Kapitel 28

ROYS SICHT:

Mit einem mulmigen Gefühl in der Magendgegend lag ich auf dem Bett eines billigen Hotelzimmers, das ich in der Nähe der Bus Station entdeckt hatte. Gedankenverloren lauschte ich den Regentropfen, die laut auf das alte Blechdach klopften. Schnell warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr. Kurz vor 10 Uhr morgens. So spät schon und ich lag immer noch hier und wartete darauf, dass der heftige Regen endlich nachließ.
Der muffige Geruch, der seit gestern Abend nur noch stärker geworden war, bescherte mir langsam eine Übelkeit. Oder vielleicht kam die auch von meinem schlechten Gewissen? Wie aufs Stichwort meldete es sich wieder lautstark, als ich an das Mädchen mit dem pinken Haar dachte, dem ich gestern begegnet war. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, dass es enden würde.
Ich ließ das Ganze vor meinem geistigen Auge Revue passieren. Wie ich ihr zu den Schließfächern gefolgt war und sie mir anschließend unauffällig einen Schlüssel in die Hand gedrückt hatte. Als ich das passende Fach geöffnet und gesehen hatte, dass es sich bei diesem "kleinen Nebenjob" um weißes Pulver, ohne Zweifel Drogen, handelte, war bei mir ein Schalter umgelegt worden. Der Agressivitätsschalter. Ich war zwar froh, dass ich das kleine Päckchen mit dem weißen Pulver genommen hatte und ihr in das Mädchenklo gefolgt war, aber das, was danach passierte, beschämte mich zutiefst. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie ein paar blaue Flecken am Handgelenk davon getragen hatte. So wie ich sie grob am Arm gepackt und unsanft an die Wand gedrückt hatte, während ich ihr bedrohlich leise klar machte, dass ich nichts mir so einem Zeug zu tun hatte und sie die Finger auch besser davon lassen sollte, war es unvermeidbar, Spuren zu hinterlassen.
Gestresst fuhr ich mir mit der Hand durchs Haar und seufzte laut. Wie konnte ich nur?! Das war mir so furchtbar peinlich, denn so hatte mir mein Vater den Umgang mit Frauen nicht beigebracht. Unter normalen Umständen hätte ich auch nie und nimmer so reagiert, das gestern hatte ich wohl der Verzweiflung und der Panik zu verdanken, aber diese Entschuldigung machte das Geschehene auch nicht besser. Aber wer dealte in einer Bus Station auch schon mit Drogen, wo es Unmengen an Kameras gab? Ein ungemütlicher Aufenthalt im fremden Polizei Revier, falls man mich mit dem Päckchen erwischt hätte, wäre kein so guter Start ins neue Leben, dass ich fest entschlossen war, anzufangen.
Das Dumme an dieser Entscheidung war, dass ich das nicht allein zu bestimmen hatte. Ich musste erst herausfinden, ob Leah das auch wollte, oder ob da vielleicht noch ein anderer Grund hinter ihrem Verschwinden steckte.

