Kapitel 4

Die schwarzgedruckten Worte werden ganz unten übersetzt.
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Nach einer fast fünf stündigen Reise parkte der große, weiße Bus endlich. Ich streckte meine Arme aus und versuchte meinen versteiften Rücken etwas zu lockern. Verschlafen sah ich aus dem Fenster, doch erkennen konnte ich leider nicht viel, da die Dunkelheit schon eingesetzt hatte.
Die Leute drängten sich gegenseitig zur Tür und schienen eine  Art Wettlauf zu machen. Jeden schien es am wichtigsten zu sein, als erstes rauszukommen. Doch ich hatte es nicht so eilig, ganz im Gegenteil, eigentlich wollte ich noch gar nicht aussteigen. Die Gewissheit, dass mein Leben ab diesem Moment vollkommen anders verlaufen würde, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich blieb noch ein Weilchen sitzen, bis auch der Letzte ausgestiegen war, bevor ich mich seufzend bückte und meinen dunkelgrünen Rucksack suchte, der noch immer irgendwo auf dem dunklen Boden lag.
Mit gemischten Gefühlen stieg ich aus. Ein neues Kapitel fing jetzt für mich an und ich wusste noch nicht so recht, wie ich damit umgehen sollte. Ich war froh, Ms Valeria endlich bald wiederzusehen, aber andererseits machte mich das nervös. Was dachte sie jetzt über mich? Ein gut erzogenes, christliches Mädchen, das jetzt schwanger war! Unverheiratet!  Wirklich toll. Sowas kam nicht alle Tage vor. Schnell schob ich den Gedanken beiseite, da ich wahrscheinlich schon früh genug erfahren würde, wie meine neue Chefin dazu stand.
Ich ging auf das große Gebäude zu, dass sich vor mir erhob. Die Wörter "Bus Station" standen in großen, leuchtenden Buchstaben an der Wand über dem Eingang und vor der transparenten Glastür standen zwei, ernst dreinblickende Männer in Uniform, deren Augen ständig die Gegend absuchten. Etwas nervös ging ich an ihnen vorbei und betrat die riesige Halle. Plötzlich fiel mir ein, dass ich meinen Koffer noch nicht bei mir hatte. Schnell machte ich kehrt und lief noch einmal raus zum Bus, wo noch die letzten Taschen, im Schein einer Taschenlampe, auf ihre Eigentümer warteten. Trotz der spärlichen Beleuchtung fand ich meinen Koffer recht schnell und griff danach, um mich anschließend wieder nach drinnen zu begeben. Ich zog am Griff, doch der Koffer rollte keinen Zentimeter. Was war denn los? Entschlossen zog ich erneut daran, doch er rührte sich nicht von der Stelle. Peinlich berührt blickte ich umher und hoffte inständig, dass niemand mich beachtete. Wieder zog ich am Koffer und diesmal mit all meiner Kraft, aber dieser bewegte sich nicht. Wieso hatte ich auch so unendlich viel mitnehmen wollen? Ich entschloss, es noch einmal zu versuchen, doch plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter. Oh, oh, gar nicht gut. Mir schoss eine unangenehme Hitze  ins Gesicht. Jemand müsste Zeuge meines verzweifelten Versuchs gewesen sein, mein Gepäck zu retten. Langsam drehte ich mich um und sah in ein faltiges Gesicht, das von längeren, grauen Haaren umrahmt war. Seine blaue Augen musterten mich neugierig. Mein Blick glitt runter zu seiner Uniform. Auf einem kleinen Schildchen auf seiner Brust stand der Name "Hawkins".
„Darf ich?" Seine raue Stimme klang amüsiert und seine Mundwinkel zuckten verdächtig nach oben. Eine weitere Hitzewelle durchflutete meinen Körper und meine, inzwischen bestimmt schon ziemlich rote Wangen brannten. Schweigend nickte ich und trat einen Schritt zurück. Dieser bückte sich und befreite eines der kleinen Rädchen des Koffers, das in einem Loch im Betonboden eingeklemmt war. Ich senkte meinen Kopf und hoffte, dass mir ein paar Haarsträhnen sich meiner erbarmten und mir das Gesicht etwas verdeckten.
