Kapitel 22
LEAHS SICHT:
„Ernshaft? Und wir dürfen wirklich kommen?", wollte Alejandra aufgeregt wissen und drückte das Kissen fester an ihre Brust.
„Natürlich", erwiderte ich, „das ist ja nur die Zeremonie. Die private Feier wird nachher stattfinden und dann dürfen nur diejenigen kommen, die vom Brautpaar persönlich eingeladen sind." Ich legte mich auf die Seite und genoss die angenehme Kälte des, in verschiedenen Rosa Tönen geblümten Laken, mit dem Julias Bettmatratze bezogen war. Behutsam legte ich die Hand auf meinen Bauch. „Außerdem hat Mr. Thompson doch gesagt, dass wir das dürfen und da es seine Nichte ist, wird er wohl wissen, dass es ihr nicht stört.“
Ale strahlte übers ganze Gesicht. „Ich wollte schon immer mal an einer Hochzeit in eurem Stil teilnehmen." Begeistert klatschte sie in die Hände, während das Kissen achtlos auf den Boden fiel und lachte erfreut auf.
„Ach, so cool ist das nun auch wieder nicht", mischte sich Julia ein, die unten auf der hellbraunen Tapete saß.
„Verdirb mir nicht den Spaß, Julio!", warnte Ale lachend und zeigte mit dem Zeigefinger auf ihre Kollegin.
„So lustig wird das gar nicht. Noch vor Kurzem hast du gesagt, dass du Gottesdienste langweilig findest. Woher kommt denn jetzt plötzlich diese Begeisterung?" Julia runzelte die Stirn.
„Ja-ha“, sagte sie gedehnt, „aber das hier ist was anderes. Eine Hochzeit ist so romantisch!" Sie lächelte verträumt in die Ferne und faltete ihre Hände, das Julia mit einem Augenrollen quittierte.
„Du kommst doch auch, Julia, oder?", fragte ich und warf einen kurzen Blick auf die kleine Uhr, die auf dem kleinen Kleiderschrank stand. Kurz vor 9. Kein Wunder, dass mein Körper sich schon nach ein bisschen Schlaf sehnte. Zurzeit forderte er lange Nächte und dazu noch hin und wieder ein Mittagsschläfchen.
„Doch, schon, aber so begeistert bin ich eigentlich nicht. Na klar, es ist eine Hochzeit und ich freue mich, aber ist ja nicht so, als ob das jetzt was Außergewöhnliches ist."
„Oh doch. Das ist was Außergewöhnliches. Für mich schon!", beteuerte Ale.
„Ach, lass unserer Kollegin die Freude bitte. Sie hat bisher noch nie an so einer Feier teilgenommen", pflichtete ich ihr bei.
„Schon gut. Unsere Trauungen sind wahrscheinlich genau wie Eure, aber egal." Die Rothaarige legte sich auf den Rücken und seufzte ergeben.
„Erzält mal, wie ist es auf so einer Feier?" Alejandra sah uns bettelnd an. Erst mich, dann Julia.
„Man heiratet eben. Der Vater bringt die Braut an den Altar, der Pastor traut die Beiden und nachdem das Paar sich die Ringe gegeben hat geht's ab in die Flitterwochen. Juhu!" Gespielt begeistert, das ihr mehr schlecht als recht gelang, warf Julia ihre Arme in die Luft.
„Wie wär's mit ein paar Details?" Ale warf ihr das verbliebende Kissen direkt ins Gesicht.
„Also, das mit den Ringen", mischte ich mich ein, „war bei uns im Dorf nicht so. Eigentlich ist alles ein bisschen anders."
„Ehrlich?", fragten meine Kolleginnen im Chor.
„Bei uns war es auch nicht so, dass der Vater die Braut reinbringt."
„Wie denn? Wer hat es dann gemacht? Etwa die Mutter oder der Bruder?" Ale's Verwunderung, die ihr klar ins Gesicht geschrieben stand, brachte mich zum Kichern. Julia nickte einverstanden.
