Kapitel 25


„Entschuldigen Sie, Sir. Haben Sie zufällig diese Frau auf dem Photo gesehen?“ Ich hielt dem älteren Wächter das kleine Bild hin.
„Ich sehe tagtäglich hunderte Frauen. Wieso sollte ich mir jetzt genau dieses Gesicht gemerkt haben?“
Es klang weder schroff noch verärgert, trotzdem fühlte ich ein kleines Fünkchen Ärger in mir aufkeimen.
„Nun“, erwiderte ich beherrscht, „es kann ja sein, dass sie Ihnen aufgefallen ist. Ich habe ja auch nur nachgefragt.“ Ich hielt den Blick starr auf das Schildchen an seiner Brust gerichtet, auf dem der Name Hawkins stand.
Er kratzte sich am Hinterkopf und sein graues Haar fiel wirr auf seine Schultern hinab. „Ich kann mir Gesichter sehr schlecht merken. Tut mir leid, ich erinnere mich nicht.“ Schulterzucked sah er mich mit seinen blauen Augen an, während er mir das Foto wiedergab.
Mir sank der Mut. Es war hoffnunglos. So würde ich Leah nie finden. Frustriert fuhr ich mir mit der Hand übers Gesicht.
„Trotzdem, danke vielmals.“ Ich eilte auf den Eingang zu und wollte gerade durch die Tür gehen, als jemand mich ansprach. Oder besser gesagt, mir etwas zurief.
„Hey du da!“, hörte ich eine fremde Stimme rufen, „darf ich das Foto mal sehen?“
Ich drehte mich um und sah einen jüngeren Mann in Uniform auf mich zukommen. Sofort hielt ich ihm das Bildchen hin und neue Hoffnung erwachte in meinem Herzen. Erwartungsvoll sah ich ihn an, während er damit beschäftigt war, in seinen Erinnerungen herum zu kramen und stirnrunzelnd nickte. Ein paar wertvolle Minuten verstrichen ohne Weiteres, bevor er mich ansah. „Mhm, ich glaube, ich weiß, wen du meinst.“
Mein Herz fing an, schneller zu schlagen. Vielleicht hatte ich endlich eine Spur! „Hey, Hawkins“, rief dieser, „das ist doch die Kleine mit dem Koffer.“
„Wer?“ Hawkins setzte sich in Bewegung und kam in unsere Richtung.
„Erinnerst du dich etwa nicht? Die Kleine mit dem tonnenschweren Koffer“, kicherte er.
Innerlich betete ich, dass die Beiden sich erinnern würden und mir nützliche Informationen geben könnten und nicht nur sich irgendetwas zusammen reimten.
Sein Partner sah ihm verständnislos an und riss ihm das kleine Beweisstück aus der Hand. Er studierte es eingehend und kratzte sich dann am Hinterkopf.
„Du hast ihr doch geholfen“, fuhr der Jüngere fort. „Das Rad des Koffers klemmte im Loch fest und sie hat daran gerüttelt und geschüttelt, doch sie schaffte es nicht“, half er ihm weiter auf die Sprünge und verfiel in ein unkontrolliertes Lachen, dass seine schiefen Zähne deutlich zum Vorschein brachte. Bei jedem Anderen hätte ich das vielleicht auch witzig gefunden, oder vielleicht zu einer anderen Zeit, aber im Moment hatte ich keine Lust, hier zu stehen und mir Witze über Leah anzuhören. Falls es hierbei wirklich um sie ging.
Endlich erhellte sich das Gesicht des Alten und er schnipste mit den Fingern. „Hast recht. Mann, war das lustig!“ Auch er stimmte nun in das Lachen seines Partners mit ein.
„Und? Wo ist sie hin?“, fragte ich ungeduldig und leicht genervt.
Beide Männer verstummten und Hawkins wollte gerade antworten, doch der Andere kam ihm zuvor: „Wer bist du überhaupt, oder was willst du von ihr?“
„Ich bin ihr Freund." Der gereizte Ton in meiner Stimme war nicht zu überhören.
„Haha“, kicherte der Jüngere, „ist sie dir ausgerissen?“
Meine Augen verfinsterten sich und schossen Giftpfeile auf ihn ab. „Habt ihr jetzt Informationen, oder nicht?“
„Laß gut sein, Lennard. Quäl ihn nicht so.“ Der Alte boxte seinem Partner den Ellbogen in die Rippen, woraufhin dieser verstummte, allerdings unverhohlen weiter schmunzelte.
„Spaßverderber!“, schimpfte er.
„Und jetzt zu deiner Frage“, redete Hawkins weiter, „nein, tut mir leid, ich habe keine wirklichen Informationen. Ich weiß nur, dass sie ins Gebäude ging.“
„Sich ins Gebäude schleppte, meinst du“, korrigierte ihn dieser Lennard breit grinsend.
