Das Funkeln der Hoffnung


Der Schuss preschte durch die Luft. Ich hatte genau auf die Brust des Mannes mit der vogelähnlichen Nase gezielt. Der Überraschungsmoment war auf meiner Seite und der Vampir erkannte viel zu spät, was ich getan hatte, doch dank seiner übermenschlichen Geschwindigkeit schaffte er es dennoch, einen Ausweichversuch zu starten.

Die Kugel traf nicht seine Brust, sondern seine Schulter. Sie zerfetzte Fleisch, Sehnen und Muskeln, bis sie mit einem hässlichen Geräusch auf den Knochen auftraf. Unter der gewaltigen Kraft des Schusses zersplitterte dieser und die Kugel blieb in dem Körper des Vampirs stecken.

Der Mann jaulte auf. Die Verletzung war extrem schmerzhaft und verhinderte, dass er den rechten Arm benutzen konnte, doch einen Vampir würde eine solche Wunde nicht wirklich außer Gefecht setzen. Sofort stürzte er sich mit einem lauten Gebrüll auf mich, doch bereits im Sprung packten ihn zwei der Silberschwingen an den Armen.

Das Wutgebrüll verwandelte sich in einen hohen Schrei der Qual, als seine Arme unerbittlich festgehalten wurde und die gesamte Kraft des Sprunges auf seine Schultern weitergeleitet wurde. Die Kugel schob sich noch tiefer in das zerklüftete Fleisch des Vampirs hinein. Auch Knochenteile wurden verschoben und stachen durch die Haut des Mannes, sodass es aussah, als hätte man ihn von innen heraus gepfählt.

Der Mann fluchte lauthals und in der Hoffnung, seine Schmerzen zu überspielen, doch sein verzweifeltes Keuchen und der Schweiß, der sich auf seiner Stirn ausbreitete, kündete nur zu gut von der Todesqual, die er durchleiden musste.

Ein erstauntes Schweigen erfüllte mit einem Mal die restlichen Personen in dem Raum, doch etwas der tödlichen Atmosphäre schien genommen worden zu sein.

„Antworte!" Mein Befehl klang ebenso eisig wie Damians Stimme, doch in meinem Tonfall war noch etwas, dass sich fast wie Langweile anhörte. Ich hatte es perfekt geschafft in meine Maske der eisigen, meuchelnden Henkerin zu schlüpfen.

Jeder im Raum starrte mich an, doch als der Mann vor mir immer noch nicht antwortet, sondern sogar hochnäsig auf mich herabschaute, hatte ich keine andere Wahl. Ich musste noch etwas tun, sonst würde ich meine Position vollkommen untergraben.

Ich zielte auf den Vampir, der von den beiden Silberschwingen festgehalten wurde. Mir war bewusst, dass die Kugel wohl nicht ganz genau dort treffen würde wo ich hinzielte, besonders wenn ich auf die untere Hälfte seiner Beine schoss, die er selbst in seiner jetzigen Position einfach noch wegziehen konnte, also entschied ich mich für einen seiner Oberschenkel. Es wäre keine gefährliche Wunde für einen Vampir, aber ganz gewiss sehr schmerzhaft. Er würde viel Blut verlieren und es hoffentlich nicht schnell genug ohne menschliches Blut erneuern können, sodass er möglicherweise geschwächt wäre.

Eine einzige Chance wollte ich ihm jedoch noch geben. Es war ein Risiko, denn möglicherweise konnten die anderen so meine Maske durchschauen, doch selbst jetzt konnte ich mich nicht dazu durchringen ohne weitere Warnung auf einen wehrlosen Mann zu schießen. „Also?", hörte ich mich mit eiskalter Stimme fragen.