Als der Regen nach über einer halben Stunde endlich nachgelassen hatte, schwang ich mich eiligst aus dem knarzenden Bett und ging energisch auf die Tür zu, während ich nach meinem Rucksack griff, der auf dem kleinen Ecktischchen lag.
Die Luft draußen war angenehm und ich war froh, endlich dem stickigen Zimmer entfliehen zu können. Winzige, kalte Tröpfchen befeuchteten meine Haut, aber das dtörrte mich nicht.
In Gedanken ging ich noch einmal Mrs. Andersons Worte durch, bevor ich die Tür verschloss und auf den nassen Asphalt zusteuerte. Sie hatte vom "Grünen Paradies" geredet und von einer Miss Valeria. Das war ein guter Anfang.
Nachdenklich wandte ich den Kopf hin und her, auf der Suche nach irgendjemandem, der aussah, als wohne er hier und nicht nur ein Tourist war. Ich sah ein paar einzelne Fußgänger hier und da, hin und wieder ein Auto, das in diese einsame Straße bog, aber ansonsten war nicht viel los. Ich entschloss, ein Stückchen zu gehen, in der Hoffnung, dass ein paar Blocks weiter regeres Treiben herrsche.
Und so war es auch. Ein paar kleine Einkaufswaren Läden und andere Shops schmückten die alten Gassen und der Verkehr war belebter. Zielsicher ging ich auf den ersten Laden zu, der ein paar Meter die Straße herauf war und musste mich leicht bücken, um durch den niedrigen,verstaubten Türrahmen zu gehen. Stille umgab mich. Nur das Hupen und Vorbeifahren der Autos drang zu mir herüber, aber von einer Menschenseele war in diesem Raum weder zu hören noch zu sehen.
„ Hola?“, rief ich und ging zwischen ein paar Regale entlang, die dringend mal wieder eine Grundreinigung bräuchten. Keine Antwort. „Hola?“, versuchte ich es nochmal, ein bisschen lauter diesmal. Plötzlich waren eilige Schritte zu hören und ein schwarzer Haarschopf lugte durch die angrenzende Tür. Das stark gebräunte Mädchen, dass den Raum betrat, konnte kaum älter als zehn oder zwölf sein.
Cómo puedo ayudarle, señor?",
(Wie kann ich Ihnen helfen, Sir?)
fragte sie höflich, aber blurb auf Abstand.
Ich bezweifelte zwar ob sie den Ort kennen würde, da sie noch quasi ein Kind war, aber ich beschloss, mein Glück zu versuchen. „Busco un lugar llamado 'el paraíso verde'. Por acaso tu sabes dónde se encuentra?“
(Ich suche nach einem Ort, genannt das grüne Paradies. Weißt du zufällig wo er sich befindet?)
Ich trat ein paar Schritte näher zum Tresen, wo die Kleine stand und mich jetzt leicht verunsichert ansah. Sie warf einen schnellen Blick auf die geschlossene Tür, bevor sie hinter der Theke verschwand. Nur die dunkle Haut ihres Gesichts konnte ich von hier aus sehen.
Eh, sí“, stotterte sie, „el Hotel está ubicado a unos tantos kilómetros al oeste de aquí“.
(Äh, ja, stotterte sie, das Hotel
liegt ein paar Kilometer östlich von hier.)
Ihre große, schwarzen Augen sahen mich fragend an und sie setzte sich auf den hohen Stuhl, der zu ihrer Rechten stand.
Hotel. Genau das hatte Leahs Mutter gesagt. Ein Hoffnungsschimmer erwachte in mir und eifrig nickte ich. „Exacto!“, bestätigte ich anschließend. Mit einem "Gracias" lächelte ich ihr dankbar zu und hob zum Gruß die Hand, wodurch sie Kaun merklich zuckte. Eilig duckte ich mich zur Tür hinaus und ging am Straßenrand entlang und rückte den Riemen meines Rucksacks zurecht, der mir leicht in die Schulter drückte. Mit den Augen suchte ich unter den fahrenden Autos nach einer Taxi und machte den Fahrer mit einer Handbewegung auf mich aufmerksam. Quietschend kam er been mir zum Stephen.
Nachdem ich ihm gefragt hatte, ob er wusste wo das besagte Hotel lag und er es bejahte, stieg ich ein und schloss die Tür etwas zu heftig. Er warf mir einen ernsten Blick zu, sagte aber weiter nichts.
Und genau so still vergingen die nächsten 20 Minuten. Wegen dem Regen war die erste Hälfte des Weges ziemlich verunstaltet und löchrig, aber der Rest war staubig. Dort sah es aus, als ob es noch nie geregnet hätte. Aber das war nicht weiter verwunderlich, da es oft vorkam, dass es im Sommer plötzlich stark regnete. Und das nur auf ein paar Quadrat Kilometern.
Von Weitem sah ich ein großes Gebäude, dass entweder ein Hotel oder ein Supermarkt sein musste. Als wir näher kamen und endlich den schlechten Weg hinter uns ließen, realisierte ich, dass es sich tatsächlich um einen Laden handelte. Der große Name "Supermercado" nahm mir jegliche Zweifel. Ich räusperte mich hörbar, bevor ich dem Fahrer bat mich hier abzusetzen und ihm die genannte Summe zahlte, die nicht gerade niedrig war.
Das große Gebäude erstreckte sich vor mir und das silberfarbene Dach glänzte in der heißen Mittagssonne.
Die Eingangstüren öffneten sich automatisch, als ich das gerade selber erledigen wollte und schulterzuckend trat ich ein. Der Anblick, der sich mir bot, unterscheidete sich stark vom heruntergekommenen Viertel, wo ich die Nacht verbracht hatte. Hohe Regale türmten sich vor mir, die mit allen möglichen Sachen gefüllt waren: Esswaren, Süßigkeiten, Knabberzeug, Spielsachen und vieles, vieles mehr. Ich eilte ziellos durch die Gänge und war beeindruckt von den unzähligen, traditionellen Handarbeiten, die ausgestellt worden waren. In allen möglichen Farben, Größen und Varianten stellten sie sich stolz zur Schau. Es war offensichtlich, dass dies eine gut besuchte Touristen Stadt war.
Als ich an einem Essenstand vorbei kam, stieg mir der salzige Duft eines gebratenen Hähnchens in die Nase und mein Magen empörte sich laut. Sofort bestellte ich mir eine warme Mahlzeit und musste anschließend eine gute halbe Stunde warten, was mir aber auch recht war. Schließlich musste alles erst gekocht und vorbereitet werden und das ging nun mal nicht in so kurzer Zeit.  Währenddessen beobachtete ich die vielen Leute, von denen es hier nur so wimmelte. Manche dunkelhäutig, andere sogar fast schwarz. Aber die meisten hier hatten eine helle Haut, was bedeutete, dass das wahrscheinlich eher Besucher waren.

