9. In der Welt des Bizarren
Tobias stand inmitten des Untergeschosses der Bibliothek und leuchtete umher. Er suchte irgendetwas Bekanntes, etwas Vertrautes, das ihm Hoffnung gab. Doch wohin der Strahl seiner Halogen-Lampe auch fiel - in dieser anderen Version der Bibliothek sah alles grauenhaft und erschreckend aus: die metallenen verbrannten Wände, die verzogenen schiefen Regale, der aus Eisenplatten bestehende Fußboden. Jede Stelle des Raumes schien mal gebrannt zu haben und alles, aber auch wirklich alles war mit einer rostbraunen Färbung überzogen.
Tobias schluckte. 'Selbst bei Tageslicht würde es hier total gruselig aussehen', kam es ihm in den Sinn. Er seufzte und ging ein paar Schritte vorwärts. Sofort hörte man ein metallenes Widerhallen bei jedem seiner Schritte. 'Klang, klang', hörte Tobias mit jedem Tritt, während er angstvoll in dem finsteren und schrecklichen Raum umherleuchtete.
Instinktiv ging er in die Richtung, wo er die einzige Treppe nach oben vermutete. Doch als er dort war, wo diese Treppe sein müsste, fand er nichts vor. 'Das gibt's doch nicht!', dachte Tobias. Wie sollte er jetzt nach oben kommen?
Ratlos leuchtete er umher. Auch nach oben. Da stockte ihm fast der Atem. Über ihm fehlte die Decke, bzw. der Fußboden des Erdgeschosses! Erstaunt blickte Tobias umher und stellte fest, dass der gesamte nördliche Teil des Untergeschosses nach oben hin offen war.
Während er nach oben leuchtete, fing der Strahl seiner Halogen-Lampe oben bei der Besucher-Theke etwas ein. Tobias erschauderte. Die Service-Theke war mit einem starren Gitter versperrt. Hinter diesem Gitter stapfte ein ungewöhnlich großer Koloss umher. Eine Art Riese! Er konnte sich gerade so aufrecht bewegen und schabte mit seinem Kopf gegen den Eisenboden des nächsten Geschosses. Der Koloss stapfte hinter dem Gitter unruhig hin und her, wobei die in der Nähe liegenden Eisenplatten des Fußbodens jedes Mal wackelten.
'Na super', durchfuhr es Tobias, 'noch mehr neue Monster!'
Er ging den Raum wieder etwas in die andere Richtung zurück. Dabei leuchtete er nach oben. Irgendwo musste man doch ins Erdgeschoss kommen. Plötzlich hörte er ein Geräusch. Sofort bewegte er den Strahler in diese Richtung. Was war das? Irgendetwas schien weiter hinten im Raum zu sein, auf der anderen Seite vom Fahrstuhl. Tobias ging zaghaft in diese Richtung und lauschte. Das Geräusch war irgendwie gleichmäßig und klang wie ein Schaben.
Was konnte das nur sein? Er ging noch etwas näher an die eisernen Regale heran, die weiter hinten im Raum dicht beieinander standen.
Plötzlich sah er eine Bewegung am Boden. Er leuchtete dorthin. Im nächsten Moment kam ein ekliger großer Wurm aus einem der Gänge zwischen den Regalen hervor. Er quiekte, als das Licht ihn traf und begann mit seinem runden wabbligen Körper auf Tobias zu zurutschen.
Tobias erschrak und ging rückwärts. Der Wurm war mindesten so groß wie ein ausgewachsener Schäferhund, nur eben ohne Beine. Während er noch überlegte, ob er das Ding mit seiner Metallstange angreifen sollte, hörte er plötzlich noch weiteres Schaben. Er leuchtete unruhig hin und her.
Und dann sah er es! Weitere Würmer! Sie kamen jetzt auch von links und von der rechten Wand herunter. Sie sahen alle gleich aus: der Körper bestand aus einem hellgelben matschigem Zeug, das beim Kriechen Schleimspuren hinterließ. An diesem matschigen Körper waren viele pulsierende dicke Blutadern zu sehen, die das unheimliche Aussehen erst richtig verstärkten. Einen Kopf hatten diese Biester nicht - das gesamte vordere Ende war ein einziges Loch, in dem spitze kleine Zähne rotierten.
Hektisch leuchtete Tobias hin und her. Er rannte wieder zurück auf die Nordseite des Raumes. Als er sich umwandte, um nach den Würmern zu sehen, fiel ihm etwas am Rand des Lichtscheins auf. Stand dort nicht eine Leiter? Er ging näher dorthin, damit das Licht besser auf die Stelle fiel. Tatsächlich! Eine Leiter führte nach oben. 'Sie steht in dem großen Hauptpfeiler', fiel Tobias verwundert auf. Er bemerkte, dass der große Pfeiler, um den ab dem Erdgeschoss die Haupttreppe herumführte, an seiner hinteren Seite offen war. Und genau dort hatte irgendwer eine Leiter postiert.
Tobias überlegte nicht lange. Schnell betrat er das Innere des Pfeilers und stieg auf die Leiter. Das matschige Geräusch war jetzt deutlich zu hören, doch das war jetzt egal. So schnell konnten sie ihm nicht folgen, denn die Würmer würden nicht auf die Leiter gehen können. Sicherlich vermochten sie es aber, die Innenwand des Pfeilers hinaufrutschen. Allerdings würde das etwas Zeit in Anspruch nehmen.
