⏭ 26; show all your colours
╔════ ·· › 🌊 ‹ ·· ════╗
Bang Chan, Lee Know » Drive
╚════ ·· › 🌊 ‹ ·· ════╝
»Ich glaube, Minji ist eingeschlafen«, flüstert Jisung, nachdem er sich kurz nach hinten umgedreht hat, und lacht leise. Minho grinst zurück und wirft durch den Rückspiegel einen flüchtigen Blick zu ihrer besten Freundin auf der Rückbank.
»Ich glaube, sie hat letzte Woche mindestens zwei Nächte durchgemacht. Oder vielleicht maximal drei Stunden geschlafen«, erwidert Minho genauso leise, als er mit der Ampelschaltung wieder anfährt. »Das war vor letztem Semester schon so. Da hat sie auch jede Sekunde Freizeit ›genutzt‹, selbst wenn ihr Schlaf draufgegangen ist. Sie macht es nicht mal absichtlich, soweit ich weiß, sie bleibt einfach wach, weil sie nicht richtig müde wird.« Minho spürt, wie Jisung ihn von der Seite mustert und erwidert seinen besorgten Blick, sobald er kurz von der Straße wegschauen kann.
»Und du? Du schläfst schon, oder?«, fragt Jisung gleich nach und dreht den Kopf nochmal zu Minji nach hinten. »Bleibt sie dann im Wohnzimmer und du gehst ins Schlafzimmer?« Minho nickt als Antwort und seufzt. Genauso ist es normalerweise. Meistens möchte er sie auch nicht abhalten, weil er einerseits nicht ihr Vormund ist und gar kein Recht dazu hat und weil sie andererseits mitten in der Nacht am produktivsten ist, egal ob es was mit der Uni oder mit irgendwelchen Plänen zu tun hat. »Sie ist echt unverbesserlich. Spätestens seit der Oberschule schläft sie wahrscheinlich im Jahresdurchschnitt vier Stunden.«
»So schlimm ist es auch wieder nicht, sie kommt bestimmt auf fünf«, versucht Minho, die Stimmung mit einem Witz wieder etwas aufzulockern. »Nein, ehrlich. Besonders seitdem wir die Katzen haben, schläft sie zumindest tagsüber mehr, wenn sie nachts wach gewesen ist. Doongie legt sich oft auf ihre Brust, wenn sie am Sofa liegt und wenn er schläft, ist sie meistens auch bald weg.« Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum Minji Doongie ein kleines bisschen mehr mag als Soonie. Er ist nicht so aufgekratzt, kuschelt sich bei jeder Gelegenheit an sie heran und egal, wie gestresst Minji gerade von allem ist, Doongie schafft es immer, sie zu beruhigen. Und sie sehen zu zweit so süß aus, dass Minho fast jedes Mal einen Schnappschuss macht.
»Anscheinend muss er nicht mal auf ihr liegen, damit sie einschläft«, lacht Jisung leise. »Jetzt hat sie ja nur 'nen Finger oder so in der Transportkiste und sieht nicht aus, als würde sie gleich aufwachen.« Weil sie planen, das ganze Wochenende daheim zu bleiben, fahren die Katzen mit nach Gimpo. Minji und Minho haben alles über Katzenklo – sauber, natürlich –, Katzenstreu und Schüsseln für Essen und Trinken eingepackt, damit sie sich in der Wohnung von Minhos Eltern hoffentlich gleich etwas wohler fühlen. Minji sitzt auf der Rückbank, um auf die zwei Fellknäuel zu achten und um sie in der ungewohnten Situation »Autofahrt« zu beruhigen – anscheinend läuft das mit dem Beruhigen aber auch anders herum ganz gut.