„Fick dich", knurrte er wütend zurück und versuchte mir ins Gesicht zu spucken. Er hätte es auch sicherlich geschafft, wäre ich seinem Speichel nicht schnell genug ausgewichen, gleichzeitig schoss ich ihm in den linken Oberschenkel. Zu meiner bitteren Überraschung und zu seinem qualvollen Pech, blieb auch diese Kugel im Fleisch stecken und ich war mir ziemlich sicher, dass sein Oberschenkelknochen ebenfalls in ein dutzend Stücke zerbrochen war.

Ich fühlte mich schmutzig und hätte mich am liebsten übergeben. Mein Körper, der diese kalte Waffe auf den wehrlosen Mann vor mir richtete, fühlte sich falsch an und meine gnadenlosen Gedanken schienen einer Fremden zu gehören.

Die öffentliche Hinrichtung hatte anscheinend etwas in mir zerbrochen. Ich zögerte nun nicht mehr davor zurück, ein Leben zu nehmen. Einen wehrlosen Mann zu foltern. Eine Barriere, die die gesamte Zeit meine Menschlichkeit geschützt hatte, war gefallen und die Finsternis hatte mit einer blutroten Welle jedes Gute in mir überflutet.

„Antworte!" Ich zielte bereits auf den anderen Schenkel. Niemand machte Anstalten mich aufzuhalten. Aus den Augenwinkeln konnte ich in Elfes Gesicht eine grimmige Resignation sehen und in ihren Blick schimmerte tiefer Kummer. Stephan trat zu ihr. Er legte ihr keinen Arm um die Schulter, denn er schien ihre Schwäche nicht der Öffentlichkeit preisgeben zu wollen, doch er versuchte sie mit seiner Anwesenheit zu trösten.

„Du kannst mich einmal kreuzweise!", zischte der Vampir mich wütend an. Ich wollt schon erneut schießen, doch da plapperte der Vampir unter weiteren Flüchen und Beleidigungen, die ich diesmal nicht verstand, weiter: „Diese Bastarde versuchen sich doch nur in unsere Reihen ein zu schleimen, um unsere Schwächen zu erkennen. Dann kann dieser Abschaum später zielgenau mit einem Messer dort zustoßen, wo unsere Verteidigung am Schwächsten ist."

Damian lachte. Sein Lachen war kalt und seine Augen blinzelten tödlich auf. Seine Worte waren arrogant und vollkommen von sich selbst überzeugt, obwohl er genau wusste, dass er selbst in letzter Zeit verletzlich geworden war: „Wie sollten sie? Welche Schwächen haben wir schon? Wir spielen seit Jahrtausenden bereits das Spiel der Finsternis, wie soll uns da ein einfaches Messer erstechen? Oder hast du eine so große Lücke in deiner Verteidigung? Denke nicht, dass du mich beschützen müsstest, Wurm! Deine Anwesenheit allein beleidigt mich. Was denkst du, Polarfuchs?"

Ich war erstaunt, dass Damian mich in seine Maskerade einbezog, anderseits war dies die perfekte Möglichkeit, um ein für alle Mal klar zu stellen, dass wir ein unzertrennliches Team waren. Mein Gesicht blieb eiskalt, als das Ziel meiner Pistole von dem Oberschenkel des Vampirs zu seinem Kopf wanderte. „Er ist eine Schwäche. Soll ich sie auf der Stelle für Euch beseitigen?"

Sofort griff einer der Silberschwingen den Gefangenen am Hals, sodass er seinen Kopf nicht mehr bewegen konnte. Innerlich flehte ich den Himmel an, keinen Tötungsbefehl zu bekommen, anderseits wusste ich, dass es mir möglich war den Vampir vor mir auszulöschen ohne dass meine Maske fallen würde. Ein vor wenigen Tagen wohl kaum möglicher Gedanke, der mich vollkommen entsetzt hätte, doch nun die bittere Realität war.

„Nein. Du solltest dir nicht schon wieder die Hände mit diesem Ungeziefer schmutzig machen. Ich möchte sie nachher noch auf meinen Körper spüren, genau dort wo wir aufgehört haben, auch wenn ich gegen ein bisschen Blut deinerseits nichts einzuwenden hätte."

