Weisheit und Träume

@writing_biscuit hat bzw. haben einen Contest organisiert. Dafür ist dies. Ich wollte die Geschichte eigentlich wie inzwischen üblich aufsplitten, habe aber keine geeignete Stelle dafür. Deshalb werdet ihr jetzt einfach mal ein sehr langes Kapitel zu lesen bekommen. Dieser Abschnitt gehört NICHT zu meinem Beitrag für den Contest; der Beitrag beginnt mit dem folgenden Absatz.

Die Welt ist ein Kunstwerk, und der Mensch ist Ebenbild Gottes. Ich hoffe, dass ihr euch bereits dessen bewusst seid, denn jeder hat das Glück, es mehr oder weniger überdeutlich demonstriert zu bekommen, und sollte es von sich aus merken. Ich will jetzt aber auch keine großen moralischen Reden schwingen, vielmehr meine besondere Geschichte erzählen, wie ich all dies erst begriffen habe. Ich war Zeit meines Lebens Philosoph gewesen, hatte in verzweifelter Ahnungslosigkeit die Welt zu erklären versucht. Ich hatte Konzepte gefunden und Muster in dieser diversen Welt, und diese als alles, aber nicht als das Wunder, das sie ist, gesehen.
Eines Tages erschien mir Gott, den ich nicht kannte. Ich wusste irgendwie, dass ich nach ihm gesucht hatte, und rief freudig "Heureka!" Und Gott war nicht zornig, dabei hatte ich ihn so lange verkannt. Drei Wünsche gab er mir, die ich frei hätte.
Ich war Feuer und Flamme, naiv wie die, die ich immer verspottet hatte. "Ich will alles über unsere Welt wissen!", tönte ich, ohne zu zögern. Gott sprach: "Du bist endlich. Dein Wunsch ist unerfüllbar. Ich weiß aber etwas anderes. Du kannst zwar nicht alles nehmen, aber ich kann dir alles geben." Und siehe da, Gott tat was nur er tun kann - er veränderte mich. Ich war von nun an kein Mensch mehr, sondern ein undefinierbares, fremdartiges Wesen. Und ich wurde gerade von einem mir mittlerweile ähnlichen Wesen über die Menschheit und ihre Geschichte aufgeklärt. "Die Menschen waren mal ein übergroßes, heterogenes Volk auf dem wunderbaren, kleinen Planeten Erde" begann dieses, "das aus seinen Möglichkeiten wenig gemacht hat." Es folgte ein ausführlicher Vortrag über die Menschheit und ihre Geschichte, von dem ich die Einzelheiten nicht mehr alle weiß.
"Gott" rief ich dann, "zeig mir doch das Wesen der Menschen." Er brachte mir den menschlichen Körper nahe, dessen Funktionen ich nach und nach erfasste; ich hatte zwar Schwierigkeiten, Nerven oder Hormone zu verstehen, was aber noch irgendwie ging. Doch dann, am Ende der Lehrstunde, ging es um das Gehirn, Gottes Keim im Menschen. Ich verstand nicht viel, weil es zu komplex war, verzweifelte und war einfach nur frustriert. Als ich wieder einigermaßen normal war, kam mir dann aber die Idee, einfach die eine konkrete Frage zu stellen,
die über allen stand: " Wo genau ist denn dein Keimling?" "Der ist beinahe überall", antwortete Gott. "Siehst du ihn?" Ich sah ihn natürlich nicht, was ich auch sagte. Gott fragte: " Wenn du ihn nicht siehst, kann er dann nicht trotzdem darin sein?" "Das weiß ich nicht", entgegnete ich, "vielleicht übersehe ich ihn." Gott antwortete nicht, aber er ließ mich dafür fühlen, dass dies die richtige Antwort war. Weil ich aus meinem früheren Leben gelernt hatte, wie unglücklich es macht, Fragen nachzuhängen, um deren Antwortlosigkeit man sicher weiß, fragte ich nach etwas Anderem, dass mir aufgefallen war: " Menschen müssen ja schlafen. Im Gehirn werden dabei aber regelrechte Luftschlösser aufgesucht. Mal sind es prächtige Bauten, mal blühende Gärten, zuweilen Orte zur Vergnügung jeder Art. Aber es gibt auch gruselige Burgen mit schrecklichen Fallen und mit schwerbewaffneten Feinden, in deren Schwerter du blickst. Was ist das und kann man diese Schlösser auch auf der Erde bauen?"
Gott schwieg, antwortete dann recht lapidar: "Die Schlösser sind gegeben, wer in ein Schloss hinein gegangen ist und es dann durch seine Erinnerung nachbauen kann, der braucht nichts als Steine. Und der Mensch muss schlafen, aber dies soll nun mal nicht Tod auf Bewährung sein." Man nenne diese Erkundungen von Luftschlössern Träume, fügte er noch hinzu, "und du fühlst mindestens wie im echten Leben." "Aber..."; ich stockte, denn es sollte eine Ungeheuerlichkeit folgen, "ist der Mensch dann nicht der Erde untreu?"
Gott antwortete höchst überraschend. Womit auch immer, damit hatte ich nicht gerechnet. "War der Mensch jemals ein treues Wesen?", fragte er nämlich und schwieg dann wieder. Ich hatte begonnen, die falschen Fragen zu stellen. Denn einerlei, was philosophisch von Träumen zu halten ist: Sie gehören zum Leben, und ich, gerade ich, wusste doch nur zu gut das eine: Mein Schicksal war mein Schicksal. Ich hatte geträumt und würde träumen, ob dies nun moralisch ist oder verwerflich oder nichts von beiden, mein Gehirn würde es einfach tun.
Später öffnete ich meine Augen wieder; ich fand keine Spuren davon, ein Luftschloss betreten zu haben. Gott hatte mich also tatsächlich zu Tod auf Bewährung verurteilt - was er häufig bei allen möglichen Menschen tut - und mich dann vom traumlosen Schlafe wiederbelebt. All dies war geschehen, weil ich zu viel gedacht hatte. Die Augen waren naturgemäß verklebt und vom heiligen Licht geblendet. Und Gottes Erscheinung, die nun noch majestätischer wirkte, sofern dies überhaupt noch ging, sprach: "Du hast viel geäußert. Aber an wirklichen Wünschen hast du zwei. Du wünschst dir zum Einen Weisheit. Ich habe zu dem Zweck dich auf diese Reisen geschickt, auf dass du lernen mögest, was wirklich zählt. Zum Zweiten wünschst du dir Leben. Zwar wehrte sich eben dein falscher Verstand dagegen, doch dies ist
dein zweiter, wahrer Wunsch. Zum dritten beschütze ich dich. Das hattest Du vollkommen verkannt in deiner Menschlichkeit, aber du brauchst es. Ich beschütze dich nun auch vor falscher Klugheit, denn du musst weise sein."
Ich hoffe, dass Gott noch denen erscheinen möge, die es brauchen, so wie ich. Vielleicht erscheint er ja jedem eines Tages, vielleicht auch, sofern dies sein kann, in einem anderen Leben. Wir wissen ja schon, dass es zumindest Träume gibt.

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