Kapitel 12
„Wir könnten meine Mutter fragen, wo Leah ist." platzte Mike nach einer weiteren meiner Drohungen heraus und sah mich unsicher an, als er wieder etwas vom Tereré trank.
Seine Worte hallten in meinem Kopf wider, bevor ich so richtig begriff, was er gesagt hatte. Überraschung machte sich plötzlich auf meinem Gesicht breit. Mrs. Anderson wusste, wo Leah steckte? Irgendwie war das ja nicht wirklich verwunderlich, aber ich hatte keinen einzigen Gedanken daran verschwendet.
„Deine Mam weißt wo sie ist?", hakte ich sicherheitshalber nach.
„Naja, ich bin mir nicht ganz sicher, aber Leah hat, kurz bevor sie ging, sich lange mit ihr unterhalten. Ich weiß zwar nicht, wie viel sie ihr verraten hat, aber ich denke schon, dass sie mehr weiß, als ich. Meine Eltern hätten sie niemals gehen lassen, ohne wenigstens ungefähr zu wissen, wo sie hin will."
„Meinst du, sie würde uns das verraten?" Mit skeptischer Miene bedachte ich meinen Freund.
Er zuckte mit den Schultern und richtete seinen Blick aus dem Fenster hinaus, während ich das kalte Teewasser trank. „Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden."
„Hast recht." Hastig erhob ich mich, bevor ich weitersprach: „Kommst du? Die Zeit läuft mir davon." Ich war fest entschlossen, die Liebe meines Lebens wiederzufinden. Und unser gemeinsames Kind.
Mike sah mich an, als hätte ich jetzt völlig den Verstand verloren. „Alter, bist du verrückt? Doch nicht jetzt! Wir müssen den richtigen Moment abwarten!"
„Ich würde sagen, den haben wir." Ich marschierte schnurstracks auf die Tür zu und warf einen Blick über meine Schulter. Mike rappelte sich auf, stellte die Kanne mit dem Wasser so heftig auf den Boden, dass ein bisschen Wasser über den Rand schwappte und auf dem Fußboden landete und stolperte mir aufgebracht hinterher. Er griff nach meinem Arm und zog mich ruckartig nach hinten. Genervt starrte ich ihn an. Langsam verlor ich die Geduld.
„Das kann doch nicht dein Ernst sein, Roy!" Unglauben machte sich auf seinem Gesicht breit.
„Was glaubst du denn?" Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und als er sah, dass ich meine Entscheidung nicht ändern würde, seufzte er laut auf und nickte ergeben. Er öffnete die Tür und sagte: „Es hat eh keinen Zweck, mit dir zu diskutieren. Bringen wir's hinter uns."
Wir eilten in die Küche und Mike sah sich suchend nach seiner Mutter um.
„Oh nein, Roy! Wir können von unserem Plan vergessen!", flüsterte Mike plötzlich entsetzt und zeigte mit dem Finger aus dem Fenster. Ich folgte seinem Blick und sah ein mir unbekanntes Auto, das vor dem Haus parkte. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu.
„Mrs. Miller", flüsterte er entsetzt.
Ich runzelte die Stirn und hatte keinen Schimmer, was mir das sagen sollte. „Und was heißt das jetzt?"
„Shht, nicht so laut. Mrs. Miller ist die Tratschtante des Dorfes und ist im Moment hier. Bei uns. Zu Besuch. Das kann nichts Gutes heißen. Ich sag dir, Roy, das wird schlecht enden." Heftig schüttelte er seinen Kopf, während er immer noch regungslos dastand und auf das rote, unheilversprechende Auto starrte.
Oh. Das war gar nicht gut. „Und was machen wir jetzt?", fragte ich und versuchte meine Stimme leise zu halten.
Mike sah mich entschlossen an, legte den Finger auf seine Lippen und bedeutete mir mit seiner Hand, mitzukommen. Langsam folgte ich ihn zur Wohnzimmertür, aus der gedämpfte Stimmen drangen. Sachte lehnte er sein Ohr dagegen und versuchte angestrengt etwas mitzubekommen.
Stirnrunzelnd sah ich ihn an. Ernsthaft? War das nicht irgendwie falsch und ja, sogar kindisch? „Was tust du da?", flüsterte ich.
Kaum hörbar antwortete er: „Lauschen. Bei ihr darf man eine Ausnahme machen. Wirklich." Er sah mich so überzeugt an und zögernd nickte ich, während ich seinem Beispiel folgte und auch ich mich an die Tür lehnte.
„Weißt du", drang eine schrille Stimme zu uns durch, „Laura hat zuhause erwähnt, dass Leah schon seit geraumer Zeit nicht mehr zum Jugendtreffen gekommen ist." Das müsste wohl Mrs. Millers sein, denn Mrs. Anderson war es definitiv nicht.
„Deswegen hab ich mir gedacht, ich tu meiner lieben Tochter einen Gefallen und erkundige mich", fuhr sie fort.
Angewidert verzog ich das Gesicht. Das war die absolut falsche Richtung, in der sie das Gespräch lenkte.
„Stimmt. Sie geht nicht so gerne hin." Mrs. Anderson's zarte Stimme war kaum vernehmbar.
„Aber, aber, meine Liebe, wieso denn nicht?" Ich zuckte kurz zusammen, als ihre Stimme deutlich an Lautstärke gewann.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Antwort kam. „Sie ist nicht so gern unter Menschen und bevorzugt das Alleine sein."
