Der Besuch des Todes

Als ich mit Damian zurück in die Festung ging, war ich fest entschlossen, die Nacht sinnvoll zu nutzen. Wir mussten die Lage, in der sich die beiden Clans befanden, besprechen und eine Möglichkeit finden, wie wir die Probleme in unseren eigenen Reihen unter Kontrolle bringen konnten. Außerdem hatte ich eindeutig nichts dagegen, etwas persönliche Zeit mit Damian zu verbringen.

Doch bereits als all die Gedanken zur restlichen Zeitplanung durch meinen Kopf schossen, spürte ich, dass ich wohl auch diese Nacht nicht viel mehr leisten konnte. Das Adrenalin, das durch meinen gesamten Körper gefahren war und mir Kraft gegeben hatte, war fast verbraucht und hinterließ eine bleierne Müdigkeit. Ich musste mich stark darauf konzentrieren, die Augen offen zu halten und nicht zu stolpern. Die Hände fest zu Fäusten geballt marschierte ich mit wütenden Augen durch die Hallen. Wieso war ich bitte derzeit so anfällig? Das konnte mein Körper nicht wirklich ernst meinen, oder?!

Doch als wir die Tür zu Damians Privatkorridor betraten, war ich bereits dabei zu kapitulieren. Meine Knie begannen zu zittern, als ich außerhalb der Sichtweite der Silberschwingen war. Durch meinen gesamten Körper rauschte ein eisiges Schaudern und ich brachte keinen Protestlaut heraus, als Damian mich schweigend hochhob und in das Zimmer trug, in dem wir unsere erste gemeinsame Nacht verbracht hatten. Ich drückte meinen Kopf fest an seine starke Brust und er streichelte mir immer wieder über das Haar, selbst als er mich sanft auf den großen weichen Bett abgesetzt hatte.

„Wieso?", seufzte ich. „Wieso muss ich gerade jetzt so schwach sein?"

Damians graue Augen blickten mich traurig an. „Leider kann ich dir keine Antwort auf diese Frage geben, doch unsere besten Ärzte arbeiten bereits an einer Lösung."

In seinem Gesicht spiegelte sich ein zwiespältiger Ausdruck. Ich wusste, dass er mich nicht allein lassen wollte, doch die Pflicht rief nach ihm. Er konnte als Vampiroberhaupt nicht einfach nur daneben stehen, wenn die eigenen Clansmitglieder eine Revolution anzettelten.

„Damian. Mach dir keine Sorgen. Geh nach oben und regle diese Sache. Ich werde dir ganz sicher nicht weglaufen, stattdessen werde ich hier ein bisschen schlafen, während du weg bist. In Ordnung?" Ich versuchte ein schelmisches Grinsen zustande zu bringen, doch es fühlte sich eher wie eine grausame Fratze an, denn in meinem Hinterkopf meldeten sich bereits wieder die Kopfschmerzen.

Damian knurrte unwillig. Seine wundervollen grauen Augen funkelten voll Zorn auf die gesamte Situation, doch seine Stimme war sehr sanft, als er mir erklärte: „Ich werde diese Angelegenheit so schnell wie möglich aus der Welt schaffen. In der Zwischenzeit werde ich Elfe zu dir schicken. Sie wird auf dich aufpassen und mir jederzeit Bescheid sagen können, wenn sich deine Kondition verschlechtert. Versprich mir, dass du dich gut ausruhst, während ich fort bin."

Ich lachte rau, was ein bitterlicher Fehler war, denn davon wurden die Kopfschmerzen nur umso schlimmer. Sie schienen fast meinen Schädel von innen heraus aufzuschlitzen. „Was soll ich denn in meinem Zustand sonst tun? Walzer tanzen vielleicht?"

Damians Augen funkelten mich amüsiert an. „Da wäre ich aber tief getroffen. Dein erster Tanz gehört mir."

„Und die damit verbundenen Qualen", fügte ich sofort hinzu.

„Wie meinst du das?" Seine Stimme klang leicht verwirrt, doch ich war mir sicher einen amüsierten Unterton aus ihr herauszuhören. Wahrscheinlich hatte er längst begriffen, auf was ich anspielte und doch setzte er die Maske des Unwissenden auf.

