5.Kapitel Auf Abwegen
(Siennas Sicht, Gondor)
Das Dienstmädchen duckte sich noch gerade rechtzeitig, um nicht von dem Becher getroffen zu werden, den ich nach ihr geworfen hatte. „Geh mir aus den Augen! Verschwindet, ihr alle! Ich will alleine sein!"
Kaum war die Türe geschlossen, drückte ich mein Gesicht fest in eines der weichen Kopfkissen und schrie meine Wut hinaus. Es war mir einerlei, ob die Bediensteten mich hörten oder nicht. Ich hatte dieses dumme Geschwätz lange genug ertragen. Die Krönung meiner Cousine war zwei Wochen her und wie es schien hatte der ganze Palast kein anderes Gesprächsthema mehr. Dafür hasste ich sie, sie alle! Ich hasste diese dummen Zofen, die Wächter und meine Familie. Ganz besonders meine Familie. Vor über einem Monat war die Einladung zur Krönung der neuen Königin Rohans angekommen. Ab diesem Tag war in Minas Tirith förmlich jeder Stein poliert worden, wie lächerlich!
Das Gefolge, dass meine Mutter nach Edoras gebracht hatte, war prächtig gewesen, eine Zurschaustellung der stärke Gondors. Ich hätte sie begleitet und zusammen mit ihr diesen Bauern deutlich gezeigt, wie mächtig Gondor ist. Was war sie schon? Ihr Vater Elfwine war der König von Rohan gewesen, ein Mann, der sich stets an seine Worte gehalten hatte. Nun, auch er hatte in seinem Leben Fehler begangen, grosse Fehler. Die junge und schöne Prinzessin aus Arnor hatte ihm während einem Besuch dermassen den Kopf verhext, dass er sie zur Frau genommen hatte. Das Skandalöse an dieser Verbindung war Keineswegs der Stand dieser „Prinzessin Alyndra von Arnor" gewesen, sondern dass man Arnor damit offiziell als eigenständiges Königreich anerkannt hatte. Dabei war in ganz Minas Tirith bekannt, dass Arnor nichts weiter als ein eigenständig verwalteter Teil von Gondor war.
Und jetzt, kaum war Elfwine tot, bestieg sein einziges überlebendes Kind, diese Celebrian den Thron Rohans. Damit wurde das Haus Elessar erneut gedemütigt. Ein gerade 18 Jahre altes Mädchen aus dem hintersten Winkel von Arnor, dass laut den Gerüchten nicht einmal die Sprache der Rohririm beherrschte. Zum Teufel damit!
So plötzlich wie die rasende Wut über mich gekommen war, verschwand sie auch wieder und wich einem abstrakten Plan, der sich ohne, dass ich es wirklich wollte von selber vervollständigte. Bis meine Mutter aus Rohan zurückkommen würde, waren es noch zwei Wochen. Diese ungewohnte Leere im Palast liess sich auf verschiedenen Wegen ausnutzen. Welchen ich wählen würde, hing alleine von mir ab.
Und ich hatte nichts zu verlieren solange meine meine Bediensteten dichthielten, Das würden sie natürlich, schliesslich wollte niemand riskieren, entlassen zu werden. Der Erste Teil meines Plans war einfach. Ich brauchte ein anderes Kleid, wenn ich hier weg wollte. Ich klingelte mit der kleinen Glocke auf meinem Schreibtisch und musste keine Zehn Sekunden warten bis meine Erste Zofe das Zimmer betrat und etwas ungeschickt vor mir knickste. „Zu Diensten eure Hoheit." „Rebekkah, du musst mir helfen. Ich brauche ein einfaches Kleid für heute Abend." Der Blick des Mädchens wanderte augenblicklich zu meiner üppigen Garderobe, dann zurück zu mir. „Habt Ihr genauere Wünsche wegen dem Kleid? Das dunkelblaue habe ich am schnellsten geschnürt."
Ich winkte ungeduldig ab. „Nein, das bringt mir nichts. Soviel ich weiss hast du Morgen deinen freien Tag?" „Das Stimmt meine Herrin. Braucht Ihr mich Morgen, dass Ihr fragt?" „Nein, ich brauche dich jetzt. Hast du noch ein anderes Kleid als deine Zofentracht?" „Ja. Es ist uns nicht erlaubt, unsere Arbeitskleidung zu tragen, wenn wir nicht im Dienst sind." „Gut. Dann möchte ich dich um einen Gefallen bitten. Hol dein Kleid und bring es mir." Die junge Frau runzelte irritiert die Stirn über diesen Auftrag, fasste sich aber sogleich wieder und war nach einem raschen knicks aus meinem Ankleidezimmer verschwunden.
Eine knappe Stunde später folgte ich Rebekkah mit der Kapuze tief im Gesicht durch die dunkeln Gassen von Gondor. Der Kleidertausch hatte länger gedauert als angenommen, weil sie etwas kleiner und breiter gebaut war als ich. Demzufolge war es eine Herausforderung gewesen, dem hellgrünen Kleid einen sicheren Sitz über meinem Korsett zu verpassen.
Vor dem Wirtshaus packte meine Zofe mich am Ellbogen, ich fuhr gereizt zu ihr herum. „Was ist denn?"
„Sienna, seid Ihr euch sicher, dass ihr das machen wollt? Und wenn euch jemand erkennen wird?" „Ich lebe zwar in anderen Verhältnissen als du, aber ich weiss sehr wohl um die Gedächtnismindernde Wirkung von Bier. Komm jetzt!"
