3. Gefährliche Neugier
Später am Nachmittag. Tobias saß gerade an seinem Schreibtisch und versuchte, die neuen Infos in sein Hirn reinzukriegen, die er gerade über Latein erfahren hatte. Missmutig saß er vor seinem Tablet und wischte zwischen den Deklinationen hin und her. 'Verdammt, warum mussten die Römer so viele Beugungsarten für Nomen erfinden!', ging es ihm ärgerlich durch den Kopf.
Fast schon erleichtert registrierte er, dass sein Smartphone vibrierte. Tobias sah gelassen aufs Display. ANNE, stand dort in großen Buchstaben. Er legte das Tablet beiseite und ging ran.
"Na, was gibts?!", fragte er enthusiastisch. Anne keuchte aufgeregt. "Du wirst es nicht glauben!", hörte er ihre Stimme.
"Was ist denn los?", fragte er laut, "du klingst ja, als hättest du im Lotto gewonnen!" Er grinste vor sich hin, doch Anne fand den Witz nicht so komisch. "Haha - lass dir mal was Neues einfallen!", stichelte sie.
Tobias schnalzte mit der Zunge und wartete auf die richtige Antwort. "Viel besser!", meinte Anne nach einer Weile, "ich hab die Unterlagen von Professor Hayden!"
"Wie bitte? Was?", hakte Tobias ungläubig nach. "Wie ist denn das..." Weiter wusste er nichts zu sagen.
"Na jaa, das vorhin mit der Sprechstunde war ein bisschen geflunkert", sagte Anne daraufhin gedehnt. Tobias Antwort bestand lediglich aus einem vorwurfsvollen "Hmm".
"Jaa - es ist so - ich war stattdessen bei Haydens studentischer Hilfskraft. Ich dachte mir, wenn der vielleicht vorhatte, das Seminar zu geben, hat er vielleicht auch die Unterlagen dafür bei sich zu liegen."
Tobias nickte langsam, obwohl Anne das nicht sehen konnte. "Und da hast du sie einfach mitgenommen.", schlussfolgerte er trocken nach einer Pause.
"Na ja, einfach so natürlich nicht. Ich hab so getan, als müsste ich noch eine Arbeit abgeben und den Typen mit meinem Charme abgelenkt." Tobias rollte mit den Augen.
"Ich hab da nämlich diese braune Akte gesehen und da wusste ich - das muss die von Hayden sein. Na ja, und als der Typ mir dann eine Kopie von meiner Eingangsbestätigung machte..."
Tobias schüttelte den Kopf. "Oh Mensch, Anne! Du musst echt mal an deiner Neigung, alles Interessante mitzunehmen, arbeiten!" Er hörte ihr unschuldiges Grinsen ins Smartphone. Schon in St. Petersburg hatte er sie geradeso davon abhalten können, ein wertvolles altes Buch von Katharina der Großen aus der Nationalbibliothek mitzunehmen. Diese Russen waren ja leider auch etwas arglos, was die Sicherheitsvorkehrungen für Bücher betraf. Zum Glück hatte er Anne überzeugen können, dass das Buch lieber dort bleiben sollte.
Doch diesmal war die Lust, was einzustecken, wohl zu stark gewesen. "Ach, komm schon!", tönte es am anderen Ende der Leitung, "ich hab mir das doch quasi nur ausgeliehen! Ich bring es auch zurück! Mensch, das wäre doch klasse, wenn wir Anhaltspunkte zu Haydens Verschwinden finden würden!"
'Na klar, total klasse, Anne!', dachte Tobias verärgert. Die Staatsanwaltschaft würde sicherlich begeistert sein, wenn sie sich auf eigene Faust in die Ermittlungen einschalten würden.
"Und? Was steht drin?", meinte Tobias schließlich. "Das hab ich noch gar nicht nachgeguckt! Ich hatte doch bis vorhin Philo. Und außerdem musste ich dich erstmal anrufen. Bin total aufgeregt wegen der Sache! Aber, warte mal, bleib einfach dran - ich kann ja jetzt direkt nachschauen."
Tobias hörte ein Rascheln, als würde etwas ausgekippt werden. "So, was haben wir hier", sprach Anne vor sich hin, damit Tobias alles mitbekam. "Also - da sind die Unterlagen für das Seminar...was steht da? Silent Hill? Komischer Name, hab ich noch nie gehört."
Tobias wurde etwas unruhig. Irgendwie gefiel ihm die Sache nicht so ganz. Was war, wenn sie tatsächlich auf etwas Verbotenes stoßen würden?
"Ahh, cool!", rief Anne ihm plötzlich ins Ohr. "Was ist denn?", fragte Tobias angespannt. "Hier ist so eine Art Tagebuch vom Professor! Sicherlich steht da drin, womit er sich zum Schluss beschäftigt hat."
Tobias hörte angestrengt zu. Er dachte, Anne würde gleich ins Tagebuch sehen und ihm davon erzählen, doch scheinbar hatte etwas Anderes ihre Aufmerksamkeit erregt.