„Der Bräutigam", antwortete ich schlicht.
„Hä? Der Bräutigam?" Die beiden Mädchen konnten es kaum glauben.
„Ja. Der Bräutigam", wiederholte ich, „Das Paar geht gemeinsam rein."
„Interessant", murmelte Julia, während Ale mich ungläubich anstarrte. „Ich denke, meine Mutter hat das auch mal erwähnt", warf sie dann ein.
„Und bei uns gab man sich auch keine Ringe. Der Pastor hat den Beiden ein paar Fragen gestellt, die sie mit "Ja" beantworten und das wars." Ich zuckte mit meinen Schultern, so gut wie's beim Liegen eben ging.
Eine Weile war alles still. Ale versuchte das Gesagte irgendwie zu verarbeiten, während Julia anfing zu lachen.
„Schon komisch, oder?", brachte sie hervor.
Ales Gesicht erhellte sich. „Ich würde sagen, das ist hoch interessant!"
„Weißt du", meldete ich mich wieder zu Wort, „bei uns ist man sehr darauf bedacht, das man keinen Schmuck trägt. Weder Eheringe, noch irgendwelche Ketten. Ja, sogar bunte Haarspangen waren bis vor ein paar Jahren verboten." Ich schmunzelte breit, als bei Ale der Mund aufklappte.
„Was?" Der Unglaube in Julias Stimme war kaum zu überhören. „Wieso das denn?"
„Das zählt bei den Meisten als Stolz. Und die Bibel warnt uns vor der Sünde des Stolzes. Allerdings denke ich persönlich, dass das nicht in solchen Hinsichten gemeint ist. Aber wie genau das ist, weiß ich auch nicht."
„Was ist denn daran stolz?", wollte Julia wissen.
„Keine Ahnung. Man soll eben demütig bleiben. Deswegen durfte die Braut weder Spitze am Kleid haben, noch einen Schleier tragen. Aber das ist allerdings schon anders seit ungefähr acht oder zehn Jahren. Seit ein paar der jüngeren Mädchen sich durchgesetzt haben, hat man aufgehört das zu verbieten." Ich kicherte.
„Mann o mann! Das ist einfach nur verrückt!", beteuerte Ale und betonte jedes Wort.
„Nicht unbedingt", verteidigte ich die Leute aus meinem Dorf, „jeder versucht eben das zu tun, was er für richtig hält. Jeder auf seine eigene Art und Weise."
„Irgendwie stimmt das, Ale", pflichtete Julia mir bei, „die Enkel unserer Kinder werden eines Tage auch über unsere Sitte und Bräuche lachen."
„Genau. Wenn jemand etwas anders tut als wie wir es gewohnt sind oder denken, wie man es machen sollte, heißt es nicht unbedingt, dass das falsch ist." Ich setzte mich im Bett auf, darauf bedacht meinen Bauch zu schützen und nicht zu vornüber gebeugt zu sitzen.
Wieder verstummten alle und jeder hing seine eigenen Gedanken nach, bis Ale die Stille beendete: „Ähm, Leah, ich will dir zwar nicht zu nahe treten und du musst mir die Frage auch nicht beantworten, aber ich meine mich zu erinnern, dich mit einer Kette um den Hals gesehen zu haben." Julia nickte stumm.
„Meinst du diese hier?", fragte ich und zog das silberne Herz unter meinem blauen T-Shirt hervor. „Außerdem habe ich sogar einen Ring, den habe ich mir jedoch selbst in einem Juwelier Laden in der Bus Station gekauft."
„Aha. Regelbrecherin", kicherte Ale.
„Zeig mal her", sagte Julia und stand auf. Sie setzte sich auf die Bettkante und nahm das kleine Herz zwischen ihre langen, dünnen Finger und begutachtete es. „Die ist wunderschön. Wo hast du die her?"
Auch Ale kam rübergekrochen und musterte die Kette. „Mhm, sag schon, wo hast du sie her?"
