#25.Irland meine Heimat
Die kühle, nach Gras riechende Luft Irlands, meiner Heimat, schlug mir entgegen. Ich blieb stehen und schloss die Augen, atmete die nur zu bekannte Luft ein, welche meine Lungen füllte und ein Gefühl von Heimat erfüllte meinen Körper.
Ich hatte sie vermisst.
Ich konnte gar nicht sagen, wie sehr ich sie vermisst hatte.
Es war schon viel zu lange her, dass ich hier war.
Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, wahrscheinlich war es das auch.
Endlich war ich wieder da. In meiner Heimat. Das, was ich mein Zuhause nannte.
London war es nie gewesen. Es war...nur ein Übergangsort für mich gewesen, mein Herz schlug nur für Irland.
Nur allein dafür.
„Ähm, Mister, könnten Sie bitte weitergehen?"
Eine Frau mittleren Alters tippte mir auf die Schulter, sodass meine Augen erschrocken aufzuckten und ich einen Schritt nach vorne trat.
Geistesabwesend nickte ich stumm und setzte meinen Weg fort, die Treppe runter zu dem kleinen Büsschen, welches die Passagiere zu der Arrival-Halle brachte.
Während der Bus Richtung Halle fuhr, ließ ich meinen Blick durch den Flugplatz schweifen. Es standen nicht wirklich viele hier, es regnete wie aus Eimern. Die Flughafenmitarbeiter rannten mit Ponchos und Regenschirmen durch die Gegend, Koffer wurden in die noch für den nächsten Flug vorbereitenden Flugzeuge verladen.
Auf dem Funkturm wehte die irische Flagge.
Gebannte schaute ich zu, wie jede einzelne Windböe die Flagge tanzen ließ. Hin und her, und hin und her.
Ohne jegliche Kontrolle über sich selbst.
Wie ein Tropfen im Regen.
In diesem Moment wünschte ich mir, auch eine Flagge zu sein.
So ganz ohne Sorgen, ohne Höllenqualen.
Einfach nur Flagge sein.
Das wär schon...
Die Türen des Busses öffneten sich und die Masse an Menschen bewegten sich nach draußen. Ich folgte dem Strom, möglichst unerkannt.
Ich sah zu, wie Leute geliebten Menschen um den Hals fielen, Tränen vergossen. Ich wünschte, ich hätte auch noch Freunde. Denen ich auch um den Hals fallen könnte. Die sich vielleicht schon bei mir gemeldet hätten.
Aber es war meine Schuld, dass sie das nicht taten.
Es war meine Schuld, dass ich hier gelandet war.
Es war meine Schuld, dass ich so dusselig, so blind gewesen war, dass ich nicht auf meine Freunde gehört habe.
Ich war zu dumm gewesen, der Realität ins Auge zu sehen.
Dass ich Hilfe brauchte, die ich ganz dringend benötigte.
Vielleicht sollte das alles hier so enden. Ich alleine, nur die Familie. Die nicht einmal wusste, dass ich überhaupt im Lande war.
Na gut, eigentlich hatte ich fast niemanden.
Ich zog die Kapuze weiter über den Kopf, steckte die Hände in meine Hosentaschen und verließ mit der Sporttasche über der Schulter den vollen Flughafen.
Wie wild winkte ich mit den Armen, damit ein Taxi hielt.
Ich war mittlerweile bis auf die Knochen durchnässt, meine Kleidung klebte wie Honig auf Brot an meiner Haut. Mein Gesicht war leicht blass, meine Lippen blau und ich war am ganzen Körper am Zittern.
„Wenn jetzt nicht gleich das nächste Taxi hält, spring ich der nächsten Person an die Gurgel- TAXI!!" Wie ein verrückter hob ich wieder meine Arme und wedelte wild damit umher.
- aber auch dieses Mal fuhr das gelbe Auto weiter.
Jetzt hatte ich wirklich Lust, jemanden an die Gurgel zu springen.
Lustlos sanken meine Arme wieder zurück an ihre Stelle.
„Das darf doch nicht wahr sein!", schrie ich in den Himmel. Im Moment war mir sowas von egal, dass mich die Leute komisch anstarrten, aber ich musste das loswerden.
Mein Leben war doch die reinste Verarsche.
