Kapitel 27
Geduldig saß ich auf der hintersten Kirchenbank und wartete darauf, dass das Brautpaar eintrat. Julia begutachtete ihre he'll lackierten Nägel, während Alejandra sich mindestens jede halbe Minute umdrehte und unruhig mit ihrem Fuß wippte. Jedes Mal flatterte der lange Rock ihres schwarzen Kleides leicht.
Plötzlich ertönte eine sanfte Flötenmelodie und Ale drehte sich mit leuchtenden Augen um. Auch ich wandte den Kopf nach hinten und tatsächlich, nach ein paar Sekunden erschienen die Beiden in der breiten Tür.
Die Braut sah wunderschön aus. Sehr jung war sie, 18 vielleicht. Ihre mittellangen, braunen Haare, die ihr in Locken über den Rücken fielen, wurden von einem durchsichtigen, schneeweißen Schleier bedeckt. Das ebenso weiße Kleid reichte ihr bis zu den Füßen und lange, weiße Handschuhe schmückten ihre schlanken Arme. Mit der linken Hand hatte sie sich bei ihrem Bräutigam untergehakt, der elegant in schwarz gekleidet war.
„Der ist doch mindestens 10 Jahre älter als die Braut“, flüsterte Julia erstaunt und erntete einen Stoß in die Rippen von Ale.
„Das spielt doch keine Rolle“, wisperte diese, während das Brautpaar bedächtig im Takt der Musik nach vorne schritt. „Außerdem stehe ich auch auf Männer, die ein paar Jährchen älter sind als ich.“
Julia, die zwischen uns beiden saß, quittierte das mit einem Augenrollen. Inzwischen hatten die Beiden sich ganz vorne, auf zwei, mit weißem Stoff überzogene Stühle gesetzt und die Musik verstummte. Eine violette Schleife war hinten an beiden Sitzgelegenheiten angebracht.
Der Pastor, ein älterer Herr mit Glatze, redete vom Segen, den man erhält, wenn man bedingungslos liebt - ohne zu erwarten, zurück geliebt zu werden. Klar, das ist ein Wunsch und ein Bedürfnis, das jeder Mensch tief in seinem Herzen trägt, aber eine Liebe, die nur auf Gefühle baut, scheitert oft bald. Im Gegensatz, eine Liebe, die auch auf der Entscheidung zu lieben, wächst, wird nie erlöschen. Nicht, wenn man es mit Gottes Hilfe tut.
Ich schielte leicht kurz zur Seite und sah, dass meine Kolleginnen interessiert zusahen, wie der Prediger das Paar nach der Rede aufforderte, aufzustehen.
Als dieser die Brautleute fragte, ob sie sich sicher seien, dass sie von Gott zusammen geführt seien und ob sie sich lieben, ehren und respektieren wollen, bis dass der Tod sie scheidet, strahlten Beide über das ganze Gesicht und antworteten mit einem klaren "Ja". Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich Alejandra verstohlen eine Träne von der Wange wischte und sich leise und unauffällig räusperte. Auch Julia schien das bemerkt zu haben, denn sie warf mir einen amüsierten Blick zu.
Während das Brautpaar sich die rechte Hand gab und der Pastor sie offiziell als Mann und Frau erklärte, ließ ich meinen Blick auf den glänzenden Ring an meiner linken Hand gleiten und berührte ihn bedächtig. Eines Tages, in ferner Zukunft, würde ich vielleicht auch "Ja" zu der Liebe meines Lebens sagen. Immer noch glaubte ich daran, dass Roy und ich irgendwann wieder vereint wären. Vielleicht auch nur, weil es das war, was ich mir so sehnlichst wünschte. Aber ich wusste, dass das nicht so bald passieren würde, denn dafür müsste mein Freund erst bereit sein, sein bisheriges Leben für ein komplett anderes auszutauschen. Mir wurde das Herz schwer und ich fühlte, dass ich den Tränen nah war und verdrängte schnell alle Gedanken an ihn. Im Moment wollte ich nicht daran denken und so schenkte ich wieder der Zeremonie meine volle Aufmerksamkeit. So gut es even ging.
Eine fröhliche Melodie ertönte aus den schwarzen Lautsprechern, die an den Wänden angebracht waren und das frischgebackene Ehepaar stolzierte mit einem Lächeln im Gesicht auf die Ausgangstür zu und nach und nach folgten die Gäste ihnen. Als ich und meine beiden Begleiterinnen in die frische Luft traten, wurden schon eilig Fotos geschossen. Freunde, Familie und Bekannte, sie alle wollten eine Erinnerung an diesen wundervollen Tag mit ihren Lieben verewigen.
Etwas unschlüssig und ohne genau zu wissen, was ich weiter tun sollte, wandte ich mich Ale zu, die in Gedanken versunken vor sich hin starrte. „Und? Ist das hier deiner Vorstellung gerecht geworden?“
„Oh ja!“, rief sie freudig erregt, „sogar mehr als das. Das war so romantisch!“ Verträumt sah sie zum jung vermählten Ehepaar, das strahlend in die Kamera grinste.