Endlich kam meine Bestellung und ich machte mir über mein Essen her. Als ich das braun gebratene Fleisch und den Reis, der überraschenderweise fast so gut wie Mutters schmeckte, vertilgt hatte, stand ich auf und machte mich auf die Suche nach meinem nächsten Befragungsopfer. Ein paar Meter von hier, an einem blauen Plastik Tisch, entdeckte ich ein paar Teenager die sich lebhaft unterhielten. Spontan entschloss ich, den vier Jungs mal einen Besuch abzustatten.
„Entschuldigen Sie, bitte“, kündigte ich meine Anwesenheit an und vier Augenpaare richteten sich auf mich.
„Tür mir leid, dass ich störe. Hat jemand von euch diese junge Frau gesehen?“ Ich holte das Foto aus meiner Hemdtasche und zeigte es ihnen. Einer von ihnen, ein schlanker, blonder Typ stieß einen leisen, anerkennenden Pfiff aus. „Ne, Mann, aber falls du sie findest, kannst du ihr gerne meine Nummer geben.“
Eigentlich wollte ich mich darüber ärgern, aber das fröhliche Lachen der Anderen entlockte mir ein kleines Schmunzeln.
„Darf ich mal sehen?“, fragte ein anderer und blickte neugierig durch die dicken Gläser seiner schwarz umrandeten Brille.
„Natürlich“, erwiderte ich und beobachtete, wie die Vier ihre Köpfe zusammen steckten, um einen besseren Blick auf das Porträt zu erhaschen.
„Sag mal“, meldete sich der Braunhaarige unter ihnen zu Wort, „ist das nicht die Kleine von heute morgen?“
Fragend blickte er sich in der Runde um. Ich wurde hellhörig.
„Keine Ahnung“, murmelte der Brillenträger und rückte diese leicht nach oben, „was meinst du, Ian?“
Der Große mit den blonden Haaren, der auf den Namen Ian reagierte, lehnte sich schulterzuckend nach hinten. „Könnte sein, was weiß ich schon? Auf Hochzeiten sieht sowieso keine Frau real aus. Make up und so. Das erklärt wahrscheinlich auch, wieso der Kerl mindestens zwei Mal so alt wie die Braut aussah. Aber ja, sie könnte es gewesen sein. Wieso?“ Sein neugieriger Blick blieb an mir hängen, doch meine Gedanken kreisten panisch um ein Wort, das mein Verstand zu verarbeiten versuchte. Hochzeit. Hochzeit hatte er gesagt. Leah. Diese Jungs hatten sie erkannt. Langsam sickerte die volle Bedeutung ihrer Worte zu mir hindurch. Leah? Und heiraten? Da konnte es sich doch bloß um ein Missverständnis handeln! Oder etwa nicht? Panisch fing mein Herz zu rasen an und mein Magen schien sich in Blei zu verwandeln. Das konnte nicht wahr sein! Unmöglich!
„Sir, geht's Ihnen nicht gut? Sie sehen irgendwie blass aus,“ riss mich der Braunhaarige aus meinen schrecklichen Gedanken.
„Doch“, stammelte ich unbeholfen. „Doch, hervorragend geht's mir. Alles super.“ Leise und wenig überzeugend verließen die Worte meinen Mund. "Ruhig, Roy" redete ich mir innerlich zur Ruhe, "ganz bestimmt haben die da was verwechselt. Einatmen, ausatmen. Einatmen, ausatmen.
Mein Hals kratzte und ich räusperte mich unsicher. „Sie hat heute also, äh, geheiratet?“ Nur schwer konnte ich das letzte Wort über meine Lippen bringen und unruhig trat ich von einen Bein auf das andere.
„Wie schon gesagt, keine Ahnung, Mann“, sagte Ian gelassen und warf seinen Kollegen einen Blick zu, während er sich mit der Hand durch seinen wirren Haarschopf fuhr.
„Dunkelbraunes Haar, ovales Gesicht, hübsch. Ja, es könnte tatsächlich sie gewesen sein“, erläuterte der mit der Brille mir und nickte entschlossen, wobei er mir das Foto zurück gab.
„Aber wir wissens nicht mit Sicherheit“, vernahm ich plötzlich die unsichere Stimme des Vierten, der bisher geschwiegen hatte. Ebenfalls blond und jetzt, wo ich ihm einen musternden Blick zuwarf, glaubte ich gewisse Gesichtszüge zu erkennen, die sich mit Ian's ähnelten.
„Danke für die Infos und für eure Zeit“, verabschiedete ich mich nickend, während ich mir zitternder Hand das Foto zurück in meine Hemdtasche steckte. In ihren Gesichtern konnte ich ungestellte Fragen erkennen, aber ich war nicht gewillt, irgend Antworten zu liefern. Meine Zeit war kostbar und mit einem erneuten, knappen Kopfnicken wandte ich mich von ihnen ab. Jetzt musste ich Leah finden. Am besten, ich würde mich gleich auf dem Weg ins Hotel machen. Ich musste nachprüfen, ob die Aussage der Jungs der Wahrheit entsprach. Und zwar so schnell wie nur irgend möglich. Schnellen Schrittes und mit wild klopfendem Herzen steuerte ich auf die Ausgangstüren zu.

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