Kapitel 10
ROY'S SICHT:
„Du bist letzte Woche nicht zur Familienfeier gekommen." Mike sah auf unseren Küchentisch und mied meinen Blick. Seine Stimme klang leicht leicht verunsichert. Ich wusste, dass es kein Vorwurf war, aber trotzdem spürte ich, wie Wut in mir aufkeimte. War es denn nicht selbstverständlich, dass ich nicht kommen würde? Leah war nicht da und um genau zu sein, waren wir ja nicht mal mehr zusammen und Mike besaß noch die Frechheit zu erwähnen, dass ich nicht mit ihnen gefeiert hatte!
Ich schluckte schwer und presste meine Zähne zusammen. Auf keinen Fall durfte ich die Fassung verlieren. „Wieso hätte ich da sein sollen?", fragte ich und versuchte meine Stimme normal zu halten.
Schon mehrere Tage versuchte ich mich zu beherrschen, aber manchmal war es wirklich schwer, nicht jeden und alles in Grund und Boden zu prügeln, das mir in die Quere kam und besonders jetzt, wenn man mich provozierte.
„Du kommst ja sonst auch immer." Mike starrte weiterhin nachdenklich auf einen unbestimmten Punkt vor sich und tat so unwissend. Das brachte das Fass zum überlaufen und mir platzte der Kragen! Was sollte diese ganze Ausgequetsche? Sowohl er als auch ich kannten den Grund und somit war diese Unterhaltung völlig unnötig. Außerdem wusste er doch, dass ich jetzt nicht einfach so tun konnte, als wäre nichts geschehen.
Wütend funkelte ich ihn an und beugte mich mit dem Oberkörper nach vorn, soweit es der Holztisch vor mir erlaubte. „Weil deine Schwester mich nicht mehr will, okay. Weil ihr von heute auf morgen einfällt, einfach zu verschwinden und dazu noch ohne ein einziges Wort zu verlieren! Ich gehöre nicht mehr zu deiner Familie!", schrie ich schon fast. Herausfordernd schaute ich ihn an, aber er fixierte immer noch seinen Fleck auf der Tischplatte.
„Das stimmt nicht, Roy. Du hast ihren Brief gelesen und da hat sie dir alles erklärt."
Ich schnaubte verächtlich. „Ja, eine billige Ausrede hat sie sich zusammen gereimt, um sich vom Acker zu machen. Und das nennst du eine Erklärung?" Ich konnte meine Wut nicht länger unterdrücken.
Sein Kopf schnellte in meine Richtung und auch ihm stand der Zorn jetzt deutlich auf dem Gesicht geschrieben. „Verflixt, Roy, du weißt ganz genau, dass das nicht wahr ist! Du weißt genauso gut wie ich, dass sie dich immer noch liebt."
Ich lachte bitter auf und verzog mein Gesicht. „Komm mir nicht mit so 'nem Scheiß an. Sag mir lieber, wieso sie mich im Stich gelassen hat." Stur hielt ich meinen Blick auf ihn gerichtet.
Er jedoch betrachtete schweigend seine Hände, während er leise antwortete: „Vielleicht hatte sie ja einen guten Grund, wegzugehen."
„Ach, ja? Einen anderen Typen, zum Beispiel?", fuhr ich ihn an. Meine Stimme war lauter als beabsichtigt, aber das war mir im Moment egal.
Mikes Miene wurde hart und bedrohlich leise sprach er die nächsten Worte aus: „Wag es ja nicht nochmal, sie zu beschuldigen dich betrogen zu haben."
Das war wie Brennstoff für meine Wut und plötzlich ging sie in lichterlohen Flammen auf. Wütend stand ich auf und schlug fest mit der Faust auf den Tisch, so dass ein lauter Knall entstand. Ein spitzer Schmerz durchfuhr meine Knöchel, aber ich ignorierte ihn. „Wieso hat sie mich dann einfach so verlassen, Mike? Wieso? Um sich jemand Anderem um den Hals zu werfen?" Ich schleuderte ihm die Worte ins Gesicht und spürte, wie mir die Hitze in den Kopf stieg. Meine Halsader pochte heftig und meine Zähne knirschten.
