Die freie Wahl und doch nur ein möglicher Weg
Ich wachte langsam auf. Mein gesamter Körper fühlte sich noch schwer und träge an. Am liebsten hätte ich mich einfach wieder umgedreht und weitergeschlafen, doch das konnte ich nicht, ehe ich nicht den Grund für mein Erwachen entdeckt hatte. Mit halb geschlossenen Augen musterte ich das riesige Zimmer des Hotels. Die edlen dunklen Holzmöbel zeichneten sich schwach im winzigen Licht einer Nachtlampe vor den hellen cremefarbenen Wänden ab. Nichts wirkte verdächtig und auch der dicke weiße Teppich wirkte unangetastet. Keine plattgedrückte Stelle erzählte von einem menschlichen oder vampirischen Fuß, der diese hinab getreten haben könnte. Aufmerksam lauschte ich auf einen verräterischen Atem, ein verdächtiges Knarzen der Dielen, doch nichts. Verwirrt legte ich mich wieder hin. Erst als mein Blick zu meiner Seite wanderte und ich bereits meine Augen wieder zu schließen begann, fiel mir urplötzlich auf, was anders war. Damian war verschwunden. Erschrocken fuhr ich hoch. Wie lange war er schon weg? Warum war er gegangen?
Mit einen Schlag hellwach, stand ich auf und kümmerte mich nicht um meine nicht vorhandenen Klamotten, sondern ging sofort aus dem Schlafzimmer hinaus. Die gesamten Rollläden waren noch fest zugezogen, was nicht weiter verwunderlich war, schließlich war es mitten am Tag, doch es brannte in keinem der Zimmer ein Licht und auch wenn das nicht besonders viel heißen musste, schließlich handelte sich bei Damian um einigen hochrangigen Vampir mit perfekter Nachtsicht, gab es nirgendwo ein Lebensanzeichen für eine weitere Person in der Wohnung. Damian war gemeinsam mit seinen Klamotten spurlos verschwunden.
Vielleicht war er hinunter in ein anderes Stockwerk des Hotels gegangen, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, was er dort suchen könnte. Die gesamte Situation war einfach merkwürdig und mit einem Mal zweifelte ich wieder an meinen eigenen Fähigkeiten, schließlich war ich nicht aufgewacht als Damian aufgestanden war, oder nicht? Er war mir so nah gewesen, dass es kaum möglich war, dass er mich beim Aufstehen nicht irgendwie berührt hätte und ich war schließlich dazu ausgebildet worden in keiner Situation vollkommen Unaufmerksam zu sein. Jederzeit musste man schließlich mit einen Angriff rechnen. Trotzdem hatte er es geschafft sich von meiner Seite wegzuschleichen und sogar noch seine Kleidung anzuziehen.
Vielleicht wussten die Wachen der Silberschwingen ja etwas Genaueres. Doch vollkommen ohne Kleidung wollte ich ihnen dann doch nicht entgegentreten. Sie waren vielleicht eine Leibgarde und die Diskretion in Person, doch das ging mir dennoch ein bisschen zu weit. Aus diesem Grund eilte ich schnurstracks ins Schlafzimmer und warf mir hastig die Kleidung von gestern über, bevor ich zum Eingang eilte.
Als ich die Türe öffnete, fand ich draußen tatsächlich die Wachen vor, die Schweigend mich und meine Umgebung in Augenschein nahmen, so als suchten sie in dieser oder meinen Gesicht einen Grund für mein plötzliches Auftreten. Jetzt wo ich sie genauer betrachten konnte, merkte ich zum ersten Mal das trotz ihres unerschütterlichen und kalten Äußeres winzige Facetten auf ihren unterschiedlichen Charakter hinwiesen. Der Linke schien noch jünger und eindeutig neugieriger zu sein als sein Partner. Immer wieder wanderte sein Blick zu meinen Haaren, die aussehen mussten wie ein Vogelnest, durch das ein Sturm gewütet hatte, da ich mir nicht die Mühe machte, sie mit einer Bürste zu zähmen. Sein Gesichtsausdruck blieb bei dieser Musterung zwar vollkommen emotionslos, doch allein diese kleine neugierige Geste ließ ihn menschlicher wirken und nicht wie eine perfekte Statue aus Muskeln und emotionslosen Gesichtszügen. „Weißt du wo Damianos ist?"