Das war also seine Erklärung für die Öffentlichkeit, warum er dauerhaft mit mir abwesend war und derzeit seine Verpflichtungen etwas schleifen ließ. Irgendwie war es mir peinlich, dass er so offen über unser angebliches Privatleben sprach, anderseits wusste ich, dass mein Team und wahrscheinlich auch Stephan diese Lüge noch im selben Augenblick durchschaut hatten. Ein Gedanke, der mich mehr als ein bisschen beruhigte und mir half, meine Fassade vollkommen aufrecht zu erhalten.

„Werft ihn in den Kerker", befahl Damian mit fast schon wegwerfender Handbewegung zu den zwei Silberschwingen. Sie nickten und kamen seinen Befehl sofort nach, ohne darauf zu achten, dass der Vampir in ihren Händen vor Schmerzen aufschrie, als sie ihn aus dem Zimmer zerrten. Dann wandte er sich Stephan zu: „Kümmere dich um die Bestrafung der restlichen Übeltäter. Es gehört sich nicht, dass sich Hunde herausnehmen, die Freunde ihres Meisters anzukläffen."

Stephan neigte leicht den Kopf, als Zeichen einer angedeuteten Verbeugung. „Mit dem größten Vergnügen, Sir."

Seinem freundlichen Lächeln nach, das sich nun auf sein Gesicht setzte, wollte er die Vampire hinter ihm zu einem gemütlichen Tee mit vorzüglichen Kuchen einladen und mit einem ebenso unpassenden honigsüßen Ton bat er sie: „Wenn die Herrschaften mir bitte folgen würden?"

Seine Auen blitzten dabei im Licht des Kaminfeuers tödlicher auf, als jedes noch so scharfe Schwert der Welt es vermocht hätte. Ohne ein Wort der Beschwerte trotteten die Vampire ihm mit eingezogenen Köpfen nach.

Ich trat mit Damian ein Stückchen auf Alexios zu und verstaute dabei Damians Glock wieder sicher in dem Holster.

„Es tut mir wirklich leid, dass ihr dieses Spektakel mit ansehen musstet. Ich werde jeden einzelnen für seine unerhörten Taten bestrafen", erklärte Damian Alexios und seinem Gefolge im freundlichen Tonfall.

„Das will ich auch hoffen", zischte der Mann, auf dem immer noch Alexios Hand lag.

„Antonius. Bitte, wir wollen keinen Streit weiterführen. Es ist doch nun alles in Ordnung." Alexios Stimme war schon wieder so friedfertig. Eine Tatsache, die mich bis auf das Blut reizte, was ich mir jedoch verzweifelt versuchte, nicht anmerken zu lassen.

„Wenigstens haben wir eine gute Show gehabt", murmelte Antonius, während er seine Messer zurück in zwei Scheiden steckte, die auf seinen Rücken unter dem schwarzen T-Shirt angebracht waren. „Du bist eine gute Schützin." Er betrachtete mich genauer und ich zog fragend eine Augenbraue hoch. Was war an einem Schuss aus nächster Nähe auf ein Opfer, das von zwei Männern gehalten wurde, besonders? „Ich meine den ersten Treffer. Es war gewagt auf den Vampir zu schießen, auch wenn das Überraschungsmoment auf deiner Seite stand. Nicht viele Menschen können behaupten einen Vampir, der als Soldat ausgebildet worden ist, mit einer Kugel getroffen zu haben und dann auch noch in die Schulter."

„Danke." Meine Stimme blieb bei diesem Wort so kalt wie geschliffener Stahl. Ich war nicht stolz auf meinen Treffer. Ich würde niemals stolz auf Abschussquoten oder ähnliches sein, so tief war nicht einmal ich gesunken.

Er schien zu merken, dass ich nicht überheblich wurde und grinste mich umso freundlicher an, streckte eine Hand aus und erklärte: „Antonius Dorn. Ich bin General und engster Vertrauter von Alexios."

