Hals über Kopf

Lotte:
Mit einem schniefen zog ich meine Nase hoch und wischte mit meinem Arm die Tränen aus meinem Gesicht, als der Bus mit der Band nicht mehr zu sehen war.
Langsam machte ich mich auf den Weg zur S-Bahn Station und fuhr nach Hause.
Wie ich dieses ständige Bahn fahren hasste. Die Waggons waren immer überfüllt und die Passagiere waren meist komische Gestalten, die noch komischer rochen. Gerade abends.
Aus eben diesen Gründen holte Vincent mich meistens nach der Spätschicht mit dem Auto ab und brachte mich nach Hause.
Aus Spaß nannte er sich gerne „Morton", wie der Chauffeur der drei Fragezeichen, da er ja nicht nur mich, sondern auch Dag, ständig durch die Hauptstadt kutschierte.
Es wurde Zeit, dass ich mir auch einen Wagen kaufte. Zwar konnte ich mir nicht so einen schicken schwarzen BMW leisten, wie der Produzent einen fuhr, aber ein kleiner Flitzer sollte drin sein. Immerhin sparte ich schon ewig dafür.
In meiner Wohnung angekommen durchforstete ich das Internet und fand einen alten Tigra, der fast in mein Budget passte und machte mit dem Verkäufer noch am selben Tag einen Termin aus.
Ich fuhr alles an Charme auf, was ich besaß und schaffte es tatsächlich den älteren Herren soweit runter zu handeln, dass ich mir den fahrbaren Untersatz leisten konnte.
Mit dem Verkäufer verabredete ich mich in der kommenden Woche und hoffte, dass Vincent Zeit hatte mein neues Baby mit mir zusammen abzuholen.
Es goss wie aus Eimern, als ich mich von dem Mann verabschiedete. Gerade als ich die Auffahrt seines Hauses verlassen hatte, rief er mich noch einmal zurück. „Ich kann sie doch nicht bei diesem Wetter zur Haltestelle laufen lassen. Sie sehen vertrauenswürdig aus, nehmen sie den Wagen, er ist noch diesen Monat angemeldet." er lächelte freundlich und hielt mir die Schlüssel entgegen.
Im ersten Moment wusste ich nicht wie ich reagieren sollte und starrte ihn nur ungläubig an. „Mädchen, es ist alles gut. Fahren sie nach Hause, ich habe ja ihren Namen und ihre Adresse und ich denke ich habe genug Menschenkenntnis, dass ich mir sicher sein kann, dass sie mich nicht über das Ohr hauen." noch immer mit einem breiten Grinsen im Gesicht nickte der Mann in die Richtung in der der kleine schwarze Opel geparkt war.
„Oh Gott, vielen vielen Dank! Ich werde ihnen direkt am Montag das Geld bringen. Danke!" überschwänglich bedankte ich mich noch mehrere Male, sprintete dann zu dem Wagen und lies mich auf die roten Ledersitze fallen. Schon fast ehrfürchtig strich ich über das Lenkrad und konnte mein Glück noch nicht ganz fassen. Endlich war ich unabhängig und nicht mehr auf die Öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Breit grinsend steckte ich den Schlüssel ins Zündschloss und startete den Motor.
Zwar war ich schon länger nicht mehr selbst Auto gefahren, aber das ist ähnlich wie mit dem Fahrradfahren, man verlernt es nicht. Auf der Stadtautobahn fühlte ich mich schon, als hätte ich nie aufgehört.
Das Radio lief und plötzlich setzte ich, wie von Sinnen, den Blinker und fuhr in Richtung A2.
Celine Dions Stimme schallte in meinen Ohren.

I had to escape, the city was sticky and cruel
Maybe I should have called you first
But I was dying to get to you
I was dreaming while I drove
The long straight road ahead, uh-huh, yeah
Could taste your sweet kisses, your arms open wide
This fever for you was just burning me up inside
I drove all night to get to you
Is that all right?
I drove all night, crept in your room
Woke you from your sleep to make love to you
Is that all right?
I drove all night*

Genau das war es, was ich vorhatte.
Ich wollte zu dem Festival fahren, auf dem die Jungs morgen spielen sollten. Ob das eine gute Idee war, wusste ich nicht. Auch dass Vincent mich schon 10 mal versucht hatte anzurufen registrierte ich erst, als ich zwei Stunden später  meine erste Pause machte.
Es hatte nur einmal geläutet, als mein Freund das Gespräch annahm.
„Lotte, wo warst du? Ich hab mir sorgen gemacht!" rief er halb wütend halb besorgt in den Hörer.
„Sorry, ich war mit den Mädels einen Cocktail trinken und hatte mein Handy zu Hause vergessen" log ich und war glücklich, dass Vince mich jetzt nicht sehen konnte. Lügen ohne Rot zu werden, war etwas, was ich definitiv nicht konnte, aber ich wollte ihm auch nicht verraten, dass ich mit meinem neuen Auto Hals über Kopf auf dem Weg zum Deichbrand war um ihn zu überraschen.
„Dann kannst du ja froh sein, dass nichts passiert ist. Wir sind übrigens gut angekommen und genießen den Abend, bevor wir morgen den Norden rocken" die Stimme des Berliners wurde wieder normaler und ich konnte hören wie er sich entspannte.
Ich atmete erleichtert auf, weil er mir meine Story abkaufte.
Im Hintergrund vernahm ich die bekannten Stimmen der Band, die das genießen wohl mit dem ein oder anderen alkoholischen Getränk veredelten.
„Ich will dich nicht abwürgen, aber ich bin total müde und möchte einfach nur noch ins Bett. Außerdem klingt es ganz danach, als ob du von den Jungs vermisst wirst" lachte ich und legte, nach den obligatorischen gute Nacht wünschen, auf um meine Fahrt weiterzuführen.
Drei Stunden später kam ich am Festivalgelände an und erst da fiel mir auf, dass ich ja nicht einfach so zu den Artists gehen konnte, geschweige denn wirklich auf den Parkplatz fahren, da ich kein Ticket hatte.
Schnell schmiedete ich einen Plan und wählte in meinen WhatsApp Chats die letzte Konversation mit Dag aus.

* I drove all night - Celine Dion

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