Kapitel 14


Nach dem Abendessen saß ich auf einem Stuhl in der Küche, während Mam das Geschirr spülte. Mein Vater stand vor dem Fenster, mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand und beobachtete die Wassertropfen, die ununterbrochen die Scheibe hinunter liefen.
Die Laterne vor dem Haus tauchte ihren kleinen Umkreis in goldenes Licht, doch der Rest wurde von schwarzer, dichter Dunkelheit umhüllt. Graue Regenwolken vereinigten sich am Himmel und verhinderten jegliches Leuchten des großen, runden Vollmonds, der zwar irgendwo da oben war, aber seine Anwesenheit mit keinem Lichtstrahl verriet.
Ich lenkte den Blick auf meine nackten Füße und versuchte mich für das bevorstehende Gespräch zu wappnen. Es würde nicht angenehm werden, dessen war ich mir zu hundert Prozent bewusst. Aber nachdem Leah's Mutter mir ein paar wichtige Informationen gegeben hatte, musste ich erst mit meinen Eltern reden, bevor ich handeln konnte. Das müsste ich sowieso früher oder später, aber ich hatte nicht den blassesten Schimmer, wie ich es ihnen schonend beibringen sollte. Mam würde es zwar weder gutheißen noch verstehen, aber sie würde mir nicht kalt den Rücken zuwenden. Bei meinem Vater war ich mir da nicht so sicher. Er war stolz auf mich, seinen einzigen Sohn, das wusste ich, auch wenn er es nicht offen zeigte. In seinen Augen war ich ein verantwortungsvoller, junger Mann, dem er alles nach bestem Wissen beigebracht hatte, was er für wichtig hielt, unter Anderem auch, wie man richtig mit Frauen umging. Das hatte er mir Tag für Tag an meine Mutter gezeigt.
Und dass ich jetzt so dermaßen versagt hatte, würde ihm einen heftigen Schlag versetzen. Ich wollte nicht wissen, wie er damit umgehen würde. Wieso eigentlich war alles nur so furchtbar kompliziert? Ich seufzte hörbar und fuhr mir mit der Hand über's Gesicht.
„Roy?" Mein Vater sah mich fragend an. Ihm war mein Seufzen wohl nicht entgangen und ein kalter Schauer jagte mir den Rücken hinunter. Meine Nackenhaare stellten sich auf und im Magen lag eine tonnenschwere, eiserne Faust.
Ich atmete tief durch, ließ meinen Kopf hängen und knetete nervös die Hände.
Auch meine Mutter war auf mich aufmerksam geworden. Sie stellte schnell die letzte Tasse in den Schrank und rückte einen Stuhl heran, um sich anschließend darauf zu setzen. „Es ist wegen Leah, stimmt's?"
Müde nickte ich. Das Gewicht in meinem Bauch, schien sich zu verdoppeln. Jetzt war es soweit.
„Zeit, dass du mit dem Kapitel abschließt. Hätte sie etwas von dir gewollt, hätte sie sich längst gemeldet." Trocken spuckte mein Vater die Worte aus, aber ich konnte es ihm nicht verübeln, schließlich kannte er den Grund ihres Verschwindens ja nicht. Noch nicht.
„So ist das nicht", verteidigte ich sie schwach. „Sie ist...", meine Stimme brach ab, bevor ich die schreckliche Tatsache aussprechen konnte.
"...nicht das Mädchen, für die wir sie gehalten haben", beendete Pah den Satz und ein bitteres Lächeln trat auf seinem Gesicht.
„George", flüsterte Mam aufgebracht und sah ihn mit großen Augen an.
„Was? Hast du dich etwa nicht an ihr getäuscht?" Seine Stimme war weder hart noch schroff ihr gegenüber, trotzdem schnitten seine Worte mir ins Herz. Gleich würde er dasselbe von mir behaupten müssen.
„Falsch. Ich bin nicht der Sohn, für den ihr mich gehalten habt." Nun gab es kein Zurück mehr. Ich starrte  auf meine verschwitzten Hände und wagte nicht in die Gesichter meiner Eltern zu sehen. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und ich schluckte schwer.
„Was? Wie meinst du das?", hakte meine Mutter sanft nach.
Ich atmete tief ein und aus und hob den Kopf. Ja, ich hatte mich verschuldet und zwar sehr, aber ich war Mann genug, um meine Fehler zuzugeben und das erhobenen Hauptes. Mit leicht verschleierten Augen sah ich meine Eltern an und öffnete meine zitternden Lippen. „Sie ist schwanger", brachte ich mühsam und flüsternd hervor.
Mam's Augen weiteten sich und sie zog scharf die Luft ein. Ihre Kinnlade klappte auf und sie schlug sich mit der rechten Hand auf die Brust.
Ein wütender Ausdruck machte sich auf dem Gesicht meines Vaters breit und seine Augen funkelten bedrohlich. „Welcher Mistkerl war das?" Seine Stimme war erschreckend laut.
Jetzt klappte mir der Mund auf. Was? Er dachte sie wurde vergewaltigt? Heftig schüttelte ich den Kopf, um die schreckliche Vorstellung zu vertreiben. Mein Hals war trocken und ich schluckte erneut, bevor ich schuldbewusst die nächsten Worte aussprach. „Ich bin der Mistkerl, Pa."