»Aber ehrlich. Ich dachte eigentlich, dass sie jetzt mehr schläft als in der Schule. Denn daheim konnte sie in ihrem Zimmer ja machen, was sie wollte, aber mit eurem geteilten Schlafzimmer... Minji würde nie sowas abziehen und dich auch mit wachhalten. Aber wenn sie im Wohnzimmer bleibt«, sagt Jisung und Minho sieht aus dem Augenwinkel, dass sein Blick auf die Straße gerichtet ist und er in die Ferne schaut. »Irgendwie dachte ich, ihr geht immer zusammen ins Bett oder so. Denn sonst seid ihr ja auch so ein perfekt aufeinander abgestimmtes Team... Oder so.«
»Manchmal zieh ich sie mit ins Bett«, erwidert Minho und blickt einmal schief grinsend zu Jisung, der das Grinsen mit einem leichten Lächeln erwidert. »Nicht oft, sie ist ja selbst erwachsen und ich bin nicht die richtige Person, um ihr was vorzuschreiben. Meistens ist sie sowieso mit irgendwas beschäftigt, wenn ich schlafen gehe und da will ich sie nicht unterbrechen.« Zum Beispiel hat sie neulich mitten in der Nacht nochmal nach klappbaren Liegen geschaut und am nächsten Tag haben sie eine mit besonders guten Bewertungen in einem Möbelhaus in der Nähe gekauft, weil sie das Angebot mit dem Rabatt von dreißig Prozent gesehen hat.
»Und wir... wir schlafen seit ein paar Tagen sowieso getrennt. Wir haben jetzt noch ein Klappbett im Wohnzimmer und wechseln uns dann immer mal wieder ab«, stammelt Minho und tappt nervös auf dem Lenkrad herum. Dreieinhalb Lieder sind im Radio durchgelaufen, seitdem Jisung und er das letzte Mal was gesagt haben – so lange hat Minho gebraucht, um sich gedanklich Mut zuzureden. »Wir beenden unsere Scheinbeziehung«, fährt Minho fort und zwingt sich selbst, etwas fester und deutlicher zu spreche, »denn heute sage ich meinen Eltern endlich, dass ich schwul bin.«
»Häh? Du bist doch bi?«, platzt Jisung sofort heraus und dreht sich im Beifahrersitz ruckartig, dass er Minho zugewandt sitzt.
»Nein, Jisung. Ich hab mich damals nur nicht getraut, dir zu widersprechen«, gibt Minho zu, nach eineinhalb Jahren, in denen er sich geschämt hat, zu feige gewesen zu sein.
»Aber... warum... warum hast du dich nicht getraut? Wir sind doch Freunde? Ich hätte... hätte dich doch nie verurteilt wegen sowas«, nuschelt Jisung zurück, als Minho gerade in den Parkplatz einbiegt, an dem Jisung aussteigt. Sobald das Auto ordentlich in der Parklücke steht, wagt Minho es, seinem Freund in die Augen zu schauen und sofort erfasst ihn eine Welle von Schuld. Er weiß ehrlich nicht, was er darauf antworten soll. Jisung ist gerade mal seit knapp einem Monat getrennt, da kann Minho ihm doch nicht gleich auf die Nase binden, dass er die ganze Zeit Gefühle für ihn gehabt hat. Aber Jisung sieht ihn gerade so mit seinen sorgenvollen, verwirrten großen Augen an und Minho würde alles für ihn tun, wenn er ihn so ansieht. Ganz unabhängig davon, wie Jisung sein Herz hochschlagen lässt; er hat einfach so eine Ausstrahlung, die Minho dazu bringt, alles, was ihn belastet, auslöschen zu wollen.
»Sag ich dir wann anders«, erwidert Minho, sobald er wieder reden kann, denn jetzt hat er einen Grund, die Antwort aufzuschieben: »Es wartet wer auf dich.« Jisung zieht die Augenbrauen zusammen, bis Minho in die Richtung nickt, wo dieser wartende Jemand steht. Es ist Jisungs älterer Bruder, der ihnen von einem Fussgängerstreifen am Parkplatz aus zuwinkt.