„Lennard“, warnend hob Hawkins seinen Zeigefinger, „halt einmal in deinem Leben deine Klappe!“
„Wieso denn so gereizt?“, wollte dieser wissen.
„Weil du heute schon genug Unsinn gesprochen hast“, giftete Hawkins und wollte mir das Foto zurückgeben, doch Lennard war schneller und riss es ihm aus den Fingern, bevor er es blitzschnell in seine Hosentasche gleiten ließ. Laut fing er an die Melodie eines nicht existierendes Liedes zu pfeifen und sah sich hastig in der Gegend um, bevor er sich umdrehte und davoneilen wollte.
Oh nein, damit würde er nicht wegkommen! Doch noch bevor ich reagieren konnte, griff Hawkins mit seiner großen Pranke nach Lennards Kragen und drehte ihn unsanft um. „Ich denke, du hast da was, was nicht dir gehört, Freundchen.“ Seine tiefe, raue Stimme jagte sogar mir einen Schauer über dem Rücken.
Lennard zuckte gleichgültig mit den Schultern, steckte seine Hand in die Hosentasche und zog das Foto wieder heraus. Der Versuch eines, miserabel gelungenen Lächelns erschien auf seinem Gesicht. „Man kann ja mal versuchen, nicht wahr?“
Ich griff nach meinem wertvollen Besitz und steckte ihn behutsam in meine Hemdtasche. Der Ärger ihn mir suchte verzweifelt nach einem Weg in die Freiheit, doch mit Mühe gelang es mir, ihn zu unterdrücken. Wenigstens so viel, dass ich diesen Lennard nicht die miesesten Beleidigungen ins Gesicht schleuderte, die ich je gehört hatte. Allerdings sprach mein Blick Bände. Der hatte Nerven!
„Tut mir leid, für meinen Partner hier“, sagte Hawkins und schob seinen Kumpel grob zurück in die Richtung, von der sie vorhin gekommen waren.
„Ach, du bist doch nur noch wütend, dass ich dir deine Kaugummis schon wieder geklaut habe“, rief er kichernd über die Schulter zurück.
Missmutig riss ich die Tür auf und eilte entschieden hindurch. Na, das fing ja schon mal gut an!
Ich rückte den Riemen meines Rucksacks zurecht, der mir in die Schulter schnürte und massierte mein müdes Genick.
Nicht genau wissend, was ich als Nächstes machen sollte, ließ ich meinen Blick über die vielen Reisenden schweifen. Fast erwartete ich, Leah unter ihnen zu finden. Viele, bunte Kleider, blonde und dunkle Haarschöpfe, aber keins davon gehörte zu ihr.
Was wäre der nächste, klügste Schritt? Wer wüsste am Besten, wohin Leah von hier aus gefahren war? Das sie hier gewesen war, war klar. Das hatten die beiden Wächter doch bestätigt. Wenn jemand mehr wusste, dann war es sicherlich der Fahrkarten Verkäufer.
Suchend glitt mein Blick in der großen Halle umher, in der Hoffnung, irgend ein Schild zu finden, dass den gewünschten Standort verdeutlichte. Doch fündig wurde ich nicht. Mein nächster Gedanke war, jemandem zu fragen, der sich hier auskannte, aber ich konnte auch niemandem in Uniform erkennen.
Also streifte ich ziellos den langen Gang entlang, darauf hoffend, dass ich hier irgendwo das gesuchte Fenster finden würde. Ich kam an einem kleinen Imbiss Shop vorbei, einem Souvenir Laden, ein paar Schmuck Stände, aber das war bei Weitem nicht, wonach ich Ausschau hielt. Zwar müsste ich mir bald etwas fürs Abendessen besorgen, aber das konnte noch ein bisschen warten.
E

ndlich erblickte ich ein großes Glasfenster, hinter dem ein junger, dunkelhäutiger Mann saß. Über dem Fenster hing ein Schildchen, auf dem "Compre su boleto aquí" stand.
(Kaufen Sie hier ihr Ticket)
Ich näherte mich und fragte dem einheimischen Mann, ob die Frau auf dem Foto, das ich ihm zeigte, hier eine Fahrkarte gekauft hatte. Er starrte eine ganze Weile auf das Bild, bevor er mir antwortete.
„Lo siento, señor. No lo sé. No me acuerdo de haberla visto, pero podría estar equivocado.
(Tut mir leid, Sir. Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht erinnern sie gesehen zu haben, aber ich kann mich auch irren.)
„Ya, no hay problema. Gracias“,
(Okay, kein Problem. Danke)
bedankte ich mich. Wenn sie keine Fahrkarte gekauft hatte, musste sie sich wohl irgendwo hier in der Nähe aufhalten. Natürlich bestand trotzdem die Möglichkeit, dass sie doch mit dem Bus weiter gefahren war und der Verkäufer sich nur nicht erinnerte. Aber ich würde erst hier in der Nähe ein bisschen nachforschen.
