#33. Ich traue meinen Augen nicht.
Gehorsam trottete ich dieser Jane hinterher.
Auf dem Weg erklärte sie mir noch einige Dinge wie das hier ablaufen würde. Ich erfuhr, dass die meisten Patienten schon alle ziemlich lange sich hier behandeln ließen, manche von ihnen schon ihr ganzes Leben.
Ich könnte mir nicht vorstellen, mein ganzes Leben hier zu verbringen.
Ich meine, wenn man hier nie rauskommt, dann lebt man gar nicht.
Leben heißt schließlich auch etwas erleben. Und wenn man nicht aus diesem alten Gemäuer - was zu meinem Erstaunen doch noch ziemlich gut erhalten war - mal rauskam, dann konnte man sich auch gut für den Rest seines Lebens im Keller verstecken. Ist dasselbe.
Ich bin der Meinung, dass man wenigstens etwas von der Welt sehen sollte.
Jane redete und redete und redete und redete und, und, und...
Ich sollte jetzt besser aufpassen, was sie sagte. Nicht, dass ich am Ende keinen Plan von allem hab.
Aber zu meiner Beruhigung war Jane noch immer bei demselben Thema.
...und sie plapperte wie ein Wasserfall.
So langsam ging es mir wirklich gegen den Strich.
„So, da wären wir."
Sie stellte sich neben eine weiße Tür von vielen hier auf diesem Flur und öffnete sie. Mein Zimmer für die nächsten Wochen war langweilig weiß. Weiße Wand, weißer Teppich, weiße Möbel, weiße Türen - einen Moment. Wofür war die andere Tür?
„Das hier ist das Badezimmer. Etwas klein, aber es erfüllt seine Aufgabe", erklärte Jane mir und verschränkte die Arme. „Ich lasse Ihnen Zeit zum Auspacken. Ach, und noch was: Handys dürfen nur einmal in der Woche benutzt werden, die anderen Patienten benutzen sie meist immer samstags", fügte sie hinzu, „bis dahin werden die Handys eingesammelt."
Sie hielt mir ihre Hand hin.
Ich soll mein Handy abgeben? Mein allergrößtes Heiligtum?
Sie zog eine Augenbraue hoch.
Okay, sie meinte es tatsächlich ernst.
Nur widerwillig kramte ich in meiner Tasche nach dem silbernen Teil und überreichte es ihr. Jane steckte es in die Tasche ihres Arztkittels und verschwand aus dem Raum, sodass ich der Einzige im Raum war.
Ich seufzte.
Hoffentlich überstand ich das hier...
Ich öffnete den kleinen Kleiderschrank neben der Tür und entdeckte die typisch graue Psychiatriekleidung, die man auch aus dem Fernsehen kannte. Sogar diese Bademäntel waren dabei.
Aber da ich ja zugehört hatte - ausnahmsweise - konnte ich auch einfach einen Kapuzenpulli und die graue Hose aus dem Schrank anziehen, und entweder konnte ich mich für Socken oder diese Hausschlappen entscheiden.
Eigentlich war das mit der Auswahl ganz cool.
Besser, als ich gedacht hatte.
Ich kramte meinen roten Kapuzenpulli aus meiner Sporttasche und zog ihn an, tauschte meine Jeans gegen die graue Hose, die im Endeffekt wirklich bequem war, und stopfte die restliche Kleidung samt Tasche in den Kleiderschrank.
Hm, und was jetzt?
Es war freie Zeit, also konnte ich machen und tun, was ich wollte. Solange ich auf dem Grundstück blieb.
„Hm...", machte ich und verzog das Gesicht.
Schwere Frage...
Ich beschloss nach wildem Hin und Her einfach mal in diesen „Freitzeitraum" zu gehen, wo sich die anderen Patienten befanden. Mal gucken, was es da so spannendes gab.
Ich öffnete die Türe und trat in den Gang.
Er war immer noch so gespenstig leer.
Im Freizeitraum waren nicht mehr so viele, anscheinend sind ein paar nach draußen in die Sonne gegangen. Hätte ich vielleicht auch gemacht, aber leider war ich sehr anfällig was Sonnenbrand und Sonnenstich betraf.
Mein Blick glitt zu den Bücherregalen.
...oder ich las einfach was.
„Bildung tut dir gut, Nialler"; flüsterte ich mir selber zu.
Ich durchsuchte die Regale nach einem spannenden Buch, aber hier waren nur so alte Dinger wie Krieg und Frieden von Leo Tolstoi oder Titanik in Buchformat anstatt diesen „herzzerreißenden" Film mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslett. Mal ehrlich, wer heulte bei diesem Film?
3.Januar 2012 - London
„Wie wär's mit Titanik?"
„NEIN!"
„Gott, bist du geistesgestört, Harry!?"
„Vielleicht stehst du auf diesen Drama-Scheiß, aber nicht wir!"