Es störte mich einen anderen zu fragen, wo Damian war. Ich wusste nicht genau wieso, doch irgendetwas bei dem Gedanken, dass Damian jemand anderes mehr vertrauen könnte und ihm deshalb seinen Aufenthaltsort verraten hatte und mir nicht, machte mich fuchsteufelswild. Waren diese Gefühle so etwas wie Eifersucht und meine Gedanken gerade nicht sehr besitzergreifend? Wann war das denn entstanden?
Ich hatte keine Zeit mehr, mich genauer mit meinen Gefühlen zu befassen, denn in diesem Moment antwortete die andere Wache mit unmenschlich emotionsloser Stimme: „Er wurde zu einer Telefonkonkurrenz gerufen. Sie findet außerplanmäßig statt in einem speziell für diese Anlässe hergerichteten Arbeitszimmer im Keller. Er wollte nicht, dass Sie erwachen. Falls Sie dies doch tun und zu uns hinauskommen, ist es unsere Pflicht, Sie daran zu erinnern, dass Sie sich während des Tages in der Suite aufhalten sollen. Er wird im Laufe der nächsten Stunden wieder zu Ihnen stoßen." Über die Tatsache, dass er zweifelsohne auch den Befehl bekommen hatte, mich im Notfall mit allen Mitteln daran zu hindern, dass ich die Wohnung verließ, verlor er nicht ein winziges Wörtchen. Er zeigte auch keinerlei Reaktion darüber, dass er hier scheinbar zum Babysitter degradiert worden war. Aus diesem Grund versuchte ich für diesen Moment meine Wut hinunterzuschlucken und antwortete ihn mit einer ebenso professionellen Stimme: „Ich verstehe." Ich musste den beiden hier nicht noch mehr Scherereien, als sie eh schon hatten, machen. Es musste für sie genauso ärgerlich sein, wie für mich, dass sie hier standen und Aufpasser für mich spielen mussten, während Damian sich wo anders aufhielt. „Dann werde ich mich nun wieder in die Gemächer zurückziehen", antwortete ich viel zu hochgestochen für meinen Geschmack, doch mit genug Schärfe um einen Schmetterling beim bloßen Klang meiner Stimme die Flügel abzuschneiden.
Ich bemühte mich, die Tür leise zu schließen und nicht laut zuzuschlagen, wie es mir in den Fingern juckte. Wieso hatte er mich schon wieder alleine gelassen und ausgeschlossen?! Innerlich war ich zum Zerreißen angespannt und ich wusste, wenn ich mich jetzt nicht ablenkte, dann würden die Möbel oder zumindest einige Gläser und Tassen meinem Zorn zum Opfer fallen. Also inspizierte ich die Suite aufs Genaueste, in der Hoffnung irgendeinen kleinen Makel zu finden, um an diesem meinen gesamten Zorn auszulassen. Doch schnell musste ich erkennen, dass die Wohnung wirklich gut eingerichtet und sehr stilvoll und elegant gehalten war, aber niemals protzig wirkte. Nirgendwo konnte ich massives Gold finden, dafür gab es viele Möbel aus Ebenholz, kombiniert mit weißen und cremefarbenen Tönen. Ab und an zog sich auch ein bisschen Silber durch die Farbpalette, jedoch war dieses immer sehr filigran gehalten und nur hauchdünn in den dunklen Möbeln eingearbeitet, sodass es einen interessanten Blickfang darstellte.
Obwohl die Zimmer sehr groß waren, boten sie mir nur wenig Ablenkung. Ich spürte, wie die Wut heftiger in mir anfing zu brodeln und selbst das volle Bücherregal half nicht gegen die zornigen Flammen in meinem Bauch. Erst als mir auffiel, dass selbst meine so geliebten Bücher mir keinen Ausweg mehr zeigen konnten, wurde mir bewusst, dass ich wirklich zu einer vollkommen anderen Person mutiert war.