Mittlerweile knurrte mein Magen und so beschloss ich, dass es an der Zeit war, etwas Essbares zu mir zu nehmen. Ich eilte zurück zu dem Snack Shop und bestellte mir einen Hamburger mit Pommes. Da es noch ein Weilchen dauern würde, setzte ich mich schon an einem der vielen Tische, die in diesem Teil des breiten Ganges aufgereiht worden waren.
Nochmal krammte ich das Foto hervor und fuhr langsam mit dem Zeigefinger über die Konturen ihres Gesichts. Ich musste leicht lächeln, als ich mir erlaubte, in längst vergangenen Erinnerungen zu schwelgen.
„Ja, das muss sie gewesen sein“, ertönte plötzlich neben mir eine weibliche Stimme. Leicht erschreckt riss ich den Kopf hoch und blickte in ein paar schwarze Schlitzaugen, die mich interessiert musterten. Ihr ovales, markantes Gesicht hatte eine starke Ausstrahlung, die mir irgendwie nicht so ganz behagte.
Sie ließ sich auf den Stuhl, mir gegenüber fallen und strich sich eine pinke Haarsträhne hinters Ohr. „Du suchst sie, stimmt's?“
Die selbstbewusste Art und Weise wie sie das aussprach, gefiel mir auch nicht. Also entschloss ich, ihr diese Frage vorerst unbeantwortet zu lassen.
„Schon gut, du musst nichts sagen. Ich weiß sowieso, dass das stimmt. Du schweifst hier schon seit einer ganzen Weile umher und vorhin hab ich dich gesehen, wie du dem Fahrkarten Verkäufer ihr Foto gezeigt hast.“
Innerlich stöhnte ich auf. Klar wollte ich mehr wissen, aber das hier war irgendwie komisch. Und hatte ganz sicherlich einen Haken.
„Und? Wo ist sie hin?“, kam ich direkt auf den Punkt.
„Und genau da liegt meine Bedingung!“, sagte sie mit strahlender Miene.
Ich wusste es! Sonst wäre sie nie zu mir gekommen.
„Weißt du, meine Schicht ist gerade zu Ende“, meinte sie ruhig, als sie auf sie schwarze Uhr an ihrem linken Hangelenk blickte. „Und eigentlich müsste ich jetzt einen, sagen wir mal, Nebenjob erledigen, aber ich denke, du könntest mir dabei helfen.“ Die Lautstärke ihrer Stimme senkte sich erheblich und sie warf einen schnellen Blick über ihre Schulter. „Es dauert auch nicht lange."
„Kommt nicht in Frage“, antwortete ich schroff, kreuzte die Arme vor der Brust und lehnte mich zurück.
„Nummer 54!“, ertönte meine Ticketzahl plötzlich und ein Blick in Richtung Shop bestätigte, dass ich mein Essen jetzt abholen sollte.
Der hochgewachsene, junge Teenager vor mir auf dem Stuhl zuckte gleichgültig die Schultern und zog eine Grimasse, die wohl verdeutlichen sollte, wie egal es ihr war. „Kein Deal, keine Information. Bin ja nicht ich, die verzweifelt einem Mädchen hinterherläuft.“ Sie stand hastig auf und der Stuhl verursachte ein knarzendes Geräusch auf dem Fußboden.
Oh. Nein, ich war jetzt möglicherweise nah dran und wenn sie etwas wusste, dass mir weiterhelfen könnte, musste ich sie aufhalten! Vielleicht war sie meine einzige Möglichkeit.
„Nummer 54!“, rief die rundliche Kassiererin erneut.
Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Sollte ich darauf eingehen, auch wenn die Bedingung möglicherweise nichts Gutes verheißen würde? Oder sollte ich diese Chance vorbei streichen lassen, nicht wissend, ob ich je wieder so ein Glück hätte?
Meine ungebetene Gesellschaft warf mir einen letzten, fragenden Blick zu und drehte sich anschließend um.
„Einen Moment!“, hielt ich sie auf. „Warte eine Sekunde. Ich muss erst mein Essen abholen und dann können wir reden.“ Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Bauch breit, als sie mich siegessicher anstrahlte und kurz nickte.
Mit wirren Gedanken und den Hauch eines schlechten Gewissens näherte ich mich der Kasse und hob das rote Tablet vom Tisch, dass die dickliche Dame mit blauer Mütze und Schürze mir hinschob.
Als ich wieder an meinem Sitzplatz ankam, sagte das Mädchen: „Iss fertig. Ich warte dort hinten an den Schließfächern auf dich.“ Und schon war sie weg.
Als ich meinen Hamburger und die nicht so richtig schmeckenden Pommes vertilgt hatte, stand ich auf. Entschlossen eilte ich auf die Schließfächer zu, wohl wissend, dass es weder gut noch vernünftig war, das, was ich zu tun vorhatte.

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