#26. Die Sorgen einer Mutter
„Und wie lange hattest du vor zu bleiben?", erkundigte sich Denise, während sie den kleinen Mann in seinem Kindersitz auf der Rückbank verstaute.
„Nicht lange, ihr werdet mich schon los. Keine Sorge", erwiderte ich lachend und setzte mich auf den Beifahrersitz.
Ich war ja immer so einer, der lieber das Steuer übernahm es und es nicht der Frau übergab.
Das hatte nämlich seine Gründe.
Erstens hatten Frauen einen unglaublich schlechten Fahrstil.
Zweitens fingen sie bei jeder kleinsten Kleinigkeit - sei es auch nur ein Stein, der gegen die Windschutzscheibe prallt - hysterisch zu werden.
Was ich mal so überhaupt nicht leiden konnte.
Und drittens hatten sie, meistens, Kinder bei sich, die wegen dem schlechten Fahrstil ihrer Mutter gefährdet sein könnten.
„Wie geht's eigentlich Greg?", fragte ich und schnallte mich an.
„Dem geht's prima" - sie schnallte sich ebenfalls an und startete den Motor (Wieso würde ich gerne selber fahren wollen? Ach ja...) - „Er hat nur in letzter Zeit ziemlich Stress mit Bobby. Ist aber nichts Neues für mich." Sie sagte das so, als wäre es Alltag. Gut, Greg und Dad geraten oft aneinander. Aber dass es in letzter Zeit wirklich oft war, überraschte mich doch ein wenig.
Aus den beiden wurde ich wirklich nie schlau.
Wir fuhren durch den alltäglichen Verkehr Dublins Richtung Autobahn. Erst wenn man aus der Stadt rauskam, entdeckte man auch die natürliche Seite Irlands. Alles so voller Bäume, überall Wiesen, wohin das Auge reichte...
Daran könnte ich mich wieder gewöhnen.
Theo brabbelte wieder sinnloses Zeug von sich und quietschte jedes Mal, wenn er draußen auf den Wiesen ein Tier sah. So ein keiner Tierfreund...
„Greg ist mit ihm auch schon zu Tante Emma gefahren, und dann wollte er einfach nicht mehr wegfahren!" Denise lachte und warf einen Blick durch den Rückspiegel zu ihrem zwei-jährigen Sohn. „Er war da bis abends gefangen, als Theo dann irgendwann eingeschlafen ist."
Oh, armer Greg.
„Der hält ihn ja ganz schön auf Trapp", meinte ich und schmunzelte.
„Was du nicht sagst." Sie drehte das Radio lauter und summte die Lieder mit. Ich blickte aus dem Fenster wieder zu der Naturpracht. Ich konnte früher stundenlang im Garten sitzen und den Vögeln beim Fliegen zuschauen. Ich hatte sogar einen „Gleitschirm" gebaut, allerdings hatte das mit einem gebrochenen Arm und geprellten Rippen mit einer leichten Gehirnerschütterung geendet. Wie ich damals in Gips eingepackt mitten auf dem Krankenhausflur stand und Mum mit mir geschimpft hatte („Mach sowas ja NIE WIEDER, okay? Ich habe schon einen halben Herzinfarkt wegen dir bekommen!"), konnte ich noch heute, fast fünfzehn Jahre später, immer noch vor meinem inneren Auge sehen.
Es war eine gute Entscheidung gewesen, nicht Erfinder werden zu wollen. Das wäre nämlich so was von in die Hose gegangen, ich schwöre auf meine toten Goldfische Tim und Jerry - die ja dank Greg's Überfütterungskünsten ins Jenseits befördert wurden...
Apropos...
Ich hatte schon lange keine „Hilf mir." Oder die Gestalt des wunderschönsten Mädchens der Erde gesehen. Merkwürdig...naja. Kann mir nur recht sein. Besser, sie verschwindet aus meinem Kopf, bevor ich wirklich lebenslänglich in der Klapse feststecke.