Die Leiter endete tatsächlich auf Höhe des Erdgeschosses. Dort war ein Stück der Pfeilerwand entfernt worden, so dass man auf das Stockwerk gehen konnte. Tobias kletterte mit den Armen voran durch die kleine Öffnung und betrat das Erdgeschoss. Er richtete sich auf und sah sich zufrieden um. 'Wieder ein Schritt weiter', dachte er. Er versuchte, die Leiter aus dem Pfeiler herauszuziehen, doch sie war aus Metall und zu schwer. Eigentlich brauchte er das ja nicht. Diese speziellen "Bücherwürmer" - denn anscheinend sollten sie sowas darstellen - hatte er auf jeden Fall abgeschüttelt.
Er schmunzelte bei diesem Gedanken, doch dann fiel ihm etwas ein. Er betrachtete das unnatürlich geformte Loch im Pfeiler und sein Herz schlug sofort schneller. Er hatte doch schon mal an genau dieser Stelle auf den Pfeiler geblickt. Vorhin - in der noch etwas "normaleren" Bibliothek. Und da hatte hier doch was gestanden. Etwas, was Tobias in diesem Moment wieder einfiel.
"Hier war ein Loch. Jetzt ist es weg", zitierte er leise den Spruch aus dem Gedächtnis. Und jetzt gab es hier - in dieser bizarren Version der Bibliothek - tatsächlich dieses Loch.
Unruhig leuchtete Tobias um sich herum. Was sind das nur für seltsame Spielchen, die hier jemand treibt? Erst diese Herkules-Aufgabe und jetzt tauchen Dinge auf, die in der normaleren Welt nur angedeutet wurden. Die ganze Sache schien immer merkwürdiger zu werden!
Er sah sich weiter um. Würde er hier etwas finden? Hoffentlich keine Monster. Er lauschte angestrengt. Man konnte etwas vibrieren hören, aber das schien dieser Riese zu sein, der hinter dem Gitter der Besucher-Theke umherstapfte. Doch es gab bestimmt noch mehr Riesen! Wenn Tobias eins in dieser verflixten Anderwelt bereits begriffen hatte, dann die Tatsache, dass ein Monster niemals allein auftauchte. Die "Bücherwürmer" hatten das ja mal wieder bewiesen.
Er leuchtete in Richtung der Theke und sah halb außerhalb des Lichtscheins den Riesen umherstapfen. Erleichtert registrierte er, dass das absperrende Eisengitter, das er von unten bereits gesehen hatte, einmal quer die ganze Etage entlang verlief und keinen Durchlass hatte. Der Riese konnte also nicht zu ihm. Reizen sollte er ihn dennoch nicht, denn wer weiß, ob er das Gitter nicht einfach aufbrechen konnte.
Doch sicherlich gab es noch weitere dieser Riesen. Tobias leuchtete in die anderen Richtungen. Anders als in der anderen Welt war die Haupttreppe nach oben hier vorhanden. Dafür kam man nicht zur Wendeltreppe, denn von dem Pfeiler an nordwärts fehlte der gesamte Fußboden der Etage. Auch das hatte Tobias vorhin schon von unten aus bemerkt.
Er leuchtete in die andere Richtung zum Fahrstuhlschacht. Sofort erschauerte er! Der Schacht des Fahrstuhls bestand hier ebenfalls aus einem eisernen Gitternetz, so dass man sein Inneres sehen konnte. Und genau oberhalb der Fahrstuhltür hing ein menschlicher Kadaver im Schacht! Aufgeknüpft wie ein zum Tode Verurteilter war die stark verweste Leiche frei hängend im Schacht fixiert worden, indem jemand mehrere Eisendrähte von allen Seiten quer durch den Körper gezogen hatte.
Tobias konnte nicht anders: er drehte sich um und erbrach sich auf den eisernen Boden. Was für eine kranke Welt ist das denn hier bloß?! Er keuchte, legte den Strahler auf den Boden - natürlich nicht in Richtung Fahrstuhlschacht - und zog zitternd ein Taschentuch hervor. Er wischte sich den Mund sauber und richtete sich langsam wieder auf. Die Version von seinem Zimmer fiel ihm wieder ein. Dort hatte er für einen Moment ebenfalls zwei dieser Kadaver an der Wand hängen sehen. Aber so etwas in der Realität anzutreffen, war eindeutig viel schlimmer, das wusste er jetzt.
Sollte er hier unten überhaupt nach etwas suchen? Oder nicht doch lieber gleich nach oben gehen? Da er keine verdächtigen Geräusche vernahm, beschloss er, doch erstmal diese Etage abzusuchen.
Möglichst schnell eilte er am Fahrstuhlschacht vorbei und ging den Hauptgang Richtung Südseite. Mit jedem Schritt erklang das monotone Wiederhallen des Metalls unter ihm. Tobias ging jetzt nicht mehr so langsam wie beim Betreten der Bibliothek. Dass er auf Monster traf, ließ sich nicht verhindern. Aber er war jetzt darauf gefasst und jederzeit bereit, sofort wegzurennen.
Darüber hinaus war diese bizarre Version der Bibliothek weitaus übersichtlicher aufgebaut, wie Tobias immer mehr auffiel. Hier gab es die meisten Regale und Tische erst gar nicht, so dass man sofort größere Stellen des Raumes überblicken konnte. Im Prinzip war es dadurch sogar möglich, querfeldein durch das Erdgeschoss zu wandern. Hinzu kam, dass es auch an anderen Stellen des Stockwerkes Abgründe gab, so dass man in bestimmte Ecken sowieso nicht hin kam. Allerdings konnte Tobias nun auch nicht mehr das Licht ausschalten und umherlaufen, da jederzeit vor ihm ein Abgrund lauern konnte.