Vielleicht würde mir ja Bewegung etwas von dieser unsäglichen Anspannung nehmen. Also ging ich in das Wohnzimmer. Auf den Boden lag ein dicker flauschiger Teppich, auf dem ein kleiner Tisch und eine große dunkle Couch standen. Diese schob ich beide zur Seite, so dass ich genug Platz hatte. Dann schaltete ich den Fernseher ein, um auf die Musikdateien, die das Hotel seinen Besuchern zur Verfügung stellt, zuzugreifen. Schnell hatte ich festgestellt, dass ich so gut wie kein einziges Lied kannte, jedenfalls nichts von den neueren Stücken, doch das machte mir in diesem Moment nicht viel aus. Ich ließ die Musik vor sich hin dudeln, während ich anfing mich aufzuwärmen. Danach folgten einige einfache Dehn- und Muskelübung. Zu meinem Erstaunen lenkte die kleine Anstrengung mich tatsächlich ab und je weiter ich die Übungen ausbaute, desto mehr Spaß bekam ich langsam an der körperlichen Aktivität. Ich tollte herum und versuchte festzustellen, wo derzeit meine Grenzen lagen. Im Vergleich zu den letzten Jahren war ich wirklich sportlich geworden und auch mein Gleichgewichtssinn hatte sich drastisch verbessert.
Nach einiger Zeit ging ich in die Küche, um mir eine Wasserflasche zu besorgen. Gemeinsam mit der erfrischenden Flüssigkeit nahm ich noch ein bisschen Obst und einen Joghurt zu mir, bevor ich mich weiter verausgabte. Ich konnte nicht länger als fünf Minuten stillsitzen, denn sobald die Anstrengung der Übung nachließ, wollte in mir wieder der glühende Zorn aufsteigen.
„Ich sehe, du hast dich gut beschäftigt." Als ich die vertraute Stimme hörte, schmiss ich, ohne Damian anzuschauen, meine Wasserflasche nach ihm. Er lachte und anhand des fehlenden Klirrens konnte ich erkennen, dass er das gläserne Geschoss aufgefangen hatte.
Ich drehte mich zu ihm um und fragte ihn mit beinahe emotionslosem kalten Ton: „Warum?" Innerlich schmetterte ich ihm diese Worte entgegen, doch jetzt wo er vor mir stand, raubte mir der Schmerz, der sich die ganze Zeit hinter der Wut verborgen hatte, die Stimme.
„Die Besprechung wurde mitten am Tag einberufen. Ich wollte dich noch etwas schlafen lassen. Du warst so süß und entspannt." Damian kam sehr langsam und vorsichtig mit den Füßen tastend auf mich zu.
„Ach ja, hättest du nicht einfach etwas sagen können oder wie wäre es mit einem Zettel, wenn du mich nicht wecken wolltest? Stattdessen musste ich deine Leibgarde da draußen nach dir fragen! Wieso wolltest du mich schon wieder ausschließen?"
„Es war nicht meine Absicht, dich auszuschließen. Die Tagung hätte nicht lange dauern sollen, doch ein Thema hat die ganze Sache in die Länge gezogen. Mein Plan war es, wieder bei dir zu sein, noch bevor du merkst, dass ich überhaupt verschwunden war, aber anscheinend habe ich dich geweckt. Jedenfalls hat mir das UNSERE Leibgarde mitgeteilt."
Er kam nun entschlossener auf mich zu, die Arme ausgestreckt und ein sanftes Lächeln auf den Lippen, dass so gar nicht zu seiner sonstigen raubtierhaften Art passen wollte. „Vergiss es, erst wirst du mir Rede und Antwort stehen! Was war das für eine Besprechung, wann hast du davon erfahren und wieso wolltest du es schon wieder vor mir verschweigen?"
Damian versuchte mich mit einer beschwichtigender Stimme einzuhüllen: „Kann ich dich dabei nicht in den Armen halten? Es würde mich beruhigen, wenn ich wüsste, dass du nicht gleich aus der Wohnung stürmen würdest."
„Als ob dich das kümmert, dort draußen stehen ja DEINE kleinen Lackaffen, die sicherlich nichts dagegen haben, mich aufzuhalten und du bist ein Vampir mit Superkräften, dem ein kleines Mädchen, wie ich es bin, nichts antun kann!"