„Nun, ich bin nicht wirklich die begabteste klassische Tänzerin. Durch das Training ist es vielleicht besser geworden, doch ich bin ziemlich aus der Übung und wahrscheinlich werde ich deinen Fuß unter meinen Absätzen zerlöchern."

Damian lachte. Es war eine wundervolle Harmonie voll Glück und Liebe und so unverhofften Gefühlen in den grausamen Zeiten. „Wie gut, dass du in letzter Zeit keinerlei Absätze freiwillig getragen hast. Dann können wir das Tanzen in Sneakers üben. Ich bin mir sicher, es wird für uns beide ein Vergnügen sein, besonders wenn ich dich für jeden Fehler bestrafe. In etwa so..." Er beugte sich zu mir vor und presste seine Lippen zuerst vorsichtig auf die meinen, dann immer besitzergreifender. Sofort schoss Hitze durch meinen gesamten Körper. Der Schmerz in meinem Kopf verwandelte sich zu einem dumpfen Dröhnen, als ich leicht meine Lippen öffnete und Damians Zunge Eintritt gewährte. Sie tanzte mit meiner bereits jetzt doch eher einen feurigen Tango als einen würdevollen Walzer und als Damian sich viel zu früh von mir löste, konnte ich nicht anders als enttäuscht Luft zu holen.

„Schlaf jetzt", befahl er mir mit sanfter Stimme. „Schlaf und werde gesund."

Noch im selben Moment, als er diese Worte aussprach, schloss ich meine Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich noch bei Bewusstsein und spürte wie Damian mir sehr liebevoll und sanft einen winzigen Kuss auf meine Stirn schenkte, dann befand ich mich bereits in den eisernen Klauen des Schlafes.

Mit einem jähen Schrei voll Panik und gebadet in kalten Schweiß wachte ich auf. Ich fuhr ruckartig in dem Bett hoch. Ein fataler Fehler, denn sofort hämmerten Schmerzen durch meinen Kopf, so als hackten unzählige Dolche immer wieder auf mich ein. Doch ich starb nicht und wurde auch nicht ohnmächtig. Die Qual hörte nicht auf und wurde mit jeden Moment immer stärker. Galle stieg in mir auf und ich konnte den Würgereflex nicht mehr unterdrücken. Magensäure füllte meinen Mund und ich war nicht in der Lage sie wieder hinunterzuschlucken. Jemand schob meinen Kopf rasch über einen großen Eimer und ich erbrach mich. Immer und immer wieder zog sich ein Krampf nach dem anderen durch meinen Körper. Ich hatte schnell meinen Magen geleert, doch der Würgereiz, der die Kopfschmerzen nur noch zu verschlimmern schien, hörte nicht auf.

„Gott sei Dank, du bist wieder bei uns", hörte ich eine Stimme flüstern. Ich wandte meinen Kopf unter enorme Kraftanstrengung um und erkannte Elfe, die bei Stephan und Damian stand. Verwirrt schaute ich zu ihnen auf. Ich konnte nichts sagen, da ich immer noch würgte, also wollte ich meine Hand ausstrecken. Ich musste Damian einfach berühren! Es war ein tiefer Instinkt, den ich nicht begreifen konnte. Doch als ich meinen Arm hob, stellte ich fest, dass man in ihm eine Infusionsnadel angebracht hatte. Mit jedem rasselnden Atemzug von mir floss ein weiterer durchsichtiger Tropfen in mein Blut.

Damian war sofort an meiner Seite. „Alles ist gut." Ich schaute in seine Augen und wusste, dass er log. Die Unsicherheit und Zweifel waren nur zu gut in ihnen zu erkennen und wenn man diese Gefühlsregung einem Vampiroberhaupt ansehen konnte, dann musste es wirklich schon eine fatale Situation sein. „Wir werden dich von hier wegbringen", erklärte er mit sanfter Stimme, die wohl nicht nur mich, sondern auch ihn beruhigen sollte.

„Wieso?" Meine Stimme erschreckte mich selbst. Das Krächzen einer Krähe klang menschlicher als mein heraus gehustetes Wort.

Damian zögerte, so als könnte er es nicht übers Herz bringen, es laut auszusprechen, wenn ich mich in einer solchen Situation befand.