Kaum hatte ich die Tür geöffnet, schlug mir stickige Luft entgegen. Der Raum war grösser als ich es erwartet hatte und bot für mindestens zwanzig Tische in verschiedenen Grössen Platz. Kellnerinnen eilten mit grossen Krügen von Tisch zu Tisch, um den Männern Bier nachzuschenken, was sie dann auch in in luftiger Höhe taten. Ich war so mit meinen Beobachtungen beschäftigt, dass ich vor Schreck zusammenfuhr, als sich eine grosse Hand auf meine rechte Schulter legte und mich ohne jegliche Vorwarnung zur Seite schubste wie ein lästiges Ungeziefer. Der Mann brummte etwas von „Unnützes Frauenzimmer" und ging, ohne mich weiter zu beachten zu einem der Tische, an dem seine Kameraden sassen.
Rebekkah, die anders als ich nicht im Eingang stehen geblieben war, kicherte mädchenhaft, und packte mich am Arm, um mich zu einem der freien Tische zu schleppen. „Heute wird es wohl einen Auftritt geben, sonst wäre hier mitten in der Woche nicht so viel los." Ich beschloss, mir meine Kränkung von vorhin nicht anmerken zu lassen und atmete erst einmal durch. „Kommst du öfter hierher?" Die Zofe zuckte mit den Schultern. „Wenn meine Familie einen erfolgreichen Monat hinter sich hat, essen wir manchmal hier. Mein Vater war hier Stammgast, hat manchmal das Geld der ganzen Woche einfach hier ausgegeben. Ein unverbesserlicher Trunkenbold eben."
Eine der Kellnerinnen unterbrach unser Gespräch, indem sie uns zwei Krüge Bier auf den Tisch stellte und nachdem wir bezahlt hatten mit der gleichen missmutigen Miene zurück zu Theke lief. //Welch eine Arbeitsmoral. // Ich roch neugierig an dem Bier, bevor ich vorsichtig daran nippte. Es schmeckte bitter, aber auch erfrischend. „Und rechnest du damit, dass dein Vater heute auch hierherkommt?", fragte ich mehr aus Anstand als aus Interesse. „Nein. Er ist vor einem Jahr verschieden. Mein Bruder ist seither das Familienoberhaupt. Er kümmert sich gut um uns." Darauf wusste ich nichts zu erwidern, so verblieben wir beide eine ganze weile ohne etwas zu sagen.
Von den vollen Tischen erklangen laute Ermunterungsrufe und eine Gruppe bestehend aus zwei Männern und zwei Frauen stimmte auf einer Laute ein Lied an. Die Melodie war tief und irgendwie hatte ich im ersten Augenblick das Gefühl, mir die Ohren zuhalten zu müssen.
Einer der Männer stimmte das Lied an:
„Ach komm du Schöne bring den Wein zu mir,
Bring den Wein zu mir, ich verdurste hier
Ach komm du Schöne bring den Wein zu mir,
Denn mir ist nach Wein und Weib!"
//Ach ein Trinklied. Warum erstaunt mich das nicht? //
Die ältere der beiden Frauen wandte sich ihm mit zu und stimmte ein:
„Ich schenk' dir ein nur wenn du tanzt mit mir,
Wenn du tanzt mit mir, dann komm ich zu dir
Ich schenk' dir ein nur wenn du tanzt mit mir,
Dann bekommst du Wein und Weib!"
Die Männer johlten begeistert, sogar Rebekkah hatte ein schelmisches Grinsen im Gesicht.
Der Sänger schien mit dieser Stimmung zufrieden zu sein und Griff nach einem Becher mit Bier, den die wirklich entrüstet aussehende Kellnerin wohl für einen anderen Gast gedacht hatte. Nach einem herzhaften Schluck Bier ging es weiter:
„Oh, komm du Schöne auf den Tisch hinauf,
Auf den Tisch hinauf, komm wir tanzen drauf
Oh komm du schöne auf den Tisch hinauf,
Denn es soll uns jeder sehn'!"
Seine Partnerin spielte mit ihrem langen Rock und liess sich theatralisch auf den nächsten freien Stuhl fallen.
„Ich komm hinauf für einen Kuss von dir,
Einen Kuss von dir, ja den wünsch' ich mir
Ich komm hinauf für einen Kuss von dir,
Will ich oben bei dir stehn'!"
Die Zeit verging viel zu schnell. Nachdem die Gruppe eine Pause eingelegt hatte, wurde das letzte Lied angekündet und alle anwesenden dazu aufgerufen, zu tanzen. Die meisten Männer waren mittlerweile so betrunken, dass sie sich kaum anständig auf den Füssen halten konnten. So hakte ich mich kurzerhand bei meiner Zofe unter und tanzte mit.
„Die Sünde lockt
Und das Fleisch ist schwach
So wird es immer sein!
Die Nacht ist jung
Und der Teufel lacht
Komm wir schenken uns jetzt ein!"
Kaum war der letzte Ton verklungen, hastete Rebekkah zu unserem Tisch, um unsere Mäntel zu holen. Ich folgte ihr nur langsam, denn der Alkohol vernebelte meinen Blick. Die Männer um mich herum grölten. Ich duckte mich im letzten Moment, um nicht von einem übermütig geschwungenen Bierkrug am Kopf getroffen zu werden.
„Pass auf!"
Die Warnung kam im gleichen Moment, wie der Festbank vor meinen Füssen landete und ich darüber stolperte.
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