Er erhob sich wieder und nickte mir zu. „Soll ich ihn für Sie reinbringen, Miss?"
Vehement schüttelte ich den Kopf. „Nein, Sir, vielen Dank für ihre Hilfe und ihr Angebot", stammelte ich.  Unsicher sah der Mann mich an und runzelte die Stirn. „Sind sie sicher?
„Ja, sir". Ich war mir ganz und gar nicht sicher, wie ich das machen sollte, aber irgendwie müsste ich es schon alleine schaffen.
Dieser nickte kurz und trat zur Seite. Verlegen griff ich nach meinem Koffer und zog ihn hinter mir her. Ich stöhnte innerlich, denn ich musste kräftig ziehen, um diese Last vorwärts zu schleppen. Als ich näher zum Eingang kam, sah ich, dass der jüngere Wächter mich mit einem Grinsen bedachte. Mist! Er versuchte nicht einmal seine Belustigung zu verstecken. Schnell senkte ich meinen hochroten Kopf und starrte auf den Boden vor mir. Ich versuchte so zu tun, als hätte ich absolut keine Ahnung, dass er überhaupt existierte. Nur noch ein paar Schritte, dann wäre ich wieder drinnen.
„Immer schön ziehen, Miss". Seine Worte ließen mich zusammen zucken. Ich konnte nicht verhindern kurz in seine Richtung zu schauen. Sein freches Grinsen bedeckte mittlerweile sein ganzes Gesicht und ließ den Blick auf seine schiefen Zähne frei. Unverhohlen sah er mich an. Wut keimte in mir auf und ich schenkte ihm meinen besten Killer-Blick. „Sehr witzig!", schnauzte ich ihn keuchend an und hörte noch sein lautes, widerlichen Lachen, bevor ich schnell die Tür hinter mir schloss. Erleichtert und müde löste ich meinen schmerzenden Arm von dem Griff und massierte ihn ein wenig. Ich warf einen Blick auf die riesige Uhr, die vorne an der Wand angebracht war und die gerade 9:10 Uhr anzeigte. Unschlüssig stand ich mitten im Raum und wünschte mir, dass Ms Valeria bald da wäre. Wie aufs Stichwort vibrierte mein Handy und ich ließ den Rucksack auf den gekachelten Boden fallen, bevor ich es herauszog. Die Nachricht war tatsächlich von Ms Valeria.
Lo siento, mi niña, ich habe mich etwas verspätet, aber ich werde bald bei dir sein, si?" Ich antwortete schnell mit einem ”Kein Problem" und entschloss, mich hier so lange ein bisschen umzusehen. Langsam schlenderte ich durch das Gebäude und kam an einem kleinen Café vorbei, das von einer laut quatschenden Gruppe von Teenagern besetzt war. Ruhig ging ich weiter und beobachtete die Reisenden, die eilig in alle Richtungen strömten.  Einige waren sehr traditionell gekleidet, wieder andere sahen aus, als kämen sie von einem, bisher unentdeckten Planeten.
Ohne es bemerkt zu haben, war ich an einem kleinen Juwelier Laden angekommen. Für Schmuck hatte ich schon immer eine Schwäche, auch wenn das Tragen jeglichen Schmucks im Dorf streng verboten war.