„Halt mal an"; wies ich Denise an. Diese stoppte sofort den Wagen, ich sprang heraus und betrat den Laden des verstorbenen James Pike. Sein Sohn, Oskar, räumte gerade verbrannte Sachen vom Boden weg als er mich bemerkte.
„Hey, ich wollte dir noch mein Beileid wegen dem Tod deines Vaters sagen", sagte ich lächelnd.
Er runzelte nur die Stirn.
Okay, jetzt war ich verwirrt.
„kennst du mich noch?" Er schüttelte den Kopf. „Klassenclown? Miss Edings hat mich damals im hohen Bogen ins Büro des Direktors geschmissen? Niall Horan?" Er schüttelte erneut den Kopf. Okay, jetzt war es offiziell: Er hatte definitiv ein Kurzzeitgedächtnis. „Der, der damals der einzige Zeuge war als du von John Curtis abends nach deinem Schachunterricht verprügelt worden bist?" Jetzt schien ihm ein Licht aufzugehen. Er runzelte nicht mehr die Stirn, stattdessen zog er beide Augenbrauen hoch und lächelte.
Anscheinend war er doch nicht so gesprächig...
„Also, mein Beileid."
- und dann war ich auch schon wieder raus.
„Was hast du gemacht?", fragte Denise und startete wieder den Motor und ich erwiderte: „Nur mein tiefstes Beileid ausgesprochen und hab dann wieder die Fliege gemacht. Spricht Oskar nicht oder ist er nur schüchtern?"
Sie zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein habe ich mich auch noch nie mit ihm unterhalten."
Sie fuhr weiter die Straße entlang, vorbei an dem kleinen Bauernhof, vorbei an der Reihenhaussiedlung bis zu dem Neubaugebiet, in dem Greg, Denise und Theo lebten.
Ich stieg aus und half meiner Schwägerin mit den Einkäufen. Theo schnappte sich seinen kleinen Plüschhund und biss in sein Ohr. Dabei lief er begeistert hin und her, fiel hin, quiekte fröhlich und rannte weiter, als wäre nichts passiert.
Ich wäre auch gerne noch einmal Kind. So ohne Sorgen, alles von der guten Seite sehen...Das fehlt einfach in der Erwachsenen-Welt. Leider. Ich würde alles dafür geben, noch einmal die Welt mit den Augen eines Kindes zu sehen.
„Willst du mit Theo draußen spielen? Dann kann ich in Ruhe anfangen zu kochen, bevor Greg nach Hause kommt und sich beschwert, dass noch nichts Essbares auf dem Tisch steht." Sie lachte und wuschelte Klein-Theo durch die Haare.
„Spiln!", quiekte er und rannte schon nach draußen in den Garten.
„Wirst du nicht irgendwann müde davon?", fragte ich.
„Nein, eigentlich nicht. Mir macht es Spaß, mit ihm zu spielen. Auch wenn er manchmal ein kleiner Raufbold ist", erwiderte sie und blickte nach draußen.
Ich setzte mich in Bewegung und folgte meinem kleinen Neffen zu seinem Sandkasten. Er war bereits fleißig seinen Plüschhund am verbuddeln. Ich setzte mich neben ihn und runzelte die Stirn.
„Wenn du mit ihm noch in einem Bettchen schlafen willst, darfst du ihn nicht einbuddeln. Dann wird er ganz schmutzig! Und dann muss er in das Wäschemonster, und das frisst ihn dann auf!"
Er machte ganz große Augen. Er sah noch einmal zu seiner kleinen Kuhle, die er mit seinen kleinen Patschehändchen geschaffen hatte, bevor er den Hund auf das Gras schmiss.
„Soll ich dir zeigen, wie man die größte Sandburg auf Erden baut?" Er nickte begeistert. „Gut, ich hab sie mir damals von einem guten Kumpel abgeguckt..."
Vier Jahre zuvor...
„Ich bin der festen Überzeugung, dass ich die größte Sandburg von uns bauen kann, OHNE dass sie umkippt!"