Energisch sprang Mike von seinem Stuhl auf und bohrte mir seinen Zeigefinger in die Brust. Seine Augen schossen ununterbrochen Giftpfeile auf mich ab und wutentbrannt schrie er: „Weil du sie, verdammt nochmal, geschwängert hast, du Idiot!" Er machte auf dem Absatz kehrt und stampfte zur Tür hinaus, die er heftig zurück ins Schloss warf.
Seine Worte donnerten mit vollem Karacho in mein Herz und hinterließen nichts weiter als ein Haufen Scherben. Wie in Trance starrte ich auf die Tür, durch die Mike gerade verschwunden war. Im Stillen wiederholte ich seine Worte und plötzlich wurde mir mit einem Schlag bewusst, was das wirklich bedeutete. Leah war schwanger! Von mir! Ich hatte sie geschwängert und sie trug mein Kind unter ihrem Herzen!
Fassungslos schüttelte ich den Kopf, als sich alles zu drehen anfing. Langsam massierte ich mir die Schläfe und setzte mich hin. Ich drückte meine Augenlider fest zusammen und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Okay, Leah, also meine Leah war schwanger. Und nicht hier. Nein, sie war irgendwo da draussen auf sich allein gestellt und ich hatte nicht den blassesten Schimmer wo sie sich befand. Wieso war sie damit nicht zu mir gekommen und wir hätten zusammen eine Lösung gefunden? Wieso war sie einfach gegangen, ohne ein Wort zu sagen? Schließlich hatte ich ein Recht darauf, es zu erfahren! Ich hätte auch die volle Verantwortung übernommen und die Konsequenzen für mein Handeln getragen.
Aber sie war einfach gegangen. Still und ohne sich zu verabschieden. Ich verstand zwar, wieso sie von hier weg gewollt hatte, aber sie hätte zu mir kommen müssen. Schließlich war ich der Vater des Kindes und derjenige, der sie überhaupt soweit gebracht hatte, mit mir ins Bett zu steigen.
Ich fasste es einfach nicht! Es kam mir alles so surreal vor. Als wäre alles nur ein schlechter Traum, aus dem ich jeden Moment aufwachen würde. Doch tief in meinem Innern wusste ich, dass das alles sehr real war. Leah war, weiß Gott wo, mit unserem Kind und ich konnte gar nichts machen.
Verzweifelt fuhr ich mir mit der Hand über's Gesicht und atmete tief durch. Es musste doch einen Weg geben, sie zu finden!
Plötzlich kam mir ein Gedanke. Mike müsste wissen, wo sie sich befand, denn schließlich war er ihr Bruder. Er würde es mir verraten, dessen war ich mir sicher, auch wenn ich es aus ihm raus prügeln müsste. Ich war gewillt, sämtliche Straftaten zu begehen, um Antworten zu bekommen und deswegen musste ich zu ihm. Und zwar gleich.
Ich zwang meine Füße, sich vom Fleck zu bewegen und steuerte auf die Tür zu. Hastig griff ich nach meinem Motorradschlüssel und riss ihn vom Haken, bevor ich in die Dunkelheit hinaus trat. Wenig elegant schwang ich mich auf meinen Honda, startete ihn und brauste vom Hof.
Die warme Sommerluft wehte mir ins Gesicht und fegte mir durch die Haare. Es schien mir irgendwie zu helfen, meine wirren Gedanken ein bisschen zu ordnen.
Ich gab Vollgas und nach kurzer Zeit quietschten die Reifen, als ich das Motorrad vor Mike's Haus zum Stehen brachte. Eilig stieg ich ab und hastete zur Tür. Ohne anzuklopfen riss ich sie auf, trat ein und schaute mich suchend um.
„Hallo Roy, schön dich zu sehen. Was bringt dich her?" Mrs. Anderson blickte mich überrascht an und lächelte leicht.
Oh, ich hatte nicht erwartet, irgend jemandem außer Mike anzutreffen. Natürlich war auch seine Mutter Zuhause, wo sollte sie denn sonst sein?
Peinlich berührt räusperte ich mich. „Ähm, guten Abend, Ma'am. Ich... äh, ich muss zu Mike."