„Verdammt! ... Sprich!" Zu mehr als diesen zwei Wörtern war ich nicht fähig. Ich wollte mit meiner Hand die seine fest umklammern, um ihm deutlich zu machen, dass er mit so einen Benehmen nicht davon kommen würde, doch aus den festen Griff wurde ein schwacher Händedruck, den Damian ebenso vorsichtig erwiderte. In seinen Augen schimmerte etwas, das ich nicht wirklich deuten konnte. War das etwa Furcht? Ich wollte ihm drohen, ihn anschreien endlich mit der Sprache herauszurücken, doch dazu hatte ich nicht genug Kraft. Eine Tatsache, die mir noch mehr Angst einjagte. Was passierte hier mit mir?

Elfe trat vor. Sie schien zu erkennen, wie sehr ich unter der Tatsache litt, dass Damian nicht mit der Sprache herausrückte: „Ihr müsst gehen, da es zu einigen Problemen in der Vampirwelt gekommen ist. Damianos und du sind in diesen Mauern nicht mehr sicher, da sein Clan möglicherweise die Situation nutzt und das Vampiroberhaupt mit Gewalt zu entmachten versucht."

Damian blickte sie wütend an, doch ich verstand kein Wort. Wenn es Schwierigkeiten gab, besonders so drastische, wieso rannten wir dann davon? Ich meine Damian war ein Vampir der seit Jahrtausenden, zumindest so viel ich wusste, die Herrschaft des Clans in Händen hielt. Er konnte mir nicht sagen, dass es in dieser langen Zeit noch nie zu Problemen gekommen war und er hatte bisher jede Schwierigkeit überlebt.

„Wir werden vorsichtig sein, wenn wir dich zum Flughafen transportieren. Bitte versuche bei Bewusstsein zu bleiben. Ich kann es nicht ertragen, wenn du erneut nicht aufwachen würdest. Ich habe noch nie in meinen langen Leben eine solche Furcht verspürt."

Damians Worte zerbröselten in meinem Gehirn. Ich konnte mich nicht mehr auf sie konzentrieren, denn auf einmal sah ich etwas. Neben ihn standen zwei Gestalten. Es waren nicht Elfe und Stephan, sondern zwei Fremde. Der eine trug einen langen schwarzen Mantel. Er hatte die Kapuze tief in sein Gesicht gezogen, so dass ich nicht ein Fetzen Haut erkennen konnte. Der andere Mann neben ihn trug ein einfaches weißes Gewand, gemeinsam mit einem breiten Grinsen. Um seinen Hals zog sich eine rote Spur aus getrockneten Blut. Seine eigentlich so durchschnittlichen Gesichtszüge hatten sich tief in meine Seele gebrannt, in dem Moment als ich ihn enthauptet hatte.

Der Tote beugte sich zu mir vor, als wolle er mir ein Geheimnis zu flüstern, dabei verrutschte der Kopf von seinem Hals und fiel zu Boden. Das Blut tropfte nicht aus den abgetrennten Stumpf, doch es schien auch nicht geronnen zu sein, stattdessen brodelte es um die weißen Knochen seiner Wirbelsäule herum. Ein Zischen ging von der Blasen werfenden Flüssigkeit aus, so als würde sie in diesem Moment von den tödlichen Sonnenstrahlen berührt, doch das Tageslicht konnte ganz sicher nicht in dieses Zimmer vordringen und das Blut verdampfte auch nicht.

Die Hände des kopflosen Körpers hoben ihr Haupt wieder auf und stellten es direkt neben mir auf das Bett. Eine verzerrte Stimme drang zu mir durch: „Weißt du, ich wollte dabei sein, als er zu dir aufgebrochen ist."