Er kniff die Augen zusammen und musterte mich eindringlich. Plötzlich schien er zu begreifen, was das bedeuten sollte und ein bitterer Zug schlich sich um seinen Mund. Angewidert verzog er das Gesicht und wandte sich ab. Er schritt zurück zum Fenster und kehrte mir den Rücken zu. Meine Mutter saß immer noch reglos da und schien die Welt um sich herum gar nicht wirklich wahrzunehmen. Ihr leerer Blick lag auf mir.
Alles war mucksmäuschenstill im Raum und nur das leise Rieseln des Regens drang schwach zu mir hindurch. Das Schweigen meiner Eltern schien mich zu ersticken und hilflos flüsterte ich: „Könnt ihr nicht irgendetwas dazu sagen? Egal was, schreit mich an oder schickt mich vom Hof, nur irgendetwas!" Meine Stimme wurde am Ende etwas lauter. Mein Vater schnaubte hörbar, schüttelte den Kopf und bretterte die Tasse Kaffee auf den Tisch, so heftig, dass ein Großteil der schwarzen Flüssigkeit über den Rand schwappte. Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen eilte er davon. Ich hörte, wie die Schlafzimmertür laut ins Schloss fiel und verletzt schloss ich die Augen. Was hatte ich eigentlich erwartet? Das er mir um den Hals sprang und mir gratulierte? Im Innern hatte ich gewusst, dass es ungefähr so enden würde, trotzdem fühlte es sich so an, als ob jemand mir ein Messer in den Rücken rammte.
Als ich meine Augen wieder aufschlug, sah ich, wie Mam sich langsam erhob, immer noch blass und entsetzt, sich umdrehte und meinem Vater lautlos ins Schlafzimmer folgte.
Mein Brustkorb krampfte sich schmerzhaft zusammen. Ich hatte schon längst eingesehen, bereut und bekannt, dass ich mich vor Gott verschuldet hatte, was sollte ich denn sonst noch machen? Dass sogar meine Mutter mich fallen ließ, riss mein Herz in zwei Teile. Ich spürte wie das Messer wieder aus meinem Rücken gerissen wurde und realisierte, das es viele, kleine, aber tödliche Widerhäkchen hatte.
Eine bleierne Hand legte sich um meinen Hals und schien mich ersticken zu wollen. Ich schnappte verzweifelt nach Luft. Alle hatten mich verlassen. Erst Leah, dann meine Eltern. Diejenigen die mir am Wichtigsten waren, räumten ihre Zimmer in meinem Innern und liefen höhnisch grinsend davon. Sollte Mike sich ihnen doch auch noch anschließen! Sollten sie doch alle gehen und mich hier alleine zurücklassen!
Mit einem unsagbarem Stechen in der Brust stand ich auf und befahl meine Füße mich in mein Zimmer zu schleppen. Leise schloss ich die Tür, lehnte mich dagegen und ließ den Kopf in den Nacken fallen. Schwer atmete ich ein und aus und versuchte das alles irgendwie zu verarbeiten. Ich spürte, wie die ersten Tränen in meinen Augen brannten und sich erbarmungslos den Weg in die Freiheit verschafften. Still flossen sie über meine Wangen und hinterließen dunkle Spuren auf mein braunes Shirt. Langsam ließ ich mich auf den Boden gleiten, zog meine Kniee an und legte meine Stirn auf ihnen ab. Tief ein und aus atmen, versuchte ich mich selber zu beruhigen.
Eine ganze Weile saß ich da und kämpfte mit meinen Tränen, doch irgendwann hielt ich sie erfolgreich zurück.
Müde und ausgelaugt stand ich auf und setzte mich auf mein Bett, bevor ich mich auf den Rücken fallen ließ.
Plötzlich vibrierte mein Handy in der Hosentasche und lenkte mich etwas von meinem Herzschmerz ab. Lustlos nahm ich es zur Hand und sah auf den Display. Die Nachricht war von Mike.
Leah hat gerade geschrieben, las ich.
Wie bitte? Ich dachte sie wäre unerreichbar!
Was? Sie hat sich wirklich gemeldet? Was sagt sie?
Es dauerte keine Minute, bis ich seine Antwort erhielt.
Ja, sie schreibt manchmal, um über belangloses Zeug zu plaudern. Aber sie passt sehr auf, was sie sagt, um ja auch gar nichts anzudeuten, das ihren Aufenthaltsort verrät.
Dieser Idiot! Wie oft würde er mir noch wichtige Dinge vorenthalten? Am liebsten hätte ich ihm mit voller Wucht in die Fresse gehauen! Bevor ich noch weiter darüber nachdenken konnte, wie ich sein Gesicht am Besten veranstalten könnte, kam auch schon die nächste Nachricht.
Soll ich ihr sagen, dass du Bescheid weißt?
Rasend schnell und panisch tippte ich auf dem Display meines Handys herum.
Bloss nicht! Dann wird es noch schwerer, aus ihr etwas herauszubekommen! Und falls du mir noch etwas verschweigst, solltest du, um deiner eigenen, lieben Sicherheit willen, jetzt anfangen zu reden!
Es dauerte eine ganze Weile, bis Mike geantwortet hatte.
Alter, komm runter. Es gibt wirklich nichts mehr, das du wissen solltest.
Na, das wollten wir mal wirklich hoffen!
Ich warf mein Handy achtlos neben mir auf's Bett und massierte mir die Schläfe. Die Folgen dieses anstrengenden Tages machten sich bemerkbar. Mein Kopf fing stark an zu hämmern und die Müdigkeit übermahnte meinen Körper. Ich drehte mich auf die Seite und hoffte von Herzen, dass ich ganz schnell in den heiß ersehnten Erlösungsschlaf fallen würde.

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