Daher suchte er das Geschoss nun zügiger ab. Wenn man sich sowieso nicht tarnen konnte, sollte man vielleicht lieber nicht mehr so lange herumtrödeln.
Relativ schnell kam Tobias schließlich an der Südseite der Bibliothek an. Hier hatte er "vorhin" das Regal entdeckt, auf dem ihm der Spruch darauf hinwies, dass er erst "ganz oben stehen" muss. Dieses Regal fehlte nun völlig, ebenso auch alle anderen davor und dahinter.
Er leuchtete in die andere Raumecke zu den Tischen. Er staunte nicht schlecht. Statt mehrerer Tische gab es dort nun eine einzige große zusammenhängende Eisenplatte. In quadratischer Form bildete sie eine riesige Tafel, die bis fast hinten an die Wand ging. Selbst das Tisch-Mobiliar war hier also völlig anders.
Rein aus Neugier ging Tobias an die riesige metallene Tischplatte heran. Als er direkt vor ihr stand, fiel ihm auf, dass auf dem anderen Ende der Platte etwas lag. Er sah genauer hin. Natürlich, das war ein Buch! Ein aufgeschlagenes Buch! 'Wenn das mal kein Hinweis ist', kam es ihm in den Sinn.
Er ging auf der rechten Seite die riesige Eisen-Tischplatte entlang und stockte aber nach wenigen Schritten. Etwas näher am anderen Ende stehend, konnte man jetzt zwei Kadaver erkennen, die irgendwer genau in die rechte und linke Ecke der hinteren Wand gehangen hatte. Tobias kam schon wieder die Galle hoch. Er blieb stehen, schüttelte sich und leuchtete mit dem Halogen-Strahler direkt auf das Buch. Dies half. Er ging zügig um die Platte herum, um ja nicht zu nahe an dem einen Kadaver heranzukommen, und ging in den schmalen Gang zwischen hinterer Wand und Rückseite der Eisenplatte.
Endlich stand er vor dem Buch. Es sah ziemlich alt und vergilbt aus. Doch das verwunderte Tobias nicht so sehr. Vielmehr erschrak ihn das, was auf der aufgeschlagenen Seite zu sehen. Denn dort waren mehrere verschmierte Blutflecken zu sehen, die sich an den Rändern des Buches und an dem Tisch daneben fortsetzten.
Auch der Text auf den aufgeschlagenen Seiten war in Blut verfasst, wie Tobias erschreckend feststellte. 'Schon wieder...', dachte er sarkastisch. Dann machte er sich daran zu entziffern, was dort stand. Offensichtlich hatte er eine Art Erzählung vor sich. In geschwungenen Buchstaben stand dort mit Blut geschrieben:
Da trat der Zentaur großmächtig an den Helden heran und sagte:
"Du solltest mich fürchten, Winzling!"
Und er stellte sich auf seine Hinterbeine und fuchtelte gefährlich mit seinen Vorderpfoten in der Luft.
Doch der Held verspürte keine Furcht und sagte:
"Du stehst hier vor mir mit deinem wuchtigen Körper und deiner ganzen Kraft,
ich aber trage bei mir den Speer der Gerechtigkeit,
der dich mit einem einzigen Treffer vernichten wird!"
Da lachte der Zentaur auf und galoppierte auf das Menschlein zu.
Doch der Held sprang beiseite, so dass das Tier ihn verfehlte und vorbei lief.
Dann aber legte sich der Mensch hin und wartete auf den zweiten Angriff seines Widersachers.
Und als der Zentaur auf den Helden zukam, hielt er den Speer hoch und verfluchte ihn.
Da sprang der Zentaur blindlings auf den Speer auf und wurde glatt am Bauch durchstochen.
Und während er an dem Speer jammernd zappelte,
ergriff der Held sich das pochende Herz des Zentauren,
das frei zu sehen war.
Und sobald er dies heraus gerissen hatte,
starb das Untier und der Held war frei.
Damit endeten die Zeilen. Tobias schüttelte sich. Was für eine grauenhafte Geschichte! Es spielte ganz klar auf die griechische Mythologie ab, allerdings war dies eine völlig andere Darstellung. Warum hatte das jemand so grauenhaft niedergeschrieben und was sollte das Ganze ihm hier sagen?
Er wollte gerade noch überlegen, was man damit anfangen konnte, als er etwas laut Stapfendes hörte. Und dann sah er, was los war! Ein Riese kam von der anderen Seite der Eisenplatte auf ihn zu!
"Scheiße!", entfuhr es ihm laut. Offenbar gab es hier doch noch weitere Riesen auf der Etage. Was sollte er tun? Der Riese stand vor der Tischplatte und hämmerte plötzlich mit seinen breiten Armen darauf.
'Ach du Schreck! Nix wie weg!', dachte Tobias und eilte wieder aus dem schmalen Gang zwischen Platte und Wand heraus.
Der Riese hatte inzwischen die vordere Seite der Eisenplatte zertrümmert und kämpfte sich zu ihm vor. Tobias stand kurz unschlüssig da, dann rannte er einfach drauf los. Er kannte ja die Etage und wusste, dass er ohne Unterbrechung zur Haupttreppe gehen konnte.