'Gut, Mrs Anderson', lobte ich ihr in Gedanken die ausweichende Aussage.
Ihre Besucherin schnaltzte missbilligend mit der Zunge. „Dann läuft da definitiv was falsch bei dem Mädchen. Ich sage immer zu meinen Kindern, 'nur derjenige, der etwas zu verheimlichen hat, versteckt sich'. Es ist gar nicht gut, wenn junge Leute zu viel alleine sind und deswegen auch noch die geistlichen Versammlungen schwänzen. Das darfst du nicht zulassen, Katja. Du musst dem Mädel mal gründlich verdeutlichen, wer hier im Hause das Sagen hat!"
'Allem Anschein nach, versuchst du hier das Sagen zu haben', dachte ich erbost.
„Eigentlich zwingen wir sie nicht, hin zu gehen. Immerhin ist sie erwachsen und kann ihre eigenen Entscheidungen treffen." Die Unsicherheit in der Stimme von Mike's Mutter war nicht zu überhören.
„Eine gute Mutter kümmert sich um ihr Kind", schleuderte ihre Besucherin ihr entgegen, „und wenn das heißt, ihre Kinder persönlich in die Kirche zu schleppen!"
Langsam wurde mir das fast zu viel. Ich blickte zu Mike und sah, dass es ihm ähnlich erging. Mit zusammen gebissenem Kiefer erwiderte er meinen Blick.
„Und, meine liebe Katja", fuhr Mrs. Miller fort, „was macht sie denn so, wenn sie nicht mehr zur Kirche kommt? Trifft sie sich also öfter, mit dem jungen Mann, mit dem sie sowieso schon viel zu lange zusammen ist?"
Ich schnappte hörbar nach Luft. Es ging sie einen feuchten Dreck an, wie lange ich Leah daten wollte und außerdem hatte ich ja geplant, ihr in Kürze einen Antrag zu machen, aber das hatte sich ja, so wie es aussah, erledigt. Mir kribbelten die faustgeballten Hände, die jetzt nur zu gern Bekanntschaft mit Mrs. Miller machen würden.
Wütend presste ich mein Ohr fester an die Holztür.
„Marie, es ist doch wohl die Entscheidung der Beiden, wann sie heiraten wollen, oder etwa nicht?" Leise, aber entschlossen kam die wohltuende Antwort.
„Du solltest am Besten wissen wie es endet, wenn zwei junge Menschen sich zu oft und über einen zu langen Zeitraum treffen", keifte sie zurück. „Sie folgen den Lüsten dieser Welt und..." Weiter bekam ich es nicht mit, da Mike sich plötzlich aufrichtete und seine Hände zu Fäusten ballte. Er griff nach der Türklinke und ich musste mich beeilen, einen Schritt zurück zu weichen, als die Tür aufflog und an die Betonwand donnerte. Ganz sicher würde sich dort jetzt ein Abdruck der Klinke befinden.
Mit erschreckten Gesichtern starrten beide Frauen uns an, doch bevor irgendjemand etwas sagen konnte, hob Mike langsam seinen Zeigefinger und richtete ihn warnend auf den unerwünschten Gast. „Mrs. Miller, ich glaube es ist an der Zeit, dass sie gehen." Seine Stimme war bedrohlich leise.
Diese schlug sich die Hand auf die Brust und stieß ein schrilles Quietschen aus.
Ich warf Mrs. Anderson einen Blick zu, die erleichtert lächelte, doch sofort verwandelte sich ihre Miene in einen düsteren Ausdruck.
„Katja, Hörst du nicht, wie dein Sohn mit mir redet?" Aufgebracht schnauzte sie Mike's Mutter an. Die Fassungslosigkeit des Geschehens stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Auch ich treffe meine eigenen Entscheidungen", erwiderte Mike ungerührt mit tiefer Stimme, „und im Moment entscheide ich, dass sie unser Haus auf der Stelle verlassen!"
Wutentbrannt sprang sie auf und der Plastik Stuhl rutschte ein ganzes Stück rückwärts. „Du unverschämter Bengel!", schrie sie, „das wirst du bereuen!" Sie warf seiner Mutter noch einen vernichtenden Blick zu und stürmte an uns vorbei aus dem Haus. Kurz darauf krachte die Küchentür und das Geräusch eines brummenden Motors folgte.
Alles war still im Zimmer, bis Mrs. Anderson leise fragte: „Dir ist bewusst, dass das Konsequenzen haben wird, Mike, oder?"
„Ja, ist mir. Aber sie hat absolut kein Recht so mit dir zu reden. Sie hat dich regelrecht verhört. Ich lasse nicht zu, dass irgendjemand dich in unserem eigenen Haus so behandelt, Ma." Ernst schaute er seine Mutter an, die daraufhin liebevoll lächelte. „Das ist nett von dir. Ich bin stolz auf dich, aber das wird aus dem Ruder laufen. Das kann nicht gut enden."
Sein Gesichtsausdruck wurde hart. „Danke. Aber jetzt müssen wir reden."
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und räusperte mich kurz. Mir war unbehaglich zumute und am liebsten hätte ich jetzt auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre davongeeilt, aber ich war fest entschlossen, dieses Gespräch hinter mir zu bringen.
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