#24. Say Goodbye
„Wenn du mich jetzt so weiter süß anguckst, dann kriege ich noch wegen dir ein schlechtes Gewissen, dass ich dich hier lasse."
Colin hatte den Kopf schief gelegt und sah mich aus seinen braunen Kulleraugen an.
Ich seufzte.
Mit Hunden zu reden wies schon auf erste psychische Störungen. Passt ja ganz gut zu mir.
„Keine Sorge, Niall, ich werde gut auf den Kleinen aufpassen", versicherte mir die alte Dame und lächelte mir freundlich zu.
Das stand außer Frage.
Colin fühlte sich jedes Mal bei ihr pudelwohl und manchmal hatte ich sogar das Gefühl gehabt, dass er Miss Willace lieber mochte als mich. Wenn es so wäre, würde es mich nicht wundern. Ich verbrachte schließlich nur ein Viertel des Jahres hier in London.
Tschuldigung, ich korrigiere mich: hatte schließlich nur ein Viertel des Jahres hier in London verbracht.
Ich war ja nicht mehr ein offizielles Mitglied von 1D.
Einerseits tat es weh. Singen war immer ein Traum von mir gewesen und jetzt hatte ich ihn wie eine Seifenblase platzen lassen.
Aber ich wollte es den Jungs nicht mehr antun.
Meine Probleme. Mein Fehler. Mich.
So hatten sie endlich ihre Ruhe und ich meine. Und ich musste ihnen wegen der Schlaftabletten nicht mehr gegenübertreten. Hört sich vielleicht an als hätte ich Schiss.
Aber das hatte ich auch.
Da war ich mir zu 100% sicher. Ich war mir sicherer als sicher.
„Das weiß ich doch", erwiderte ich lachend und kraulte Colin hinter seinen Ohren. Das liebte er, und auch dieses Mal genoss er die liebvolle Streicheleinheit.
Ich werde ihn vermissen.
Colin war ein Teil meines Lebens geworden, den ich nicht einfach so wegschmeißen konnte. Deswegen hatte ich beschlossen, dass er ebenfalls nach Irland kommen würde, aber erst nachdem ich die Psychiatrie verlassen hatte.
Und man konnte nie wissen, wie lange man da festgehalten wurde.
„Ich werde anrufen, wenn er kommen kann. Okay?"
„Natürlich. Pass auf dich auf."
Ich schüttelte noch einmal ihre Hand. „Aber klar doch."
Dann nahm ich die Sporttasche, in der ich das Wichtigste von Klamotten hineingestopft hatte, und schulterte sie. Ich warf den beiden noch einen letzten Blick zu, dann drehte ich mich um und ging die Treppe hinunter.
Draußen schlug mir warme, schwüle Luft entgegen, die Sonne wurde von dem wolkenbehangenen Himmel verdeckt. Der Himmel sah so aus, als würde es gleich anfangen zu regnen.
Wäre auf jeden Fall wieder typisch England. Dieses warme Wetter macht mir Angst. Wie die Stille vor dem Sturm.
Und ich irrte mich nicht.
Drei Sekunden später öffnete der Himmel seine Pforten und es fing an zu schütten.
„Willst du mich verarschen?!", murmelte ich und rannte schnell zu meinem Wagen. Ich war bis auf die Haut vollkommen durchnässt und meine Kleidung klebte wie Honig.
Gott.
Um nicht den Sitz nass zu machen, legte ich mir eine Decke darüber und startete den Motor. Ich legte die Sonnenbrille ins Handschuhfach und schnallte mich an.
Ja, ich gehörte zu den lebensmüden Idioten, die sich erst anschnallen, nachdem der Wagen schon fuhr.
Psychisch gestörter Irrer, sag ich ja.
*
Ich fuhr zu der nächsten Bank, um dort ein wenig Geld abzuheben.
