8.3 ~ Nice to meet ya!
♫ ♪ It's getting late to give you up. I took a sip from my devil's cup. Slowly, it's taking over me. ♪♫ (Britney Spears – Toxic)
Ach, wäre ich doch bloß zu Hause geblieben oder gar nicht erst aufgestanden. Krank hätte ich mich melden sollen. Und mit einer Tasse Kaffee im Bett bleiben! Denn Kaffee schmeckt am besten, wenn morgens alle ihre Klappe halten. Den Kaffee mit eingeschlossen. Kein Wunder, denn er beherrscht die Kunst des Schweigens in Vollendung. Nicht auszudenken, was alles passieren würde, wenn er doch reden könnte. Mich überzeugt, das Haus nicht zu verlassen? Dann stünde ich jetzt wenigstens nicht hier und würde mich fragen, ob ich noch alle beisammen habe.
Zuerst die Teufelsgestalt, in die sich Lucy beim Blick durch diese verdammte Brille verwandelt hat, und jetzt diese Stimme, die mich jetzt schon so lange verfolgt. Ich weiß, ich habe sie irgendwo schonmal gehört, aber ich komme nicht drauf, wo and wann. Verflixt, ich sollte an etwas anderes denken. Zum Beispiel an den idealen Augenblick, Harry endlich diese blöde Brille zuzustecken. Doch es ist wie verhext. Ich hätte wetten können, dass er dringend eine Auffrischung seines Makeups und der Klamotten nötig hätte, bei den Schweißflecken, die sich langsam über seinen Rücken ausbreiten. Aber Harry, der in dem Punkt sonst so empfindlich ist, versucht anscheinend, den ganzen Block zwischen den beiden Musik-Acts am Stück durchzuziehen. Und das kann dauern bei dem, was noch alles kommen soll: Zwei Runden, in denen jeweils die anderen beiden Kandidaten und Kandidatinnen, in dem Fall Lara, Jess, Marcus und Jay erraten sollen, was Tessa und Andrej für Hobbys beziehungsweise Berufe haben.
Was zum Teufel ist eine Fischwirtin? Und Andrej als Flugbegleiter? Da müsste er schon mehr aus sich heraus kommen. Eher noch würde ich ihm den Tatortreiniger zutrauen. Wie sich jedoch bald zeigt, habe ich zwar bei Tessa richtig, aber bei Andrej falsch gelegen. Der kurze Einspieler zeigt ihn beim Spielen eines Theremins, das er „selbst zusammengebaut" hat, was „ein Kinderspiel" war, im Vergleich zu den Wochen, die er gebraucht hat, einfache Melodien darauf zu spielen. Seine Worte, nicht meine. Was tue ich hier eigentlich? Mitraten, obwohl ich mich eigentlich auf Harry konzentrieren sollte? Die Chance, als er nach dem Startschuss für das Wattwanderspiel in roten, blauen und gelben Gummistiefeln kurz nach hinten verschwand, habe ich verpasst. Und ich habe keine Ahnung, wann er wiederkommt. Abwarten und Tee trinken? Das Erste? Ja. Aber was das
Zweite angeht, kann ich nur auf dem Trockenen sitzenbleiben und den Teams dabei zuzuschauen, wie sie sich durch den Parcours quälen.
Am meisten müht sich Lara dabei ab und verheddert sich fortwährend in ihrem ellenlangen Schal, während Jay es für eine Spitzenidee hält, den Würfel zu werfen und Lara blöden Sprüchen zu nerven. Hat dem faulen Hund niemand beigebracht, dass Motivation anders aussieht? Arme Lara. Sie sah schon vorher nicht so fit aus, aber so fertig wie während der Gesangseinlage des irischen Solokünstlers ist sie selbst heute Nachmittag nicht gewesen. Je länger ich hinsehe, desto unsympathischer wird mir dieser Jay. Erst die Raterunden, bei denen er Tessa zur Konditorin ernennen wollte und jetzt sein Dauernörgeln. Hört der Kerl sich eigentlich selbst beim Reden zu? So viel heiße Luft kann doch unmöglich einer alleine produzieren. Als ich mitkriege, dass seine Stimme sich immer heiserer anhört, kann ich den leichten Anflug von Schadenfreude nicht unterdrücken. Prima, dann hält er wenigstens zur Abwechslung mal die Klappe. Gönnen würde ich es ihr jedenfalls. Und tatsächlich fühlt es sich gleich darauf für mich so an, als hätte jemand mein Stummes Flehen erhört, denn als er eine Sechs würfelt, sagt Jay keinen Ton mehr.
Irre ich mich oder war das tatsächlich der Auftrieb, den Lara gebraucht hat? Hektisch fummele ich die Brille, die ich eigentlich nicht noch einmal aufsetzen wollte, wieder auf meine Nase zurück und verfolge Laras Sprint durch die Gläser hindurch. Mit frischer Entschlossenheit im Blick zieht sie an Tessa und Marcus vorbei, die durch die Rettung ihres Würfels aus dem Schlamm aufgehalten wurden, während ihr überrumpelter Teampartner sichtlich Mühe hat, hinterher zu kommen. Lauf, Jay, lauf! Geschieht dir ganz recht, dass dir die Zunge aus dem Hals hängt und du dein Warte auf mich! nur noch röcheln kannst. Ha, jetzt kannst du rennen und Haken schlagen wie ein Hase, feixe ich in mich hinein und spüre, wie mir auf einmal innerlich eiskalt wird und meine Schadenfreude blankem Entsetzen weicht. Denn als sich Jays atemloses Röcheln in ein bedrohliches Zischen verwandelt, trifft es mich aus dem Hinterhalt wie ein Hammer: Nicht irgendeine Stimme sucht mich in letzter Zeit ständig heim. Nein, es ist seine.