Der Körper des Vampirs deutet nun auf den Mann in Schwarz hinter ihm. „Ich musste mir nämlich sicher sein, dass du mein Geheimnis kennst. Rate mal wieso ich meinen Tod entgegen gesehnt habe? Ganz sicher nicht weil ich verrückt war. Nein! Ich habe es zugelassen, dass ich eine Schwäche bekam und in Windeseile haben es die anderen Vampire bemerkt. Meine Schwachstelle war bei Weitem weniger auffällig, als du es bist. Es handelte sich um ein kleines Straßenkind, das mir über den Weg gelaufen ist. Sie hatte sich selbst den Namen Maya gegeben und war die erste Person seit hunderten Jahren, die keine Angst vor mir verspürte. Sie hat ganz normal mit mir gesprochen, bat mich nur um etwas Geld, damit sie sich etwas zu Essen kaufen konnte, als sei ich ein liebendes Wesen mit Gefühlen. Das Leben hat ihr mehr als nur ungerechte Karten in die Hand gegeben und durch mich hat sie auch noch den Rest ihres Glückes verloren. Ich habe sie nicht in mein Zuhause mitgenommen, wo ich ihr hätte helfen können, aus Angst die anderen Vampire könnten es herausfinden, sondern gab ihr nur etwas Geld auf ihrem beschwerlichen Weg mit. Doch ich konnte nicht aufhören an die unschuldige Maya zu denken, also habe ich ihr immer wieder aus der Ferne geholfen. Einen Drogenhändler hier, eine Gangmitglied da verschwinden lassen und den richtigen Leuten Informationen gegeben, sodass ihr geholfen wurde. Rate einmal, was dann passiert ist? Sie haben sie gefunden, entführt und mir gedroht sie umzubringen. Ich hatte lang genug gelebt und wollte nur einmal in meinen Leben etwas Richtiges tun, doch stattdessen habe ich selbst dieses junge Leben zerstört, denn sie haben sie trotz meines freiwilligen Todes umgebracht. Sie hatten nie vor, sie am Leben zu lassen. Maya musste nach langer Folter qualvoll für meine Verbrechen sterben, doch nun geht es ihr gut. Endlich hat sie einen Ort, an dem es ihr gut geht.

Rate einmal, wieso ich dir das sagen kann? Du stehst auf der Schwelle deines Todes. Vielleicht bekommst du eine neue Chance, doch dann ändere etwas, bevor noch mehr unschuldige Menschen sterben müssen. Lass dich nicht zu einer Mörderin machen und denke an Maya! Erkenne ihr Opfer an, genauso wie das von Wolf und verändere diese sinnlose Schlächterei. Wolf lässt dir übrigens ausrichten, dass er an dich glaubt. Vielleicht ist er zu naiv, doch wenn nicht wird dieser Gefährte dir auf Schritt und Tritt folgen."

Der kopflose Körper zeigte wieder hinter sich. Der Mann unter der Kapuze streckte eine seiner Hände aus und winkte beinahe freundlich. Doch immer noch konnte ich keinen Fetzen Haut an ihm sehen, denn der schwarze Mantel hatte nur weiße, tote Knochen verborgen. Die Skeletthand zog sich wieder in den Schatten des Stoffes zurück und ich hatte das Gefühl, als würde mich der Schädel, der unter der schwarzen Kapuze versteckt war, hämisch angrinsen. Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass es sich bei diesen Gesellen um den Gevatter Tod handeln musste. Der Tod war es, der mir auf Schritt und Tritt folgen würde, wenn ich meine Lebensweise nicht änderte. Er wäre mein ewiger Begleiter. Ein Schrei zerriss meine Kehle, als diese Erkenntnis mein Gehirn überflutet. Ich blickte neben mir und sah wie mich der abgetrennten Kopf traurig betrachtete: „Verrate Wolfs Vertrauen nicht und lass Maya nicht grundlos gestorben sein!"

Eine Welle des Schmerzens schlug auf meinen geschunden Körper ein und trieb mich in eine Dunkelheit, die so schwarz wie der Mantel des Todes war.

Ein Piepsen drang an meine Ohren. Immer wieder ertönte es im stetig gleichmäßigen Rhythmus. Was war hier los? Ich spürte, wie mein Herz sich beschleunigte, während ich versuchte meine Lider aufzureißen und meine Umgebung in Augenschein zu nehmen. Das Piepsen beschleunigte sich gemeinsam mit meiner Herzfrequenz. Ich wusste nicht, ob mich diese Tatsache beruhigen oder noch weiter in Alarmbereitschaft versetzen sollte, doch eines war klar, auch wenn eine seltsame Taubheit in meinen gesamten Gliedern herrschte, fühlte sich mein Körper doch um einiges besser an. Er war befreiter, so als habe die gesamte Zeit eine große Last auf jeder noch so kleine Zelle in mir gelegen.