Ich vergrub meine Hände wieder in meinen Hosentaschen und setzte mich in Bewegung. Ich senkte meinen Kopf und bahnte mir einen Weg durch die Menschenmasse. Dieses Mal mit dem Unterschied, dass mich dieses Mal nicht ständig irgendwelche Mädchen angafften. In einer Weise war es befreiend, aber auch...ungewohnt.
Mein Weg führte mich zu einem kleinen Café, wo ich mir eine Tasse Kaffee und einen Schokoriegel gönnte, mit denen ich mich in die hinterste Ecke des überfüllten Raumes verzog.
Von dort aus beobachtete ich die Leute, die sich an den anderen Tischen unterhielten und genüsslich ihren Kaffee tranken.
Man möge mich einen Stalker oder Papparazzo nennen, aber mich interessierte halt sehr das Verhaltenswesen der Menschen.
Ich nahm einen weiteren Schluck von der heißen Flüssigkeit und biss erneut in den Schokoriegel. Sein Geschmack ließ meine Geschmacksknospen auf meiner Zunge verrücktspielen.
Jedenfalls vergaß ich für ein paar wenige Sekunden mein Problem wegen einer Fahrgelegenheit.
Ich saß einfach nur da.
Die Kapuze weit heruntergezogen, die Sonnenbrille auf.
Unbeobachtet.
Gott, für mich war es das reinste Paradies.
„Niall?"
Gut, streicht das unbeobachtet. Und das Paradies.
Ich drehte mich um und blickte geradewegs in das Gesicht meiner Schwägerin, Denise, die mit meinem Neffen Theo sich an dem Tisch schräg rechts von mir niedergelassen hatte. Sie hatte verwundert und gleichzeitig erstaunt die Augenbrauen hochgezogen. Doch Theo war vier Mal schneller als sie, er hatte sich den Keks von ihrer Kaffeetasse geschnappt und rannte zu mir.
„Na, du?" Ich wuschelte ihm einmal durch seine blonde, verwuschelte Haarpracht.
„Was machst du denn hier?"
Denise hatte sich kurzer Hand ihre Tasse geschnappt und sich zu mir gesellt.
„Na, wonach sieht es denn aus? Ich wollte euch eigentlich in meiner Pause besuchen, aber irgendwie haben die Taxis nicht gehalten...und deswegen sitze ich immer noch hier", antwortete ich und zog meinen kleinen Neffen auf meinen Schoß. Der brabbelte fröhlich vor sich hin und benutzte den nassen Ärmel meiner Jacke als Kauspielzeug.
„Theo!" Denise nahm den kleinen Mann von meinem Schoß und schüttelte den Kopf. Ich lachte leicht und nahm wieder einen Schluck von meinem Kaffee. „Ich kann dich gleich mitnehmen, ich muss nur gleich noch schnell einkaufen gehen. Der Supermarkt in Mullingar wurde letztens von irgendwelchen bescheuerten Jugendlichen abgefackelt. Du hättest Oskar Pike's Gesicht sehen müssen! Die Welt von heute ist wirklich schlimm."
„Oskar Pike? Gehört James nicht mehr der Laden?"
James Pike, Vater von Oskar, hatte schon den kleinen Lebensmittelladen in Mullingar geführt, als ich noch ein kleiner Junge war. Jedes Mal, als ich nach der Schule auf dem Weg nach Hause war, bin ich an seinem kleinen Laden vorbeigekommen und jedes Mal hat er mir etwas von seinem Süßigkeiten gegeben.
Sein Laden war das reinste Süßigkeitenparadies.
Wortwörtlich.
Dort hat man alles bekommen, wovon man als kleines Kind mit der Vorliebe für allerlei Süßes nur geträumt hat.
„Hast du es nicht mitbekommen? Er ist im Januar an den Folgen eines Herzinfarktes gestorben", sagte sie leicht bedrückt und schaute zu Theo, der an dem Jackenärmel seiner Mutter sein neues Opfer gefunden hatte.
Oh.
Nein, ich hatte es nicht mitbekommen.
Aber in letzter Zeit bekam ich sowieso nichts mehr mit, deswegen wunderte mich das auch überhaupt nicht.
Ich schüttelte den Kopf.
„Hm...Jedenfalls...bist du fertig? Ich muss noch Abendessen kochen, Maura und Bobby kommen heute zum Essen. Sie werden sich bestimmt freuen, wenn du wieder da bist", wechselte sie das Thema und lächelte.
Na, ich hoffe.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top