»Wenn du meinst...«, nuschelt Jisung und er klingt dabei so schrecklich enttäuscht. Er ist so abgelenkt, dass er nicht mal mehr zu Minji nach hinten schaut, bevor er aussteigt. Minho macht es ihm hektisch nach und öffnet den Kofferraum, damit Jisung seine Reisetasche herausnehmen kann. Doch bevor er das wirklich kann, umgreift Minho behutsam Jisungs Handgelenk und bringt ihn so dazu, noch einmal zu ihm zu blicken.
»Ich verspreche es, Jisung. Ich sag dir die Wahrheit, wenn wir mehr Zeit haben«, sagt Minho, wobei er um jedes einzelne Wort ringen muss. »Wenn wir mehr Zeit haben und Ruhe.«
»Okay, ich zähl drauf«, erwidert Jisung, nachdem er ihn ein paar Augenblicke lang einfach mit seinem stechend enttäuschten Blick gemustert hat, und lächelt dann sogar. »Viel Glück bei deinen Eltern. Ich hoffe, sie verstehn's. Aber sie sind gute Leute und du bist ihr Augenstern, also... Ich drück dir die Daumen.«
»Danke, Jisung. Ich hoffe es auch«, sagt Minho und er muss ganz strahlen, so erleichtert wie es ihn macht, dass Jisung für den Moment über seine Enttäuschung hinweg ist. »Hab ein schönes Wochenende daheim«, sagt Minho schließlich und Jisungs Lächeln gibt ihm so einen Glücksschub, dass er es wagt, ihn noch einmal zu umarmen. Nicht so flüchtig wie sonst in einer normalen Situation.
»›Sungie‹ reicht auch, das weißt du, oder?«, kichert Jisung und Minho stutzt einen Moment lang, bis er sich verlegen am Hinterkopf kratzt. Klar weiß er das. Aber manchmal, wenn es ihm um etwas Ernstes geht... »Ne, ich versteh schon«, winkt Jisung schon im nächsten Moment ab und hebt dann die Fäuste. »Du packst das heute, ja? Schreib mir nachher, ob es gut gelaufen ist.«
»Danke, Sungie, das mach ich«, haucht Minho und lächelt ihn dankbar an. Er wartet noch ab, bis Jisung mit seiner für das Wochenende viel zu groß aussehenden Reisetasche bei seinem Bruder ankommt, winkt ihnen beiden zu und steigt dann zurück ins Auto. Ein Blick über die Schulter verrät, dass Minji immer noch tief und fest schläft. Ihr Arm ist noch genauso ausgestreckt wie vorher auch, dass zwei, drei Finger in die Transportbox hängen. Minho lacht leise darüber, dass sie in so einer Position und mit Kätzchen, die ihre Hand bestimmt anknabbern und abschlecken, überhaupt schlafen kann, und schnallt sich an, um weiter zu seinen Eltern zu fahren. Minji bleibt den Vormittag über da, um den Katzen hoffentlich ein bisschen zu helfen, sich schneller an die ungewohnten Räume zu gewöhnen – so haben sie das zumindest ihren Eltern verkauft. Eigentlich bleibt sie da, um Minho zur Seite zu stehen, wenn er sich daheim outet. Zuerst nur vor seiner Mutter, denn sein Vater muss kurzfristig halbtags arbeiten. Minho hätte es einerseits gerne nach einem Mal hinter sich gehabt, andererseits ist er ganz froh, es immer nur einem von beiden gestehen zu müssen.
»Aufwachen, Dornröschen«, sagt Minho grinsend, sobald er in der Tiefgarage geparkt hat, die zum Wohnkomplex seiner Eltern gehört. Da Minji praktischerweise nach rechts gedreht sitzt, um die Katzen auf der Beifahrerseite der Rückbank besser zu erreichen, hat Minho an einem kleinen Eck ihres Sitzpolsters Platz, sich neben sie zu setzen, denn einmal rütteln und ansprechen hat absolut gar nichts gebracht.
