25. Die Vollstrecker (II)
Einige Augenblicke zuvor hatte Anne erneut begonnen, ihrem bizarren Verfolger auszuweichen. Sie ließ sich gerade nach links fallen und rollte ab. Abermals krachte es höllisch laut, als die riesige Schneide des pyramidenköpfigen Monsters in den vergitterten Eisenfußboden einschlug. Anne ächzte, staunte über den Funkenflug und kämpfte sich mühsam wieder hoch. Mit Schrecken blickte sie auf den länglichen Riss, der im Metallboden entstanden war. Wenn das Monster weiter so um sich schlug, würden sie beide über kurz oder lang wohl zu den Flammen in den Abgrund fallen...
Doch halt - so durfte sie nicht denken! Es muss doch etwas geben, es muss einfach! Zufrieden registrierte sie, dass das Ding noch zu tun hatte, sein Schwert aus dem Riss zu bekommen. 'Jetzt mach was, Anne, mach was!', spornte sie sich an.
Hektisch leuchtete sie einmal hinter sich den Raum ab. Ein Ausgang gab es ja nicht, aber was war eigentlich mit den Säulen? Waren die zu was nütze?
Anne rannte auf die erstbeste Säule in der Nähe und untersuchte sie. Nichts Besonderes.
In dem Moment hörte sie ein metallisches Quietschen. Erschrocken wandte sie sich um. Das Ding hatte seine Schneide zurück! Schnell trippelte sie zur nächsten Säule. Wieder nichts, aber: sie hatte auf jeden Fall andere Verzierungen, als die andere.
Schnell schaute sie wieder zu dem dämonischen Wesen. Das kam bereits auf sie zu, begleitet von dem metallischen Scharren der Klinge auf dem Boden.
Anne sah noch schnell zur nächsten Säule, direkt neben der Tür, durch die sie gekommen war. Was war das? Da ragte ein steinerner Hebel in der Mitte heraus. Sie blinzelte einmal, glaubte sich zu vergucken. Aber der Hebel war wirklich da, schräg nach oben ragend, nur darauf wartend, benutzt zu werden. Schnell umschloss sie ihn mit einer Hand und drückte ihn intuitiv nach unten. Im selben Augenblick bemerkte sie, wie das metallische Geräusch des Schabens aufhörte und glaubte, eine Bewegung hinter sich wahrzunehmen.
Kaum war der Hebel unten, sprang Anne ohne sich umzusehen nach rechts weg. Das war auch gut so. Sogleich polterte es laut auf. Anne wusste auch, ohne dass sie es sah, was geschehen war: das Monster hatte seine riesige Schneide in die Säule geschlagen. Eilig rollte sie sich außer Reichweite.
Während es sehr laut wegen der Steinbrocken krachte, war Anne in Gedanken einen Schritt weiter: hatte sie etwas ausgelöst? Sie rappelte sich auf, leuchtete zügig umher. Ihr Peiniger würde erstmal seine Klinge wieder aus der zerstörten Säule ziehen müssen.
Plötzlich vernahm sie eine Bewegung im Lichtschein. Da - was war das! Eine Säule auf der anderen Seite des Raumes drehte sich langsam aber eindeutig um ihre Achse!
Währenddessen zog das Monster seine Schwertklinge aus dem Steinhaufen.
Anne rannte auf die andere Seite des Raumes und dann geradezu auf die sich drehende Säule in der Ecke zu.
Das dämonische Ding schlug gleich darauf ebenfalls diese Richtung ein.
Doch Anne war schon bei der Säule, die gerade stoppte. Sie sah an ihr nun ebenfalls einen Hebel hervorragen und verstand. Ohne Drehung der Säule hätte den keiner benutzen können.
Das Monster war nun in der Mitte des Raumes und näherte sich der Wand.
Anne ruckte an dem Hebel und zog ihn hinunter.
Während das Monster näher kam, hörte sie neben dem metallischen Schaben, steinerne Walzgeräusche. Dann sah sie es: die beiden Säulen gegenüber der Tür, dort wo das Monster gerade vorbeiging, drehten sich.
Ihr dämonischer Verfolger blieb plötzlich stehen und holte seitlich aus. Anne erschrak. Rechts neben ihr war die Säule und die Ecke des Raumes, links neben ihr der Riss im Boden, den das Ding vorhin geschlagen hatte.
Schnell duckte sie sich und sprang mit eine Art Hechtsprung so tief wie möglich über den Riss nach links. Sie hörte ein tiefes Surren, als die breite Klinge über ihr hinwegsauste.