„Du kannst mich mehr verletzen, als du denkst. Du bist mein Schwachpunkt, von dem ich weiß und den ich trotzdem nicht beheben kann, denn gleichzeitig gibst du mir eine innere Stärke, die ich selbst nicht gekannt habe und lässt mich Dinge empfinden, die ich seit Jahrhunderten, nein seit Jahrtausenden verloren geglaubt habe. Auf einmal strebe ich nicht mit eiskalter Disziplin und Logik nach noch mehr Macht, sondern kann auch andere Sichten verstehen. Mein Gott, ich begreife mittlerweile sogar einige Sätze von Alexios und bewundere ihn für einige seiner Einstellungen, die doch selbst in den grausamsten Zeiten so viel humaner, so viel gütiger waren als die meinen und das widert mich an mir selbst an. Verstehst du? Ich bin verletzlich geworden. Zwar nicht körperlich, sondern auf eine andere Weise, aber wie oft muss ich dir das noch erklären!?" Seine Stimme war immer lauter geworden und diese Tatsache erstaunte mich wirklich. Normalerweise hatte er sich so perfekt unter Kontrolle und bei all den Drohungen, die er aussprach, erhob er so gut wie nie seine Stimme.
„Über was habt ihr gesprochen?" Mein Körper bebte und ich wusste, ich brauchte jetzt eine ehrliche Antwort.
Er seufzte und ließ sich auf die Couch fallen, so als müsse er sich hinsetzen, was vollkommen unlogisch war. Er konnte sicherlich tagelang auf den Beinen stehen, ohne dass sie unter ihm nachgaben. „Es sollte nur um den Ersatz in der fertig gewordenen Führungsposition gehen, doch das Ganze hat sich unerwartet in die Länge gezogen, da wir uns uneins wegen der anstehenden Bestrafung waren."
Ich ging zu Damian und setzte mich neben ihn. Irgendwie hatte ich das Gefühl, jetzt nicht noch stärker auf Konfrontationskurs rudern zu müssen, wenn Damian bereits nachgegeben hatte und endlich anfing, herauszurücken, was Tatsache war.
„Die Art der Bestrafung ist unvermeidbar und klar geregelt, doch von wem diese ausgeführt werden soll nicht." Ein bleischwerer Seufzer kam aus seinem Mund und seine Blicke musterten mich nachdenklich. Er schien mich so vorsichtig und forschend zu beobachten wie ein seltenes wildes Tier, das jederzeit davon rennen konnte.
„Ich bin wie gesagt nicht aus Zucker. Ich bin keine Prinzessin, sondern eine Kriegerin also rück' endlich mit der Sprache raus!", half ich ihm mit barschen Worten, als er wieder in ein nachdenkliches Schweigen verfallen wollte.
„Die Strafe auf einen direkten Verrat und Ausführung eines Attentats auf mich oder dich ist eindeutig mit dem Tod zu bestrafen."
Ich kniff die Lippen zusammen. Mir war klar gewesen, dass es etwas schlimmes sein musste, denn das Leben unter Vampiren war kein Zuckerschlecken. Ich würde jetzt nicht mit Menschenrechten anfangen, denn ich wusste diese galten nicht in der Parallelgesellschaft der Nacht, wie grausam diese Tatsache auch war, doch sonst wären wir nicht derartig ausgebildet worden. „Und was gibt es dann noch daran zu streiten?"
Seine steingrauen Augen blickten ernst in die meinen und mir lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Mein Herz fing an wie wild zu rasen. Damians Stimme war ruhig als er erklärte: „Wir sind uns uneinig, wer die Strafe vollziehen soll. Ich habe vorgeschlagen, dass ich selbst diese Hinrichtung durchführen werde, doch damit waren weder meine Verbündeten noch meine Feinde im Rat einverstanden. Sie wollen dich als Henker sehen. Meine Verbündeten, weil du so deine Macht und deine Kaltherzigkeit unter Beweis stellen kannst, meine Feinde, weil sie hoffen, dass du dir vor der versammelten Vampirgesellschaft die Blöße geben wirst." Er verstummte und sein Schweigen hing wie die Ruhe vor dem Sturm in der Luft.