Ich nahm seine Hand an. Alles in mir schrie, dass ich das nur tat, weil ich die mühsam aufgebaute Beziehung zwischen den beiden Clans nicht weiter belasten wollte, doch tief in mir spürte ich, dass ich diesen Mann, der sich selbst den Spitznamen Dorn gegeben hatte, gut leiden konnte. Zudem war es meine erste persönliche Vorstellung, bei der sich jemand mit Vornamen, Spitznamen und Rang nannte und eine Antwort von mir erhoffte. So einen besonderen Anlass sollte man sich doch nicht verderben lassen.

Aus diesem Grund sah ich mich gezwungen mich ebenfalls vorzustellen, die Tatsache, dass ich es auch getan hätte, wenn nicht der Vampirfrieden davon abhing, ließ ich unter den Tisch fallen: „Ich bin Polarfuchs." Unsicher welchen Rang ich derzeit begleitete, stoppte ich an dieser Stelle.

Damian sprang ein und fügte rasch hinzu: „Und meine Gemahlin." Dabei legte er mir besitzergreifend eine Hand auf die Schulter.

Nun lächelte Antonius noch breiter: „Polarfuchs? Und sogar Damianos Gemahlin? Ich muss sagen, Ihr habt wahrlich Mut in Euren Knochen um eine derartige Verbindung einzugehen." Ich warf nun besser nicht ein, dass mich Damian über das Ritual und die ganze Gemahlin Sache im Dunklen tappen gelassen hat, bis ich einfach in die Falle gestolpert war. „Es wundert mich nur, dass Ihr nicht bereits einen Namen erhalten habt. Habt Ihr eure Ausbildung noch nicht abgeschlossen?"

Damian übernahm es für mich, zu antworten: „Wenn sie wöllte, könnte sie bereits ihre Ausbildung als abgeschlossen erklären, schließlich ist sie meine Gemahlin, doch diese Art von Leben behagt ihr nicht. Sie möchte sich ehrlich den Rang einer Kriegerin verdienen."

Nun blitzte in Antonius Augen so etwas wie Bewunderung und Anerkennung auf. Er verbeugte sich leicht vor mir und seine Mundwinkel waren nach oben gezuckt. „Es ist eine Ehre einer solchen Frau wie Euch zu begegnen. In meinen Augen seid Ihr bereits jetzt eine Kriegerin, denn in Euch schlägt ein Herz voll Mut und Tapferkeit und eure Hände scheinen geschickt zu sein."

Er wandte sich Damian zu: „Ihr könnt stolz sein, eine solche Frau als Gemahlin zu haben. Sie ist eine Bereicherung, auch wenn Sie eindeutig besser in unseren Clan aufgehoben wäre, wo Sie sich nicht den Meuten von Wölfen und Intrigen entgegenstellen müsste."

Die letzten Worte waren voll Verachtung gesprochen, doch Damian nahm sie nur stumm zur Kenntnis und antwortete weiterhin ruhig: „Sie ist dort, wo sie sein sollte, an meiner Seite. Ihr habt jedoch in dem Punkt recht, dass sie eine große Bereicherung für mein Leben ist."

Antonius lachte. Es war ein ehrliches Lachen und kein gespieltes, wie ich es von jedem Vampir, außer von Damian und vielleicht auch Stephan, erwartet hätte. „Keine Sorge. Ich werde sie Euch ganz sicher nicht wegnehmen. Ihr wisst, dass ich Ehrgeiz, Mut und Talent bei absolut allen Menschen und Vampiren bewundere."

Damian nickte, doch ich bemerkte, dass er seine Hand weiterhin auf meiner Schulter behielt. Ob diese Geste als ein klares besitzergreifendes Zeichen dienen sollte oder ob er mir einfach nur zur Seite stehen wollte, weil mein Blick nun zu Jane wanderte, wusste ich nicht.

