#29. Die Welt und ich
Mallorca - 16.07.2017
Ich schwöre bei Gott, ich werde hier nie wieder einen Fuß auf diese Gott verdammte Insel.
Nienienienienienienienie wieder.
Und wenn mich wer zwingt, ich werde mich strikt weigern.
Diese Insel war die Hölle! - und wenn ich meinte Hölle, dann war das auch so!! Überall Betrunkene, soweit das Auge reichte.
Klar, es war eine Partyinsel, aber...whoa.
Sogar für mich, der Partysau, war das zu hart.
Nach der ersten Nacht machte ich einen riesigen, großen Bogen um den Ballermann und gammelte die restlichen drei Tage am Strand rum.
Unbemerkt, versteht sich.
Es war der reinste Traum von einem Leben als Star.
Naja, eines...ehemaligenvielleichtichweißesumehrlichzuseinnicht-Stars?
Jedenfalls...ich genoss es. Jede Sekunde, die ich hier verbrachte.
Ich weiß nicht, aber irgendwann hatte ich doch das Gefühl, beobachtet zu werden. Es konnte auch nur ein Truggefühl sein, doch ich kannte dieses Gefühl nur zu gut und irrte mich nie. Wenn ich mir an der Strandbar immer was zu trinken holte, drehte ich mich mehrmals um und schaute, ob mir jemand nachschaute. Ich kam mir vor wie ein Typ mit Verfolgungswahn.
- und da waren wir wieder beim Thema psychisch gestörter Irrer. Wisst ihr noch?
Ich hatte einfach dieses...beklemmende Gefühl im Rücken, als würde mich jemand anschauen. Es waren einige Horden von Mädchen in dem Alter der Fans, jedoch hatten sie alle mir den Rücken zugedreht.
Vielleicht bildete ich mir ja auch nur alles ein, vielleicht war ich ja wirklich ein psychisch gestörter Irrer.
Ich seh's schon vor mir:
NIALL HORAN. PSYCHISCH GESTÖRT?!
Ich sollte unbedingt das Thema wechseln.
Gerade befand ich mich am Rande eines Menschenpulks, die sich zu einem Kreis geformt hatte, in deren Mitte sich gerade zwei Jungs um ein Mädchen prügelten.
Wow, das gab es heutzutage auch noch? Hab sowas schon ewig nicht mehr gesehen, oder ich war zu blind um sie zu erkennen.
Gerade rammte der eine dem anderen seine Faust ins Gesicht, man hörte nur zu deutlich das KNACK! aus seiner Nase. Ein „Auuuu" ging durch die Menge.
Ich wäre ja nicht zu doof, mich wegen eines Mädchens zu prügeln, was jetzt nicht soo Bombe aussah. Oder sie war einfach nicht mein Typ. Jedem das seine halt. Aber ich würde mich nicht wegen ihr prügeln wollen.
Deswegen stand ich auch nur als Zuschauer daneben und sah zu.
Ja, vielleicht hätte ich einschreiten sollen, aber ernsthaft: ich glaube nicht, dass sie dann aufgehört hätten. Womöglich hätte ich dann selber einen auf die Nase bekommen. Und meine Haut sah noch immer ein wenig mitgenommen aus.
Lieber nicht...
Aber was ich eigentlich sagen wollte:
Hello, Sidney!
Sidney - 18.07.2017
So eine 24 Stunden-Anreise war nichts für schwache Nerven und der Jetlag lag mir tief in den Knochen. Das hatte zur Folge, dass ich den nächsten Tag mit runtergelassen Jalousien in meinem kuscheligen Bett lag und schlief, soweit es zumindest möglich war.
Ab und zu wachte ich auf und starrte an die dunkle Ecke. Dachte über mein Leben nach, wohin ich noch alles wollte und so weiter.
Jaja...
Irgendwann beschloss ich doch mal, aus meinen gemieteten vier Wänden zu kriechen und die Gegend zu erkunden.
Frische Meeresluft schlug mir entgegen als ich ins Freie trat. Ich hatte mir ein Zimmer in einem Motel am Rande der Stadt gemietet, so etwas Protziges wie die Luxussuite in einem 5 Sterne-Hotel brauchte ich jetzt nicht unbedingt. Das kleine Zimmer war auch in Ordnung.
Ich ging über die Sidney Harbour Bridge, schmiss von da aus einen Kieselstein in den kalten Pazifik und aß ein Hot Dog von einem Typen, der die ganze Zeit hin und her ging und „WARME HOT DOGS!" rief. Danach ging ich ins Sea Life Sidney Aquarium und wäre dabei beinahe an einem Herzinfarkt gestorben als mich von der Seite so eine Walkuh - oder wie man sie auch immer nennen möge - angebrummt (ich weiß nicht, was das für ein Geräusch war. Es klang nach dem Brummen eines hungernden Löwens) hat. Diese Tier war so gewaltig riesig, dass ich fast dachte, dass es ein Hai wäre. Mit dem Unterschied, dass diese Walkuh oder wie auch immer die Nase einer Kuh hatte und so dick wie ein Wal war. Echt unheimlich diese Dinger.
