Kapitel 16
LEAH'S SICHT:
Ich legte meinen Kopf auf die rote Tischplatte vor mir ab und versuchte regelmäßig ein und aus zu atmen. Die enorme Übelkeit in meinem Magen war heute besonders schlimm und wollte nicht nachlassen, auch nicht nachdem ich ein Brot mit Honig gegessen hatte. Was ich alles für einen Tag im Bett geben würde! Aber ich hatte mir das alles selber zuzuschreiben, denn ich hatte diesen Job gewollt. Und ich wollte ihn auch immer noch, aber ich hatte nie und nimmer gedacht, dass es so schwer werden würde. Ich musste einfach durchhalten. Das erste Trimester war ja glücklicherweise bald schon geschafft! Was für ein erbärmlicher Trost.
„Hey, Leah, kannste mal zu dem älteren Herrn dort drüben am Tisch gehen, bitte? Ich muss dringend in die Küche." Alejandra zeigte auf den besagten Tisch und als ich ihr knapp zunickte, eilte sie dankbar lächelnd davon. Langsam erhob ich mich und schleppte mich vorwärts.
„Wie kann ich Ihnen helfen, Sir?" Ich versuchte ein höfliches Lächeln aufzusetzen, was mir aber eher schlecht als recht gelang.
„Indem Sie sich ausruhen?" Der grauhaarige Mann, mit dem ausgeprägtem Kinn, sah mich forschend an.
Überrascht erwiderte ich seinen Blick. „Wie, bitte?" Ich verstand nicht ganz, was er damit meinte.
„Kleiner Scherz. Ich würde gerne mit Valeria reden. Sie ist eine alte Bekannte von mir. Aber ernsthaft, Sie sollten sich ausruhen, man kann doch sehen, dass es Ihnen nicht gut geht." Er blickte wieder auf seinen Pappteller und schob sich das letzte Stück von seinem Croissant in den Mund.
Empört zog ich meine Augenbrauen hoch. Das hatte er nicht gesagt! Er hatte absolut kein Recht zu irgendwelchen gutgemeinten Ratschlägen, denn das kam bei mir nicht gut an. Besonders nicht heute!
„Es dürfte Sie ja kaum interessieren, was ich mache oder machen sollte. Und außerdem geht's mir super, also sparen Sie sich Ihren nächsten Kommentar." Meine Stimme klang viel schroffer als beabsichtigt und als ich ihn in die Augen sah, bereute ich meinen Ton sofort. Schmerz spiegelte sich in ihnen wider und Traurigkeit breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er musterte mich schweigend, bis er leise antwortete: „Tut mir leid, Miss. Wird nicht wieder vorkommen."
Mein schlechtes Gewissen meldete sich lautstark. Wieso hatte ich nicht einfach die Klappe gehalten? Normalerweise war ich nicht so unfreundlich. Es musste wohl an den viel zu vielen, fremden Hormonen liegen, aber ich war mir sehr bewusst, dass sie mein Verhalten nicht entschuldigten. Die Schwangerschaft war noch lange keine Freikarte für Halts-Maul-oder-ich-hau-drauf.
Ich ließ mich vorsichtig auf den Stuhl, ihm gegenüber, fallen und rieb mir die Schläfe. „Sir, es... bitte, entschuldigen Sie mein Benehmen. Heute ist wohl nicht mein Tag."
Überrascht blickte er mich an und seine Gesichtszüge wurden weicher. „Schon vergessen. Ihr Tagesablauf geht mich wirklich nichts an." Ein leichtes Lächeln umspielte seinen Mund.
„Ach, was. Man sieht's mir wahrscheinlich ziemlich klar an, dass es mir heute echt mies geht." Angewidert verzog ich das Gesicht und kaute verlegen auf meinen Fingernagel.
„Schreien Sie mich wieder an, wenn ich nach dem Grund frage?" Amüsiert funkelte er mich an.
Ich lachte hell auf. Er nahm es ziemlich gelassen, dass ich ihn so angefahren hatte und dafür war ich froh, aber trotzdem behielt ich den Grund meines Unwohlseins im Moment noch gerne für mich. So gerne sprach ich nicht darüber.
„Mein Magen rebelliert heute einfach". Was ja auch nicht gelogen war.
„Schade. Jetzt kann ich Sie kaum noch zu Valeria schicken, was mache ich da bloß?" Theatralisch seufzte er und legte eine Hand auf seine linke Brust.
„Ha ha", erwiderte ich kichernd, „guter Trick übrigens, um mich zu erinnern, dass Sie womöglich in Eile sind."
Leise lachte er auf, wobei seine Schultern ziemlich heftig bebten. Das war mit Sicherheit das Lustigste an dem Ganzen und ich stimmte in sein Lachen mit ein, bevor ich mich erhob und mich auf dem Weg machte, um Ms. Valeria zu finden.
Ich wollte gerade die Küche betreten, als ich Alejandra's Stimme hörte: „ Aber mal ehrlich, wie viel wissen wir über sie? Seit mehreren Wochen ist sie hier und was genau wissen wir? Dass sie Leah Anderson heißt, vor ein paar Tagen 20 wurde und das ist auch schon alles."
„Ich mag sie trotzdem", ertönte Julia's Antwort.
„Natürlich! Ich doch auch, sehr sogar. Ich mein ja nur, dass ich gern mehr über sie erfahren würde, aber sie ist wirklich sehr verschlossen. Jedes Mal weicht sie aus, wenn ich ihr persönliche Fragen stelle."
