Kapitel 15
Das nimmer endende Poltern an meiner Zimmertür riss mich aus meinem Schlaf. Ich blinzelte ein paar mal und warf einen Blick auf mein Handy. Kurz vor 7. Verflixt! Ich hatte gründlich verschlafen. Es kam selten vor, dass ich den Wecker nicht hörte.
Wieder klopfte es. „Schon gut, bin ja schon wach", murmelte ich gereizt. Der Schmerz von gestern Abend saß noch tief in meinen Knochen und ich war nicht unbedingt scharf drauf, jetzt jemandem zu begegnen. Besonders nicht meinen Eltern. Trotzdem musste ich aufstehen und mich zusammenreißen, egal wie sehr mein Herz blutete.
Plötzlich durchzuckte mich ein schlimmer Gedanke. Wie hatten Leah's Eltern wohl reagiert? Waren sie auch am Boden zerstört gewesen?
„Darf ich reinkommen?" Die raue Stimme meines Vaters drang durch die Tür an mein Ohr und störte meinen Gedankengang. Augenblicklich spannte mein Körper sich an und ich widerstand dem Drang, so zu tun, als wäre ich plötzlich wieder eingeschlafen. Ich war definitiv nicht bereit, so früh am Morgen schon einen Vortrag zu bekommen, aber je früher er ihn hielt, je schneller war er vorbei. Ich lockerte meine Hände, die ich unbewusst zu Fäusten geballt hatte und warf die Decke von meinem Körper.
„Ja", brummte ich mit einem komischen Gefühl im Bauch. Ich setzte mich im Bett im Schneidersitz auf, schlang meine dünne Decke um mich und wartete darauf, dass er eintrat.
„Ähm, ist verschlossen." Er rüttelte am Türknauf.
Seufzend stand ich auf und zog mir schnell meine Jeans an, die bis zu den Zeitpunkt den Boden Gesellschaft geleistet hatte. Etwas widerwillig öffnete ich die Tür, ging zurück zum Bett und schmiss mich drauf. Mein Vater trat ein und lehnte sich an der Wand mir gegenüber. Als er immer noch nichts sagte, hob ich den Kopf und blickte direkt in seine waldgrünen Augen, unter denen sich dunkle Schatten befanden. Seine Gesichtszüge waren angespannt und müde. Er sah so aus, als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen.
„Schiess los", sagte ich emotionslos, „schrei mich an. Bring's hinter dir."
Er räusperte sich und hielt meinen Blick stand. „Und, was wirst du jetzt tun?" Seine Stimme hatte einen fremden, rauen Klang.
Ähm, ich war leicht verwirrt. Er schien nicht besonders wütend zu sein. Zwar wusste ich ganz genau, was er mit seiner Frage meinte, aber die Antwort darauf hatte ich noch nicht.
„Ich zieh mir gleich mal ein Hemd an und checke, ob Mam das Frühstück schon fertig hat." Ich zuckte mit den Schultern und ging auf meinem Schrank zu. Energisch riss ich die Tür auf und kramte wahllos zwischen den T-Shirts Rum, die auf bunten Kleiderbügeln hingen. Das Braune, das ich mir gestern nach dem Duschen angezogen hatte, musste wohl irgendwo unterm Bett liegen, da ich es nirgends auf dem Boden liegen sah.
Ohne ihn anzusehen wusste ich, dass er seinen intensiven Blick in meinen Hinterkopf bohrte. Achselzuckend griff ich nach einem Shirt in einem hellen Orange Ton und zog es mir über den Kopf.
Als mein Pah aber immer noch schwieg, wandte ich mich um. Sein starrer Blick war auf mich gerichtet und ich versuchte seinen Blick standzuhalten, aber wenn Pah's Augen mich durchbohrten, hatte ich mich schon immer ziemlich klein und schuldig gefühlt. Ich atmete laut ein und sah auf meine Hände. „Keine Ahnung. Ich weiß, dass du es nicht billigen wirst, aber ich muss sie finden. Werd heute wohl zur Bus Station fahren und sehen was ich in Erfahrung bringen kann."
„Bus Station?", fragte er strinrunzelnd nach.
„Yup, Mike hat sie hin gebracht und von dort ist sie, was weiß ich wo, hingefahren."
Mein Vater nickte kaum merklich und eine graue Haarsträhne fiel sanft auf seine Stirn. „Und wieso glaubst du, dass ich damit nicht einverstanden wäre?"
Wütend schnaubte ich. „Naja, nachdem du gestern ohne ein Wort aus dem Zimmer gestampft bist, dachte ich, dass du ziemlich angepisst bist." Ich wusste, dass ich kein Recht hatte in so einem Ton mit meinem Vater zu sprechen, aber im Moment klaffte die Wunde zu schmerzhaft, als dass ich mich beherrschen konnte.