Mein Magen krampfte sich unangenehm zusammen. „Äh, von meinem ehemaligen Freund." Ich entzog Julia die Kette und ließ sie wieder hinter meinem Ausschnitt gleiten.
„Nicht, dass es uns was angeht, aber du darfst gerne darüber sprechen", sagte Julia und nickte mir aufmunternd zu.
Sollte ich wirklich darüber sprechen, egal wie sehr es schmerzte? Könnte ich das überhaupt, wenn mir jetzt schon zum weinen zumute war?
„Aber du musst das nicht tun, wenn du nicht willst", sagte Ale schnell und legte ihre Hand auf die Meine.
Ich kratzte all meinen Mut zusammen und nahm den Kettenanhänger in meine Hand. „Sein Name war Roy. Er schenkte sie mir vor einigen Monaten." Ich stockte. Meine Nase kitzelte verdächtig und hinter meinen Augen drückte Salzwasser.
„Was ist dann passiert?", fragte Ale sanft.
Unauffällig entzog ich ihr meine Hand und legte sie auf meinen Bauch. „Das hier ist passiert. Wir... Naja, ich bin schwanger geworden." Die erste, heiße Träne kullerte über meine Wange.
„Und er hat dich sitzen gelassen. Dieser miese kleine Hund!", erläuterte Ale laut ihre Vermutung.
„Nein. Ich bin abgehauen, bevor er etwas gemerkt hat", flüsterte ich und wischte mir mit dem Handrücken über meine nassen Augen.
„Er weiß also gar nichts von dem Kind?", fragte Julia ungläubig.
Ich schüttelte den Kopf und schluckte schwer. In meinem Hals bildete sich ein faustgroßer Kloß, der mir das Sprechen unmöglich machte.
„Wieso bist du gegangen? Liebst du ihn etwa nicht mehr?", fragte Ale.
„Genau das ist das Problem. Ich bin immer noch verrückt nach ihm." Meine Stimme versagte. Ein paar weitere Tränen bahnten sich ihren Weg in die Freiheit und fielen lautlos auf meinen grauen Rock. Ich atmete tief durch, bevor ich weiter sprach: „Aber ich musste gehen. Die Leute in meinem Dorf hätten uns gehasst und gemieden. Sogar verflucht. Und niemand hätte ein Wort mehr mit uns gewechselt. Die Wenigen, die es getan hätten, würde man auch meiden. Meine Mutter würde als Versagerin betitelt werden und ich konnte ihnen das nicht antun." Meine Augen brannten und nur mit Mühe gelang es mir, die meisten Tränen zu bekämpfen.
„Das tut uns so leid, Leah." Julias Augen glitzerten verdächtig und Alejandra näherte sich mir. Als ich sah, dass sie plannte mich zu umarmen, bekam ich Panik. Wie sollte ich das verhindern, ohne unhöflich zu wirken?! Gerade noch rechtzeitig klopfte es an der Tür und Ale stoppte mitten in der Bewegung und sag mich verwundert an.
„Ja?", rief Julia
„Ich bin's", drang eine bekannte Stimme gedämpft durch die Tür, „Valeria. Ich muss kurz mit euch reden, ja?"
Julia sprang auf und eilte zur Tür, um sie zu öffnen. „Was ist los?"
„Jemand ist gerade eingetroffen, ein Ehepaar mit fünf Kindern und ich brauche eure Hilfe."
„Was? So spät noch?" Ale war überrascht, genau wie ich und Julia.
„Ich fürchte ja. Sie sagten sie hätten Probleme mit dem Auto und hatten sich deswegen verspätet. Könntet ihr mir kurz helfen ihre Zimmer herzurichten?"
„Aber sicher doch. Wer ist es denn?", wollte ich wissen, nichts ahnend, was für eine Art Überraschung mich erwartete.
„Mr. und Mrs. Martin Miller mit ihren Kindern", sagte unsere Wirtin und mir stockte der Atem. Mein Herz setzte ein paar Schläge aus, bevor es mit dreifacher Geschwindigkeit weiterschlug.
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