Louis deutete auf den vielen Sand um uns herum. Ich zog die Weste enger an meinen Körper, der Wind war ganz schön unangenehm und jetzt bereute ich es zutiefst, dass ich nicht auf Liam gehört hatte und eine ordentliche Jacke angezogen habe.
„Ach ja? Wetten, meine ist viel schöner als deine?", konterte Harry und grinste. Louis schnaubte und meinte: „Pfff, das glaubst du doch selber nicht. Deine sehen aus wie hingeschissene Kackhaufen eines Elefanten! - und ich weiß, wovon ich rede!"
Liam verzog belustigt das Gesicht, Zayn kicherte und ich fror mir im wahrsten Sinne des Wortes ab. Und niemand bemerkte es. Schön zu sehen, wie sich meine Mitmenschen um mein Wohlergehen sorgten.
Wirklich herzallerliebst.
Hmpf.
„Ich wette gegen Harry", schaltete sich Zayn ein und kassierte einen empörten Blick von Harry, während Louis ihn triumphierend anfunkelte und sich auf den Boden warf, um seine Sandburg anzufangen.
„Was machst du da?", fragte ich verwirrt.
„Nach was sieht es denn aus?", erwiderte er und schaute mich an, „ich baue meine Sandburg, du Dummerchen!" Er schüttelte den Kopf und baute weiter.
Wir anderen vier standen um ihn herum und schlugen Wurzeln, lediglich Zayn war der Erste, der sich regte und Harry anmotzte, er solle doch endlich seinen lahmen Arsch - das waren seine Worte! - auf den Sand bewegen und diese Sandburg bauen soll.
Harry setzte sich in Bewegung und fing ebenfalls an, mit dem Sand zu hantieren.
Ich stand immer noch wie ein gefrorener Pinguin da und wusste nicht, was ich tun sollte - außer mich zu verfluchen, dass ich nicht eine dickere Jacke mitgenommen habe.
Manchmal war ich so ein Idiot.
Okay, nicht nur manchmal.
Sogar sehr oft, wenn nicht sogar immer.
„Ich bin ja dafür, dass Louis' Sandburg größer ist als das Harry's schöner aussieht", meinte Liam schmunzelnd und blickte zwischen den beiden konkurrierenden Freunden hin und her. „Denn Harry's sieht buchstäblich aus wie ein einfacher, normaler Sandhaufen."
„Danke an dich, Liam", knurrte Harry leicht überfordert und fuhr sich einmal durch seine Lockenpracht.
„Komm, ich helfe", seufzte ich und ließ mich neben ihn im Sand nieder.
„EY! Das darfst du nicht, das ist Mogelei!", kam es empört von Louis, der seine Arme neben seinem Körper baumeln ließ. „Niall, du stellst dich jetzt sofort wieder neben Liam und Zayn! Das hier ist ein Wettkampf für echte Männer!"
„Bin ich etwa kein echter Mann oder wie?", gab ich empört zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Du bist Ire, das zählt nicht", erwiderte Zayn und grinste. Ich schnaubte. Das war doch wohl nicht ihr Ernst...
In der nächsten halben Stunde bauten die beiden Jungs fleißig an ihren Sandburgen weiter. Louis hatte derweil Zayn's Cap geklaut und sie als Dach umfunktioniert, eins meiner Taschentücher durfte als Fahne für Harry's Burg dran glauben und Liam's Streichhölzer dienten nun für Louis' Fenster.
Diese Jungs waren echt bescheuert.
„So", Louis klatschte, zufrieden mit sich selber, in die Hände und grinste in die Runde, „ich bin fertig. Wie steht's mit dir, Styles?" Alle Augen wanderten zu Harry, der verbissen mit dem letzten Turm kämpfte, und nur ein verbissenes: „Jaja, bin ja gleich fertig..." murmelte.
Schließlich war der Moment der Entscheidung da.
Harry richtete sich auf und trat neben Louis. Zayn, Liam und ich starrten die beiden Burgen an.
Ich war der Erste, der anfing zu lachen.