Ich fragte nicht nach, ob es noch eine Möglichkeit gab, aus der Rolle des Henkers herauszuschlüpfen. Mir war bewusst, dass Damian sicherlich bereits alles versucht hatte, um die anderen umzustimmen, doch in den Augen beider Parteien war die Entscheidung, mich als ihr Werkzeug zu benutzen, nachvollziehbar, allerdings war ich mir selbst nicht sicher, ob es mir möglich sein würde, einfach so ein wehrloses Leben auszulöschen. „Wann?" Meine Stimme wirkte fast professionell, doch ein leichtes Zittern verriet meine Angst.
„Morgen kurz vor Sonnenaufgang. Wir fliegen sofort in das Quartier zurück, denn selbst wir Vampire versuchen Strafen nicht in einer so großen Stadt wie New York auszuführen." Damians Stimme war ruhig, sanft und vorsichtig, doch er konnte mich nicht beruhigen.
„So bald?" Nun verlor ich jegliche Professionalität, denn meine Antwort klang rau und kratzig.
„Unter Unsterblichen muss für ein solches Vergehen die Bestrafung sofort ausgeführt werden. Der Gefangene bekommt im Normalfall 24 Stunden Zeit, um sein Abtreten vorzubereiten, denn viele Vampire besitzen Firmen und wir wollen kein Chaos anrichten. Auch besitzen einige der Unsterblichen gute Freunde oder gar Familie von denen sie sich noch verabschieden dürfen, doch mehr Zeit wird ihnen nicht gestattet. Nicht für ein solches Verbrechen. Früher wäre er hierfür direkt vor Ort hingerichtet worden, nach einer grausamen Folter."
Ich schloss gequält meine Augen und lehnte mich an Damians starke Brust. In mir stieg das Bedürfnis auf, mich zu übergeben und zu einer kleinen Kugel irgendwo in eine Ecke zusammenzurollen. Natürlich blieb Damian meine Panik nicht verborgen. Er fing an mir beruhigend durch die Haare zu streicheln, während er weiter mit mir die Situation besprach: „Du fragst gar nicht, ob es nicht doch einen Ausweg noch gibt."
Mein verzweifeltes Lachen klang so falsch, wie der Gesang einer Viper. Am liebsten hätte ich Damian halb verrückt angegrinst für diese Feststellung, doch dazu war ich nicht in der Lage. „Selbst wenn wir im Streit auseinander gegangen wären, bin ich mir sicher, dass du alles getan hättest, um zu verhindern, dass ich zum Henker werde. Du würdest mich niemals einfach so ins offene Messer laufen lassen."
Ich spürte, wie seine Arme sich fester um meinen Körper legten. Ein kleines Keuchen entwich aus meinem Mund und leise zischte ich: „Damian!"
Er lockerte seinen Griff etwas, doch er hielt mich immer noch fest genug, dass ich keine Möglichkeit gehabt hätte, mich von ihm ein Stückchen zu entfernen, um sein edles Gesicht betrachten zu können. „Es gibt eine Möglichkeit, wie du diese Hinrichtung nicht vollstrecken musst. Allerdings wollte ich diese nicht über deinen Kopf hinweg fällen."
Sofort hielt ich den Atem an. Gab Damian mir gerade die Möglichkeit mitzuentscheiden? Zeigte er so sein Vertrauen in mich? Ich war mir sicher, dass er vor ein paar Wochen noch, wenn nicht gar Tagen einfach über meinen Kopf hinweg entschieden hätte. Sicherlich nur mit dem Besten für mich im Hinterkopf, doch er hätte mich nicht nach meiner Meinung gefragt. Durch diese kleine Geste öffnete sich mein Herz noch weiter und ich berührte sanft seine starken Arme und seine großen Hände, die mir Halt gaben und mich nie loslassen würden. „Was wäre das für eine Möglichkeit?"
