Kapitel 11


Unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her. Es fühlte sich so an, als säße ich auf einen Haufen roter Feuerameisen. Das Essen vor mir auf dem Teller lag noch unberührt da und obwohl es wirklich köstlich aussah, verspürte ich einfach keinen Appetit.
„Roy, wieso isst du nicht?" Mams liebevolle Stimme ließ mich aufblicken.
„Hab nicht besonders großen Hunger." Ich vermied es, sie anzusehen und stocherte unbeholfen in meinem Salat rum.
„Aber du liebst doch immer gegrilltes Rindfleisch und glaub mir, dein Pah hat es heute besonders gut hingekriegt." Sanft tätschelte sie meine Hand.
Ich erwiderte nichts und schob mir eine Gabel voll Reis in den Mund. Lecker wie eh und je, aber es fühlte sich so an, als wäre mein Magen ein einziger Knoten.
Pa räusperte sich kurz. „Sohn, wir wissen, dass es schwer für dich ist, aber seit Leah gegangen ist, schläfst du kaum noch und magerst ab. Du solltest wirklich ein bisschen essen."
Ich blickte auf und sah in sein besorgtes Gesicht. 'Wenn sie nur wüssten!', schoss es mir durch den Kopf. 'Dann wären sie bestimmt nicht mehr so verständnisvoll und darauf bedacht, dass es mir gut gehen sollte'. Lustlos widmete ich mich wieder dem Essen zu und versuchte, wenigstens ein bisschen was zu essen.

