Kapitel 26

LEAHS SICHT:

Der zarte, weiche Stoff in diesem wunderbaren Bordeaux Ton schmiegte sich elegant um meinen Körper und endete kurz über dem Fußboden. Irgendwie betonte dieses Kleid meine Wölbung ziemlich gut und es gefiel mir. Am besten gefielen mir die Ärmel aus Spitze, die mir bis kurz über den Ellbogen reichten.
Behutsam legte ich mir meine silberne Kette um und ließ meinen Blick anschließend durch das Zimmer gleiten. Bei dem kleinen Kästchen, das ich vorhin schon aus dem Koffer geholt und auf das Bett gelegt hatte, blieb er hängen. Der Ring, den ich mir damals in der Station gekauft hatte, lag immer noch unbenutzt da drinnen. Vorsichtig setzte ich mich ins Bett und öffnete das Kästchen. Das schlichte, silberne Schmuckstück schien nur darauf zu warten, endlich an seinen vorgesehenen Platz zu dürfen. Es war vielleicht komisch, aber an einer Hochzeitsfeier wie dieser wollte ich ihn unbedingt tragen. Einerseits, weil ich mich Roy dadurch ein klitzekleines bisschen näher fühlte und andererseits, weil mir das irgendwie Hoffnung gab. Hoffnung worauf, wusste ich nicht so genau. Entschlossen steckte ich ihn mir an den Finger und schloss die kleine, viereckige Schachtel mit einem leisen "Klick". Traurig lächelnd betrachtete ich meine Hand und ein spitzer Stich schlich sich in mein Herz.
„Leah, bist du fertig?", drang Ale's Stimme gedämpft an mein Ohr, die von meinem gestrigen Zusammenbruch nichts mitbekommen hatte, wie Julia mir vorhin versichert hatte. Immer noch aufgewühlt und verunsichert darüber, wie ich Familie Miller unter die Augen treten sollte, stand ich auf und atmete tief durch. „Ja, komme gleich!"
„Vale. Ich warte draußen auf dich." Eilige Schritte folgten darauf, die immer leiser wurden bis sie schließlich ganz verstummten.
Ich seufzte laut. Schlimmer konnte mein Leben kaum noch werden. Unverheiratet schwanger, alleinerziehende Mutter und jetzt noch das Miller Problem. Ich war mir eigentlich sicher, dass sie noch nicht abgereist waren, denn Mrs. Miller würde alles Erdenkliche tun, um mich mit eigenen Augen zu sehen. Um Zeugin meiner, in ihren Augen unverzeihlicher Schandtat werden zu wollen. Und dann nach Hause zu fahren, Krokodils Tränen zu weinen während sie in haargenauen Einzelheiten schildert, wo diese arme, verlorene Leah gelandet war.
Das bleischwere Gefühl in meiner Magengegend drückte immer unangenehmer. In einer, ungefähr halben Stunde konnte ich mein Leben offiziell als sinnlos bezeichnen. Ich legte mir die Hand an meine heiße Stirn.
Erneut waren Schritte vernehmbar und die Tür wurde unangekündigt aufgerissen. Julia sah ziemlich aufgelöst aus und ihre Augen waren stark geweitet, als sie ihren Kopf hineinsteckte. „Ähm, hier ist jemand, der mit dir reden möchte."
Mein Herz fing plötzlich an zu rasen und mühsam schloss ich die Augen. Mrs. Miller. Das, was ich vorhin gedacht hatte, wollte ich zurück nehmen. Denn mein Leben konnte sehr wohl schlimmer werden. Viel, viel schlimmer!
„Ich hab schon so und so versucht, ihr das auszureden", fuhr sie aufgeregt fort, „aber sie bleibt stur. Letztendlich habe ich gedroht, sie eigenhändig an den Haaren hinaus zu zerren, falls sie dich wieder anschreit.“ Der toternste Blick, der auf ihrem Gesicht lag, zeigte mir, dass sie keine Witze machte. Aber Moment mal! Wenn sie mich wieder anschreit? War es dann Laura, die mich jetzt zu sprechen wünschte?
