Kapitel 2 - Mysterium

~Liv~

"He She-Hulk, du hast was verloren."
Ich verlangsame meine Schritte und drehe mich zu Cole herum, der neben der Tür an der Wand lehnt. Zwischen seinen Lippen klemmt ein glimmender Joint.
Ich schaue hinter mich, kann aber nicht entdecken, was ich verloren haben soll.
Daher runzle ich die Stirn und werfe Cole einen fragenden Blick zu.
Er streckt mir eine Faust entgegen und öffnet sie.
"Ist nicht meins" sage ich unbeeindruckt und wende meinen Blick von der kleinen, silbernen Dose in seiner Handfläche ab.
"Doch, ist es."
Skeptisch hebe ich meine Augenbrauen, während Cole mir verschwörerisch zuzwinkert.
Ich gebe mich seufzend geschlagen, nehme ihm die Dose ab und wiege sie in meinen Händen. Gerade, als ich sie öffnen will, stößt sich Cole von der Wand ab, drückt seinen Joint mit der Spitze seines Stiefels aus und nickt mir knapp zu, ehe er, ohne ein weiteres Wort, zu seinem Motorrad schlendert.
Irritiert ziehe ich meine Stirn in Falten, während ich Cole dabei zusehe, wie er sich seinen Motorradhelm über den Kopf stülpt, sich auf sein Bike setzt und es startet. Der Motor heult so laut auf, das ich erschrocken zusammenfahre.
Ohne mich weiter zu beachten, dreht er die Maschine und fährt davon.
Mein Blick wandert zu der silbernen Dose in meinen Händen.
Ich öffne sie.
Ganja.
Natürlich.
Das Gerücht, das Cole dealt, hat sich bereits in den ersten Wochen wie ein Lauffeuer unter der Schülerschaft verbreitet.
Und offenbar weiß er, das ich Nachsitzen musste, weil ich auf dem Mädchenklo einen Joint geraucht habe.
Und nun möchte er mich zu seinem Kundenkreis zählen. Inklusive Gratisprobe seiner Ware.
Cole ist der Typ Mensch, der Augen und Ohren überall zu haben scheint.
Er ist wie ein Mysterium.
Jede Highschool braucht einen Typen, um den sich mehr Geheimnisse ranken, als um die Bundeslade.
Und für die Hawkins High übernimmt diese Rolle seit Neuestem Cole Jones.

×~×

Mühsam kurble ich die Fenster des DeLorean herunter, während aus den Boxen Falling in Reverse - Watch the World burn schallt.
Ich starte den Motor und verlasse den Parkplatz der Hawkins High.
Der Fahrtwind zerzaust mein Haar, sorgt für ein wenig erfrischende Abkühlung.
Einen Moment lang denke ich darüber nach, runter zum Loverslake zu fahren.
Seit den Ereignissen halte ich mich oft dort auf.
Dort, wo sie ans Ufer gespült wurde.
Wie Treibgut.
So makaber das auch klingt , aber dort kann ich besser nachdenken. Fühle mich ihr näher.
Steve hatte nicht mehr die Möglichkeit uns zu sagen, wer der Mörder von Chrissy ist.
Ich denke oft an die Nacht zurück und stelle mir die Frage, wieso Robins Schlag passgenau dann erfolgte, als Steve endlich Licht ins Dunkel bringen wollte.
Vielleicht war es so vorherbestimmt.
Vielleicht sollten wir nicht erfahren, wer sie getötet hat.
Das Universum hat entschieden, das es nicht der richtige Zeitpunkt war, um die Wahrheit zu erfahren.
Doch lasse ich es damit gut sein?
Natürlich nicht.
Natürlich forsche ich weiter, suche nach Hinweisen auf Chrissys Mörder.
Bislang jedoch erfolglos.
Ab und an zweifle ich sogar daran, das Steve die Wahrheit gesagt hat, als er behauptete, Chrissy nicht getötet zu haben.
Was, wenn er es doch war?
Ich würde es nie erfahren.
Ich würde alt werden und eines Tages sterben, ohne je zu wissen, wer Chrissy das angetan hat. Und wieso.
Chrissy hat mir viel bedeutet, auch wenn mir inzwischen klar ist, das dies nicht auf Gegenseitigkeit beruhte.
Offenbar hat Chrissy mich verachtet.
Auch das lässt mir keine Ruhe.
Was habe ich getan, um ihren Hass zu verdienen?!
Früher hatte ich Eddie an meiner Seite, der gemeinsam mit mir Antworten auf all die vielen Fragen suchte.
Bevor die Hölle ihren Schlund öffnete und uns beinahe verschlang.
Bevor ein Phantom Steve eine Kugel in den Kopf jagte und so die Hoffnung, jemals die Wahrheit zu erfahren, zunichte machte.
Jetzt bin ich allein.
Suche allein nach Antworten.
Und finde keine.