„Die Möglichkeit besteht darin, dass du deine jetzige Position als meinen Lehrling aufgibst. Du verlierst somit deinen Status und die Möglichkeit auf eine Karriere in den Reihen der Vampire. Du legst deinen angenommenen Namen ab und nimmst stattdessen deinen Vornamen wieder an, gemeinsam mit den Rang als meine Gemahlin. Du würdest dein Team nur noch sehr selten sehen können, vielleicht einmal in einem Jahr. Außerdem würdest du nicht mehr zu ihnen gehören. Am liebsten hätte ich diese Möglichkeit über deinen Kopf hinweg entschieden. Ich bin ehrlich, ich wünsche mir nichts mehr, als deinen verdammten, leichtsinnigen und eindeutig zu sterblichen Kopf endlich aus der Schusslinie zu bringen, doch ich konnte diese Hürde dir nicht einfach aufbürden. Nicht nach deinen Worten."
Ich blickte ihn an. Tief in meinem Inneren rührte sich etwas. Allein die Bereitschaft von ihm mit mir über Entscheidungen zu sprechen, war eine derartige Verbesserung unserer Beziehung, dass ich kaum wagte zu atmen, um nicht diesen einen Moment des Glücks in all der Angst zu zerstören. Damian schaute mich geduldig an, doch in seinen Augen tigerte das Raubtier dicht unter der Oberfläche rastlos hin und her. Er war nicht gezähmt, dass würde niemals eine Person schaffen, ohne ihn zu brechen. Damian hielt seine wilde Seite nur für mich so weit zurück, dass ein Zusammenleben zwischen uns beiden möglich war. Ich würde ständig meine Position und meine Meinung vertreten und verteidigen müssen, doch das war mir recht. Damit konnte ich leben. Eine Konfrontation war immer besser als ewiges Schweigen, doch ich musste mich unbedingt in meiner jetzigen Situation entscheiden, obwohl es eigentlich nur einen möglichen Ausweg gab.
Ich konnte nicht davonlaufen, ich hatte Wolf versprochen die Leitung der Einheit zu übernehmen und genau das würde ich auch tun. Nichts würde mich daran hindern können. Zudem würde ich für nichts in der Welt mein Team auf so eine Art und Weise verraten und erst recht nicht war ich bereit dazu, ein nutzloses Schmuckstück an der Seite von Damian zu werden. Ob ich jedoch einen Vampir einfach so umbringen, kaltblütig vor allen anderen hinrichten konnte? Ich musste in dieser Angelegenheit unbedingt ehrlich zu mir selbst sein, sonst würde ich jede Person, die mir lieb war, in Gefahr bringen. Einen Moment lang ging ich tief in mich, doch dort fand ich nur ein Chaos an Gefühlen.
Meine noch verbliebene Menschlichkeit protestierte lauthals gegen die von meinen Gedanken bereits gefällte Entscheidung. Ich hatte keine Ahnung, ob ich in der Lage war, einen Vampir hinzurichten, vielleicht war meine Menschlichkeit in mir dafür noch zu groß, doch eigentlich hatte ich keine Wahl. Der kalte rationale Bereich meines Gehirns, der mit jedem Tag ein bisschen mehr Macht über mich bekam, hatte es bereits entschieden. Dieser Teil von mir wusste, dass ein Leben in der Dunkelheit genau solche Opfer von mir immer und immer wieder, nicht nur jetzt, sondern auch in der Zukunft, verlangen würde. Also konnte ich gleich aufhören meinen Kopf in den Sand zu stecken wie ein dummer Pfau, um zu versuchen vor dem Unvermeidlichen zu fliehen, denn dies würde keine Lösung sein. Ich musste mich mit erhobenen Haupt stellen. Das war ich mir und allen anderen schuldig.
Entschlossen blickte ich tief in die grauen Augen, aus denen mir der harte und intelligente Blick eines Raubtiers entgegen sprang. „Ich werde es tun. Ich werde das Gesetz der Nacht mit meinen eigenen Händen ausführen."
Damian stand auf und betrachtete mich ernst: „Willst du das wirklich tun?"
„Was ich will ist in dieser Sache egal. Die Frage ist, für welchen Weg ich mich entscheide und ich werde ganz sicher nicht zum Verräter für die, die mir vertrauen und an mir selbst werden. Lieber kämpfe ich und wasche meine Hände im kalten roten Blut, als dass ich jetzt aufgebe." Meine Stimme klang nicht so selbstsicher, wie ich mir es gewünscht hätte. Sie war kalt, eiskalt um genau zu sein und auch berechnend, aber gleichzeitig dünn und ein leichtes Zittern schwebte in ihr. Doch am stärksten verriet die tiefe Traurigkeit in meinen Augen meine wahren Gefühle.