Der Riese hielt sofort mit dem Zertrümmern der Eisenplatte inne und stapfte Tobias hinterher. Dieser hörte nur das Wummern der Schritte und ein tief grunzendes Schnauben, das wütend klang. Er dachte nicht im Traum daran, sich umzudrehen oder anzuhalten! Nahezu auf demselben Weg, auf dem er gekommen war, eilte er zum Fahrstuhlschacht und zu der Haupttreppe.
Endlich sah er die Treppe vor sich. Ohne auf die drohenden Geräusche hinter sich zu achten, eilte Tobias die Stufen der Treppe hinauf. Er sprang förmlich zwei, drei Mal - schon war er oben. Ein Glück! Da der Weg nach oben etwas enger war, würde der Riese ihn hierhin nicht folgen können.
Tatsächlich stapfte der Riese wütend an der Treppe vorbei. Es war, als interessierte ihn Tobias jetzt nicht mehr. Vielleicht fühlten sich diese Monster nur für "ihre" Etage verantwortlich. Dieser Gedanke erinnerte ihn daran, dass er gerade ein neues Stockwerk betreten hatte. Sofort schwenkte er mit dem Strahler umher. Doch weder war etwas zu sehen oder zu hören, bis auf das Stapfen des Riesen aus dem Erdgeschoss, das sich allmählich aber wieder entfernte.
Tobias ging nach rechts und schaute sich um. Hier konnte man auch wieder in den nördlichen Bereich der Bibliothek gehen. Vermutlich musste er das sogar, denn die Haupttreppe endete mal wieder ab diesem Stockwerk, wie er sogleich feststellte.
Dennoch ging er zunächst in die andere Richtung. Es machte Sinn, erst alles andere abzusuchen und danach in den Bereich der Wendeltreppe zu gehen. Wenn man da überhaupt hin kam, natürlich. Vielleicht endete seine Suche ja schon hier. Ihm fiel ein, dass er das 1. Obergeschoss in der anderen Welt vorhin nicht betreten konnte. Hier ging es aber. Das musste nichts heißen, aber es konnte.
Tobias ging ein paar Schritte, als ihm plötzlich von oben etwas auf den Rücken fiel. Er erschrak und blieb abrupt stehen. Etwas Matschiges hing ihm unterhalb seiner Schultern. Das konnte nur eines dieser Würmer sein! "Verdammte Axt!", rief Tobias laut und haute sich verzweifelt mit der Stange über die Schulter auf den Rücken. Er spürte bereits, wie sich kleine messerscharfe Zähnchen durch seine Kleidung auf den Rücken bohrten.
"Scheiß Mistvieh!", schrie Tobias und haute immer wieder blindlings mit der Stange hinter sich. Er spürte, wie er das Ding mehrmals traf. Endlich stoppte es seinen Angriff, quiekte auf und fiel dabei von Tobias ab. Als der das merkte, drehte er sich sogleich hektisch um und leuchtete mit links auf das Ding hinunter. Es zuckte noch herum, würde sich aber gleich wieder gefasst haben und vermutlich angreifen.
Tobias nahm die Stange samt Strahler in beide Hände und donnerte wie bei einem Golfschlag mit voller Wucht und Wut gegen das verfluchte Vieh. Zufrieden spürte er den matschigen Widerstand, als die Stange das Ding traf und vom Boden wegwischte. Der "Bücherwurm" quiekte auf, rutschte mit schleimigen Geräuschen nach links über den Boden und knallte gegen die Seite eines eisernen Regals, das dort stand.
Zwar lag es danach regungslos da, doch Tobias traute dem Frieden nicht. Eilig trat er an das Regal und haute nochmals mit voller Wucht auf den seltsamen Kopf des Untiers. Als er das dunkelrote Blut herausspritzen sah, atmete er erleichtert auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Jetzt hatte er also zum ersten Mal eines dieser Monster getötet. Doch er verspürte keine Zufriedenheit. Dieser ganze Ort hier war einfach nur gaga und wie viele Dinger hier auch lauerten - nie im Leben würde er auf Dauer alle besiegen können.
Er konnte nur hoffen, irgendwie weiter zu kommen und endlich Anne oder den Professor zu finden. Fast schon hoffte er, dass Anne nicht in der Bibliothek sein würde, denn wie sollte sie wohl mit den Würmern und Riesen klar kommen? Tobias dachte an die Kadaver und betete darum, dass er hoffentlich niemals einen entdecken würde, der wie Anne aussah. Er wusste nicht, was er dann machen würde.
Allmählich fand er wieder aus diesen finsteren Gedanken heraus. Hektisch leuchtete er umher. Wuselten hier vielleicht noch mehr Würmer herum? Doch zum Glück war nichts zu sehen oder zu hören. 'Vorerst', dachte er verbittert.
Er zog sich die Jacke aus und betrachtete sie. Unter dem rechten Schulterblatt nahe der Mitte klaffte ein kreisrundes Loch, das wie ausgesägt aussah. Auch sein Sweatshirt hatte was abbekommen, wie er merkte, aber zum Glück waren dafür auf seiner Haut nur wenig Schmerzen zu spüren. Das Vieh hatte ihn wohl nur mit seinen Zähnen streifen können. Blaue Flecken in Form von Stichen würde er aber sicherlich trotzdem bekommen.
Er raffte die Jacke wieder über und besah sich die Umgebung. Ihm fiel auf, dass es hier große freie Flächen zwischen den Regalen gab. Dann fiel es ihm wieder ein. Hier in diesen Regalen lagen die wissenschaftlichen Zeitungen aus. Deswegen war diese Etage so anders angeordnet.