Anne landete auf der anderen Seite des Risses und rollte sich ab. Im gleichen Moment hörte sie ein ohrenbetäubendes Kreischen. Die Klinge ihres Peinigers schrammte an der hinteren Wand, an der sie gestanden hatte, entlang und hinein. Dann krachte das Schwert seitlich in die eben benutzte Säule und schlug große Steinbrocken heraus. Erschrocken sah Anne, wie Teile der Säule zersplitterten und mit großem Poltern auf den Metallboden fielen.
Dann schnellte ihr Blick nach schräg links zu den beiden Säulen, die sich drehten. Und jetzt sah sie was los war: während sich die Säulen in entgegengesetzten Richtungen drehten, hob sich die metallische Eisenwand zwischen ihnen langsam aber sicher nach oben. Dort entstand ein Ausgang!
Anne entfuhr ein freudiges "Ah!". Sie rappelte sich auf und ging zügig auf die Stelle zu. Ihr Herz bebte, als sie bemerkte, dass sie direkt hinter dem Rücken des Monsters vorbeigehen musste. Doch das war noch mit seinem Schwert beschäftigt, das diesmal anscheinend ernsthaft feststeckte.
Inzwischen stoppten die Säulen mit ihrer Drehung. Die Wand war wie ein Zuggitter vollständig nach oben in die Decke verschwunden.
Anne schnaufte durch und war dabei den neuen schmalen Gang zu betreten. Plötzlich hörte sie ein Krachen, blieb im Eingang stehen und schaute nochmals zu dem Monster. Dieses fuhr mit Schneide in der Hand zu ihr herum und schien sie durch seinen verrosteten Pyramidenhut hindurch zu mustern.
Doch Anne ließ sich davon nicht mehr beeindrucken. "Vergiss es, Looser", gab sie zischend von sich und rannte gleich darauf den langen rettenden Gang hinunter.
___
Tobias hatte den Vollstrecker inzwischen in die hinteren Sitzreihen des Hörsaals locken können. Er wartete, bis sein Widersacher den Treppengang ein Stück weit nach oben gegangen war, dann humpelte er schnell in die vorletzte Sitzreihe hinein nach links.
Der bizarre Henker wartete nicht lang ab. Noch mitten auf dem Treppengang stehend, holte er mit seiner Klinge weitläufig aus und versuchte, Tobias noch zu erwischen.
Der bewegte sich so schnell es ging den schmalen Fußgang der Sitzreihe entlang. Gleich darauf krachte es höllisch laut, als das breite Schwert genau in die Sitze rechts neben ihm und und denen davor einschlug. Tobias drehte sich beim Humpeln weg und duckte sich leicht, um dem ungeheurem Funkenflug auszuweichen und den Metallsplittern, die ihm an Schulter und Hüfte prallten. Das kreischende Geräusch der Zersetzung hielt noch einen nervenzerreißenden Moment lang an, dann hatte die Schneide des Vollstreckers eine weitere gewaltige Schneise inmitten der Sitzreihen des Hörsaals geschlagen.
Tobias war das inzwischen egal. Er erreichte gerade den zweiten Treppengang auf der anderen Seite, wo vorhin die seltsame Frau gestanden hatte. Jetzt war der Weg zur offenen Tür zum Greifen nah!
Doch auch der Vollstrecker erkannte, was er vorhatte. Er ruckte erneut auf unheimlich schnelle Weise herum und ging den Treppengang herunter, anstatt Tobias durch die Sitzreihen zu verfolgen.
Dieser sah dies durch einen schnellen Seitenblick mit Schrecken und humpelte schnell die Stufen hinunter. Als er den Treppengang verließ, war der Vollstrecker auf seiner Seite bereits auch schon wieder auf der vorletzten Stufe.
Tobias hievte sich eilig zur Tür. Dabei achtete er auf das metallische Schaben. Noch klang es weiter entfernt.
Fast schon freudig fasste er an die Klinke der Hörsaaltür und drückte sie hinunter. Doch dann das: die Tür war verschlossen! "Das gibt's doch nicht", zischte Tobias leise. Hektisch rüttelte er mehrfach an der Türklinke. Aber der Ausgang blieb verschlossen.
Panik erfasste ihn. Rasch sah er hinter sich und erschrak. Der dämonische Scharfrichter hatte die Hälfte des Raumes bereits hinter sich.
