1. Unerwarteter Ausfall
Tobias starrte nervös auf seine Uhr. Schon 10:12 Uhr! Vom Dozenten war noch nichts zu sehen. Okay, das musste natürlich nichts heißen an einer Universität. Aber trotzdem! Von einem amerikanischen Gast-Dozenten hatte er ein wenig mehr Pünktlichkeit erwartet.
"Na, schon aufgeregt?", raunte ihm Anne von der Seite zu. Das riss Tobias aus seiner Anspannung. "Warum sollte ich!", erwiderte er selbstbewusst. "Nur weil er auf Englisch doziert? Das kriegen wir doch schon hin!"
"Auf jeden!", griente Anne. Sie und Tobias hatten sich aus zwei Gründen für dieses Seminar gemeldet. Erstens klang es total spannend. Okkulte Sekten des 19. Jahrhunderts - ich meine, hallo?! Was Interessanteres an dieser Uni konnte man doch gar nicht machen! Immerhin tausendmal besser als Hanse-Geschichte bei Herrn Wernicke.
Zweitens gehörte das Seminar zum bilingualen Programm der inter-Studies. Das heißt, dass das Seminar durchgehend auf Englisch gehalten werden wird. Dafür bekam man dann ein schönes Zertifikat für seine Unterlagen. Wenn das mal nichts ist!
Tobias öffnete seinen Ordner und schrieb schon mal die Überschrift hin. Einen bestimmten Grund hatte er dafür nicht. Irgendwas musste man doch aber bis zum Beginn des Seminars machen.
"Bin schon gespannt, was für Sekten er vorstellen will!", meinte Anne neben ihm. Tobias zuckte mit den Achseln. "Da gibt's ja jede Menge", war sein Einwand.
Mittlerweile war es schon 10:15 Uhr. Eigentlich sollte das Seminar jetzt beginnen, aber noch immer fehlte jede Spur vom Professor.
"Nicht, dass der jetzt noch krank ist!", , meinte Anne aufgeregt. "Wie schnell können Amerikaner sich bei uns was wegholen!"
"Quatsch!", widersprach Tobias. "Das sind doch Klischees! Wir haben doch nicht so viel andere Viren, als die da drüben."
"Na ja, trotzdem", erwiderte Anne naserümpfend. "Bei solchen Typen ist alles möglich."
Tobias rollte daraufhin mit den Augen und schüttelte den Kopf. Weiß der Geier, was Anne mit "solchen Typen" meinte - er jedenfalls war gegen jede Art von Schubladendenken.
Mittlerweile wurde es etwas unruhig im Hörsaal. Scheinbar begriffen immer mehr, dass der amerikanische Gast-Professor spät dran war. Die Gespräche um Tobias und Anne herum wurden immer lauter.
Endlich ging die Tür auf und jemand Neues betrat den Raum. Aber man konnte gleich erkennen, dass das nicht der Professor sein konnte. Der Student mit den lockigen kurzen Haaren war eindeutig zu jung.
Unruhig blieb er am Eingang stehen und sah sich in dem Raum um. Als endlich alle etwas ruhiger waren, weil sie ihn sahen, rief er in den Saal hinein: "Sie sind alle wegen Professor Hayden hier?"
Ein Nicken und zustimmendes Murmeln war die Antwort. Der Student versuchte eine feste Miene aufzusetzen, als er sagte: "Ich muss ihnen leider mitteilen, dass das Seminar bis auf Weiteres ausfällt."
Jetzt wurde das Murmeln im Raum lauter und unruhig. Tobias und Anne sahen sich an. Was soll das denn?
Anne, in ihrer unkomplizierten Art, meldete sich sofort. Der Student, scheinbar die Hilfskraft des Professors, nickte ihr zu. "Darf man fragen, warum?", rief Anne daraufhin laut nach vorn.
"Der Professor ist verschwunden." kam prompt die Antwort. Tobias sah erstaunt drein. Im Saal wurde es ziemlich still. Alle erwarteten, dass der Student noch mehr sagen würde, doch das tat er nicht.
Er stand lediglich bewegungslos da, die Hände hilflos in den Taschen. Sein Blick aber glitt unruhig hin und her. Etwas Verschwörerisches und Angstvolles funkelte aus seinen Augen.
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