Tobias ging die Reihen nach "unten" Richtung Südseite, wo er auf dem Stockwerk drunter das Buch mit der seltsamen Geschichte entdeckt hatte. Ihm fiel auf, dass die gesamte linke Seite ab der Höhe des Fahrstuhlschachtes verschwunden war. Ein nicht enden wollender Abgrund lief dort entlang. Mit Schaudern dachte Tobias an den Riesen. Wenn er nur nicht herunterfiel!
Er wandte sich wieder der anderen Seite zu, die das Hauptaugenmerk dieser Etage ausmachte. Als er am nächsten Regal vorbei ging, sah er plötzlich einen Lichtschein. Da brannten Kerzen! Ungläubig ging Tobias auf die hintere Wand zu. Im nächsten Moment stand er vor einer Art Altar, auf dem ein alter monströser Kerzenständer stand. 'Was soll das denn?', fragte er sich verwundert.
Er leuchtete die Wand dahinter ab. Was war das? In der Wand steckte etwas helles Längliches. Tobias ging am Altar vorbei und besah sich das seltsame Ding genauer. Erstaunt erkannte er, dass es ein Speer war. Ein heller metallener Speer! Er leuchtete nach links und rechts, ob noch mehr an der Wand zu finden war. Und dann sah er die Kadaver hängen. Wie Gekreuzigte waren sie mit Eisendrähten links und rechts vom Speer an die Wand drapiert.
'Na super', dachte Tobias. Er leuchtete schnell weg und bestaunte wieder den Speer. Wie es aussah, konnte man ihn herausnehmen. Tobias drehte sich nochmal schnell um, vergewisserte sich, dass inzwischen nicht irgendetwas von hinten an ihn ran schlich. Doch es war nichts zu sehen.
Daraufhin machte er seinen Halogen-Strahler aus und legte ihn neben sich. Auch die Stange stellte er an die Wand ab. Das Licht der Kerzen reichte völlig, um alles genau zu sehen.
Er griff mit beiden Händen in die Vertiefung, umfasste den Speer und zog ihn behutsam heraus. Es ging federleicht, wie er erfreut feststellte.
Tobias hielt den Speer erstaunt vor sich, drehte sich zum Kerzenlicht um und betrachtete seinen Fund. Die Spitze des Speeres war ziemlich lang - so wie ein großes Küchenmesser - und schien sehr scharf zu sein. In der Mitte und am anderen Ende fühlte Tobias eine Art Rillen im Metall. Dadurch ließ sich der Speer ziemlich sicher in der Hand führen. Außerdem war das Ding total leicht, obwohl es fast so lang wie Tobias selbst war.
Er nahm den Speer in eine Hand und staunte nicht schlecht, denn die Waffe war sogar so leicht, dass sie mit einer Hand geführt werden konnte. Tobias machte ein paar schwingende Kampfbewegungen und freute sich, wie leicht das mit einer Hand ging. Das Ding war viel besser als die Metallstange! Leichter und trotzdem länger. Er beschloss, den Speer mitzunehmen und die Metallstange hier stehen zu lassen. 'Soll doch einer der Würmer darauf rumkauen', dachte er sarkastisch.
Er nahm seinen Strahler wieder auf und knipste ihn ein. Das Licht kam ihm plötzlich unglaublich hell vor. Offensichtlich hatten sich seine Augen gerade an den Kerzenschein gewöhnt. Er beleuchtete den Speer mit dem hellen Schein seiner "Lampe" und betrachtete das filigrane Aussehen der Waffe.
Als er den Speer im Licht drehte, trat plötzlich ein Wort in den Lichtschein. Tobias hielt inne und starrte auf die Buchstaben, die einmal quer in der Mitte des Speers eingraviert waren. Es war nur ein einziges lateinisches Wort: I U S T I T I A
Tobias überlegte: 'Iustitia? Das heißt doch "Gerechtigkeit"!'
Hatte er das nicht gerade irgendwo gesehen? Und dann fiel es ihm wieder ein! Der Speer der Gerechtigkeit! Davon hatte doch diese grausame Geschichte mit dem Zentauren gehandelt!
Natürlich konnte das nur ein Zufall sein. Aber gab es in dieser seltsamen Welt überhaupt Zufälle? Hatte er bisher nicht eher das Gegenteil erlebt?
Irgendwie behagte ihn nun der Speer, an dem er sich eben noch so erfreut hatte. Aber was half's? Anscheinend war das Ding für ihn bestimmt, also konnte er ihn auch ebenso gut mitnehmen.
Tobias ließ den Altar hinter sich und ging in die andere Richtung zurück. Da es auf dieser Seite des Raumes nichts mehr gab, konnte er jetzt getrost zur Wendeltreppe gehen. Er hoffte, dass er dort überhaupt hin kam. Andernfalls wusste er nicht, wo er noch hin sollte.
Plötzlich hörte er vor sich ein Stapfen. Sofort sprang er nach links vor das nächste Regal und machte seinen Strahler aus. Mit klopfendem Herzen hörte er, wie ein Riese den Gang herunterkam. Hatte er das Licht noch gesehen? Tobias hörte fast auf zu atmen, als das Monster auf Höhe des Regals kam. Automatisch wich er langsam noch etwas Richtung Außenwand zurück.
Der Riese schnaubte, stapfte aber vorbei. Tobias wartete. Sein Herz hämmerte wie verrückt. Fast schon ungläubig nahm er zur Kenntnis, wie die polternden Schritte des Monsters immer leiser wurden. Jetzt aber vorwärts! Der Riese würde gleich am Ende des Raumes angelangt sein und dann vermutlich zurückkommen.