Ich musste nicht lange auf Julia's Antwort warten. „Eigentlich haben wir kein Recht dazu, ihr Fragen zu ihrem Privatleben zu stellen, aber ja, hast wohl irgendwie recht. Außerdem ist sie in letzter Zeit, besonders heute, wenn ich bemerken darf, ziemlich schlecht drauf. Da stelle ich lieber keine Fragen, und schon gar nicht Persönliche." Eine Weile war es still und ich beschloss, mit meinem Lauschen aufzuhören, als Julia noch hinzufügte: „Vielleicht hat sie heute einen Kater." Beide Mädchen kicherten, als ich unbemerkt zur Tür hinein spazierte. Lange könnte ich meine Schwangerschaft wohl eh nicht mehr verstecken, also konnte ich ja gleich mit der Tür ins Haus fallen.
„Nein, Mädels, ich hab keinen Kater. Bin nur schwanger." Ich versuchte meine Stimme so emotionslos zu halten, wie nur irgend möglich und zuckte mit den Schultern.
Erschrocken wirbelten Beide herum und sahen mich mit offenem Mund und ertappten Gesichtsausdruck an. Belustigt zwinkerte ich ihnen zu.
Alejandra war die Erste, die sich wieder fing und ein lautes Lachen von sich gab. „Der war gut. Und ich bin die Königin von England." Sie machte eine unbeholfene Verbeugung und fuhr fort: „Queen Alejandra, die Zweite." Stolz über ihren genialen Einfall, grinste sie mich an, während Julia sich am Nacken kratzte und verlegen zu Boden sah. Es war ihr wohl unangenehmer als Ale, dass ich einen Teil ihrer Unterhaltung mitbekommen hatte.
Als die Schwarzhaarige sah, dass ich nicht drauf einging und meinen Satz womöglich auch noch ernst gemeint hatte, starrte sie mich plötzlich entsetzt an. „Caramba, du bist wirklich schwanger!", stellte sie flüsternd fest.
Julia blickte mich nervös an und strich sich eine rote Haarsträhne hinters Ohr. Die unausgesprochene Frage stand in ihrem Gesicht geschrieben. Wieder zuckte ich mit den Schultern und spielte das Ganze hinunter. „Sowas kommt vor, wenn zwei verliebte Menschen..."
„Stop! Ich will nichts weiter hören!" Energisch unterbrach sie mich. Ich hatte nicht vorgehabt, sie in unangebrachte Details einzuweihen, aber Julia hatte manchmal eine ziemlich perverse Fantasie.
Ich konnte ein Kichern nicht unterdrücken und schüttelte amüsiert den Kopf.
Ale kreischte laut auf und klatschte begeistert in die Hände, bevor sie auf mich zukam und mich fest drückte. Augenblicklich versteifte ich mich, aber ich ließ es geschehen. Unbeholfen legte ich eine Hand auf ihren Oberarm und hoffte, dass das nicht zu allzu peinlich rüber kam. Nach einer halben Ewigkeit ließ sie mich endlich los, trat zurück und sah mich strahlend an. Bevor sie etwas sagen konnte, mischte Julia sich plötzlich ein: „Ich werde Patentante!"
„Nein, nein, das bin ich schon." Ale widersprach ihr energisch und schüttelte heftig den Kopf. Lachend drehte sie sich einmal um ihre eigene Achse.
„Dann bin ich eben Patenonkel." Achselzuckend eilte Julia an mir vorbei und zwinkerte mir schelmisch zu.
Ich brach in lautes Gelächter aus und setzte mich an den Tisch während ich behutsam meine Hand auf den Bauch legte.l Alejandra setzte sich mir gegenüber und sah mich neugierig an.
„Wie lange schon? Und wer ist der Vater?", fragte sie mich direkt.
„Ähm, seit ungefähr zwei Monaten". Leicht verlegen sah ich auf meine Nägel. Die bräuchten dringend mal wieder eine Reinigung.
„Das ist so cool, Leah. Wieso hast du es uns nicht schon früher erzählt?"
„Weil ich nicht so stolz drauf bin, ein uneheliches Kind in die Welt zu setzen." Mir wurde schwer ums Herz.
Empört sah sie mich an. „Leah, wem juckts ob du verheiratet bist oder nicht? Wir sind im einunzwanzigsten Jahrhundert! Niemand wird dich fragen, ob du einen Ring am Finger hast oder nicht!" Aufgebracht wedelte sie beim Sprechen mit ihren Händen.
„Mir juckts. Und Gott. Es ist nicht okay, aber ich kann's auch nicht mehr rückgängig machen und Abtreiben ist gar keine Option." Ich sah sie eindringlich an und fuhr fort: „Ich habe einen Fehler gemacht, doch trotzdem freue ich mich auf das Kind und liebe es jetzt schon. Aber das Alles hätte erst nach der Ehe geschehen dürfen."
Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Ihre dichten, schwarzen Augenbrauen berührten sich leicht. „Du bist religiös, was? Um ehrlich zu sein, ich glaube nicht an irgend einen Gott oder so. Aber hey, jetzt lass uns wieder raus zu den Gästen gehn. Julia braucht bestimmt schon Hilfe." Hastig stand sie auf und eilte aus die Küche und auch ich erhob mich langsam, um Ms. Valeria zu holen. Es tat mir in der Seele weh, dass Ale Gottes Existenz so stark anzweifelte und ich nahm mir vor, von nun an noch ernster und eindringlicher für meine Kolleginnen zu beten.
*Caramba= Meine Güte
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