'Verdammt', dachte Tobias. Was sollte er nur machen? Er wollte sich schon schnell entfernen und in Deckung gehen, als er plötzlich doch innehielt. Sein Blick fiel auf die Schwertklinge des sich nähernden Ungetüms. Ein Gedanke erfasste ihn, doch er war ziemlich gewagt.
Tobias drehte sich an der Tür ganz zu dem Vollstrecker herum. Er versuchte trotz klopfenden Herzens eine aufrechte Haltung einzunehmen. Alles kam auf das richtige Timing an.
Das dämonische Wesen kam immer näher, das Scharren der riesigen Schneide wurde immer lauter. Tobias stand mit leicht abgespreizten Armen da, so als wollte er sich in sein Schicksal ergeben.
Der Vollstrecker blieb schließlich ziemlich nah stehen, schnaubte tief und holte von oben mit seiner Waffe aus. Tobias sah die Breitschneide auf sich zu sausen, zwang sich aber noch einen Moment länger zu warten.
Im letzten Augenblick sprang er mit seinem rechten Bein zur Seite weg, ließ sich nach rechts fallen. Fast gleichzeitig schepperte es ungemein laut. Tobias hörte auch eine Art metallisches Korkenknallen, so als seien irgendwelche Eisenteile weggeplatzt. Er rollte sich einmal um die Achse. Fast gleichzeitig hörte er ein überlautes metallisches 'Plänk'-Geräusch, als sei irgendetwas Großes aus Eisen irgendwo aufgeschlagen.
Tobias lag auf dem Rücken und sah schnell zur Tür. Obwohl er von der Seite raufschaute, erkannte er genug: der rechte Eisenflügel der Tür fehlte. Das Monster musste ihn durch der Waffe Wucht herausgeschlagen haben. Der Weg aus dem Hörsaal war frei!
Tobias gönnte sich keine freudige Genugtuung, denn der Vollstrecker drehte sich inzwischen ihm zu. Ohne lange zu fackeln, holte er wieder aus. Tobias rollte sich möglichst weit weg. Es krachte höllisch laut, als das Schwert des Scharfrichters auf den Metallboden aufschlug. Tobias spürte im Rollen, wie der vergitterte Boden unter ihm wackelte.
Er stoppte schließlich und versuchte, auf die Beine zu kommen. Es ging nur sehr schmerzhaft. Durch das Rollen hatte er dem linken Bein zu viel zugemutet. Ächzend kam er in einen festen Stand und blickte sogleich zum Monster.
Halb erfreut sah er, wie dieses noch damit zu tun hatte, die Waffe aus der Schneise herauszubekommen, die es in den Boden geschlagen hatte. Tobias wartete nicht länger ab, nahm seinen Mut zusammen und humpelte rechts an dem Monster vorbei zur Tür.
Plötzlich streckte sein Widersacher die linke Faust aus, um ihn am Vorbeikommen zu hindern. Doch Tobias hatte inzwischen zu viel mit all den Monstern der Otherworld erlebt. Daher hatte er das fast vorausgeahnt und humpelte geistesgegenwärtig zur Seite.
Während das Monster wieder an der Schneide zog, humpelte Tobias hinter seinem Rücken auf den Flurgang der Germanistik zurück. Endlich war er dem Ausgang nahe!
Er kam an die kurze Treppe und ging sie langsam hoch. Im gleichen Moment hörte er kurz ein lautes metallisches Kreischen hinter sich und wusste, was los war: der Vollstrecker hatte seine Waffe zurück.
Schnell humpelte er den Nebengang ans Ende und stand plötzlich auf der anderen Seite des Eisengitters, am unteren Ende des langen Flurgangs. Er sah schnell hinter sich. Der bizarre Verfolger erschien im Türrahmen und folgte ihm.
Tobias blickte nochmals zum Eisengitter und entdeckte die Skarabäen, die plötzlich auf der anderen Seite wuselten und zu ihm durch wollten. 'Nicht auch das noch!', dachte er mit Schrecken.
Erstmals wandte er sich nun um, Richtung Ausgang. Was er sah, erfreute ihn: die hölzernen Doppeltüren, durch die er anfangs gar nicht erst durchkam, fehlten hier gleich völlig. Stattdessen blickte er direkt auf eine eiserne Treppe zum Vorderausgang, der auch fehlte. Tobias atmete fast erleichtert auf. Endlich konnte er die Germanistik verlassen.