Tobias tastete sich im Dunkeln bis ans Ende des Regals vor. Als er sicher war, genau im Gang zu stehen, knipste er seinen Strahler ein und rannte im nächsten Moment los. Das Licht blendete ihn im ersten Moment, doch zum Glück gab es auf dieser Seite der Haupttreppe keine Überraschungen im Fußboden.
Plötzlich war ein wütendes Schnauben hinter ihm zu hören. Der Riese hatte sein Licht entdeckt! Tobias lief noch etwas schneller den Gang herunter. Sein Herz klopfte wie wild und wurde nur durch das laute metallene 'Klang, Klang' übertönt, das er mit seinen schnellen Schritten verursachte. Spätestens jetzt würde ihn jeder hören können.
Panisch merkte Tobias, wie ein viel stärkeres 'Klang, Klang' hinter ihm immer lauter wurde. Aber jetzt war er gleich da! Er lief quer nach rechts Richtung Wendeltreppe, die allmählich zu erahnen war. Der Boden vibrierte nun regelrecht, als der Riese ihn fast mit schnellen Schritten eingeholt hatte.
Fast wäre Tobias im Freudenjubel ausgebrochen, als er sah, dass die Treppe betretbar war. Er stürmte schnell auf die Stufen und hinauf. Keine Sekunde zu früh. Hinter ihm schnaubte der Riese wütend und knallte mit seinem Kopf gegen den oberen runden Teil der Treppe. Damit endete die Verfolgung, denn Tobias war schon auf der nächsten Etage.
Er hörte den Riesen noch wütend gegen die metallene Treppe hämmern, doch mehr als ein kurzes Rütteln verursachte dies nicht. Tobias ließ ihn gewähren und atmete durch. Wenigstens der sportliche Aspekt kam in dieser "Otherworld" nicht zu kurz. Schließlich nahm er beruhigt zur Kenntnis, dass der Riese das Interesse verlor und woanders hin stapfte.
Er richtete sich wieder auf. Erst jetzt bemerkte er das eiserne Gitter, das hier einmal um den Ausgang der Treppe gespannt worden war. 'Genau wie in der anderen Welt', dachte er. Doch Moment! In der anderen Welt war die Treppe doch auf dem 2. Obergeschoss zu Ende gewesen - doch hier führte sie noch weiter nach oben. Das war interessant!
Doch eigentlich wunderte ihn das nicht mehr wirklich. In dieser bizarren Welt schien Vieles nicht mehr an seinem richtigen Platz zu sein, warum sollten also nicht Treppen dann nicht länger sein, als sonst? Tobias zuckte mit den Achseln und ging weiter hoch.
Doch auch auf der letzten Etage war die Treppe komplett mit einem eisernen Gitternetz umspannt. Also kam er jetzt gar nicht mehr weiter. Doch was war das! Tobias staunte nicht schlecht, als er feststellte, dass die Treppe noch weiter nach oben verlief. Soll das etwa heißen, er kam jetzt bis aufs Dach? Also, das war in der normalen Bibliothek definitiv nicht möglich.
Gespannt stieg Tobias die Stufen weiter hoch. Nach der letzten Biegung aufwärts stand er plötzlich tatsächlich im Freien. Unglaublich! Kühle Nachtluft wehte ihm um die Nase. Ohne dieses Gefühl würde man aber auch nicht glauben, draußen zu sein, denn es war keine Art von Himmel auszumachen. Nichts als diesige Sicht.
Tobias entfernte sich von der Treppe und ging langsam Richtung Mitte des Daches, das aus einem engmaschigen Eisengitter bestand. Gab es hier irgendwas zu entdecken? Wenn ja, konnte die Suche etwas dauern, denn das Dach erstreckte sich in alle Richtungen unendlich.
Plötzlich sah er vor sich einen Abgrund. Oh nein, bitte nicht! Doch das war kein Ende des Weges. Tobias erkannte, dass das Dach einen großen Spalt breit aussetzte und dahinter normal weiterging. Sollte er den Spalt überspringen? Möglich wär's bestimmt, doch wozu das Risiko eingehen?
Tobias ging an dem länglichen Abgrund entlang. Tatsächlich tauchte an einer Stelle ein Übergang darüber auf. Tobias ging hinüber und setzte seinen Weg fort. Nach einigen Schritten tauchte ebenfalls wieder so ein Abgrund auf. Scheinbar waren diese Art von "Gräben" hier mehrfach vorhanden.
Als Tobias den zweiten Abgrund überwunden hatte, sah er plötzlich von links einen Lichtschimmer. Irgendwas kam dort auf ihn zu. Er hörte eine Art Getrappel. Ihm wurde mulmig. Was konnte das bedeuten?
Und dann sah er, was los war! Etwa 30 Meter halb links von ihm kam ein übergroßes Wesen aus der Dunkelheit. Tobias hielt an und starrte es wie gelähmt an. Es war ein Zentaur!
Das konnte doch nicht wahr sein! Aber so oft er auch mit den Augen blinzelte, änderte sich das Bild nicht. Der Zentaur kam noch etwas näher und blieb dann etwa 20 Meter entfernt schräg links von ihm stehen.
Tobias Glieder zitterte. Jetzt wusste er, warum er beim Fund des Speeres vorhin so viel Unbehagen empfunden hatte: wenn es den Speer der Gerechtigkeit tatsächlich gab, dann vermutlich auch den Zentauren. Das hatte er vorhin heimlich gedacht, es aber sofort verdrängt.