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Obwohl es erst früher Nachmittag war, hielt ich es einfach nicht länger aus. Ich schwang mich aus meinem Bett und hastete aus dem Zimmer. Als ich in die Küche kam, griff ich nach meinem Motorradschlüssel, der auf dem Tisch lag und eilte hinaus. Eine angenehme Brise wehte mir ins Gesicht und der intensive Geruch nach nasser Erde stieg mir in die Nase. Ich blickte nach oben und sah, dass der Himmel von einer grauen Wolkendecke überzogen worden war, die jegliche Strahlen der heißen Sommersonne abfing. Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich vielleicht den Pickup meines Vaters nehmen sollte, aber ich schüttelte entschlz den Kopf und setzte mich auf meine Honda 150. Es war zwar kein besonderes Motorrad und dazu noch ein Kleines, aber es erfüllte seinen Zweck einwandfrei und das war alles, was ich brauchte.
Nach ein paar Minuten hielt ich vor Mike's Haus und fragte mich, ob es nicht klüger gewesen wäre, noch bis zum Abend zu warten, doch ich war mir sicher, dass ich es bis dahin sowieso nicht ausgehalten hätte, also schadete es auch nicht, wenn ich jetzt schon hier war.
Diesmal klingelte ich höflich und wartete ungeduldig darauf, dass jemand die Tür öffnete, was auch bald darauf geschah. Mike's Mutter sah mich überrascht an. „Hallo Roy, wie geht's dir?"
Wie's mir ging? Ich verspürte einen leisen Anflug von Ärger über diese Frage, da es eigentlich selbstverständlich war, dass es mir im Moment beschissen ging. Aber sie konnte ja nichts für die Dummheit ihrer eigenen, sturköpfigen, aber dennoch bezaubernden Tochter. Ob ihre Mutter wohl von dem Kind wusste? Von unserem Kind?
Ich riss mich zusammen und schüttelte innerlich alle bedrückenden Gedanken ab. Jetzt war ich ja hier und vielleicht hätten wir bald eine Lösung für unser Problem. Oder besser gesagt, mein Problem. „Oh, Mrs. Anderson, mir geht's gut, danke." Ich räusperte mich kurz. „Ist Mike da?"
Sie runzelte die Stirn. „Tut mir leid, nein. Er ist mit seinem Vater auf dem Feld, um nach den Pflanzen zu sehen und falls Ungeziefer auf ihnen gesichtet wird, die notwendigen Maßnahmen ergreifen zu können. Aber du darfst trotzdem gerne reinkommen." Sie legte den Kopf schräg und lächelte mich an, allerdings erreichte das Lächeln nicht mal ansatzweise ihre Augen.
Leicht verlegen sah ich auf meine Hände und knetete sie nervös. Das hatte ich doch wissen müssen, dass er nicht zuhause wäre und noch Arbeit zu erledigen hatte. Ich selber war nur deswegen heute daheim, weil ich den ganzen Prozess gestern schon erledigt hatte und wir heute nicht Gift sprühen konnten, weil Regen erwartet wurde. Und so kurz vor dem Regen zu sprühen, war nicht die beste Idee, da das Gift dann nicht lange genug auf den Pflanzen war, um volle Wirkung erzielen zu können.
Innerlich schlug ich mir mit der flachen Hand gegen den Kopf! Ich war so abgelenkt und erwartungsvoll über den Plan gewesen, in den Mike mich heute einweihen wollte, dass ich es für selbstverständlich gehalten hatte, ihn zuhause anzutreffen.
„Achso, kein Problem. Danke für ihr Angebot, aber ich fahr dann mal lieber, bevor es zu regnen anfängt." Ich zögerte kurz, bevor ich etwas unbeholfen meine Hand zum Abschiedgruß hob. „Wir sehen uns. Einen schönen Tag noch."
„Danke, ebenfalls." Auch sie hob leicht ihre Hand und ich drehte mich enttäuscht um, ohne noch irgend etwas zu sagen und schritt energisch zum Motorrad. Als ich mich gerade hinauf setzte, hörte ich das tiefe Brummen des alten Volkswagens, der knatternd die Auffahrt rauf ratterte. Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr meiner Kehle und ein mattes Lächeln schlich sich auf meine Lippen.
Kaum hatte Mike das Auto zum Stehen gebracht, warf er schon die Tür auf und eilte auf mich zu. „Hey, Kumpel, komm mit. Ich hol uns gleich was zu trinken."
Wir begrüßten uns mit einem Handschlag, bevor ich ihm, an eine stirnrunzelnde Mrs. Anderson vorbei, ins Hausinnere folgte.
Er lief zur Küche, schnappte sich ein transparentes Glas und füllte es halb mit Yerba, bevor er das metallene Trinkrohr, das am unteren Ende eine Art Sieb hatte, das verhinderte, dass man kleine Blattstückchen mittrank, aus der Geschirrschublade nahm. Aufmerksam folgte ich jede seiner Bewegungen, die nicht annähernd so geschickt ausgeführt wurden, wie die von Leah. Mike verschüttete eine kleine Menge von dem Stroh auf dem Fußboden, aber das schien ihn nicht weiter zu kümmern. Fast hätte ich ihn daran erinnert, dass er das gefälligst aufräumen sollte, aber gerade noch rechtzeitig fiel mir ein, dass es eine Verzögerung bezwecken würde, bis wir zum Geschäftlichen kommen könnten. Ich hatte den leisen Hauch eines schlechten Gewissens, aber meine Ungeduld siegte. Außerdem musste seine Mutter sich inzwischen schon an das Chaos gewöhnt haben, das er regelrecht veranstaltete, redete ich mir ein.
Nachdem auch eine weiße Kanne mit eiskaltem Wasser bereit stand, machten wir uns auf dem Weg ihn sein Zimmer. Heiße, stickige Luft schlug uns entgegen, was bei der drückenden Hitze, die noch bis vor einer Stunde angehalten hatte, nicht verwunderlich war. Mike schaltete die Klimaanlage an und warf sich auf das hellbraune Sofa, das in der Ecke seinem Bett gegenüber, stand. Ich steuerte auch darauf zu, doch bevor ich mich setzen konnte, hielt er mich auf.
„Alter, keinen Schritt näher. Ich bin zwar dein bester Freund, aber dein Kuschel-Ersatz noch lange nicht".
Das Sofa war zwar groß genug für zwei, aber Mike beanspruchte es meistens für sich alleine. Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu, bevor ich mich, wie am Abend zuvor schon, auf den Boden setzte. „Idiot", murmelte ich. Mit größter Mühe hielt ich den Wortschwall von Schimpfwörter zurück, der ganz vorne auf meiner Zunge lag und beherrschte mich, meine miese Laune nicht noch weiter an ihm auszulassen.
Er schüttelte den Yerba im Glas zurecht, bevor er das Trinkrohr reinsteckte und etwas Wasser in den Behälter goss.
„Also, was bringt dich her?", fragte er mich, ohne aufzusehen.
„Mike, jetzt tu nicht so, als ob du nicht wüsstest, wieso ich hier bin". Warnend blitzte ich ihn an.
„Achso", sagte er gedehnt und kratzte sich am Nacken, nachdem er mir das Glas gereicht hatte. „Das hatte ich ja glatt vergessen."
Ich schenkte ihm meinen besten Killer-Blick und hoffte insgeheim, dass ich meine Hände vielleicht auch noch zum Einsatz bringen konnte. Ich war heute wirklich nicht in Stimmung, um Mike's Witze lustig zu finden. 
„Okay, okay." Abwehrend hob er die Hände. „Also gut, ich habe einen Plan, aber ich sage nicht, dass es klappen wird." Mit gerunzelter Stirn sah er mich an.
„Schiess los." Die Ungeduld in meiner Stimme war nicht zu überhören. Schnell trank ich den Inhalt des kalten Getränks und wartete darauf, dass Mike endlich zu reden begann. Doch er hatte es nicht so eilig. Seelenruhig goss er erneut kaltes Wasser ins Glas und ein paar Eiswürfel fielen mit in den Behälter.

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