„Sie wacht auf", hörte ich eine Stimme mit kühler Effizienz erklären. „Können Sie mich verstehen?"

Ich wollte antworten, doch noch schien die Taubheit in mir zu groß zu sein.

Erneut wurde die Frage gestellt und ich gab mir größte Mühe, aber meine Zunge wollte keine Worte bilden.

Die Person schien zu bemerken, dass zumindest meine Zunge gezuckt hatte, denn sofort fügte sie hinzu: „Wenn Sie mich hören können, versuchen Sie mir, ein Zeichen zu geben. Bewegen Sie zum Beispiel ihre Hand. Können Sie sie spüren?"

Das war schon einfacher. Ich schaffte es zwar nicht die gesamte Hand hochzuheben, doch nach einem Augenblick der Konzentration hörte ich die Worte: „Gut gemacht, Sie haben eben ihre Finger bewegt. Schaffen Sie es, Ihre Augen zu öffnen?"

Ich versuchte es. Dieses Mal dauerte es länger, doch auch das klappte. Der Raum war seltsam verschwommen und wurde nicht scharf, aber ich war immerhin nicht ganz von meinem Augenlicht abgeschnitten. Auf einmal zuckte eine schwarze Gestalt in meinen Sehbereich, kurz darauf folgte ein heller Lichtschein. „Sehr gut. Die Pupillenreaktion ist normal. Können Sie mich erkennen?"

Etwas ermutigt durch die Tatsache, dass ich meine Augen geöffnet hatte, versuchte ich es noch einmal mit dem Sprechen: „Schwach..." Es klang rau und nicht wirklich nach mir selbst, aber immerhin wurde ich nicht mehr an das Krächzen einer Krähe erinnert.

„Das ist ein sehr gutes Zeichen. Um Ihren Körper daran zu hindern sich selbst weiter zu verletzen, haben wir Sie in ein künstliches Koma versetzt."

Ich zuckte zusammen. Wie lange war ich ausgeschaltet gewesen? Was war in der Zwischenzeit passiert? Würde die Krankheit erneut zuschlagen?

„Ich teste nun ihre Nerven. Können Sie das spüren?"

Mein Bein zuckte, als mir jemand vorsichtig mit einem Gegenstand auf mein Knie klopfte.

„Ihre Muskelreaktion ist sehr gut. Haben Sie ein leichtes Pochen gespürt?"

„Ja", brachte ich mit kratziger Stimme hervor.

„Sie erholen sich schneller von dem Koma als wir erwartet haben", antwortete die Stimme. Mittlerweile konnte ich erkennen, dass es der Arzt sein musste, dem ich bereits in New York begegnet war. Wie hieß er noch gleich... Mr Norringthan? Norrington? Norrington, dass musste es gewesen sein.

„Wie lange...?" Die restlichen Worte brachte ich nicht heraus, doch der Arzt verstand sofort.

„Insgesamt waren sie zwei Wochen ausgeschaltet. Im künstlichen Koma lagen Sie jedoch den geringsten Teil dieser Zeit. Wir haben Sie erst in dieses versetzt, als wir begriffen haben, was in Ihrem Körper vorging." Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, was in all der Zeit passiert war, als ich vollkommen von der Welt ausgeschlossen war.

„Der Grund...?"

„In Ihrem Körper existieren sowohl ein menschlicher als auch ein vampirischer Teil. Wenn ich schätzen müsste entsprechen 1/3 oder mehr Ihrer DNA vampirischen Ursprung. Es scheint jedoch so, als sei Ihr Körper nicht in der Lage, Ihre vampirischen Zellen vollkommen zu ersetzen. Es ist erstaunlich und ich habe selbst in all den Berichten von gefangenen Tagwandlern nichts dergleichen gefunden, doch es scheint Ihren Körper unmöglich, Vampirzellen zu ersetzen. In dem Versuch, diese Zellen jedoch zu erschaffen, hat Ihr Körper so gut wie alle Reserven an Energie und Nährstoffe aufgebraucht und doch nur geschafft Giftstoffe zu produzieren, die wiederum von den Zellen eliminiert werden mussten, was Sie noch mehr geschwächt hat. Sie haben sich somit selbst von innen heraus zerstört.

