Gottheiten

Sie mochte Kinder so gern. Wie sie spielten und tobten, weinten und lachten. So unverfroren wie -verdorben. Und so sollte auch ihr Sohn Maurice sein, bis in seinen Geist hinein. Sie ließ ihn viel lachen, ließ ihn sich freuen. Wenn er dann wieder in seinem Stuhl saß, ging ihr das Herz ganz auf.

Sie las ihm immer vor, Kinderbücher. Er mochte sie. Auch als andere Kinder schon andere Bücher bekamen. Nur die alten Mythologien, die hatten einen gewissen Reiz auf ihn. Aber Maren war dagegen. Dies waren nicht die Gedanken, die sie ihrem Sohn wünschte. Er quengelte und drängelte, aber ohne Erfolg.

Nun hatte er dann aber wirklich genug der Kinderbücher, und Maren sah es ein. Anstelle eines weiteren, letzten Kinderbuches kramte sie, was da gut versteckt, heraus - ein spannendes Buch. Alles was die griechische Mythologie so an Geschichten hervorgebracht hatte, war darin erzählt. Sie las vor, er hörte zu – und bat darum, es selber lesen zu dürfen, trotz seiner Schwierigkeiten damit. Er durfte. Und vergaß bald die Qualen, so unterhaltsam war es. Ein paar Dinge verstand er nicht. Aber die konnte man ihm verständlich machen.

Nach einer gewissen Zeit kam der Abend, da er fertig war. Er wollte nun wissen: „Diese Götter - warum sind die so?" Maren hatte das selbst ansprechen wollen, erklärte ihrem Sohn: „Früher wollte man so sein. Sie sind unsterblich, ewig, mächtig. Dazu sind sie stark und schön, gewinnen, töten und lieben, bezeugt durch Feuer und Wasser(1)." „Mehr wollte man nicht?", fragte er. Damit hatte Maren gar nicht gerechnet. Sie machte „Ähm", dachte angestrengt nach. „Ich finde", kam ihr Sohn ihr zuvor, „die sind echt arm dran. Sie leben so lange, immer das Gleiche, keine Bücher; immer Nektar, Ambrosia. Und nur wenn etwas Wichtiges passiert auf der Erde, dann passiert auch in ihrem Leben etwas. Also, ich lebe immer. In jeder Sekunde. Auch wenn's nicht wichtig ist."

Maren sah ihn an, dann ging es nicht mehr. Denn da war er: ihr Sohn, von Anbeginn krank, und niemals gesund gewesen. Nun lag er hier seit Tagen – ungewiss, was mit ihm geschehen würde. „Du", durchbrach er die Stille, „lebst noch mehr als ich. Das ist schön." Ihre Tränen sprudelten, sie konnte sich nicht mehr halten. Sie gab ihm einen Kuss, legte beide Hände auf seine Haut. Und sagte nur noch ein Wort: „Danke." War sie doch offensichtlich mehr in sich selbst gefangen gewesen als ihr Kind, welches nie laufen konnte.

1) Abgewandelt von „Brunhild" (Saltatio Mortis)

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