. Ich lächelte sie leicht an und nickte. Ihr schien das genug, denn sie stand schließlich auf und brachte ein stotterndes: „I-Ich heiße H-Heaven. U-und ich l-leide an...akustischer und optischer Halluzination."

Das „Hallo Heaven" hörte ich gar nicht mehr. Ich starrte sie einfach nur noch an.

Sie litt an demselben wie ich.

Genau.

Dasselbe.

Das konnte ein Zufall mehr sein.

Egal, wer mir das Gegenteil beweisen wollte.

Das hier – und das meine ich auch so – war verdammt noch mal kein Zufall.

Manda stieß mir leicht in die Seite und zischte in mein Ohr: „Starr nicht so, das ist viel zu auffällig." Und was mir noch mehr Angst machte, war, dass es mir nichts ausmachte.

Ich wurde ja immer unheimlicher.

Du wirst nicht unheimlicher. Denn genau so soll es sein. Ihr seid nicht so verschieden, wie du vielleicht denkst.

Wirklich unheimlich.

„Niall", zischte mir Manda wieder zu, und erst jetzt bemerkte ich, dass alle Augenpaare auf mich gerichtet waren. „Oh", kam es von mir und ich stand schnell auf. „Also...ich bin Niall, und ich leide auch an akustischer und optischer Halluzination." Wieder ein „Hallo Niall" folgte, und ich setzte mich.

Dieses Mal starrte mich dieser Daniel an.

Ich zog spöttisch eine Augenbraue hoch und runzelte die Stirn. Daniel wand sofort mit rotem Kopf seinen Blick ab und schluckte schwer.

Ha.

Meine Blicke hatte doch Wirkung.

„Ich bin Manda, und leide an keiner bekannten psychischen Krankheit, aber meine Eltern waren der Meinung, mich hier rein stecken zu müssen. Deswegen bin ich heute hier", erzählte Manda betont lässig und ließ sich wieder auf ihren Stuhl fallen. Die anderen folgten.

Ich gähnte.

Letzte Nacht habe ich nicht wirklich viel geschlafen, ich war eher damit beschäftigt, mir den Kopf über Heaven zu zerbrechen. Sie war einfach nicht aus meinen Gedanken verschwunden, und auch jetzt dachte ich schon wieder an sie. In ihrer Gegenwart.

„Hat jemand Besserungen bei sich gemerkt? Vielleicht mehr Schlaf? Daniel, wie ist es bei dir? Hat sich bei dir etwas gebessert?", fragte Dr. Carter ihn, und er fing an zu lächeln und nickte. „Ich habe letzte Nacht komplett durchgeschlafen. Und so gut wie schon lange nicht mehr. Dem Herrn sei Dank."

Eher deinem Hirn du Genie, dachte ich spöttisch und verdrehte die Augen.

Niall.

Was? Ich darf doch wohl denken, oder?!

Beinahe hätte ich geschnaubt, aber es noch eben schnell verkniffen.

„Und was ist mit dir, Heaven?"

Heaven schaute auf den Boden und knetete ihre Finger. Sie war nervös, das merkte ich. Partout in diesem Moment wünschte ich mir, dass sie in meine Richtung schaute, damit ich ihr wieder aufmunternd zulächeln konnte. Aber das tat sie nicht, und irgendwie bekam mein Herz dadurch einen leichten Knacks.

„Naja...", murmelte sie kaum hörbar, „ich hatte letzte Nacht wieder diesen Albtraum. Und da konnte ich die Person nicht fragen, was sie will, weil sie dann einfach wieder verschwunden ist."

...und denselben Traum hat sie auch noch.

Unfassbar. Wirklich.

Und ich plapperte mal wieder, ohne vorher nachzudenken. „Wieso hast du „die Person" dann nicht einfach direkt gefragt als sie erschienen ist? Vielleicht wäre sie ja länger geblieben." Denn bei mir war das der Fall gewesen, oder war, aber das sagte ich nicht. Aus welchem Grund auch immer.