Verstehend nickte sie. Ein besorgter Ausdruck breitete sich auf ihrem fahlen Gesicht aus. „Er ist in seinem Zimmer. Geh ruhig, er wartet bestimmt schon auf dich."
Das bezweifelte ich keine Sekunde. Er kannte mich und war sich dessen bestimmt ganz sicher, dass ich ihm einen Besuch abstatten würde. Hoffentlich begrüßte er mich nicht mit Panzer und Rakete, um mich unsanft wieder nach Hause zu befördern, weil er wusste, dass ich manchmal ein wenig unberechenbar war.
Dankbar nickte ich Mrs. Anderson zu und schritt zu seinem Zimmer. Ich griff nach dem Türknauf und zögerte einen Augenblick, bevor ich ihn hastig drehte und die braune Holztür öffnete.
Mike saß auf seinem Bett, vorn über gebeugt, mit dem Kopf in seine Hände gestützt. Schweigend und ohne mich zu beachten, verharrte er da und starrte auf die grauen Fliesen vor sich. Zögernd und nervös ging ich zu ihm und setzte mich auf den Boden ihm gegenüber. Es war irgendwie komisch mit einem männlichen Kumpel über Schwangerschaften zu reden. Mit Leah war das anders. Zwar sprachen wir nicht oft über sowas, aber ab und zu musste das auch sein.
Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Betonwand, die eine immense Wärme ausbreitete und legte meinen Kopf in den Nacken.
Krampfhaft versuchte ich, mir einen vernünftigen Satz zurecht zu legen. Ich hatte so unendlich viele Fragen, so viele Dinge, die ich wissen musste und doch wusste ich nicht, wo ich beginnen sollte.
„Ich wollte es dir ja sagen, aber sie hat sich vehement dagegen gewehrt." Mike's Stimme war leise und endlich sah er mich an. Eindringlich hielt ich seinen Blick stand. „Wo ist sie?" Das war momentan das Wichtigste, das ich wissen wollte.
Müde fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht. „Ich weiß es nicht", flüsterte er. Es klang zwar überzeugend, aber so schnell glaubte ich ihm nicht.
„Wo ist sie?", fragte ich nun etwas lauter und betonte jedes Wort. „Du weißt, dass ich dich zusammen prügeln werde, wenn's sein muss, aber ich werde meine Antworten kriegen." Mein Blick bohrte sich in seine Augen.
Unsicherheit blitzte in Mikes haselnussbraunen Augen auf und er hob abwehrend seine Hände. „Hey, Alter, beruhige dich. Ich weiß es wirklich nicht. Das wollte sie mir nicht verraten. Sie wusste, dass du nachfragen würdest und genau deswegen verschwieg sie es."
Verflixt! Leah war nicht dumm und irgendwie war es selbstverständlich dem besten Kumpel ihres leicht agressiven Freundes nicht in Sachen einzuweihen, die er angeblich nicht wissen durfte. Frustriert fuhr ich mir durch mein Haar. Irgendetwas musste er doch wissen, irgend eine Kleinigkeit, die mir einen Hinweis liefern könnte.
„Hat sie irgendwas erwähnt, vielleicht auch nur zufällig? Irgendetwas, das darauf hindeutete, wo sie hin wollte?"
„Tut mir leid, Mann, aber nein, hat sie nicht. Sie war ja auch gleich weg, nachdem sie erfahren hat, dass sie, äh, dass sie schwanger war."
Wieder trafen mich diese Worte hart. Mir schnürte die Kehle zu und mein Herz pochte stark. Verzweifelt stand ich auf und lief im Zimmer auf und ab. Das durfte nicht wahr sein!
„Aber wenn du mir versprichst, nach Hause zu fahren und erst mal zur Ruhe zu kommen, könnte ich dir vielleicht ein wenig behilflich sein." Mike ließ mich aufhorchen.
„In wie fern?" Ungeduldig wartete ich auf seine Antwort.
„Versprich es."
„Okay, schon gut und jetzt antworte!", forderte ich ihn schroff auf.
„Es gibt da vielleicht jemandem, der uns helfen könnte." Mike sah mich ernst an und stand langsam auf. „Aber jetzt fahr nach Hause und komm morgen wieder."
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