Fassungslos springt mein Blick von Jay zu Lucy. Doch das macht es nicht besser, denn nun ist es ihre Stimme, die in meinem Kopf widerhallt.
Es ist die Brille. Aber warum hat Chris sie? Warum hat das Ding keiner aus dem Verkehr gezogen?
O Gott, ich kann Lucys Gedanken hören. Aber das kann doch gar nicht sein, oder? Aber als ich ihr ein zweites Mal in die Augen schaue, wird mir klar, dass das hier keine Einbildung ist.
Beim Hades, das hätte nie passieren dürfen. Jetzt kann ich für nichts mehr garantieren.
Was oder wer auch immer Hades ist, wenn ich schon in Lucys Kopf eintauchen kann, in welchen dann noch? In den von Jay?
Schlagartig gehen die Lichter aus und ich finde mich unverhofft in einem schlechtbeleuchteten Hinterhof hinter verbeulten Mülltonnen wieder und habe plötzlich zwei Typen vor mir, doch sie bemerken mich nicht. Ich könnte eine Hand nach ihnen ausstrecken und es würde nichts passieren. Beim Heranzoomen kommt mir bei dem einen ein mir leider nur allzu bekanntes Tattoo in Sicht. Eine sich windende Schlange. Jay.
Keine Ahnung, wer der andere ist, aber sie tuscheln miteinander, geben sich High Five. Dann verschwindet Jay so plötzlich, wie er in meinem Blickfeld aufgetaucht ist. Der andere aber steuert auf ein Motorrad zu. Geht in die Hocke. Zieht etwas aus der Tasche. Etwas Blitzendes und macht sich an den Bremsen zu schaffen. Eine Sache von wenigen Sekunden, allerhöchstens eine halbe Minute dauert der Spuk. Dann sieht er sich hektisch um und verschwindet in den Schatten, gibt den Blick auf den Schriftzug auf dem Rahmen frei. Bitte, bitte, lass es nicht das sein, was ich ahne. Aber Wegsehen ist erstens keine Option und zweitens auch gar nicht möglich. Ich blinzele, und zoome den Rahmen des Motorrads frei. Leider ist es genau das, was ich mich bisher standhaft geweigert habe, zu glauben.
Eine Harley. Und wie in einem schlechten Film muss es genau die Harley sein, die ich verkauft habe. Die Harley, die den Fahrer das Leben gekostet hat.
„Es war nicht deine Schuld" kommt genau da die Erinnerung an meine Nacht mit Lucy zurück. Es dauert einen Moment, doch dann durchfährt mich die Erkenntnis wie ein Blitz.
Natürlich war es nicht meine Schuld. Ist es nie gewesen. Technische Mängel sollen die Ursache gewesen sein? Mängel, die ich angeblich übersehen habe? Von wegen! Der ganze Alptraum wäre mir erspart geblieben, wenn der Gutachter seine Augen aufgemacht und richtig hingesehen hätte. Nein, es war Sabotage. Verursacht von einem Typen, den Jay angestiftet hat.
Ja, ich hätte zu Hause bleiben sollen, das Haus nicht verlassen – oder gar nicht erst aufstehen. Mich krank melden und mit einer Tasse Kaffee im Bett bleiben, denn Kaffee redet nicht, Kaffee jammert nicht, Kaffee stellt keine nervigen Fragen. Kaffee gewinnt. Doch vor allem tut er eines nicht: versuchen, sich mir in den Weg zu stellen und mich daran zu hindern, es diesem Mistkerl heimzuzahlen. Und ich weiß auch schon genau, wie: mir Harrys Signalpistole schnappen und mich dann dem Schwein in den Weg stellen, damit es endlich Farbe bekennt.
Von wegen einmal Loser immer Loser – irgendwann kommt der Punkt, an dem der sogenannte Loser nichts mehr zu verlieren hat. Und so, liebe Leute, zerbröselt der Keks nun mal.
Mit einem Schuss.
A/N: Wider Erwarten habe ich es nicht mehr bis zur Deadline geschafft, meine Geschichte zu beenden. Private Gründe und eine Krankheit, die im Januar zuschlagen musste, hat meinen ausgetüftelten Zeitplan zum Erliegen gebracht. Aber wenigstens den letzten Schreibvorschlag aus dem August wollte ich in diesem Kapitel noch unterbringen. Es handelt sich um die Nr. 1 von SteffiDa: „Kaffee redet nicht, Kaffee jammert nicht, Kaffee stellt keine nervigen Fragen. Kaffee gewinnt".
Leider konnte ich die Prompts von September bis Dezember nicht mehr in meine Geschichte einbauen – aber ich beende sie natürlich.
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