»Du musst doch erst Jisung absetzen«, nuschelt Minji irgendwann. Allerdings ist sie dabei noch mehr im Tiefschlaf als wach, sodass Minho vergeblich darauf warten könnte, bis sie von selbst aufwacht. Also streicht er ihr eine Strähne hinters Ohr, die ihr beim Schlafen in ihre andere Gesichtshälfte gefallen ist. Meistens reicht es aus, wenn er sowas macht, um sie von einem kurzen »Power-Nap« zu wecken.
»Der ist schon daheim. Du hast es bloß verschlafen«, flüstert er und beobachtet, wie sie erst nur leise: »Oh«, ausstößt, ohne großartig nachzudenken. Doch es dauert keine drei Sekunden, bis sie die Augen aufreißt.
»Dann sind wir schon bei dir?«, fragt sie nach und löst hektisch ihren Sitzgurt, nachdem sie die Hand von der Transportbox weggezogen hat. »Dann... dann reden wir jetzt mit deiner Mama, oder? Wartest du schon lange hier, dass ich aufwache?«
»Hey, Minji, kein Stress«, beruhigt Minho sie und lässt die Hand an ihrem Ohr zu ihrem Knie fallen. »Ich hab vielleicht vor fünf Minuten eingeparkt, wenn überhaupt.« Er sieht ihr an, dass sie ein paar Augenblicke braucht, bis die Worte bei ihr durchsickern, dann erst atmet sie tief aus und sackt vor Erleichterung ein bisschen in sich zusammen. »Und Minji...«, fängt Minho nochmal an und es schleicht sich ein kleines, erleichtertes Lächeln auf seine Lippen, das sie gleich, wenn auch etwas zögerlich, erwidert, noch ohne zu wissen, worum es geht. »Jisung weiß jetzt, dass ich nicht bi bin.«
»Ich bin so stolz auf dich«, haucht Minji sofort und legt beide Arme um seine Taille, um ihn fest zu drücken. »So, so stolz...« Sie seufzt leise, als Minho die Umarmung erwidert und sie schmiegt sich so eng an ihn heran, dass es sich anfühlt, als würde sie in ihn hineinfließen, oder, als wären sie ein großes Ganzes, das untrennbar miteinander verbunden ist oder so. Wahrscheinlich sind sie das auch. Sie sind wirklich wie ein großes Ganzes in zwei Körpern und wenn sie sich so festhalten, wird es ihm erst bewusst. Und er ist sich sicher, dass es so bleiben wird, obwohl ihre Scheinbeziehung bald zu Ende geht... Ihre Freundschaft wird das nie, das würde Minho niemals zulassen. Seine Minji lässt er nie mehr los. Nie, nie mehr... Ganz egal, was passiert.
»Minho! Ach, mein Großer... Wächst du immer noch? Ich habe dich noch ganz anders in Erinnerung«, begrüßt seine Mutter ihn und hält sich vor Freude die Hände vor den Mund, sobald Minji und er mit den Katzen und dem ganzen anderen Zeug vor der Haustür stehen. »Du siehst so erwachsen aus! Sind deine Schultern breiter geworden? Vor einem halben Jahr warst du doch noch mein kleiner Junge...«
Minho lächelt seine Mutter an, stellt schnell alles, was er in seinen Händen hält, ab und hilft Minji dabei, ihr Zeug auch sicher loszuwerden. Dann geht er auf sie zu und schließt sie in eine warme Umarmung – wahrscheinlich die zweite, seitdem er in die Pubertät gekommen ist. Die erste ist gewesen, als er ausgezogen ist. »Hallo, Mama. Ich bin so froh, dich zu sehen. Ist ganz schön lange her, nicht wahr?«, sagt er sanft und wiegt sie ein paar Mal vorsichtig in seinen Armen hin und her, bevor er sie wieder loslässt. »Kann gut sein, dass ich breiter geworden bin. In Seoul muss ich mindestens dreimal pro Woche irgendwelche großen Hunde herumtragen«, scherzt Minho und Mama gibt ihm einen leichten Klaps auf den Oberarm, während sie über ihn lacht.