Sie schaute endlich zu mir auf – direkt in meine Augen.

Grau traf Blau, Blau traf Grau.

Gänsehaut durchzog meine Haut, gut, dass ich einen langen Pulli und eine lange Hose anhatte.

„Und wie soll ich das machen?"

Ohne Stottern. Gut. Mach weiter so.

Ai ai, Käpt'n!

Niall.

Jaja, schon gut. Ich mach ja schon.

„Keine Ahnung", ich stützte mein Gesicht auf meine Hände, „ich bin ja nicht in deinen Träumen." Heaven hatte den Mund geöffnet, um etwas zu erwidern. Allerdings entschied sie sich dagegen, und klappte den Mund wieder zu.

Wieder ein Knacks im Herz.

Die restliche Stunde verlief ohne solche Zwischenfälle. Jeder brabbelte von seinen Verbesserungen – ausgenommen von mir. Es war schließlich meine erste Stunde. Am Ende teilte Dr. Carter uns in Zweiergruppen ein, damit wir uns – wie Manda es mir schon erzählt hatte – gegenseitig Fragen stellen durften.

Ich hatte Aiden als Partner. Er tat mir Leid. Aiden litt schon seit er zehn ist an schizoaffktiver Störung, und seit er 13 ist, lebt er in dieser Klinik. Er erzählte mir unter Stottern von seinem Leben in Dudley, von seiner Mutter und seiner kleinen Schwester, Ina.

Er vermisste seine Familie.

Ich verstand ihn, und fühlte mit ihm.

Aiden tat mir wirklich leid. Er war ein netter Mensch, wirklich. Und er hatte soetwas nicht verdient. Wirklich nicht. Er hatte nicht zusehen könne, wie seine kleine Schwester zu einem pubertierenden Teenager aufwächst, und durfte auch nicht auf die Hochzeit seiner Mutter.

Aus dem Augenwinkel sah ich Daniel und Heaven. Daniel erzählte gerade etwas, und Heaven fing an zu kichern.

Noch ein Knacks.

Ich muss meine Eifersucht unbedingt in den Griff kriegen.

„Okay. Das war's für heute. Ihr könnt jetzt zum Mittagessen", rief Dr. Carter über die Lautstärke hinweg. Ich begleitete Aiden in die Kantine, schnappte mir ein Tablett und ließ mir wieder eine Schüssel mit diesem ekeligen Brei vollpappen. Aber ich hatte irgendwie Hunger.

Seufzend ließ ich mich auf einen Stuhl sinken und fing an zu essen.

Plötzlich krachte etwas vor mir auf den Tisch, jemand hatte sein Tablett auf den Tisch fallen lassen. Ein Stuhl wurde zurückgeschoben.

„Was weißt du über meinen Traum?"

Ein Lächeln zauberte sich auf mein Gesicht.



*

Schizoaffektive Störung:

Schizoaffektive Störungen sind psyschiche Störungen, bei denen Depressionen oder auch Manie auftreten können oder auch Wahn und Halluzinationen, Schuldwahn, drohende Katastrophen und körperliche Krankheiten können ebenfalls Symptome darstellen. Es gibt drei Arten der schizoaffektiven Störung: die Schizomanische, die Schizodepressive und gemische Form.


Manie:

Eine Manie ist eine affektive Störung - Veränderung der Stimmlage -, die meist phasenweise abläuft. Stimmung und Antrieb liegt meist weit über Normalniveau. Die Entstehung ist bei jeder Person anders. In einer Manie reduziert sich der Schlaf und es kommt zur einer Überanstrengung des Gehirns, wodurch dann, wenn es nicht zur einer Behandlung kommt, psychotische Symptome - z.B. Realitätverlust - ausgelöst werden können. Eine abgeschwächte Verlaufsform der Manie, die allerdings immer noch deutlich über den Normalschwankungen liegt, bezeichnet man als Hypomanie.


--> Ich hoffe, ihr versteht das :'D Sonst ist es Mr. Wikipedia Schuld ;)

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