×~×

"Mum, ich bin zu Hause!"
Keine Antwort.
Ich gehe in die Küche und finde auf der marmorierten Kücheninsel einen handgeschrieben Zettel.

Musste früher fliegen!
Tut mir leid!
Hab dich lieb!
Mum.

War ja klar. Ist ja nicht so, das ich in zwei Tagen Geburtstag habe und Mum eigentlich hier sein wollte. Hier sein sollte!
Stattdessen hat sie wieder einmal ihr Wort gebrochen.
Traurig ist, das es mich nicht einmal sonderlich trifft. Oder überrascht.
Das Verhältnis zu meiner Mum hat sich seit der traumatischen Nacht in der alten Fabrikanlage zwar deutlich verbessert, dennoch setzt sie ihre Prioritäten noch immer gleich.
Zuerst die Arbeit, dann ich.
Wenigstens wird mein Dad da sein.
Sein Flieger landet morgen ganz früh.
Ich freue mich, ihn zu sehen.
Freue mich, das zumindest er die Prioritäten in der richtigen Reihenfolge setzt.
Ich gehe zum Kühlschrank und nehme mir ein Bier heraus.
Im Haus ist es kühl, weshalb ich mich auf die Kücheninsel wuchte, mein Drehzeug heraus hole und mir geistesabwesend einen Joint baue.
Mit Jones' Ganja.
Wollen wir doch Mal sehen, ob es wenigstens hält, was es verspricht.
Als ich fertig bin und mir den angezündeten Joint zwischen meine Lippen lege, ziehe ich mein Tagebuch aus meinem Rucksack.
Ich blättere darin herum, ohne genau zu wissen, was ich suche.
Die Sache mit dem Ermittlungsbord habe ich aufgegeben.
Zumal es mich immer gegruselt hat, es zu betrachten, seit mein Stalker, aka Steve Harrington, es entdeckt und darin rumgepfuscht hat.
Seither nutze ich mein Tagebuch, schreibe nieder, was mir durch den Kopf geht.
Ich habe es immer bei mir.
Ich fingere den Block aus meinem Rucksack, während ich eine tiefen Zug vom Joint nehme.
Flauschige Watte legt sich um meinen Geist, bremst mein Gedankenkarussell aus.
Coles Zeug ist gut.
Aber nicht so gut wie Argyles.
Also werde ich meinen Dealer wohl nicht wechseln.
Ich blättere im Block zu der Seite, auf der ich heute das Backpatch von Coles Weste gekritzelt habe und reiße die Seite achtlos heraus.
Ich nehme mir einen Moment und betrachte die Zeichnung.
Wo hab ich das bloß schonmal gesehen?!
Es macht mich wahnsinnig, das ich nicht darauf komme!
Seufzend falte ich das Blatt Papier zusammen und lege es zwischen die Seiten meines Tagebuches, ehe ich es, samt Block,  zurück in den Rucksack stopfe.

*Wordcount: 1020






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