»Minji! Kleines, komm her«, wird Minji gleich als nächstes beschlagnahmt. »Kleines« stimmt in dem Fall wirklich, denn seine Mutter ist ja schon nicht die Größte, aber Minji mit ihren maximal 160 Zentimetern ist nochmal kleiner. »Du wirst auch mit jedem Tag ein bisschen hübscher, dabei dachte ich schon letztes Mal, dass es gar nicht mehr hübscher geht«, schwärmt sie und nimmt Minjis Gesicht in beide Hände, nachdem sie die Begrüßungsumarmung gelöst hat.
»Danke, Frau Kim. Sie sehen auch sehr gut aus. Ist der Lippenstift neu? Orangerot steht Ihnen wirklich gut und... Oh! Das passt ja sogar zu Ihrem Schmuck«, erwidert Minji begeistert und tauscht sich ein paar Minuten lang freudig über Schminke und Schmuck und Marken oder irgendwelche Produktformate mit Minhos Mutter aus, wobei er total aussteigt. Das ist so gar nicht sein Gebiet. Würde es jetzt um Sonnenschutz gehen, dann könnte er besser mitreden.
»Mama, wir... wir wollen mit dir über etwas reden«, sagt Minho später, als sie zu dritt am Esstisch sitzen. Es ist bestimmt schon eine Stunde her, seitdem sie hier angekommen sind, doch durch die Begrüßung, auspacken, Katzenzeug aufbauen und Katzen vorstellen ist ganz schön viel Zeit vergangen. Jetzt spielt er nervös an seinem blauen Armband mit einer Kugel herum, in der sich eine Abbildung von Hokusais Welle befindet, und verändert bestimmt fünfmal seine Sitzposition, bevor er überhaupt einen Ton herausbringt. Seine Mutter hat ihnen allen Kirschblütentee gemacht und sitzt ihm direkt gegenüber. Minji ist mit ihrem Stuhl etwas näher an ihn herangerutscht und streicht mit einer Hand über sein Knie, um ein bisschen für ihn da zu sein, obwohl Minho zuerst alleine reden muss.
Die Augen seiner Mutter weiten sich bei seinen Worten und sie schaut ein paar Mal zwischen Minji und ihm hin und her. »Habt ihr vor, zu heiraten?«, fragt sie sofort nach. »Aber, nein, Minji hatte doch gar keinen Verlobungsring...« War ja klar, dass sie gleich auf sowas kommt... Minho hat das Gespräch ja auch auf die wohl dümmste Art begonnen; es wollen ja nicht »sie« was sagen, sondern erstmal nur er. Wenigstens hat Mama sich gleich selbst ausgebremst, weil sie aufmerksam wie immer ist... »Oder...!«, ruft sie dann aus, als Soonie ihr auf den Schoß springt. »Bekommt ihr ein Kind? Minji-Schatz, bist du schwanger?«, fragt sie freudig aufgeregt nach und greift mit einer Hand nach Minjis, die am Tisch liegt, während sie mit der anderen den kleinen Kater streichelt.
»N-nein«, stottert Minji und lächelt ein bisschen unbeholfen. »Wir... nein.« Sie räuspert sich leise und ihre Hand verkrampft sich ein wenig um Minhos Knie, als sie darüber nachdenkt, was sie sagen soll. »Eigentlich geht es erstmal nur um Minho. Ich bin nur um ein paar Ecken beteiligt«, sagt sie schließlich und beginnt wieder, an Minhos Bein auf und ab zu streichen.