Jane musterte mich mit harten Augen von oben bis unten. Ich brachte kein Wort heraus, aber ich konnte meinen Blick auch nicht von ihrem Gesicht abwenden. Damian und Alexios tauschten irgendwelche Belanglosigkeiten aus, doch ich hörte nicht zu, ebenso wie Jane. Wir hielten Blickkontakt wie wilde Raubtiere, die sich jederzeit anspringen wollten.

Ihr schien es besser zu gehen als das letzte Mal, wo ich sie gesehen hatte. Sie schien etwas an Gewicht zugelegt zu haben, was ihr eindeutig gut stand. Ihre Gesichtszüge waren härter und entschlossener geworden. Das Kinn hob sie stolz und leicht verächtlich nach oben und dass sie Alexios hierher begleiten durfte, sprach genauso wie ihre zwar schlichte, aber dennoch feine Kleidung dafür, dass sie eindeutig dutzende Ränge aufgestiegen war.

Ihre Augen glänzten voll Stolz und Härte, aber zu meinem Erstaunen konnte ich zum ersten Mal in ihnen auch etwas wie Trauer, ja fast eine gewisse Verzweiflung erkennen. War möglicherweise, doch noch nicht alles verloren? Konnten wir uns im Land der Finsternis, umgeben von all den Blut, Hass und Verrat, vielleicht doch noch die Hand der Versöhnung reichen?

Vielleicht war dies möglich, allerdings war ich mir zum ersten Mal unsicher, ob ich das überhaupt wollte. Konnte ich ihr all die Worte, die sie mir entgegengeschleudert hatte, all ihre Wut und den Verrat an mir vergeben?

Ich wusste es nicht und das machte mir Angst. Ich hatte einfach zu viel in dieser Welt durchleiden müssen und mich zu stark verändert. Was war noch von dem schüchternen, gelehrsamen Bücherwurm übrig, der ich einst war? So gut wie kein einziger Funken und mein neues Ich weigerte sich strikt, jemanden zu vertrauen, der mich so sehr verletzt hatte und dies möglicherweise wieder tun konnte.

Der Gedanke war erschreckend und vielleicht wusste Jane das auch und dies war der Grund für die Trauer in ihren Augen. Vielleicht hatte sie endlich begriffen, was ich für sie durchlitten hatte, was zwar ganz allein meine Entscheidung gewesen war, doch welchen Weg sie beschritten hatte, als sie meine Taten als Verrat angesehen und mich ihre Feindin genannt hatte.

„Polarfuchs?" Ich wandte mich zu Damian um. „Die Herrschaften wollen nun gehen. Es scheint das Beste für unsere beiden Clans zu sein. Begleitest du uns mit nach draußen?"

Ich nickte sofort. Niemanden von Damians Gefolge wurde auf den Weg nach draußen die Augen verbunden. Ich wusste nicht, ob sie bereits ohne Augenbinde hierhergekommen waren oder ob dies ein Zeichen von Damians Reue und dem Vertrauen für den anderen Clan war. Im Innenhof wartete bereits eine große schwarze Limousine mit dunkel getönten Fensterscheiben.

Die Verabschiedung fiel sehr knapp aus. Alexios schüttelte mir und Damian die Hand. Er wirkte wirklich am menschlichsten von der gesamten Gruppe. Jeder aus seinem Gefolge schien ihn tief zu respektieren und als er auf die Limousine zuging, verbeugten sich rasch alle anderen als Zeichen des Abschieds bis auf Antonius und Jane und rannten fast auf die Edelkarosse zu, um ihm die Tür aufzuhalten. Ich war mir sicher, dass ich sehen konnte wie Alexios bei dieser Geste die Augen verdrehte, doch er stieg wortlos in den Wagen ein. Eine weitere Geste, die ihn mir sympathischer machte und ihn noch einen Schritt von dem Monster entfernte, dass ich so gerne in ihm sehen wollte.