Als er den Vollstrecker näher kommen sah, fasste er sich wieder und setzte sich in Bewegung. Ein paar Augenblicke später humpelte er ins Freie.
___
Einige Minuten zuvor eilte Anne den entdeckten Gang entlang. Anders als bei anderen Räumen zuvor, gab es hier einen festen Fußboden aus Stein. Nur Wände und Decke bestanden weiterhin aus verrosteten, engmaschigen Eisengittern.
Anne bewegte sich zügig vorwärts. Anscheinend gab es hier keine Monster, aber dennoch versuchte sie, einen schnellen Schritt beizubehalten. Denn schon bald hörte sie wieder die scharrenden Geräusche dieser Riesenklinge hinter sich.
Der Gang besaß unzählige Abbiegungen und Verzweigungen nach links und rechts. Da diese Nebengänge aber schmaler und enger waren, als der Gang, den sie gerade entlanglief, ignorierte Anne diese seitlichen Abgänge und bewegte sich zielstrebig geradeaus.
Mit einem Mal war das metallische Schaben der Schwertklinge nicht mehr zu hören. Anne wunderte sich nur kurz und lief weiter. Doch was war das! Vor ihr senkte sich aus der Decke plötzlich ein Eisengitter nach unten und sperrte den Weg ab. Abrupt blieb sie stehen. Was sollte das?
Sie erblickte in der Nähe einen weiteren Nebengang, der nach rechts führte. Sie sah sich schnell um. Nichts zu hören. Aber sie konnte unmöglich zurück. Mit unbehaglichem Gefühl steuerte sie den Seitengang an und betrat ihn. Rasch leuchtete sie umher. Doch auch hier lauerten seltsamerweise keine Ungeheuer auf sie.
Der Gang war nur kurz und endete in einem weiteren, der anscheinend genau parallel zu dem ersten verlief. Anne zuckte mit der Schulter und schlug auf dem Gang wieder die alte Richtung ein, die sie bisher genommen hatte.
Plötzlich hörte sie von vorn Geräusche. Etwas kam auf sie zu. Sie erstarrte, als im Schein der Taschenlampe der pyramidenförmige Kopf des bizarren Monsters auftauchte.
"Aaahh!", schrie Anne und prallte zurück. Jetzt war ihr auch wieder das Scharren der breiten Schwertklinge bewusst.
Wie konnte das Ding plötzlich vor ihr sein??? Erschrocken ruckte Anne herum und rannte zurück. Doch plötzlich sah sie vor sich erneut ein Eisengitter von oben aus der Decke herunterfahren.
"Nein!", schrie Anne, hielt an, schaute ungläubig vor und zurück. Das Ding würde sie gleich eingeholt haben. Dann hörte sie hinter sich ein Geräusch und leuchtete schnell dorthin. Wie von Zauberhand fuhr ein Teil der Wand hinter ihr nach oben und gab den Weg zu einem bisher versteckten Seitengang frei.
Ohne lange zu überlegen eilte Anne in den Gang. Ihr Herz pochte wie wild vor Aufregung. Nach ein paar Schritten war sie wieder auf dem breiteren Hauptgang, den sie dort in der gewünschten Richtung weitergehen konnte.
Doch nach ein paar Schritten tauchte das dämonische Ding wieder vor ihr auf. 'Das gibt's doch nicht!', dachte Anne.
Schnell bog sie in einen weiteren Seitengang ein, diesmal nach links. Auch dort kam sie wieder auf einen weiteren Gang, der parallel zu dem breiteren verlief. Erneut orientierte sie sich an der bisherigen Richtung. Sie kam gut voran, doch plötzlich trat das Monster aus einem Seitengang heraus und holte mit der Schwertklinge aus. Anne stoppte und sprang zurück. Es krachte ohrenbetäubend, als die Klinge in die gegenüberliegende Gitterwand einschlug. Funken stoben hundertfach auf und tanzten auf dem steinernen Fußboden.
Anne ließ sich aber nun nicht mehr beeindrucken. Schon mehr als einmal war sie diesem widerlichen Finsterling entkommen. Sie rannte den Gang ein Stück zurück und verschwand in einem Nebengang, den sie zuvor gesehen hatte.
Schnellen Schrittes war sie wieder auf dem sogenannten Hauptgang. Da sie nun wusste, auf was sie sich in diesem verzweigten Gangsystem einstellen musste, beschloss sie, die Nebengänge für sich auszunutzen. Wichtig war doch nur, dass sie die Hauptrichtung beibehielt.