Julia öffnete die Tür einen Spalt breit und schlüpfte hinein, dicht gefolgt von - Laura! Ihr Blick war überall, nur nicht auf mir. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass ihre Augen leicht gerötet aussahen. Als hätte sie entweder geweint oder letzte Nacht nicht geschlafen. Aber nein, das war wohl pure Einbildung. Oder vielleicht auch Wunschdenken.
„Aber ich werde diese Unterhaltung beiwohnen", beschloss Julia eisern und knallte energisch die Tür zu, woraufhin Laura leicht zuckte.
Ich starrte stur in ihr Gesicht, die meinen Blick geflissentlich mied. Ich würde ganz sicher nicht, unter gar keinen Umständen, wieder Schwäche zeigen.
„Also, was ist es?", forderte meine Kollegin sie forsch auf.
Laura's Brustkorb hob und senkte sich ein paar Male, als sie tief durchatmete. Seit wann fiel ihr denn das Sprechen schwer? Hatte ich irgendetwas verpasst? Warte, nein, sie suchte sicherlich nur den effektivsten Weg, mich zu verletzen. Mir so viel Schaden wie nur irgend möglich anzutun. Aber das konnte sie nicht. Nicht mehr. Gestern hatte mit heulen und nochmals heulen verbracht. Heute nicht. Mein Herz schmerzte zwar immer noch, doch ich hatte es halbwegs überstanden. Jetzt war ich ein kleines bisschen stärker. Und fast immun gegen ihre, normalerweise in Gift getränkten Worte. Wenigstens wollte ich so gerne sein.
„Du hattest recht, gestern", fing sie an und Julia verengte ihre Augen zu Schlitzen, während ich skeptisch eine Augenbraue hochzog.
„Mit dem Teil, dass ich eine vorbildliche Tochter bin." Sie hielt meinen Blick stand. Aha. Selbstlob, war ja mal was ganz Neues. Ich rollte missbilligend mit den Augen.
„Aber ich will das nicht mehr sein", fuhr sie fort, „nicht auf diese Art und Weise.“
Ich presste meine Lippen zu einem Strich zusammen und legte den Kopf schief. Hier war doch irgendetwas faul.
„Weißt du", sagte sie, „ich bin es leid, das perfekte Mädchen zu spielen. Ich bin es so satt, gesagt zu bekommen, was ich tun soll und was nicht.“ Der klägliche Versuch eines Lächelns bildete sich auf ihrem Gesicht. Täuschte ich mich oder sahen ihre Augen sogar gläsern aus?
Julia räusperte sich hörbar. „Und was genau geht uns das an?“
„Genau", pflichtete ich ihr kalt bei, „wieso erzählst du mir das? Lauf doch zu deiner Mutter und beklag dich da!“
„Es... Das wegen gestern, es, äh, es tut mir leid", stotterte sie.
Okay, das reichte! Irgendwo stand doch sicher ihre Mutter und belauschte uns. Das hier war bestimmt irgendeine Art Falle. Ich traute dem Braten nicht!
„Schon gut”, antwortete ich schnell. „Ich denke du verschwindest jetzt besser. Der Schaden ist schon angerichtet und wir wissen beide, dass innerhalb von zwei Tagen jedermann wissen wird, wo ich bin und wieso ich hier bin." Ich kreuzte meine Arme vor der Brust.
Sie stand einfach nur da, mit gesenktem Kopf und für den Bruchteil einer Sekunde empfand ich Mitleid. Warum, wusste ich auch nicht. Und dann, als hätte sie neuen Mut gefunden, hob sie den Blick und sah mir direkt in die Augen. „Ich kann verstehen, dass du mich nicht mehr sehen willst, nachdem was gestern passiert ist. Eigentlich wollte ich dir jetzt auch nur sagen, dass es mir leid tut."