Mama zieht überrascht die Augenbrauen nach oben und sieht von Minji weg zu Minho. »Was ist es denn, Schatz? Du kannst mir alles sagen«, versichert sie ihm und legt eine Hand auf seine – die, mit der sie gerade noch Soonie gestreichelt hat. Dafür benutzt sie jetzt die, die gerade noch auf Minjis gelegen ist. »Das weißt du, oder?« Ihr Gesichtsausdruck ist so besorgt, dass Minho sich schlecht fühlt, so lange geschwiegen zu haben. Als er nicht mehr hinsehen kann, lässt er den Blick fallen und starrt auf die Tischplatte. Bis er im Augenwinkel bemerkt, wie Minji ihn ansieht. Er dreht ihr sein Gesicht zu und ihn erwartet das wohl ermutigendste und stolzeste Lächeln, das irgendwer zustande bringen könnte.
»Mama, ich bin schwul«, nuschelt Minho nach so vielen Augenblicken endlich, in denen er einfach nur Minji anschauen konnte. »Ich wusste es schon, bevor Minji und ich zusammengekommen sind und eigentlich... Wir waren nie richtig zusammen. Die Jungs, mit denen ich immer rumhing, haben damals eigentlich komplett grundlos Gerüchte verbreitet, ich wäre schwul, weil ich zwar Chancen, aber noch nie eine Freundin hatte. Und... und sie hatten damit ja Recht. Aber ich... konnte es nicht zulassen, dass es in echt rauskommt, deswegen habe ich Minji einmal nach dem Tanzen gefragt, ob sie meine Scheinfreundin sein will. Und weil es ihr auch entgegengekommen ist, eine Scheinbeziehung zu haben... Naja, seitdem waren wir zusammen«, erklärt er und spricht dabei zwar schnell, aber zumindest etwas lauter. Doch den Blick seiner Mutter erwidern kann er noch lange nicht. Stattdessen starrt er auf seine Hände, von denen eine an seinem Armband herumspielt, während auf der anderen immer noch Mamas liegt und immer mal wieder liebevoll zudrückt.
»Anfangs wusste Minji weder was von den Gerüchten noch davon, dass sie wirklich gestimmt haben. Aber als wir dann immer bessere Freunde wurden, weil wir so viel Zeit miteinander verbracht haben, habe ich es ihr gesagt. Das war dann fünf Monate, nachdem wir zusammengekommen sind oder so. Und seitdem war sie auch die einzige, die davon gewusst hat«, fährt Minho fort und wirft vielleicht zweimal ganz flüchtige Blicke auf das Gesicht seiner Mutter. »Ein paar Freunden habe ich gesagt, ich wäre bi, aber nur Minji kannte die Wahrheit. Sie... sie ist auch meine beste Freundin überhaupt. Und wenn ich gesagt habe, dass ich sie liebe, hab ich das auch so gemeint. Nur auf eine andere Art, aber–« Irgendwann fangen die Worte an, sich zu überschlagen, und Minho kommt bei seiner Erklärung selbst nicht mehr mit, denn er redet schneller, als er denkt. Deswegen bricht er seinen Redeschwall dann abrupt ab und kaut angespannt auf seiner Unterlippe herum, während er auf die Reaktion seiner Mutter wartet. »Es tut mir leid, Mama. Dass ich nichts gesagt habe«, kann er gerade so noch dazusagen, bevor seine Stimme versagt.