Antonius verabschiedete sich als nächster. Er reichte seine große Hand Damian und verabschiedete sich fröhlich, dann wandte er sich mir zu. „Ich hoffe, wir sehen uns eines Tages wieder Polarfuchs. Es wird faszinierend sein, Euch auf Eurem weiteren Lebensweg zu beobachten. Bleibt Tapfer und verliert nicht Euren Verstand oder Euer Herz in der Finsternis, wie es so viele tun."

Er reichte mir ebenso respektvoll, wie er es bei Damian getan hatte, die Hand und schüttelte sie. Ich wünschte, ich könnte seine Worte erfüllen, doch ich fühlte mich bereits so, als habe ich mein Herz in der tiefen Finsternis im Blut ertränkt und mein Verstand schien sich seit gestern ebenso zu verabschieden.

Auf einmal zerwühlte Antonius mir mit seiner großen Hand mein Haar. Damian knurrte warnend, doch Antonius lachte nur: „Und versucht etwas freundlicher zu schauen. Dieser todernste Blick steht Euch einfach nicht. Ein Lächeln hat noch niemanden umgebracht."

Ich zog eine Augenbraue hoch. Ich war mir sicher, ein Fallenlassen der Maske konnte schneller zu tödlichen Problemen führen, als ich blinzeln konnte. Er schien meine Zweifel zu bemerken, denn sofort fügte er hinzu: „Jedenfalls nicht bei den richtigen Leuten. Besucht uns doch einfach einmal, wenn Ihr genug von all den ernsten Gesichtern habt und einfach Lachen wollt."

Ich blickte ihn vollkommen ungläubig an, doch ein Knurren von Damian, ließ Antonius sein Hände erheben und mit beruhigender Stimme erklären: „Ist ja gut. Ich gehe schon."

„Das will ich auch hoffen", zischte Damian, doch ich glaubte ein belustigtes Funkeln in seinen Augen erkennen zu können.

Antonius schien dies ebenfalls zu bemerken oder er war einfach lebensmüde, denn er lachte und murrte: „Spielverderber."

Damian schnaubte verächtlich und schien etwas erwidern zu wollen, doch Antonius nahm seine Beine in die Hand und war schneller im Wagen als ich blinzeln konnte.

Ich wandte mich Jane zu, die letzte Person, die noch nicht im Wagen war. Sie verbeugte sich tiefer als die anderen vor Damian, dann schaute sie mich an. Ich glaubte kaum, dass sie noch etwas sagen würde, doch dann flüsterte sie leise Worte, die mir tief in die Seele drangen: „Langsam verstehe ich. Ich habe dich zuerst für meine Lage verantwortlich gemacht. Ich war verblendet und erfüllt von Wut, doch mehr auf mich selbst als auf dich. Ich weiß, dass du mir nicht so einfach verzeihen kannst, doch bitte gib mir die Möglichkeit, es wieder gut zu machen."

Ich schaute sie traurig an. Am liebsten hätte ich sie weinend in meine Arme geschlossen, doch das Verbot mir meine Stellung, also antwortete ich nur mit rauer Stimme: „Unsere Freundschaft wird nie wieder so sein wie sie einst war, das habe ich leider begreifen müssen."

In Janes Augen funkelten Tränen und auch ich konnte die meinen kaum zurückhalten. „Ich verstehe." Ihre Stimme wirkte brüchig und ihre Finger zitterten leicht. Sie wollte sich verbeugen, doch ich hielt sie auf, in dem ich ihr die Hand zum Abschied hinhielt.

Meine Stimme zitterte trotz meiner Fassade leicht, als ich ihr mit dieser Geste des Friedens, Worte zuflüsterte, in die ich meine tiefste Hoffnung legte: „Unsere Freundschaft mag nie wieder wie damals werden, doch das bedeutet nicht, dass wir uns aufgeben müssen. Wir beide sind tief verletzt. Nicht nur ich, sondern auch du. Wir haben beide viel durchlebt in dieser Welt der Finsternis, doch vielleicht können wir in dieser anderen Realität eine neue Verbindung erschaffen, die tiefer wird als jemals zuvor. Wir können unsere Freundschaft nicht mehr flicken, doch vielleicht können wir eine neue knüpfen."

