Kapitel 20
ROYS SICHT:
„Ich war in der Bus Station und hab nachgefragt in welche Richtung die weissen Busse fahren. In Richtung Süden und Südwesten, aber da gibt's so viele kleine Abzweigungen, die ich nachgefahren bin, dass es ewig gedauert, bis ich die Meisten durchgecheckt habe. Jetzt bleiben noch ein paar längere Strecken, von über 4 Stunden. Eine, die geht Richtung Südwesten nach Edessa und zwei, die direkt in den Süden führen. Aber dafür brauche ich mehr Zeit und im Moment kann ich hier nicht weg." Ein bisschen außer Puste beendete ich meinen Monolog.
„Und was hindert dich daran oder wieso kannst du nicht weg?" Mike schaltete in einen niedrigeren Gang, und drosselte die Geschwindigkeit.
Müde seufzte ich. „Der alte Schmitt sitzt mir im Nacken und treibt mich zu einigen Reparaturen an. Zugegeben, ich habe sie wirklich lange genug hinausgeschoben, aber ich konnte nicht früher."
Der alte Schmitt, wo ich meistens arbeitete, wenn es auf dem Feld nichts zu tun gab, konnte wirklich unausstehlich werden, wenn es nicht genau nach Plan verlief.
Etwas unvorsichtig bog Mike um die Ecke und drückte wieder aufs Gaspedal. „Dann nimm dir eben auf Dauer frei."
„Nein, das geht nicht. Ich brauche das Geld." Unauffällig hielt ich mich an meinem Sitz fest und versuchte nicht zu sterben, während Mike durch die größten Löcher der holprigen Straße donnerte.
„Und wann kannst du deine Suche fortsetzen?" Er lenkte das Auto eine Auffahrt rauf, die zu einem Restaurant führte. Die Wort "Royal" leuchtete in einem klaren Rot auf einem großen Schild, das vor dem schlichten Gebäude stand. Er drückte plötzlich seinen Fuß auf die Bremse und schon rutschten alle vier Räder des schäbigen Gefährts. Ich musste aufpassen, dass ich nicht mit vollem Karacho durch die Windschutzscheibe flog. Nur knapp verkniff ich mir einen unartigen Kommentar, der schon ganz vorne auf meiner Zunge lag.
„Ich hoffe bald. In einem Monat vielleicht, wenn ich Glück habe. Wenn nicht, dann könnten's zwei werden." Leicht wütend starrte ich auf meine Hände, die in der Dunkelheit kaum zu erkennen waren. Es war nicht fair, Leah so lange warten zu lassen, aber ich hatte keine andere Option.
„Wir wissen beide, dass du keine zwei Monate hier aushalten könntest." Eilig stieg er aus und warf die Tür mit einem lauten Knall zu, dass das ganze Auto schaukelte.
Fast zeitgleich stieg ich ebenfalls aus und beeilte mich, mit ihm Schritt zu halten.
„Ich weiß und da liegt ein weiteres Problem. Viel zu lange dauert es jetzt schon und es macht mich nahezu verrückt."
Wir setzten uns an einen leeren, grünen Plastiktisch auf der Veranda des nicht all zu großen Gebäudes. Es war wieder einer dieser heißen Tage, an denen nicht mal ein kleines Lüftchen wehte. Dem Wetter nach, müsste es in den nächsten Tagen irgendwann regnen.
Mike lehnte sich nach hinten und verschränkte seine Hände hinter dem Kopf. „Ehrlich gesagt, hatte ich gehofft, dass du sie schneller finden würdest."
Aufgebracht funkelte ich ihn an. Doch bevor ich zurückfeuern konnte, hob er beschwichtigend die Hände und fuhr fort: „Aber mir ist bewusst, dass sowas nicht von heute auf morgen geht. Viel zu viele Straßen, die abgecheckt werden müssen und nehmen wir mal an, du fändest die richtige Richtung, was dann?"
Fast schon verzweifelt über meine verzwickte Lage, fuhr ich mir mit der Hand über's Gesicht. Das war eine gute Frage. Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Einfach jeden fragen, ob er vor einiger Zeit ein Mädchen mit braunen Augen und braunen Haaren gesehen hatte? Sehr detailreich. Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse.
Plötzlich hatte ich eine Idee. Abrupt setzte ich mich gerade hin und sah meinen Kumpel an. „Ich hätte da einen Vorschlag." Mike schenkte mir einen fragenden Blick und öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen.
„Entschuldigung!", ertönte neben uns plötzlich eine tiefe Stimme und unterbrach somit unsere Unterhaltung, „vor zehn Minuten habe ich telefonisch fünf Hamburger mit Pommes bestellt. Sind die schon fertig?" Ein kleiner Mann mit Glatze und großem Bauch näherte sich dem offenen Fenster und starrte die etwas ältere Kassiererin ungeduldig an.
„Einen Moment, Sir. Ich frage mal gleich nach. Wie ist ihr Name?"
„Frank Wilson und jetzt mach schnell! Ich habe es eilig!", wies er sie an.
Mike und ich sahen uns an und schüttelten kaum merklich den Kopf. Von Manieren oder Höflichkeit hatte der wohl noch nie etwas gehört, aber der Name Wilson erklärte so einiges. Manchmal konnte ich nicht verstehen, wieso ein damlicher Nachname so viele Türen öffnen konnte. Oder auf jeden Fall glaubten das viel zu viele. Außerdem regte es mich furchtbar auf, wenn jemand nicht einfach höflich um etwas bitten konnte und grob seine Mitmenschen herumscheuchte.
„Tut mir leid, Sir", unterbrach die Stimme der Kassiererin meine Gedanken, „es könnte noch etwas dauern."