Doch nun musste er sich der Tatsache stellen. Vor ihm stand tatsächlich ein Zentaur, der jetzt finster zu ihm hinüber sah. Aus irgendeinem Grund leuchtete er von innen heraus, wodurch Tobias ihn auch von dieser Entfernung erkennen konnte. Das Ding hätte schlimmer nicht aussehen können. Die grundsätzliche Form war so, wie man es sonst auch kannte: Unterkörper eines Pferdes mit menschlichem Oberkörper.
Aber dieses Wesen hatte grauenhafte Details. Es schien eine Mischung aller bisherigen Wesen zu sein: der Kopf war die gleiche dämonische Höllenfratze, die auch die Flugmonster besaßen, inklusive der großen Hörner, die Beine waren genau die gleichen großen Keulen, die auch die Riesen hatten, und statt Klauen oder Hände hatte es riesige platte Buchdeckel an seinen Oberarmen. Darüber hinaus war der gesamte Körper offensichtlich aus dem gleichen matschigen Zeug, aus dem die "Bücherwürmer" bestanden.
Tobias ging ein paar Schritte zurück. Der Zentaur grinste dämonisch und heulte stöhnend auf. Es klang grauenhaft, so als würde ein Werwolf und ein Tiger zugleich jaulen. Im nächsten Moment stellte sich der Zentaur auf die Hinterbeine und gestikulierte wild mit den vorderen Klauen. 'Wie in der Geschichte!', kam es Tobias in den Sinn.
Er blieb stehen, weil er plötzlich etwas sah. Zwischen den erhobenen Vorderbeinen des Zentauren funkelte es hell. Tobias sah genau hin. Eine Art leuchtender Stein schien unterhalb des Bauches im Gewebe des Zentauren zu stecken. Offenbar war er dafür verantwortlich, dass das Monster von sich aus Licht ausstrahlte.
Der Zentaur stellte sich wieder auf alle vier Beine. Sofort war der Stein nicht mehr zu sehen. Nur der Lichtschein des Monsters zeugte noch weiterhin davon. Tobias war sich sicher, dass dieser Stein eine Art Herz darstellte. Doch wie sollte er daran kommen.
Inzwischen nahm der Zentaur Anlauf und sprang über den Abgrund. Mit voller Wucht kam er auf Tobias zu. 'Ach du Schreck!', schaffte der noch zu denken, dann spurtete er kurzerhand nach vorne. Der Zentaur korrigierte seine Richtung, doch musste er dafür kurz bremsen. Tobias sah zeitgleich den Abgrund vor sich auftauchen. Es gab nur eine Möglichkeit!
Voller Verzweiflung schrie er auf und sprang. Doch er kam ohne Probleme rüber, weil er so schnell los gelaufen war. Das war auch sein Glück, denn schon stapfte der Zentaur durch die Stelle hindurch, wo er eben abgesprungen war.
Doch mit so einer schrägen Richtung zum Abgrund, konnte das Ding zum Glück nicht sofort nachspringen. Es bremste, wendete sich in die andere Richtung ab und lief ein Stück vom Abgrund weg.
Tobias beobachtete das Mistvieh und schnaufte. Er sah, wie der Zentaur nahe beim nächsten Abgrund wendete und wieder in seine Richtung galoppierte. Jetzt würde er den Abgrund, der sie trennte, spielend schaffen.
'Und die Sportstunde geht weiter', dachte Tobias verbittert und stürmte im nächsten Moment auf den Abgrund hinter ihm zu. Er hörte ein triumphierendes Gebrüll hinter sich und gleich darauf vibrierte der metallene Boden. Der Zentaur war hinüber gesprungen!
Tobias hatte den nächsten Abgrund erreicht. Sofort rannte er ihn links entlang. Er durfte jetzt nicht springen, weil der Zentaur einfach im gleichen Tempo weiterlaufen würde und ihn sofort mit seinem nächsten Sprung erreicht hätte. Stattdessen musste er öfter mal die Richtung ändern.
Er rannte wie verrückt den Rand des Abgrunds entlang und hörte zufrieden, wie der Zentaur abbremste, um die Richtung anzupassen. Dann polterte das Untier aber plötzlich Richtung Rand los. Gleich würde es Tobias in den Abgrund hineinstoßen können.
Doch da tauchte der schmale Übergang über den breiten Spalt auf. Sofort schlug Tobias einen Haken und hechtete hinüber. Er verspürte einen Windhauch, als der Zentaur hinter ihm am Rand des Abgrunds vorbei rauschte. 'Das war knapp!', durchfuhr es Tobias.
Der Zentaur bremste ab und musste erneut seine Richtung korrigieren. Tobias hatte sich allmählich in die Situation eingepasst und verlor keine Zeit. Er hetzte wieder in die andere Richtung schräg über das Dach Richtung nächstem Abgrund. Als er sich ungefähr in der Mitte zwischen beiden Abgründen wähnte, rannte er genau parallel zu ihnen das Dach hinunter.
Der Zentaur nahm Anlauf und sprang schräg über den Abgrund, der zwischen ihm und seinem Opfer lag. Tobias hörte das Poltern, als das Monster drüben aufschlug und ihm schnaubend nacheilte. Eine gewisse Kühnheit hatte ihn jetzt erfasst. Er wartete ziemlich lange, bis der Zentaur ganz nah war, dann wechselte er abrupt in die linke Richtung und sprang sogleich über den nächsten Abgrund, der vor ihm auftauchte.