Ich stand gefühlte Stunden vor dem Aquarium und hatte überlegt, ob ich ein Foto davon machen und es auf Twitter stellen sollte. Ich könnte ein „Danke" für die tollen Jahre mit den Jungs und für die viele Unterstützung der Fans mitanhängen. Und einiges erklären.
Das klang eigentlich sogar ganz gut.
Mehr als einen hysterischen Anschlag auf die Band-Accounts und die von Liam, Louis, Zayn und Harry konnte nicht passieren. Außerdem gab es das schon, als Gerüchte die Runde machten, dass Zayn die Band verlassen wollte. Klar, er hatte mit dem Gedanken gespielt, sich aber dagegen entschieden. Wir waren ihm am selben Abend noch um den Hals gefallen und uns tausend Mal bei ihm bedankt.
Damals hätten wir uns gar nicht ausmalen können, wie es ist, wenn einer von uns gehen würde.
Und nun war ich derjenige, der ausgestiegen war.
Jetzt wusste ich ganz genau, wie sich das anfühlte.
Ich nahm mein Handy aus der Hosentasche, schoss ein recht merkwürdiges Selfie mit der Walkuh und postete es auf Twitter. Darunter schrieb ich einen Text, der länger war als ich eigentlich beabsichtigt hatte:
Ich wollte mich nochmal für die tollen Jahre bedanken, die ich mit @real_liam_payne, @Louis_Tomlinson, @Harry_Styles und @zaynmalik erleben durfte. Es waren wirklich die besten 6 Jahre meines Lebens, und ich würde sie am liebsten nicht hergeben. Aber leider kann ich wegen gesundheitlichen Problemen einfach nicht mehr weitermachen. So leid es mir tut :( Aber ich will auch den Fans danken, danken dafür, dass sie uns super unterstützt haben während unserer Karriere. Danke. xx Nialler.
Ich postete es, bemerkte erst, dass ich während dem Schreiben die Scheibe des Aquariums hinunter auf den Boden gerutscht war, umgeben von den vielen Leuten. Dass mich welche merkwürdig anstarrten, war mir momentan so ziemlich egal.
Es existierte auch schon seit gestern ein #Niallleft1D-Hachtag. Es waren so traurige Kommentare dabei, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes anfing zu weinen. Einzelne Tränen rinnen meine Wange hinab und platschten auf den Boden. Immer mehr folgten. Mit benommenem Blick starrte ich auf das Display, immer noch die Seite mit den traurigen Kommentaren offen.
Eins war trauriger als das andere. Und es tat im Herzen weh.
Verdammt, wie sehr es mir wehtat.
Ich war schon immer eine sensible Person gewesen, aber wenn es anderen scheiße ging, ging es mir ebenfalls scheiße. Und wenn andere wegen mir weinten, musste ich auch weinen.
- und das hier traf mein Herz ganz tief. Es zerbrach langsam, aber sicher in Einzelteile. In so viele Einzelteile, dass es in so vielen Teilen auf den Fliesen vor mir lag, dass es unmöglich war, sie wieder einzusammeln und zusammenzufügen.
„Alles okay mit dir?" Die klare Stimme eines Jungen ertönte neben mir. Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und schaute in die hellblauen Augen des Kleinen. Er wirkte so fröhlich, in seiner linken Hand hielt er einen Delfin-Luftballon und in seiner Rechten ein Eis.
Ich nickte matt. (LÜGE!!!) „Alles okay."
Aber der Junge glaubte mir nicht. Verständlich. „Aber da sind Tränen auf deiner Wange und du sitzt hier auf dem Boden rum, ich glaube nicht, dass es dir gut geht", erwiderte er und schmunzelte.
Gut erkannt, Sherlock.
„Es ist alles in Ordnung. Das Wetter macht mir nur ein wenig zu schaffen", log ich dreist weiter. Aber wie hieß es so schön: Kinderaugen sehen alles.
Er schüttelte partout den Kopf. „Ich glaube dir nicht." Dann sah er nachdenklich zu seinem Eis, bevor er anfing zu lächeln. „Hier", er reichte mir sein Eis. Ich wollte es zuerst nicht annehmen, aber er bestand darauf. „Ich will aber, dass du es annimmst." Irgendwann konnte ich dann doch dem zuckersüßem Lächeln, das mich irgendwie an mich erinnerte, nicht mehr wiederstehen und nahm ihm das Eis aus der Hand.
„Darf ich denn deinen Namen erfahren?"
„Ich hei-"
„Niall, jetzt komm!", ertönte die Stimme einer Frau, verwundert drehte ich mich um, aber sie schien eher auf meinen kleinen Kumpel, der mir das Eis gereicht hatte, fixiert zu sein.
„-ße Niall Hikson. Du?" Er achtete gar nicht auf seine Mutter, die nun seine Hand nahm und entschuldigend den Kopf schüttelte. „Entschuldigen Sie meinen Sohn, er ist manchmal ein wenig...hyperaktiv", sagte sie und lächelte leicht.