Damian trat vor und umarmte mich fest. Seine großen Schultern, sein starker Körper, seine festen Arme gaben mir Halt, während ich versuchte den in mir tobenden Sturm aus Ekel, Angst und Trauer niederzukämpfen. Seine mächtige Stimme flüsterte mir feierlich in mein Ohr: „Ich würde gerne behaupten, ich hätte es lieber, wenn du dich anders entschieden hättest und in gewisser Weise stimmt dies auch. Liebend gern hätte ich dich zu jeder Zeit geborgen und sicher gewusst, doch ich kann nicht verleugnen, dass ich sehr stolz auf dich bin, für die Entscheidung, die du getroffen hast. Ich weiß, wie viel dich dieser Weg kostet und umso beachtlicher ist es, dass du diesen schweren Pfad einschlägst, um für deine Freunde da zu sein. Deine Teamkollegen können sich glücklich schätzen, dich immer auf ihrer Seite zu wissen. Ich werde die Nachricht unter den Vampiren verkünden und es persönlich deinen Freunden mitteilen. Ich bin mir sicher, dass sie dir bei deinen Vorbereitungen zur Seite stehen werden, obwohl Schlange wohl erst kurz vor der Exekution kommen kann. Er ist derzeit auf der anderen Seite des Globus'."
Ich nickte. Am liebsten wäre ich in seiner Umarmung noch eine Ewigkeit geblieben, doch das sollte mir nicht möglich sein. Wir mussten uns trennen. Es war notwendig. Noch ein letztes Mal drückte ich mein Gesicht tief in seine Brust und atmete seinen herben männlichen Duft ein. Seine Arme schlossen sich fester um mich und er hauchte einen zarten Kuss auf meinen Kopf, so anders wie seine sonst so verlangenden und heißen Küssen, so voller Vertrauen und Bestätigung, voll Verzweiflung und bitterer Anteilnahme. Trotz aller guten Vorsätze musste ich einfach noch einmal tief einatmen und meine Lungen mit seinem vertrauten Geruch füllen, dann erst konnte ich mit Gewalt ein Lächeln aufsetzen und mich aus seinen starken Armen winden. „Danke." Das winzige Wort, kaum mehr als ein zartes Flüstern, brachte ihn zum Lächeln.
Er strich mir mit einer Hand vorsichtig durch meine Haare, dann verabschiedete er sich mit den Worten: „Ich werde gleich wieder hier sein."
Er löste sich von mir und drehte sich um, damit er seinen Pflichten nachgehen konnte. In mir stieg das kindische Verlangen auf, ihn aufzuhalten, mich an seinen starken Rücken zu pressen, zu weinen, lauthals über die Zukunft zu fluchen und einfach durch seine Nähe Trost zu finden. Doch ich war nicht hilflos, dass hatte ich mir geschworen, ich war stark und so tat ich nichts von dem, sondern presste meine Hände fest zusammen und achtete darauf, dass aus meinen Mund kein einziger Laut entschlüpfte als Damian mit sicheren Schritten durch die Tür ging und mich allein mit meiner furchtbaren Angst vor der Zukunft ließ.
Aus den Chroniken der Tagwandler - Ein Bericht eines Ratsmitglieds:
Endlich! Der Tagwandler ist erwacht. Bereits ein Mond ist ins Land gezogen und wieder von der Nacht verschluckt worden. Unsere Verluste sind hoch und wir alle sind dem Verhungern nahe. Die meisten von uns werden nur noch von ihrem Stolz und ihrem Ehrgefühl davon abgehalten zu blutgierigen Monstern zu mutieren. Wir müssen lernen uns in der Sonne bewegen zu können, sonst ist unser Schicksal bereits entschieden, doch selbst jetzt wo wir den Bericht des Tagwandlers gehört haben, scheint ein Kontakt mit den tödlichen Strahlen unmöglich zu sein. Wie kann menschliches Blut, selbst wenn man davon Unmengen nimmt, durch eine direkte Bluttransfusion eine solche Verwandlung hervorbringen?
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