Als sie die Hand von seiner nimmt, fühlt Minho sich so, als würde ihm das Herz aus der Brust gerissen werden und ihn überkommt eine schreckliche Angst – ist sie wütend? Enttäuscht? Will sie ihn rauswerfen und nicht mehr sehen? Er merkt, wie sein Atem immer flacher und schneller wird und nicht mal Minjis Berührung an seinem Knie kann ihn gerade beruhigen. Bis–
»Mein Schatz, mir tut es leid«, flüstert Mama und legt ihre Arme um ihn, während sie gebeugt neben ihm steht. An ihrer Stimme hört Minho, dass sie kurz davor ist zu weinen, und er selbst merkt, wie ihm so viele, stechende Tränen in den Augen brennen. »Es tut mir so leid, dass du Angst haben musstest, wir würden dich nicht mehr genauso lieben wie davor«, fährt sie ganz heiser fort. »Du bist doch immer mein kleiner Minho und ich habe dich geliebt, bevor ich überhaupt wusste, ob du ein Junge oder ein Mädchen wirst. Ich werde dich auch immer lieben, egal, wie du dich entwickelst oder wen du liebst... Das ändert doch nichts daran, dass du ›Du‹, mein Sohn, bist.«
Und spätestens ab da ist alles nur noch verschwommen. Es fließen viele Tränen und es wird viel geredet, eine Zeit lang zu dritt, dann zu viert, und später wieder zu dritt, als Minji von ihrer Mutter abgeholt wird. Als Minho sie – sie beide total verheult – zur Tür begleitet, beschleicht ihn ein ganz komisches Gefühl. Er ist nicht mehr daran gewöhnt, sich vor der Nacht von ihr zu verabschieden und obwohl es ja insgesamt eigentlich nur eine Nacht sein wird...
Der einzige, der Minji wahrscheinlich noch ein bisschen mehr vermissen wird, als Minho, ist Doongie, der ihnen sofort hinterherrennt. Sobald er versteht, dass sein Lieblingsmensch sich die Schuhe anzieht, um wegzugehen, legt er sich quer über den einen, den sie noch nicht angezogen hat und bei dem Anblick bilden sich in Minjis Augen gleich nochmal frische Tränen.
An Minho geht das auch nicht spurlos vorbei und doch hebt er Doongie hoch und hält ihn eng an seinen Oberkörper gedrückt, während der Kater sich sträubt und miaut, um Minji doch noch irgendwie aufhalten zu können. Er beruhigt sich erst wieder, als sie ihn am Kopf krault und ihm gut zuredet, dass sie morgen ja wieder nach Hause fahren.
»Das wird eine komische Nacht«, lacht Minho kläglich, als Minji auch ihre Handtasche umgehängt und den Koffer in Reichweite hat.
»Stimmt«, erwidert sie mit einem zittrigen Lächeln. »Aber du packst das schon, du warst heute so mutig«, fügt Minji hinzu und obwohl das nur so wenige Worte sind, versagt ihre Stimme mehr als nur einmal. »Da ist das doch gar nichts mehr dagegen.«
»Das sagst du so leicht«, versucht Minho in einem scherzhaften Ton zu sagen, dabei meint er jedes Wort genau so. »Wie hätte ich denn ohne meine persönliche Cheerleaderin so mutig sein sollen? Und jetzt soll ich auch noch ohne dich in der Nähe schlafen?«
»Manchmal kannst du echt nerven mit deinem Durch-die-Blume-Gerede«, stößt Minji mit einem leicht getrübten Strahlen auf den Lippen aus. »Sag doch einfach, dass du zum Abschied eine Umarmung brauchst«, flüstert sie und schlingt dann die Arme um ihn, einen um seinen Hals und den anderen locker um seine Hüfte, damit Doongie noch unbeschwert atmen kann. »Ich brauch das doch auch.«
◦○◦━◦○◦ 🌊 ◦○◦━◦○◦
Vielen Dank fürs Lesen! Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen, und freue mich sehr über Feedback, denn das hilft mir sehr weiter. 🫧
Oh Mann, wenn ich bei meinem Plan für den restlichen Verlauf der Geschichte bleibe, dann folgen nach diesem hier regulär nur noch zwei... Ich hatte gestern/heute Nacht irgendwie schon richtigen Abschiedsschmerz haha. Es ist eben doch ca. ein halbes Jahr gewesen, in dem ich schon an der Geschichte schreibe und weil es hier ja nicht wirklich Bösewichte oder so gibt, sind mir (fast) alle Charaktere so sehr ans Herz gewachsen, besonders die drei Hauptfiguren Minho, Jisung und Minji, weil sie ja am meisten vorkommen (und die Katzen natürlich 🫣).