„Kenne ich", erwiderte ich und musste wieder an mich selber denken. („Greeeeeeg, wollen wir Fußball spielen?" „Nein, Niall. Ich muss lernen." „Das sagst du jetzt nur, damit du nicht mit mir Fußball spielen musst!")
Seine Mutter nahm seine Hand und führte ihn weg. Er winkte mir noch einmal hinterher und lachte. Automatisch zuckten meine Mundwinkel etwas höher und ein leichtes Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Ich hob meine Hand und winkte ich zurück. Total vergessend, dass ich ja noch immer mein Handy in der Hand hielt und die Seite offen war.
Ich seufzte laut und schloss sie, steckte mein Handy wieder in meine Hosentasche und rappelte mich auf.
Einatmen, ausatmen...
Weiter so, Niall. Dann geht es wieder..., redete ich mir selber zu.
Ein und wieder aus.
Ein und aus...
Ein...
...und aus.
Einfach atmen.
Dann klappt es schon wieder.
Und urplötzlich, total unerwartet, füllten sich meine Lungen mit Luft, die ich seit langem gebraucht hatte. Sie füllten sich mehr und mehr, ich konnte frei atmen, jegliche Last war von meinen Schultern abgenommen worden, jede Schuld war weg. Meine Gedanken waren klar. Ich konnte aufrecht stehen, die Tränenspuren trockneten und meine Haut nahm langsam wieder ihre normale Farbe an.
Ja.
Das war ich.
Das definitiv der Niall Horan, den ich kannte und der ich bin.
New York - 19.10.2017
„Paris...check. Las Vegas...check. San Francisco...check..." Mit meiner Liste in der Hand ließ ich mich von dem Strom der Touristen durch den John F. Kennedy Airport von New York treiben.
Es waren drei Monate vergangen, in denen ich nun die Welt erkundet hatte. Zum ersten Mal hatte ich auch alles mit eigenen Augen gesehen, nicht nur von hinter den getönten Scheiben des Vans oder von Dokus aus dem Fernsehen. Jeden Tag habe ich meiner Familie Fotos von den Orten geschossen, damit sie sehen konnten, was es auf der Welt gab. Mit jedem Tag vergaß ich meine alte Vergangenheit. Jedoch kam ich nicht drum herum, dass ich manchmal den Namen der vier Jungs irgendwo aufschnappte, die bereits an einem neuen Album arbeiteten und eine neue Tour planten.
„Kairo...check. Tokio...check. Shanghai...check..." Und so weiter.
Ich kramte aus meinem Rucksack einen Stift und hakte all die Orte ab, an denen ich schon gewesen war. Es waren so viele geworden.
Berlin, Barcelona, Rom, Rio de Janeiro... so. viele.
Und an jedem neuen Ort hab ich mehr und mehr über die Kultur, Sprache etc. gelernt. Es war recht interessant, zumindest wenn man verstand, was der Führer versuchte einem zu erklären. Gut, dass ich mich von Mum hab überreden lassen, Spanisch zu nehmen. („Du solltest Spanisch nehmen, es könnte dir in manchen Situationen echt weiterhelfen!" „Muuuuuum, ich hab aber keinen Bock auf Vokabeln!") Denn so manche anderer hat nur die Stirn gerunzelt und ich konnte die großen Fragezeichen über ihren Köpfen sehen.
Ich ging zum Check-In und fragte, bei welchen Flügen es zufällig noch einen Platz frei gäbe.
„Hm...also, ich könnte Ihnen Dublin...Hawaii, Sydney...und London anbieten", erwiderte die Stewardesse und sah vom Bildschirm des Computers hoch.
Hm...
Ja, ich war schon an allen Orten. Super.
„Und sonst ist nirgends wo anders noch ein Platz frei, zufällig?", fragte ich noch einmal, aber die Stewardesse schüttelte erneut den Kopf. „Alles ausgebucht. Die Flüge nach Dublin, Hawaii und Sydney gehen erst in fünf Stunden, der nach London allerdings schon in zwei", sagte sie schließlich.
Ich dachte nach.
Sollte ich wieder zurück?
Einmal kurz der Stadt „Guten Tag" sagen und dann wieder verschwinden? Als wäre ich niemals da gewesen? Wie ein Geist in seiner Geisterstadt?
Hm...
Aber vielleicht treffe ich ja auf die Jungs...
- ach Quatsch! Die sind eh alle viel zu beschäftigt!
Also, wieso nicht? Einmal rein und wieder raus, so schwer wird das nicht sein.
„Gut, ich nehm' London", sagte ich schneller als dass die Worte meinen Mund verlassen konnten und kramte nach dem übrig gebliebenen Geld. Die Stewardesse nickte lächelnd und tippte etwas in ihrem Computer ein.
Ich reichte ihr das Geld und wartete.
„Auf welchen Namen soll ich Sie eintragen?"
„Horan. Niall Horan."
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