Ob ich wollte oder nicht, ein kleiner Teil von mir glaubte ihr, auch wenn ich immer noch wütend auf sie war, doch der andere Teil kochte weiter. Irgendwie klang sie zwar ehrlich und nicht so hochnäsig wie sonst, aber das war noch lange keine Garantie für Ehrlichkeit, nicht bei ihr.
Sie drehte sich langsam um und ging sachte zur Tür. Als sie sie öffnete, warf sie noch einen Blick über ihre Schulter und fügte hinzu: „Übrigens, ich hab meiner Mutter das nicht erzählt. Und von mir wird es auch niemand erfahren."
Und mir klappte die Kinnlade auf. Ohne, dass ich die Gelegenheit hatte, zu einer Antwort anzusetzen, war sie verschwunden.
Wie kam es, dass sie es ihrer Mutter nicht erzählt hatte, falls das tatsächlich der Wahrheit entsprach?! Oder hatte ich mich etwa verhört?
„Hat sie das gerade wirklich gesagt?", hakte ich bei Julia nach, die während der ganzen, weiteren Unterhaltung still geblieben war.
„Wenn du meinst, dass sie ihrer Mutter, was auch immer nicht erzählt hat, dann ja. Hat sie", bestätigte sie nickend.
Ich schüttelte meinen Kopf um jegliche Einbildungen zu vertreiben und ließ mich sanft auf die Bettkante nieder. Wenn ihre Mutter wirklich nichts von alldem wusste, was bedeutete das eigentlich für mich? Falls sie tatsächlich ihr Wort hielt,  könnte ich mein Leben dann, wie geplant, weiterführen?
Eine unbeschreibliche Erleichterung machte sich in meinem Inneren breit. Mir wurde heiß und kalt abwechselnd. Laut seufzte ich auf. Meine Augen brannten mittlerweile und all die Angst und Panik, die ich empfunden hatte, schien in kleinen Wellen von mir zu rollen.
„Alles okay, Leah?" Julia trat herzu und hockte sich vor mir hin, um mir ins Gesicht sehen zu können.
Ich versuchte meine Sprache wiederzufinden. „Ja schon", murmelte ich abwesend. „Das denke ich jedenfalls." Ich machte eine ausladende Handbewegung. „Warte draußen auf mich, ja?"
„Bist du dir sicher? Soll ich dir was zu trinken holen?" Unsicher sah sie mich an.
Ich winkte ab. „Nein, danke. Mir geht's gut. Ich bin gleich bei dir."
Ich wünschte von Herzen, dass sie mich jetzt allein lassen würde, denn ich musste kurz meine Gedanken sammeln.
„Was dauert bei dir so lange?", drang Alejandras Stimme durch die Tür an mein Ohr. Panisch sah ich zu Julia. Ich mochte Ale wirklich gern, aber ich hatte keine Lust, meine missliche Lage noch jemandem erklären zu müssen.
„Dreh dich um!", flüsterte sie schnell.
So gut es im Bett eben ging, drehte ich ihr den Rücken zu und gleich darauf machte sie sich an meinen hochgesteckten Haaren zu schaffen.
Ich hörte, wie die Tür darauf aufschwang und Julia ergriff sofort das Wort. „Wir sind gleich fertig, Ale. Ich schau nur noch mal kurz nach Leah's Haaren." Mir rutschte ein Stein vom Herzen.
„Dann beeilt euch lieber. Die Zeremonie beginnt in ungefähr zehn Minuten und ich will sie auf keinen Fall verpassen!" Ihre Stimme klang fest entschlossen.
„Das glaube ich dir gerne", antwortete ich gespielt fröhlich und unterdrückte meine innere Zerissenheit. „Wir kommen auch gleich."
„Gut. Ich gehe dann schon mal vor.“ Eilig klapperte sie auf ihren Stöckelschuhen zurück und erleichtert atmete ich aus.
„Danke", wisperte ich.
„Kein Ding. Nächstes Mal brauche ich es vielleicht." Sie zog ihre Hände aus meinem Haar und das war mein Zeichen, aus dem Bett zu steigen. Lächelnd nickte ich ihr zu und verschwand anschließend im Bad.

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