Für die letzten Kapitel habe ich auch keinen Zeitplan mehr oder so, ich lade sie einfach hoch, wenn sie fertig sind. Für die Specials brauche ich evtl. noch ein bisschen länger, also lasst die Geschichte am besten noch ein wenig in eurer Bibliothek, sobald das letzte reguläre Kapitel draußen ist, wenn ihr sie lesen wollt! Anfang Februar hab ich eigentlich eine Klausurenphase und komme vielleicht nicht so zum Schreiben, aber da ich meisterhaft prokrastinieren kann, weiß man ja nie! 😭
In Bezug auf dieses Kapitel: Ich weiß, dass die Reaktion von Minhos Eltern, besonders die seiner Mama, sehr idealistisch ist und dass es in der Realität leider sehr häufig ganz anders aussieht. Mir war es so wichtig, das so darzustellen, weil ich finde, dass es so sein sollte. Wenn man sich dazu entschließt, ein Kind zu bekommen, dann muss man ja grundsätzlich mit allem rechnen (auch mit Krankheiten etc.) und ich finde, man sollte sich bereit fühlen, diesen neuen Menschen so zu lieben, wie er sich eben entwickelt, ganz egal, wie er aussieht, welche Vorlieben er hat, welche Einschränkungen, ... Natürlich hab ich leicht reden, weil ich selbst (noch) keine Kinder habe und noch sehr, sehr weit entfernt davon bin, weil ich mich selbst manchmal noch fühle wie ein übergroßes Kind, das zwar einen Führerschein hat, studiert und sonst auch so einige Erwachsenen-Dinge macht und machen darf, aber noch so viel zu lernen hat, bevor es jemand anderen großziehen kann. Aber ich hoffe, dass ich irgendwann, sollte es mal soweit sein, immer noch die gleiche Einstellung habe und diesen Jemand genauso akzeptieren und lieben kann, wie er*sie eben ist, ganz ohne irgendwelche Erwartungen oder Normen, die ich ihm*ihr aufzuzwingen versuche (hier geht's nicht um Erziehung und Benehmen, möchte ich dazusagen :")). Minhos Mama ist hier eben die Personifikation dieser Einstellung und nachträglich kann ich sagen, dass ihre Art mir beim Schreiben gutgetan hat und beim Probelesen genauso. Sie kommt zwar nur hier vor, wenn ich mich richtig erinnere, aber sie ist auch so ein Herzenscharakter von mir, wenn man das so nennen kann. (Sie hat auch ein bisschen was von meiner Mama.)
Vielen Dank, dass ihr meine Geschichte unterstützt, die wirklich einige meiner Herzensanliegen (heh, schon wieder ein »Herz-«) beinhaltet. Ich kann echt nicht in Worte fassen, wie viel mir das bedeutet und wie viel leichter es mir gefallen ist, diese Geschichte NOCH mehr zu lieben, weil ihr alle da seid. Ich habe die letzten Monaten viel mit mir selbst gekämpft, aber »GET COOL« war eigentlich immer ein Rückzugsort und keine weitere Belastung. Auch, oder ganz besonders, weil ihr immer so liebe Worte dazu gefunden habt. Also: Dankeschön, ehrlich. Ich hab euch lieb.
[05.01.2024]
(Falls ihr euch fragt, ob ich heute Nacht zwischen null und zwei Uhr immer mal wieder ein bisschen geheult habe, als ich für dieses Kapitel entweder etwas Neues aufgesetzt, probegelesen oder verbessert bzw. ausgeschmückt habe: Ja, ja das habe ich. Wenn ich hier irgendwas von Abschiedsschmerz sage, dann meine ich das auch so.)
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top