„Aber Liam guckt den Film auch total gerne! - neben Toy Story..."
Als wir - mit Ausnahme von Harry - entrüstet zu Liam schauten, gab der nur ein geschnaubtes „Man Leute, es ist doch nur ein Film! Außerdem guckt Dani den, nicht ich!" von sich.
„Kommt, Leute. Nur ein einziges Mal. Und dann gucken wir Hangover, versuchte Harry es weiter und sah uns nach der Reihe mit hoffnungsschimmernden Augen an.
„Das ist wohl das Mindeste", brummte Louis.
„Und was ist mit mir? Ich will auch einen Schadensersatz bekommen!", meldete ich mich und verschränkte die Arme. „Ich auch!", fügte Zayn hinzu.
„Jaja, ich geh mit dir zum Nando's, und du Zayn...such' dir was aus. Können wir jetzt endlich anfangen? Oder wollt ihr noch mehr Schadensersatz von mir verlangen?" - „Also, wenn du schon einmal fragst..." - „Nein, Liam, du nicht auch noch!"
Liam murmelte beleidigt was vor sich hin, was ich nicht verstand und sank weiter in den Sessel hinein.
Ich riss die Öffnung meiner Chipstüte auf und fing sogleich auch an den Inhalt aufzufuttern. Als Louis vergeblich versuchte, sich einen Chip aus der Tüte zu nehmen, schlug ich seine Hand weg und funkelte ihn wütend an.
„Aber ihr vergebt mir doch, dass ich diesen Film ausgeliehen habe, oder?", fragte Harry verunsichert nach.
„Klar - wenn wir zu Nando's gegangen sind."
„Von mir aus..."
„Frag mich das morgen, ich muss meine Karotten essen."
„Mich brauchst du gar nicht anzusehen, Harry."
5. November 2017 - Dublin
Ich saß mit Krieg und Frieden in einem Fenstererker im hinteren Teil des Raums und war ganz vertieft in die Wörter, die auf Seite 329 standen, dass ich nicht hörte, wie die Tür erneut aufging.
Ich muss wirklich sagen, obwohl das Buch wahrscheinlich älter war als ich - und das meine ich wortwörtlich - war es wirklich das Beste, was ich gelesen habe.
Und das muss bei zwei Büchern ja was heißen. Obwohl...ich hate keinen blassen Schimmer mehr, was in Wer die Nachtigall stört vorkam.
Ich und mein Gedächtnis waren wirklich keine Freunde.
Wirklich nicht.
Um ehrlich zu sein wusste ich nicht mehr, was auf den letzten 328 Seiten stand. Ich las mir einfach Seite für Seite durch, dann schlug ich die nächsten zwei auf und so weiter. Wirklich viel behalten tat ich nicht. Ich erfüllte nur den einzigen Zweck eines Buches.
„Ä-ähm, E-e-entschuldigung?"
Eine helle Stimme ließ mich aus meiner Ichlese-Hypnose auffahren-
Und in der nächsten Sekunde hielt ich den Atem an.
Ich traute meinen Augen nicht.
Das konnte...
Nein, das war sie- das kann nicht sein.
Ich irre mich.
Ganz bestimmt, das war nur wieder eine Halluzination.
Nur eine Halluzination. Mehr nicht.
Das Mädchen mit dem goldblondem Haar und den müden grauen Augen war nicht das Mädchen aus meinen Träumen.
Das konnte sie einfach nicht sein.
Nein...
Ich träume.
Ganz bestimmt.
Du träumst nicht.
Doch, das tue ich.
Nein, tust du nicht.
Ich weiß wohl ganz genau, ob ich träume! Und das hier ist alles nur ein Traum! Mehr nicht!
...war ich wirklich schon so weit gekommen, dass ich Selbstgespräche mit mir führte? Anscheinend schon.
Ich starrte sie einfach an.
Aber das merkwürdige war, dass sie mich auch einfach anstarren zu schien.
Sie hat, oder vielmehr hatte, genau dieselben Träume. In denen du vorgekommen bist.
„J-ja?", brach ich vollkommen überfordert heraus und schloss mein Buch.
Das Mädchen aus meinen Träumen schluckte. „Krieg' ich das ... ähm ... das Buch hinter dir auf dem Erker? I-Ich hab es ge-gestern hier liegen las-s-sen...das wäre n-nett..." Sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die aus ihrem Zopf herausgefallen war und schaute schüchtern zu Boden.
Ich wusste nicht wie sie das anstellte, aber ich war total fasziniert von ihrer Art.
Haltet mich für verrückt, aber dieses Gefühl, was mich in diesem Moment durchströmte, könnte ich durchaus als meine eigene Droge verwenden. Wirklich.
„Ä-Äh, klar."
Ich griff nach dem Buch neben mir auf dem Erker und reichte es ihr mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.
„D-d-danke", stotterte sie, riss mir das Buch aus der Hand und rannte aus dem Raum.
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