Der Zentaur rannte erneut ins Leere und konnte wieder nicht sofort hinterher. Tobias stoppte, drehte sich um und betrachtete seinen Gegner. Er stützte sich auf die Knie und keuchte. Er musste einfach etwas Kraft sammeln und die Zeit hatte er. Der Zentaur bremste ab und wandte sich ab. Er würde erst zurückgehen und von weiter hinten neuen Anlauf nehmen, das wusste Tobias jetzt.
Trotzdem konnte es so nicht immer weiter gehen. Das Stechen in seiner Lunge würde bald zu stark werden. An sein Herz durfte er sowieso nicht denken. Irgendwas musste er wagen. Der Speer! Das Ding hatte er bisher bei jedem Sprung nutzlos mitgeschleppt. Irgendwie musste er den Speer zum Einsatz bringen.
Im nächsten Moment sah Tobias den Zentauren auch schon heran stürmen. Er flog links vor ihm über den Abgrund. Tobias wurde nun mutiger. Er lief einfach etwas schräg versetzt wieder in die andere Richtung und sprang zurück auf die andere Seite des Abgrundes, von wo der Zentaur etwas weiter oberhalb gerade rüber gesprungen war. Der Bestie blieb nichts Anderes übrig als sofort abzubremsen und erneut zu wenden.
Tobias Gedanken kreisten um den Speer. Irgendwas musste man damit doch machen können. Er sah wie der Zentaur wieder wendete und den Abstand für den nächsten Anlauf vergrößerte. Da fiel es ihm ein! Die Geschichte! Der Held hatte sich auf den Boden gelegt und den Zentauren auf den Speer springen lassen.
Es war gewagt, aber was sollte er tun? Ewig würde er hier nicht wie ein verschrecktes Kaninchen hin und her springen können. Tobias trat etwas an den Abgrund heran, während der Zentaur gerade seine Startposition einnahm. Im nächsten Moment stürmte die Bestie auf den Abgrund los.
Tobias warf sich zu Boden und wartete. Kurz bevor der Zentaur in seine Richtung absprang, hielt er den Speer fest umklammert mit beiden Händen schräg nach oben.
Der Zentaur sprang ab.
Die Zeit schien still zu stehen.
Tobias kniff die Augen zusammen, als der riesige Körper auf ihn zuflog.
Im nächsten Moment spürte er am Speer einen Widerstand. Es ruckte und man hörte ein unmenschliches Aufbrüllen. Durch den Ruck riss Tobias die Augen auf. Er konnte kaum glauben, was er da sah. Der scheinbar übermächtige Zentaur hing über ihm sauber aufgespießt an seinem Speer und brüllte unmenschlich jammernd. Das helle Licht des Steins, der jetzt sehr deutlich zu sehen war, blendete Tobias.
Gleichzeitig passierte Seltsames. Der Körper rutschte langsam den Speer entlang auf Tobias zu und schien sich aufzulösen. Die matschige Substanz wurde nahezu flüssig. Und während diese matschige Zeug schmolz und auf Tobias herunter rann, hörte man in der Ferne plötzlich Sirenen.
Tobias bemerkte, wie das ganze Bild um ihn herum immer unklarer wurde. Seltsame Geräusche voller Rauschen und Stimmengewirr waberten um ihn her. Das Licht des Steins schien nachzulassen. Da griff Tobias in den matschigen Körper hinein und ergriff den Stein. 'Der Held riss das Herz heraus und das Untier starb', dachte er.
Als er den Stein umfasste, fing dieser plötzlich sehr hell zu leuchten an. Tobias bemerkte noch, wie der Körper des Zentauren endgültig auf seiner Brust zerfloss, dann verschwand alles um ihn herum in ein helles weißes Licht und jegliches Gefühl - vom harten Eisenboden oder von der Nachtluft - verschwand.
Im nächsten Moment nahmen auch all die seltsamen Geräuschen um ihn immer mehr ab und auch die Sirenen wurden leiser. Dann sah Tobias um sich herum nur noch reines weißes Licht.
____________________________________________________
Ihr lieben Leserinnen und Leser!
Mit diesem ersten "Bosskampf" zwischen Tobias und dem Zentauren hat die Geschichte ihren ersten Höhepunkt erreicht. Insgesamt bildet diese Stelle ungefähr ein gutes Drittel der Geschichte. Es wird also noch allerhand auf euch zukommen 😉
Ab dem nächsten Kapitel wird auch Anne wieder mit dabei sein. Wie das kommt - lasst euch überraschen ;)
Wie ihr schon mitbekommen habt, lag zwischen den letzten Uploads mehr Zeit. Das werde ich in Zukunft auch so beibehalten. Denn die Darstellung der Kapitel ist spätestens ab der "Otherworld" deutlich schwieriger umzusetzen für mich. Da es aber in einer guten Qualität weiter gehen soll, bitte ich um Verständnis darum, dass die Abstände der Uploads nun dauerhaft länger werden.
Bis hierhin kann man aber, denke ich, schon ganz gut erkennen, was die Story so zu bieten hat. Wem dies gefällt, wird sicherlich auch mal etwas länger warten können. In den weiteren Kapiteln tauchen natürlich andere Schauplätze der Stadt und andere Monster auf, zudem wird es noch ziemlich dramatisch zum Ende hin werden ;)
Jetzt noch ein paar Fragen:
Wie fandet ihr die Story bisher? Konnte man sich die Monster gut vorstellen?
Weiterhin viel Spaß beim Lesen wünscht
euer H.G.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top