Er hörte etwas klappern. "Was ist das?", hörte er Anne erstaunt sagen.
"Was ist WAS?!", rief Tobias in den Hörer. Irgendwie hatte Anne nicht so recht Peilung, wie man Ereignisse via Smartphone kommentiert.
"Hier war so eine Art Talisman in der Akte versteckt", meinte Anne. Ihre Stimme klang etwas ehrfürchtig. "Sieht ziemlich einmalig aus. Ganz in Silber, mit komischen Zeichen und drei Kreisen in der Mitte."
'Na wenigstens mal eine zünftige Beschreibung!', bemerkte Tobias zynisch.
"Das ist seltsam", hörte er Anne sagen, "er fühlt sich warm an." Tobias grinste. Er konnte quasi hören, wie Anne den Talisman in ihren Händen neugierig hin und her drehte... Doch, Moment mal - was meinte sie mit warm?
"AHHH!" Der Schrei im Ohr ließ Tobias erstarren. "Was - was ist denn los, verdammt?!"
"Dieses Ding...so heiß... mein Kopf - Hilfe Tobi, HILFEEEE!!!" Das hier war kein Spaß mehr! Irgendetwas passierte da bei Anne!
"ANNEE! WAS IST LOS!!!", brüllte Tobias in den Hörer. Immer mehr komische Geräusche drangen an sein Ohr. Es war, als hörte man falsch eingestellte Radiowellen, die auf dem Ohr rauschten.
Plötzlich hörte Tobias einen lauten markerschütternden Schrei. Anne! Was war mit Anne, verdammt???! Der Schrei hielt an und wurde dann seltsam bleiern und verhallte, so als entfernte sich Anne während des Schreis von ihrem Ort.
Gleich darauf spielte das Telefon völlig verrückt. Tobias hörte lauter verzerrende Störgeräusche und auch stöhnende Laute, deren Verursacher er sich lieber nicht vorstellen wollte. Doch irgendwie konnte er das Phone nicht von seinem Ohr nehmen.
"ANNEEE!", rief er in die wilde Symphonie von Tönen hinein, deren Schnarren und Piepsen wild auf- und abwärts ging. Plötzlich erhielt er einen elektrischen Schlag aus seinem Handy. Für einen Moment blitzte es ihm vor den Augen und in diesem Bruchteil einer Sekunde sah er sein Zimmer seltsam bizarr vor sich: mit vermoderten, dunklen Wänden und Eisenstäben am Fußboden und irgendwas hing gekreuzigt an den Wänden. Gleich darauf war das Bild aber weg.
Heftig erschrocken und vom Schlag durchgeschüttelt riss Tobias sich endlich das Smartphone vom Ohr und schleuderte es in eine Zimmerecke. "Verdammte Scheiße! Was geht hier vor???", brüllte er lauthals und kauerte sich zitternd auf seinen Stuhl.
Er starrte auf sein Telefon. Auf der Bildanzeige wechselten sich lauter komische Zeichen ab und auch diese Stör- und Piepsgeräusche waren deutlich zu hören.
Verängstigt beobachtete Tobias sein Smartphone. Dieses fing plötzlich an immer heller zu leuchten. Gebannt hielt der junge Mann die Luft an. Was passiert denn jetzt? War denn noch nicht genug geschehen?
Mit einem Male puffte es laut. Das Smartphone hatte sich entzündet. Einfach so, scheinbar. Wenigstens war es nun leise und aus. Dafür brannte es schön ordentlich.
"Scheiße!" Tobias sprang auf und eilte in die Küche. Er holte eine Wasserflasche und schüttete deren Inhalt sofort über dem kleinen Feuer aus. Leider hatte seine Billigbude keinen Feuerlöscher.
Als es nur noch qualmte und nichts mehr brannte, schmiss Tobias die leere Plastikflasche von sich. "Was - was ist denn nur passiert?", fragte er laut ins Zimmer. "Das hier ist kein Traum! Was passiert hier nur?!"
Er raufte sich die Haare und versuchte sich zu beruhigen. Es fiel ihm schwer. Das Bild von der bizarren Version seines Zimmers stieg in ihm hoch. In der Erinnerung konnte er es sich leider in Ruhe zu Gemüte führen. Der Boden war komplett aus verrostetem Eisen und aus genau solchen Stäben gewesen, die Wände waren ins dunkelbraune vermodert. Doch das Schlimmste waren diese komischen Kadaver, die er an den Wänden hatte hängen sehen. Zwar nur für einen Moment, aber das reichte schon.
Was sollte das alles nur bedeuten? Und vor allem: was war mit Anne geschehen? Was hatte sie da nur gefunden? Und was hatte sie da bloß in Gang gesetzt?
Tobias schluckte schwer und atmete tief durch. Es half nichts - er musste sofort los. Wenn er wissen wollte, was hier los war, musste er sofort zu Annes Wohnung. Hektisch riss Tobias seine Jacke von der Garderobe und spurtete los.
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