Viele teuer glänzende Ringe befanden sich unter der Glas Vitrine. Einige waren mit größeren, andere mit kleineren Diamanten bestückt. Sehnsuchtsvoll starrte ich auf einen, der mit klitzekleinen Perlen verziert war und bestimmt ein Vermögen kosten musste. Ich hatte zwar nicht wenig verdient in die letzten 5 Jahre, als ich noch in der Bäckerei gearbeitet hatte, anfangs nur part-time und nach meinem Schulabschluss full-time, aber soviel nun auch wieder nicht, dass ich mir Schätze wie diese leisten konnte. Zumindest nicht, wenn ich an meine neue Zukunft dachte. Ein paar Vitrinen weiter befanden sich billigere Ringe. Sie hatten zwar keine besonderen Verzierungen, aber sahen trotzdem schön aus. Innerlich focht ich einen Kampf aus, ob ich mir einen kaufen sollte oder nicht. Meine Mam hätte sicher nichts dagegen gehabt, aber meine ganze Nachbarschaft hätte mich als "weltlich" abgestempelt. Außerdem war ich jetzt weit weg von all dem und um ehrlich zu sein, hatte ich mir schon lange damit abgefunden, anders anders als sie zu sein. Ohne weiter zu überlegen entschied ich mich für einen silbernen Ring,  nachdem ich die passende Größe gefunden hatte und gab der jungen Verkäuferin das Geld, die mich abschätzend ansah. Sie schnaubte verächtlich und schüttelte den Kopf, wobei ihre pinken Haare wild um ihr Gesicht tanzten. Nur zu gut wusste ich, dass sie erkannte, dass ich wohl zu den religiösen Menschen gehörte. Aber nur weil ich einen Rock trug war ich nicht weniger Wert als sie und schon gar nicht in Gottes Augen. Leicht verunsichert über ihre Reaktion, runzelte ich die Stirn und drehte mich schnell um. Ich entschloss, dass ich ihr nicht weiter Beachtung schenken  würde und wieder zurück zu meinen Sachen gehen, um auf Ms Valeria zu warten.
Nach ungefähr 15 Minuten sah ich sie endlich auf mich zukommen. Sie bannte sich einen Weg durch die Menschenmenge und winkte mir zu, nachdem sie mich erspäht hatte. Die vierzig Jährige kam auf mich zu und begrüßte mich herzlich mit einer festen Umarmung. Ich fühlte mich ein bisschen überrumpelt von dieser netten Geste, denn physischer Kontakt mit Menschen außerhalb meiner Familie, war nicht so mein Ding. Unbeholfen und etwas steif erwiderte ich die Umarmung.
„Ich bin so froh, dich wiederzusehen, Leah", quietschte Ms Valeria mir mit ihrem spanischen Akzent ins Ohr.
Wow. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, wie unsere erste Begegnung wohl wäre, aber dass sie genauso nett wäre wie sonst, hatte ich mir nicht vorstellen können. Erleichtert und irgendwie auch als Dankeschön, dass sie mich nicht verdammte, drückte ich sie leicht.
Sie löste sich von mir und strahlte mich freudig an. „Ich hab mich so gefreut, als du mich um den Job gebeten hast. Herzlich willkommen!" Begeistert nahm sie meine Hände und kicherte leise.
"Ms Valeria, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass ich bei Ihnen arbeiten darf. Danke, dass Sie mich aufnehmen".
Ich war überwältigt von ihrer ehrlichen Freude, doch ich hätte nichts dagegen, wenn sie endlich meine Hände loslassen würde.
„Ach, das war doch selbstverständlich, mi niña". Liebevoll sah sie mich an. „Du bist zu jeder Zeit sehr willkommen". Sie schenkte mir ein herzliches Lächeln. „Aber jetzt ab nach Hause, Kind. Du hast eine lange Reise hinter dir!" Sie zehrte mich an der Hand nach draußen und zeigte auf einen blonden Jungen, der nicht mehr als 16 sein konnte. „Und der kümmert sich um deine Sachen".
Ich musste schmunzeln bei der Vorstellung, wie der schäbige Kerl sich mit meinen Sachen abplagte.
Valeria riss die Tür zu ihrem Mini-Van auf und trat zurück, damit ich mich hinein setzen konnte. Dankbar lächelte ich sie an und ließ mich erschöpft in den Sitz fallen. Müde seufzte ich und war froh, dass es nur noch ungefähr 10 Kilometer bis zum Hotel waren.
Als endlich meine Sachen im Van verstaut waren mithilfe eines Arbeiters, der in der Station arbeitete und der Laufbursche auch eingestiegen war, fuhren wir los und ich hoffte inständig, dass der Weg nicht zu furchtbar holprig wäre.

Übersetzung: ”Tut mir leid, mein Kind/Mädchen, ich habe mich etwas verspätet, aber ich werde bald bei dir sein, ja?"

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