Verzeihen Sie mir, aber es scheint, als wären sie kein vollständiger Tagwandler. Es ist fast so, als haben Ihre Vorfahren die Verwandlung in eine andere Rasse nicht vollkommen abschließen können. Aus diesem Grund mussten wir Ihnen neue Rohstoffe zufügen, die es Ihrem Körper ermöglicht haben, die fehlenden Zellen zu regenerieren. Wir schätzen, dass Ihr Körper wahrscheinlich angefangen hätte nach Beendung eines menschlichen Lebens zu schwächeln und davor Anzeichen von normaler Alterung gezeigt hätte, doch durch den Großeingriff bei Ihrem Einstieg in die Einheit, ebenso durch die zahllosen zugefügten Verletzungen und dem Stress, den Sie ausgesetzt waren, scheint Ihr System bereits um einiges früher Amok gelaufen zu sein.

Haben Sie jedoch keine Angst. Wenn Sie jährlich eine Bluttransfusion bekommen, können wir ihnen genug Vampirblut zuführen, so dass sie ein langes Leben haben werden. Ich muss Ihnen jedoch leider mitteilen, dass ihre Lebensspanne begrenzt ist. Als wir erkannt haben, dass sie sich dem Tode nähern, wollten wir Sie vollkommen in einen Vampir umwandeln. Wir haben Ihr Blut fast vollkommen durch vampirisches ersetzt, natürlich auf klinische Weise, jedoch regenerieren Ihre Zellen stetig Ihre menschliche Seite. Sie werden niemals selbst rein biologisch ein ewiges Leben führen können."

Ich wusste nicht ganz, was ich von dieser Information halten sollte. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich so lange überleben würde, dass ich alt werde, war bei meinen Feindeszahlen so gut wie unmöglich, doch warum waren dann gerade diese Worte in der Rede des Arztes dabei? Immerhin war ich eben erst aus einer künstlichen Ohnmacht aufgewacht. Was schien ihm an dieser Tatsache so wichtig zu sein, dass er sie mir gleich als Begrüßung zu schleuderte?

„Ihr werdet mich auf der Stelle in dieses Zimmer lassen!", hörte ich auf einmal Damians Stimme von draußen knurren.

„Sir, wir haben den ausdrücklichen Befehl erhalten, Sie nicht passieren zu lassen!"

„Wer glaubt Ihr zu sein, dass Ihr mich aufhalten könnt?" Damians Stimme war ruhig und viel zu gefährlich kalt.

„Verdammt", hörte ich den Arzt murmeln. „Ich hatte gehofft, die Spezialeinsatztruppe könnte Ihn etwas länger in Schach halten. Muss er mir wirklich jedes Mal die Hälfte des Personals ausschalten?"

Es gab ein dumpfes Geräusch und die Tür erbebte in ihren Angeln. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass ein oder mehrere schwere Körper eben gegen sie geworfen wurden.

Auch der Doktor schien das zu denken, denn mit einen unterdrückten Fluch befahl er: „Lasst Ihn herein."

Doch diese Anweisung hätte es gar nicht mehr gebraucht. Ich hörte bereits, wie die Türe aufgerissen wurde. Nur einen Moment später hatte sich Damian in mein Sichtfeld gedrängt.


Aus den Chroniken der Tagwandler - Ein Bericht eines Ratsmitglieds:

Es reicht nicht aus! Wir sind verdammt! Unser Vorsprung schmilzt dahin. Die Verfolger sitzen uns fest im Nacken. Am Anfang hatten wir noch den Vorteil, dass sie verwirrt waren wie wir vor Ihren Augen aus unseren Verstecken fliehen konnten, doch sobald Sie begriffen hatten, dass uns die Sonne nicht mehr tötet, haben Sie aufgeholt. Denn mit der Veränderung in unseren Körpern, die es uns mit jeden Tag immer mehr erlaubt der Sonne und ihren Strahlen auszusetzen, verlieren wir auch einen Teil unserer Kraft. Mit jeder Stunde die wir auf der Erde weilen, werden wir langsamer, sehen schlechter und ähneln Menschen immer stärker. Noch sind wir mehr Vampir als Kurzlebige, doch wenn die Verwandlung in uns nicht stoppt, werden wir so hilflos wie junge Kälber sein.

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