11.Kapitel Ein fürstliches Angebot
25. Mai, Jahr 67 V.Z
Sienna
Ich hatte mich schneller in Dol Amroth eingelebt als erwartet. Die Stadt war um einiges kleiner als Minas Tirith, aber definitiv nicht weniger aufregend. Dol Amroth lag auf einer gebirgigen Halbinsel am südwestlichen Küstenstreifen von Gondor, unweit von Belfalas. Nördlich der Stadt lagen die Bucht Cobas Hafen, sowie der ehemalige Elbenhafen Edhellond. Fürst Alphros persönlich hatte mich diese Dinge gelehrt. Er war der 24. Fürst der Stadt und regierte diese bereits seit zwanzig Jahren.
Bald würde es eine Feier zu diesem Jubiläum geben. Er selber würde diese Feier wohl am liebsten nie ausrichten, denn es wurde von ihm erwartet, dass er zu diesem Anlass auch seine Verlobung mit einer neuen Frau bekanntgeben würde. Seine Frau war vor einem Jahr im Kindbett verstorben, und der Stadtrat drängte ihn, sich erneut zu vermählen.
Der Gedanke daran machte mich jedes mal unruhig. Ich hatte mich an das Leben hier gewöhnt und war mir ziemlich sicher, dass die neue Frau des Fürsten die Freundschaft zwischen ihrem Gemahl und mir nicht billigen würde. Das war aber nicht meine einzige Sorge. Meine Cousine hatte nach einem knappen Jahr auf dem Thron schon einen Sohn geboren. Somit war der Anspruch meiner Mutter auf den Thron Rohans praktisch nichtig. Selbst wenn das Kind jung sterben sollte, würde Celebrian sicher alles daran setzen, weitere Erben zu zeugen.
Schliesslich würde es in Arnor auch eines Tages einen anderen Herrscher brauchen als die Königswitwe Alyndra. Und wenn es nach meinem Vater ginge, würde er das sein. Ich konnte mir einfach nicht erklären, was er sich von diesem zusätzlichen Gebiet für Vorteile erhoffte. Arnor hatte vor vielen Jahrhunderten zu Gondor gehört und sich dann abgespalten. Wahrscheinlich wäre diese Unabhängigkeit schnell beendet worden, wenn die Könige von Arnor es nicht immer wieder geschafft hätten, Bündnisse mit Rohan zu schliessen.
Schliesslich schob ich meine Gedanken entschlossen beiseite und machte mich auf den Weg in die Bibliothek. Alphros hatte um eine Privataudienz gebeten und man sollte seinen Gastgeber nicht warten lassen. Als ich wenig später in den kleinen, aber hellen Raum eintrat, fand ich den Fürsten am Schreibtisch, über einen Stapel Papiere gebeugt vor. Als er mich hörte, sah er lächelnd hoch. „Ah, Prinzessin Sienna, schön seid Ihr hier!" Ich knickste höflich und setzte mich auf seine Gehste hin auf einen der beiden braunen Ledersessel. Der hochgewachsene Mann mit den dunkeln Haaren setzet sich in den anderen Sessel mir gegenüber und wirkte auf ein Mal angespannt. „Wie Ihr ja bereits wisst, drängt man mich darauf, bald wieder zu heiraten. Darum wollte ich mit Euch sprechen."
Das überraschte mich nicht besonders, trotzdem wurde ich nervös. „Wenn Ihr wollt, dass ich abreise, dann verstehe ich das natürlich.", brachte ich nur mühsam beherrscht raus. Ich wollte hier nicht weg. Und vor allem wollte ich nicht zurück nach Minas Tirith.
Alphros unterbrach mich mit einer raschen Handbewegung. „Eben genau das ist es ja. Bitte hört mich an, Prinzessin. Die Ehe zwischen mir und meiner Frau war arrangiert, trotzdem haben wir uns mit der Zeit kennen und jedenfalls ich sie auch lieben gelernt. Als Witwer widerstrebt es mir, mich noch einmal auf eine Verbindung einzulassen. Als Fürst aber kenne ich meine Pflichten. Darum möchte ich Euch, Sienna, bitten, mich zu ehelichen."
Ich starrte ihn ungläubig an. „Mich? Aber... Ich... Ich fürchte ich verstehe nicht ganz." Alphros nahm meine Hände und sah mir eine Weile tief in die Augen, als würde er darin nach etwas suchen. „Ihr seid noch sehr jung, und eines Tages werdet Ihr über ein grosses Königreich herrschen. Dazu braucht Ihr den passenden Mann an Eurer Seite. Wenn Ihr mich wählt, habt ihr einen Freund an Eurer Seite, was sicher besser ist, als einen fremden. Ausserdem könntet Ihr Dol Amroth zu Eurem Sommersitz machen, das würde der Stadt zu Aufschwung verhelfen."