„Etwas dauern? Was heißt hier 'etwas dauern'?", fuhr er die Dame an, der es sichtlich unangenehm war.
„Bitte gedulden Sie auch noch 15 Minuten. Wir arbeiten so schnell wie möglich."
”Was? Noch 15 Minuten? Vor ganzen zehn Minuten habe ich schon bestellt und so viel Zeit reicht ihnen nicht, um ein paar mickrige Hamburger zuzubereiten?" Er erhob die Stimme um einiges und trat einen Schritt näher auf das Fenster zu.
Mike sah grimmig drein und an seinen Gesichtszügen erkannte ich, dass dieser Glatzkopf ihm genau so sehr auf die Nerven ging, wie mir.
Die Kassiererin floh in die Küche, wahrscheinlich um jegliche Konversation mit dem unhöflichen Kunden aus dem Weg zu gehen. Mr. Wilson ließ sich auf den Stuhl an einem freien Tisch plumpsen.
„Aaah, der junge Cooper, wer hätt's gedacht!", rief er plötzlich in meine Richtung.
Ich drehte mich so, dass ich ihm ins Gesicht sehen konnte.
„Wie geht's deinem alten Herrn?", ergänzte er.
Eigentlich hatte ich keine Lust, mich mit ihm zu unterhalten und so zu tun, als wäre ich an dem langweiligen Stuss, den er von sich gab, interessiert, aber meine Eltern hatten mir beigebracht, wie man sich älteren Leuten gegenüber verhielt. Auch wenn dieser hier es nicht gerade verdient hätte, so wollte ich doch anders handeln und ihn vernünftig beantworten.
„Guten Abend, Sir. Ganz gut soweit. Danke der Nachfrage. Und wie geht's Ihnen?" Innerlich rollte ich die Augen, denn ich hasste es, Gespräche nur aus Höflichkeit zu führen, doch trotzdem würde ich es immer und immer wieder tun. Vielleicht konnte ich so ein kleines Stückchen Vernunft und Respekt, auch wenn nur für eine ganz kurze Zeit, länger am Leben erhalten. Wenn man die Teenager heutzutage betrachtete, konnte man nur den Kopf schütteln und aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Wie die mit Beleidigungen und Unverschämtheiten um sich warfen, war einfach nur erbärmlich. Wenn man jetzt schon kaum mehr vernünftig miteinander reden konnte, wie lange würde es dauern, bis auch der letzte Funke Höflichkeit erloschen wär?
„Ach, weißde, es geht mir so gut, wie's mir eben gehen kann. Wie sollte ich traurig sein, bei so einer Prachternte auf dem Feld?" Er lachte rau auf und rieb sich gedankenverloren über seinen dicken Bauch.
„Das freut mich für Sie", sagte ich und hoffte, dass das Gespräch nun beendet wäre. Mike sah mich an und verzog genervt das Gesicht.
„Und? Wie kommt es, dass ich dich hier diesmal nur mit dem Bruder deiner Kleinen sehe?" Er grinste breit und achtete sehr genau auf jede meiner Gesichtszüge, doch ich versuchte, keine Emotionen zu zeigen.
Ich schluckte schwer und sah, dass Mike seine Hände zu Fäusten ballte. Dass er das nicht nur fragte, um unser armseliges Gespräch am Leben zu erhalten, war klar, denn ich war mir ganz sicher, dass er hier und da schon etwas zu hören bekommen hatte. Der Besuch von Mrs. Miller bei den Andersons hatte Früchte getragen, dessen war ich mir sicher.
„Ich wüsste nicht, was daran verkehrt ist, Sir. Schließlich sind wir gute Freunde seit dem Kindergarten." Tief in mir drinnen rauchte Wut auf, das gleich zu einem Feuer entfachen würde, wenn ich weiter provoziert werden würde. Aber ich musste mich beherrschen, schließlich wollte ich ihm nicht noch Grund zu irgendwelchen wilden Spekulationen geben.
„Oder seid ihr gar nicht mehr zusammen?" Er zog seine Augen zu Schlitzen zusammen und sah mich abwartend an. Nur mit Mühe gelang es mir eine grobe Antwort hinunter zu schlucken.
„Ist das nicht eine ziemlich persönliche Frage?", fragte ich. Er hielt meinen Blick stand und auf seinen Lippen bildete sich ein schmieriges Lächeln. Die Glut in meinem Innern erwachte zum Leben und ein kleines Feuer loderte gefährlich auf. Wie gerne hätte ich ihm das widerliche Grinsen aus dem Gesicht geputzt! Mit der Faust. Und ziemlich plötzlich.
Mike merkte, dass sein Einsatz jetzt wohl gefragt war und stieß mich unter dem Tisch heftig an meinem Bein mit seinem Fuß. Er erhob sich, schlenderte zum Fenster und drückte die Klingel. Augenblicklich erschien die ziemlich eingeschüchterte Dame und atmete erleichtert aus, als sie sah, dass es sich diesmal nicht um Mr. Wilson handelte.
„Aha. Du leugnest es also nicht." Das schadenfrohe Lachen von meinem Gegenüber ließ mich zusammen fahren.
Ich hörte, wie Mike eine Cola orderte, bevor er sich umdrehte und mich fragend ansah.
„Roy, was willst du essen?"
Ich war ihm dankbar für diese Frage, auch wenn er ganz genau wusste, dass ich, wie immer, ein Steak wählen würde. Wenigstens müsste ich mich jetzt nicht weiter mit Mr. Wilson unterhalten. Ich tat so, als würde ich eingehend die Menükarte begutachten und versuchen zu entscheiden, was ich essen wollte.
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