Aber jetzt war die Frage: Sollte ich es riskieren, von den Leuten da drinnen erkannt zu werden, oder einfach schnurstracks weiter zum Flughafen fahren?
„Ach scheiß drauf, schlimmer kann's ja nicht mehr werden", sagte ich mir und stieg aus.
Ich lief durch den Regen in die Eingangshalle der großen Bank hinein und stellte mich an der Schlange an. Ich zog mir meine Kapuze weiter runter, in der Hoffnung, dass mich niemand erkannte.
Vielleicht aber verwechselte man mich ja, ich hatte schließlich keine blonden Haare mehr, sondern meine Natura-Haarfarbe.
Ich schaute unauffällig durch die Bank.
Neben mir waren da noch Bankangestellte, eine Frau mit ihren zwei Kindern, ein älterer Mann mit einem Gehstock und seiner Frau, ein junger Mann, vielleicht zwei Jahre älter als ich, und ein dickerer Mann, der sich die Immobilien-Ausstellung im hinteren Teil der Bank ansah.
„Ähm, Mr.? Sie sind dran", die Frau mit den Kindern tippte mir auf die Schulter und deutete auf den Automaten.
„Oh, ähm, ja", stotterte ich und trat an den Automaten. Schnell hob ich 400 Pound ab. Ich hatte den Drang, so schnell wie möglich die Bank zu verlassen.
Er war einfach aufgetaucht. Und meistens bestätigte er sich auch.
Ich steckte das Geld in meine Jackentasche und ging schnellen Schrittes aus der Bank.
Mein Wagen stand auf der anderen Straßenseite, aber genau daneben tummelten sich in einem Café Männer mit Kameras.
Papparazzos.
Na super.
Genau die haben mir noch gefehlt. Und wie komme ich jetzt unerkannt zu meinem Wagen?
...wenn man Liam hatte, konnte man unbeobachtet durch die Gegend laufen. Er war immer derjenige von uns, der nie entdeckt wurde. Zumindest wenn er alleine war. Wie er das schaffte, wussten die Jungs und ich bis heute nicht.
„Denke wie Liam, Niall..."
Aber ich war nicht Liam und konnte auch nicht denken wie Liam. Denn ich hatte wirklich keine Ahnung, wie ich jetzt zu meinem Wagen gelangen sollte.
Klar, ich konnte auch ganz einfach ein Taxi rufen, aber wenn der eigene Wagen doch nur knapp zwanzig Meter vor einen stand, musste man nicht direkt den Fahrservice bestellen.
Ich würde vorschlagen, dass du da nicht wie ein Baum Wurzeln schlägst, sondern einfach zu deinem Wagen hingehst und losfährst. So schwer wird das doch wohl nicht sein, sagte eine leise, weibliche Stimme in meinem Kopf.
Und da war sie wieder.
Mein allergrößter Alptraum.
Aber aus irgendeinem Grund tat ich es. Ich hatte nicht mal mehr die Kontrolle über meinen Körper, er ging einfach zum Wagen und stieg ein.
Die Papparazzos hatten mich nicht einmal bemerkt, sie waren viel zu sehr auf eine andere Person fixiert.
Auf eine Person mit braunen Locken.
Die sich genau in dem Moment umdrehte und mich sah. Er sah mich emotionslos an, ich starrte zurück.
Niall, es ist eine gute Entscheidung, redete ich mir ein und seufzte.
Genau solche Treffen hatte ich vermeiden wollen und jetzt ist es dazu gekommen. Solange er nicht gerade auf mich zukam, war alles gut.
Ich seufzte erneut.
Es war wirklich besser so, dass ich aus ihrem Leben verschwand. Besser für alle.
Ich startete den Wagen und fuhr los.
Im Rückspiegel bemerkte ich, dass Harry meinem Wagen nachsah und auch erst sich umdrehte und ging als ich an der Ampel stand.
Jetzt hieß es: Abschied altes Leben und hallo neues.
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