Meine Gedanken rasten. Alphros Vorschlag war Vernünftig, das wusste ich. Ausserdem kannte ich den Fürsten mittlerweile gut genug um zu wissen, dass seine Mutter ihn auf diese Idee gebracht hatte. Ich bewunderte diese Frau. Sie war eine strenge Lehrerin, aber sie hatte noch nie die Stimme oder gar die Hand gegen mich erhoben, wenn ich mir etwas nicht hatte merken können. Wenn also seine Mutter der Meinung war, dass eine Verbindung zwischen dem Fürsten und mir vorteilhaft war, dann würde das wohl auch so sein. Ausserdem dachte ich mir: Besser der Teufel, den man kennt, als der, den man nicht kennt.
Schliesslich atmete ich tief durch. „Ich kann Eure Beweggründe verstehen, sie scheinen auch mir sinnvoll zu sein. Deshalb nehme ich Euren Antrag gerne an. Aber ich stelle eine Bedingung: Ich darf bis zu unserer Hochzeit weiterhin hier im Haushalt Eurer Mutter leben."
Alphros nickte und liess meine Hände los, er wirkte nun viel ruhiger als zuvor. „Dann werde ich noch heute einen Boten zu Eurem Vater schicken und Offiziell um Eure Hand anhalten. Ich verspreche Euch, ich werde Euch ein wahrhaftiger Mann sein. Und ich werde Eure Jugend auch respektieren. Ihr habt von mir nichts zu befürchten."
Einige Tage später sass ich am Abend mit ein paar Hofdamen zusammen am Kamin. Wir tranken Wein und genossen unsere Ruhe. Unsere Hauben lagen verstreut am Boden. Als uns der Wein langsam in den Kopf stieg, liessen sich zwei der jüngeren Frauen dazu überreden, mir ein Lied vorzutragen, dass hier sehr bekannt war. Und „unziemlich" sowieso.
„Diese Nacht ist kalt
Und der Wind, der bläst
Durch unser Land
Und wer jetzt noch geht
Ist ein armer Tor
Oder auf dem Weg zu der Liebsten
Die jede Reise lohnt"
„Oh, öffne mir, lass mich hinein
Dein Liebster steht im Mondenschein
Diese Nacht ist so kalt, so öffne mir
Denn morgen wird es zu spät sein
Mein Vater wacht über Haus und Hof
Meine Tür versperrt ein Eisenschloss
Und ich habe keinen Schlüssel dafür
Es führt heut Nacht kein Weg zu mir."
„Oh, öffne mir, lass mich hinein
Dein Liebster steht im Mondenschein
Diese Nacht ist so kalt, so öffne mir
Denn morgen wird es zu spät sein
Doch die Nacht ist so kalt
Endlich öffnet sie ihm
Und sie küsst ihres Liebsten kalte Stirn
Diese Nacht ist so kalt
Doch sie öffnet die Tür und er küsst sie
Sieben Mal dafür"
Beim nächsten Refrain hatte mich das Lied auch gepackt, also sang ich begeistert mit:
„Oh, öffne mir, lass mich hinein
Dein Liebster steht im Mondenschein
Diese Nacht ist so kalt, so öffne mir
Denn morgen wird es zu spät sein"
Wie das Lied endet, würde ich wohl nie erfahren. Als die beiden Frauen die letzte Strophe anstimmten, schwang die Tür auf und Rebekkah führte einen Boten in das Zimmer. Der Bote verneigte sich eilig. „Mylady, es tut mir leid, Euch zu dieser späten Stunde noch stören zu müssen, aber ich fürchte, die Botschaft die ich Euch überbringe kann nicht bis morgen warten."
Ich fluchte verhalten und packte die erste Haube die mir in die Finger kam, stopfte meine zu Zöpfen geflochtenen Haare darunter und folgte dem jungen Mann ins Nebenzimmer. „Gebt mir den Brief. Ich hoffe, es ist so wichtig wie Ihr sagt!"
Als der Bote mir den Brief reichte, verflog meine Wut. Der Brief trug das persönliche Siegel meines Vaters. Was musste passiert sein, dass mein Vater mir schrieb?
Als ich den Brief öffnete, war es aber nicht die Schrift meines Vaters, sondern die meiner Mutter...
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