„Sohn, ja, ich war enttäuscht und bin es immer noch. Ich hätte nie gedacht, dass..." Er schüttelte den Kopf und sah auf den Boden, während er fortfuhr: „Aber jedermann macht Fehler. Und das wichtigste ist, dass man sie vor Gott bringt, sie bekennt und sie dann auch wieder richtig stellt."
Das hatte ich schon so oft getan. Ich wusste, dass Gott mir verziehen hatte, aber immer und immer wieder quälte mich mein Gewissen. Ich wusste, dass ich loslassen musste, um weiter zu kommen, aber das war leichter gesagt als getan.
„Das will ich ja auch. Ich habe nicht vor, mich vor meiner Verantwortung zu drücken. Es wird schwer werden, dessen bin ich mir bewusst, aber ich werde sie aufspüren. Koste, was es wolle."
„Ich würde ernsthaft überlegen, dich mal wieder über's Knie zu legen, wenn du dich zu etwas Anderem entschieden hättest." Der Anflug eines matten Lächelns schlich sich auf seine Lippen.
Ungläubig weiteten meine Augen sich. Er wollte wirklich, dass ich sie finde? Das hätte alles so anders kommen können! Ehrlich erwiderte ich sein Lächeln und der Schmerz in meinem Herzen, den ich bis jetzt noch verspürt hatte, linderte sich. Wenn mein Vater damit umgehen konnte, dann meine Mutter vielleicht auch. Ich konnte mich wirklich glücklich schätzen, Eltern zu haben, die mich nicht verdammten, sondern mich immer noch genau so sehr liebten. Nicht alle hier im Dorf, wahrscheinlich die Allerwenigsten, hätten so ein Glück. Oder wohl eher Segen?
„Danke, dass du mich nicht hasst", sagte ich aufrichtig.
„Aber niemals, Sohn. Und jetzt Abmarsch, deine Mutter wartet bestimmt schon." Er öffnete die Tür und wartete, bis ich hindurch gegangen war und folgte mir ins Esszimmer.
Nervös schlenderte ich vorwärts und ließ mich auf meinen Platz fallen. Von meiner Mutter war keine Spur, aber ein leckeres Frühstück stand schon auf dem Tisch: frischer, selbstgemachter Käse, Mam's beste Erdbeermarmelade, gebratene Eier und Bacon und noch köstlich duftende Brötchen. Mir lief die Spucke im Mund zusammen.
Pa setzte sich ans Tischende und holte sein Handy aus seiner Hemdtasche. Amüsiert beobachtete ich, wie er stirnrunzelnd und unbeholfen mit seinem breiten Zeigefinger darauf herumtippte.
„Brauchst du Hilfe?" Nur mit Mühe gelang es mir ein Kichern zu verkneifen.
„Natürlich nicht! Ich weiß doch selber, wie man Mini-Bikes kauft", erklärte er empört und warf mir einen vernichtenden Blick zu, den ich schmunzelnd erwiderte. „Mega-Bytes meinst du sicher."
„Sagte ich doch. Mega-Bikes", murmelte er und fummelte weiter auf dem, viel zu grellen Display herum.
In dem Moment trat meine Mutter in den Raum und schulterte meinen 'camouflage' farbenen Rucksack. Verwirrt blickte ich sie an und erschrak bei ihrem Anblick. Auch sie hatte dunkle Augenringe, ihre Haut war immer noch ziemlich fahl und ihre Haare mächtig zerzaust.
„Schmeißt du mich raus?", fragte ich entsetzt und starrte auf meine vollgepackte Tasche.
Sie legte ihren Kopf schief und lächelte schwach. „So in etwa. Irgendwo da draußen ist Leah ganz auf sich allein gestellt und braucht deine Hilfe."
Ich wäre wohl vom Stuhl gefallen, hätte die Lehne das nicht verhindert! Sie war mir also auch nicht böse?
„Du... du bist also nicht sauer?" Ich runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Ich begriff noch nicht richtig, was das für mich bedeutete.
„Ich war zwar ziemlich durch den Wind und finde es auch immer noch nicht richtig, dass es vor, ähm, vor der Hochzeit passiert ist, aber nachdem der Schock überstanden war... Naja, was soll ich sagen? Ich werde Großmutter!" Sie warf die Arme in die Luft und ich sah es ihr an, dass sie nur mit Mühe ihre Begeisterung verbarg.
Ich brach in schallendes Gelächter aus, wohl weniger wegen ihrer Aussage, als wegen der unendlich schweren Last, die plötzlich von meinen Schultern fiel. Die Angst, meine Eltern verloren zu haben, war einer, noch tieferen Liebe als bisher, gewichen. Erleichterung breitete sich in mir aus und ließ mich laut ausatmen.
„So und jetzt lasst uns essen. Du musst wieder zu Kräften kommen, mein Großer, schließlich hast du eine große Aufgabe vor dir." Sie stellte den Rucksack mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden und setzte sich mir gegenüber. Jetzt konnte das Frühstück meinetwegen beginnen. Ich war so hungrig, wie schon eine ganze Weile nicht mehr.
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