Also schlug Anne nun häufiger einfach mal einen Seitengang ein und wechselte beliebig in die parallelen Gänge links und rechts vom Hauptgang. Auf diese Weise kam sie ganz gut voran. Das Monster schaffte es nicht mehr, sie mit einem plötzlichen Auftauchen von vorn zu überraschen. Anne wechselte fast immer rechtzeitig den Gang, bog freiwillig mal nach links oder rechts ab, hoffte das Ding damit zu verwirren, was anscheinend gut klappte.
Die Anwesenheit des Ungeheuers war nur noch durch die lauten Kratzgeräusche der Klinge spürbar, die mehrmals aus verschiedenen Richtungen zu hören waren und die Anne an die Nerven gingen.
Sie war gerade auf dem rechten Parallelgang, als der nur noch nach links abzweigte. Auf dem Hauptgang angekommen sah sie, dass dieser endete. Eine Treppe führte nach unten.
Mit Schrecken hörte Anne die Geräusche der Schwertklinge wieder lauter und leuchtete nach vorn. Das Monster kam aus dem anderen Parallelgang auf sie zu und schien sie durch seinen pyramidenförmigen Eisenhut hindurch anzustarren.
Anne fackelte nicht lange und eilte die Treppe hinunter. Dabei bemerkte sie, wie ihre Knie zitterten. Viel mehr laufen konnte sie bald nicht mehr.
Nach etlichen Schritten tauchte am Fuß der Treppe eine Tür auf. Seltsamerweise war diesmal kein Symbol darauf zu sehen.
Anne überlegte nicht lange und schritt durch die Tür. Plötzlich wehte ihr Luft entgegen. Sie war im Freien! Aber wo?
Hektisch leuchtete sie umher. Sie stand am Ausgang eines verrosteten Metallgebäudes. Scheinbar an einem Seiteneingang. Im Licht der Taschenlampe konnte sie schließlich eine eiserne Straße ausmachen, die an der Längsseite des Gebäudes vorbeiführte.
Sie glaubte hinter sich wieder die scharrenden Geräusche zu hören und ging langsam von dem Eingang auf die Straße. Auch gegenüber war ein riesiges Gebäude aus Metall.
Moment mal - diese Anordnung kam ihr doch bekannt vor! Dann erkannte sie es: das war die Rubenowstraße. Sie war aus der Alten Universitätsbibliothek herausgekommen und das riesige Gebäude vor ihr war das Audimax! Sie war also fast genau dort rausgekommen, wo sie sich von Tobias verabschiedet hatte.
Erleichtert fasste sie sich ans Herz. Dann wanderte ihre Hand zur Hosentasche. Die Flasche mit dem Wasser der Claudia war glücklicherweise immer noch da und sie war unversehrt.
Anne seufzte einmal, schüttelte sich und rannte die Straße hinunter. Gleich darauf hörte sie etwas entfernt ein lautes Scheppern und Poltern. Das dämonische Ding hatte offenbar die Eingangstür der Uni-Bibliothek zerschlagen.
Anne stolperte halb KO die vergitterte Eisenstraße entlang. Vor ihr tauchte plötzlich eine Figur auf. Jemand humpelte von links über die Straße auf den Eingang des Campus zu, genau dorthin, wo sie auch hinwollte.
"Tobias?", rief Anne fragend in den Wind. Es konnte ja nur er sein - welches Monster würde wohl humpeln. Wobei das natürlich kein gutes Zeichen war...
Die Gestalt blickte zu ihr rüber und hob im Humpeln die Hand. In Annes Gesichtszüge stahl sich ein Lächeln. Es war wirklich Tobias, wie sie nun auch selbst erkannte. Er änderte die Richtung, humpelte auf sie zu. Dabei sah er sich einmal kurz nervös um, wie Anne bemerkte.
Auch sie tat das und registrierte beklommen, wie weiter entfernt ein Schatten mit einem großen spitzen Hut die Straße betrat.
Dann wandte sie sich wieder Tobias zu. Bei der Hofeinfahrt zum Alten Campus trafen die Beiden endlich zusammen - genau dort, wo sie sich vor einer Weile verabschiedet hatten.
Tobias humpelte lächelnd auf sie zu. Gleich würden sie sich um die Arme fallen. 'Sovill Zeit mütt sein', dachte Anne.