Ich lachte, bis mir alle Zähne aus dem Mund fielen und ich schlussendlich mit den Knien auf den nassen, weichen Sand sank.
Gott, die beiden Sandburgen sahen aus wie der letzte Haufen Sand.
Liam fing als zweiter an zu lachen und Zayn stieß in unser schallendes Gelächter zu. Harry und Louis starrten uns wie vom Blitz erschlagen an. Ihre Gesichter waren weiß, damit hatten sie sicherlich nicht gerechnet.
„Ihr seid-" Zayn musste tief Luft holen, brach aber erneut in einen weiteren Lachflash, ich lag bereits mit dem Rücken auf dem Sand und hielt mir vor Lachen die Hände auf den Bauch. „-die welt-" Liam brach neben mir vor Lachen zusammen und hielt sich mühsam die Lachtränen zurück. „-schlechtesten Sandburgenbauer-" Zayn wischte sich seine Tränen weg und kicherte ein wenig. „-die ich jemals kennengelernt habe."
Ich lachte und lachte.
Harry schmunzelte. Er ging auf Louis' Burg zu und machte sie mit einem Tritt dem Erdboden gleich. „HARRY EDWARD STYLES WAS ZUM TEUFEL TUST DU DA!!!", rief Louis hysterisch und aufgebracht zugleich. Wie ein Verrückter schmiss er sich auf Harry's Rücken und schlug mit seiner Hand auf seinen Hinterkopf ein. Er schaukelte so sehr hin und her, dass er auch seine Sandburg niedertrampelte und die beiden Burgen wirklich aussahen wie ein Haufen Sand.
******
„...ja Mum, ich weiß!"
„Hättest du deinen Bruder nicht wenigstens einmal anrufen können?! Stattdessen gammelst du mit deinen Freunden im Pub rum und schüttest dir ein Bier nach dem anderen hinein, während dein Bruder fünfhundert Kilometer von dir in einem Krankenhaus liegt und mit dem Leben kämpft!"
„Ihm geht es doch gut-"
„Was wäre, wenn er gestorben wäre?! Wärst du dann auch so gelassen wie jetzt in dieser Sekunde? Ich versteh dich nicht!" Mum's aufgebrachte Stimme hallte bis in den Garten zu mir und Theo.
„Maura...", ertönte Dad's Stimme, „mein Gott, lass den armen Jungen doch mal in Ru-"
„Er ist auch dein Sohn, Bobby! Was wäre- mein armer Niall!", unterbrach sie ihn. Ich konnte mir vorstellen, dass sie den Tränen nahe war.
Aber noch war ich nicht tot. Und ich hatte auch noch nicht vor zu sterben. Zumindest in den nächsten fünfzig Jahren nicht, dann kann man mal darüber reden.
Ich seufzte und schmiss Theo auf meine Schultern. Dieser quiekte freudig und zog mir an den Haaren. Ich lächelte, dann machte ich mich auf den Weg zu dem Rest der Familie. Mum stand völlig neben der Spur am Esstisch und hatte ihr Gesicht in ihren Händen vergraben, Denise hatte einen Arm um ihre Schulter gelenkt und murmelte beruhigende Worte. Greg und Dad standen neben den beiden und schauten schuldbewusst auf den Boden.
Na, da musste der Halbtote ja mal was unternehmen...
„Also, nur zur Info: Ich bin nicht tot. Ich bin noch immer quieklebendig und hatte auch nicht vor, in den nächsten Jahren von dieser Erde zu gehen, okay?" Meine Stimme unterbrach die unangenehme Stille. Alle, bis auf Denise, drehten sich zu mir um. Mum kam angerannt und schmiss sich mir in die Arme.
Allerdings erwies sich das als schwer, schließlich gab es da auch noch Theo auf meinem Rücken.
„Jag mir nie nie nie wieder mehr so einen Schrecken ein, ja!", schluchzte sie laut. Ich tätschelte sanft ihren Kopf und umarmte sie, nachdem Denise mir Theo von den Schultern abgenommen hatte.
„Ich versprech's."
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