„Ich hatte gar nicht gewusst, dass du noch so emotional werden kannst“, stichelte Julia schmunzelnd und strich sich über den Rock ihres dunkelblauen Kleides. „Ich hätte eine Packung Taschentücher mitbringen sollen“, fuhr sie fort und piekste Ale in die Seite.
Ale wandte sich ihr langsam zu und ihre Gesichtszüge verfinsterten sich. „Halt die Klappe, Julio“, zischte sie, „das war eine Ausnahme-Situation und wird nicht wieder vorkommen.“
Julia lachte hell auf. „Komm runter, das war sogar süß. Kein Grund wütend zu werden.“
Ale schnaufte spöttisch und kreuzte beleidigt ihre Arme. Allem Anschein nach hasste sie es, in einem schwachen Moment erwischt zu werden. Könnte ich nachvollziehen.
Julia legte ihren Arm beschwichtigend auf Ale's Schultern und tätschelte sie sanft. „Jetzt sei nicht böse, ja?Das war doch nur ein Scherz. Als Entschädigung mache ich heute Abend den Abwasch alleine, vale?“
Ein zufriedenes Funkeln enstand in ihren Augen. „Vale. Aber beim nächsten Mal wird das 'ne ganze Woche, verstanden?“
„Das ist meine Ale“, sagte Julia lächelnd und zwinkerte mir heimlich zu. Ich konnte ein Schmunzeln nicht verbergen, aber wenn wir unsere Kollegin nicht noch mehr ärgern wollten, mussten wir uns jetzt zusammen reißen.
„Ist das Dekorieren bei euch auch verboten?“, wollte die Dunkelhäutige plötzlich wissen. Jegliche Spur des Ärgers war aus ihrem Gesicht verschwunden.
Ihre Frage ließ mich schmunzeln. „Keine Ahnung, wie das hier wirklich ist, aber das glaube ich nicht“, sagte ich. „Ein paar der Älteren mögen sich vielleicht darüber aufregen, aber ich glaube eher, dass das nicht mehr so ein Thema ist.“
„Aha. Dann ist es einfach nur nicht Brauch, dass man zur Hochzeit dekoriert?“, fragte sie neugierig weiter.
„In der Kirche ist zwar nicht wirklich dekoriert worden, aber ich denke, dort wo die Privatfeier stattfindet, wird es sehr feierlich aussehen.“
„Verstehe“, murmelte Julia, während Ale sich räusperte und sehnsüchtig zur Braut hinüber schaute, die gerade von einer anderen Frau umarmt wurde. Sie räusperte sich erneut und sah mich leicht unsicher an. „Äh, Leah, wie bekommt man so eine Einladung für die Privatfeier? Muss man sich dazu angemeldet haben?“
„Oh nein!", meldete sich Julia lautstark zu Wort und ein paar der Gäste sahen uns neugierig ein. „Denk nicht mal dran!“, fuhr sie etwas leiser fort, „wir werden ganz bestimmt nicht versuchen so eine Einladung zu bekommen!“
Ich kicherte leise. „Meistens lädt das Brautpaar nur Familie, Freunde und einige andere Bekannte ein. Mit Anmeldung oder so hat das Ganze nichts zu tun.“
Ale seufzte laut und murmelte anschließend ein "Schade".
„Aber du darfst ja gerne dein Glück versuchen, indem du rüber schreitest und der Braut fragst, ob du kommen darfst“, antwortete ich amüsiert.
Sie zog eine Schnute. „Das wäre dann wohl dezent komisch.“
„Oh ja, das wäre es“, pflichtete Julia ihr nickend bei und verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse.
„Ich wäre so gerne mal auf so einer Feier.“ Ale lächelte nachdenklich.
„So besonders wäre das nun auch wieder nicht“, erläuterte Julia ihre Meinung.
„Sag mal Julio, hast du denn gar keine sanfte Seite?“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf.
Julia lachte auf und schüttelte ebenfalls den Kopf, wodurch sich ein paar rote Haarsträhnen aus ihrem eleganten Dutt lösten und ihr auf die Schulter fielen.
„Mädels, ich denke wir stehen hier jetzt schon lange genug auf diesem Rasen herum. Wie wär's, wenn wir uns auf dem Heimweg machen? Es sei denn ihr wollt dem Paar noch länger dabei zusehen, wie sie lächelnd alle Glückwünsche annehmen“, erläuterte ich und sah meine Kolleginnen abwechselnd an.
„Ich habe genug davon gesehen, also ja, meinetwegen können wir los", meinte Julia. Sie hakte sich bei mir und Ale unter und schleppte uns sanft, aber bestimmend Richtung Straße. Ale stöckelte unbeholfen auf ihren hohen Schuhen hinterher, den Kopf nach hinten gewandt um wohl noch einen letzten Blick auf das Ganze zu erhaschen. Leise kicherte ich und schüttelte kaum merklich den Kopf. So kannte ich Ale ja gar nicht. Dass sie manchmal romantische Filme guckte, war mir bewusst, aber dass sie selbst so eine Romantikerin war, überraschte mich. Ehrlich hoffte ich für sie, dass sie eines Tages jemanden finden würde, der ihre Sprache der Liebe zu reden verstand und sie von Herzen glücklich machte.
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