"Bin ich froh dich zu sehen!", rief Anne ihm zu und wollte ihn umarmen. Doch mit einem Mal wurde Tobias mit großem Ruck von ihr weg und nach hinten gestoßen. Er machte einen Satz durch die Luft und lag gepresst auf dem Rücken. Nur vage bemerkte er, dass das Buch wieder ein seltsames Flüstern von sich gab.
"Was ist denn los?!", wunderte sich Anne. Auch das Fläschchen in ihrer Hosentasche spielte verrückt. Es drehte sich in der Tasche wild umher, drohte herauszuspringen. Anne hielt schnell eine Hand auf die Hosentasche.
Ausgerechnet jetzt wurde das scharrende Geräusch der Schwertklinge hörbar. Hektisch drehte Anne sich um. Nicht auch das noch!
Tobias rappelte sich in der Zeit mühsam hoch. Auch er schaute nach rechts Richtung Germanistik. Er meinte den Schatten des Vollstreckers bereits vor dem Gebäude sehen zu können.
"Schnell, wir müssen weg", meinte Anne und wollte Tobias helfen.
"Komm nicht näher", rief der und hielt die Hand von sich gestreckt. Da Anne doch schon ein paar Schritte gegangen war, rutschte Tobias plötzlich auf seinen Schuhen ein Stück von ihr weg.
"Ich werd verrückt...", begriff Anne. "Das sind die Gegenstände! Sie reagieren - wie es der Professor gesagt hat."
Tobias nickte nur und stellte sich aufrecht. "Sieht wohl so aus. Wir müssen einen Abstand zwischen uns lassen und so zum Professor."
Anne stimmte ihm zu und rief: "Und wir sollten schnell machen!" Dabei zeigte sie hinter sich.
Tobias schaute hin und bekam große Augen. "Noch ein Vollstrecker?", wunderte er sich.
"Wieso Vollstrecker?", erwiderte Anne, "und wieso noch einer?"
"Ich bin einer merkwürdigen Frau begegnet", meinte Tobias. "Die hat mir auch so einen Verfolger verpasst." Er zeigte zur Germanistik.
Jetzt sah Anne erst, was schräg gegenüber bei der Einfahrt zur Germanistik geschah. Ihr Herz rutschte in die Hose: ein weiteres Monster mit riesiger Klinge und einem pyramidenförmigen Hut kam dort in Sicht und betrat die Straße.
"Ein Grund mehr zu verschwinden", gab sie nervös von sich und schaute sich panisch um. Ihr Verfolger hatte schon gut aufgeholt.
"Los jetzt - zum Professor!", forderte sie Tobias auf. "Nur der kann uns jetzt helfen." Gleich darauf drehte sie sich zur Seite und eilte auf die Hofeinfahrt. Dabei hielt sie sich rechts nahe der Wand des Audimax und winkte Tobias zu sich. Erschrocken registrierte sie, dass ihr bizarrer Verfolger sie beinahe eingeholt hatte.
Tobias brauchte keine extra Einladung. Mittlerweile hatte sein Verfolger die Hälfte der Straße hinter sich und auch der Vollstrecker von Anne - oder besser für Anne - war gleich an der Ecke des Audimax und war nun als gleichartiges Gegenstück zum anderen Verfolger zu erkennen.
Schnell humpelte Tobias ohne große Verzögerung auf die Einfahrt und hielt sich so weit wie möglich links dabei. Auf diese Weise konnten er und Anne mit einigem Abstand zueinander gleichmäßig den Campus überqueren.
"Bei mir war diese Frau übrigens auch", rief Anne ihm im Laufen mit nervöser Stimme zu. Ihr Gegenüber sagte nichts dazu, brauchte jeden Luftzug zum Weiterkommen.
Hinter ihnen langten in diesem Moment beide Vollstrecker nahezu gleichzeitig bei der Hofeinfahrt an und folgten jeweils ihrem auserkorenen Opfer.
Nervös registrierten Anne und Tobias, wie nun zwei riesige Schwertschneiden zu hören waren, die fast im Gleichtakt über den Eisenboden des Campus schabten. Sie hofften, dass der Professor alles vorbereitet hatte und dass er irgendwas gegen diese Monster parat haben würde.
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So - Anne und Tobias kommen nun also endlich wieder beim Professor an. Die finale Konfrontation steht damit bevor.
Was wird dabei geschehen? Geht alles gut aus?
Aber wie wollen sie das Ritual durchführen mit diesen Verfolgern?
Schon bald werden diese Fragen beantwortet werden 😁😉
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