Nun floss tatsächlich eine Träne über Janes Gesicht, doch sie nahm meine Hand nicht an. Stattdessen ging sie zwei Schritte vor und umarmte mich herzlich. Ich konnte die kleinen Beben der Erleichterung und der Freude, aber auch der Trauer um die vergangene Freundschaft in ihr spüren. Ihr Herz schlug schnell und für einen Moment war ich überfordert, was ich nun tun sollte.

Alles in mir drängte die Umarmung zu erwidern, doch was war, wenn jemand uns hier sah? Höchstwahrscheinlich beobachtete man uns und man würde die Schwäche in mir erkennen, wenn ich nun meinen innersten Wunsch nachgab.

Ich spürte wie Jane verletzt zusammenzuckte, als ich ihre Umarmung nicht erwiderte. Sie wollte sich schon rasch von mir lösen, als ich beschloss all die Maskerade für diesen einen Augenblick über den Haufen zuschmeißen.

„Ach verdammt.", flüsterte ich, als ich sie mit starken durchtrainierten Armen wieder an mich drückte. „Wahrscheinlich mache ich dich eben zur Zielscheibe für all die unzähligen Feinde, die Damian und ich haben.", erklärte ich dabei. Doch es fühlte sich nach all der trostlosen Zeit des Schmerzens einfach zu gut an, Jane wieder in den Armen zu halten.

„Das bin ich doch schon längst", flüsterte Jane mit einem kleinen Lachen zurück.

„Du verrücktes, lebensmüdes Huhn", knurrte ich, denn es schien sie nicht wirklich zu stören, dass ich ihr mit dieser Umarmung eine Zielscheibe auf den Rücken gemalt hatte.

„Du eingebildeter, stolzer Fuchs", neckte sie zurück, dann fügte sie leise ein „Danke" hinzu, bevor sie sich von mir löste.

Wir schauten uns tief in die Augen. Ich konnte die Hoffnung in den ihren sehen und ich wusste, dass eben dieses Gefühl auch in meinen Blick brannte. Vielleicht war ein Neubeginn wirklich möglich. Dies war sicherlich der erste richtige Schritt dafür. Jane wandte sich mit einer kleinen Verbeugung von mir ab, die ich erwiderte und verschwand in der Limousine, die darauf vom Hof fuhr.

Was sollte ich nur denken? Was sollte ich mit meinen Leben nun anfangen, da ich scheinbar eine vollkommen andere Person war, eine Mörderin, eine Killerin, aber auch eine Vertraute, auf die sich so viele Menschen und Vampire verließen? Was war mein Weg in dieser Finsternis?


Aus den Chroniken der Tagwandler - Ein Bericht eines Ratsmitglieds:

Wir haben es geschafft! Wir sind durch die Sonne geflohen. Keiner von uns ist dem Tode nahe, doch der Tribut für diese waghalsige Flucht ist nicht zu knapp ausgefallen. Die meisten von uns leiden unter starken Verbrennungen. Vor allem die Vampire, die sich als aller erstes den Versuchen unterzogen haben. Am Ende des Tages konnte ich nichts mehr sehen, denn meine Augen waren verbrannt, jedes Stückchen meiner Haut war mit Blasen übersäht, doch all diese Verletzungen heilten in der darauffolgenden lindernden Nacht, nur um vom Morgen wieder aufgerissen zu werden. Wir werden in dieser Höhle nun sechs Stunden ruhen, während der Mittag an uns vorbeizieht, dann werden wir erneut aufbrechen. In der Hoffnung, dass wir so unseren Verfolgern entkommen können.

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