5.7 ~ Mein letzter Wille: ein Mann mit Brille


And the girl from that show, Yes the one we all know. She thinks she's some kinda star. Yes you know who you are. I don't think so, I don't think so. ♪♫ (Footballer's Wife – Amy MacDonald)


Dieser Damon hat sie doch nicht alle!

Fassungslos bleibe ich mitten in der Tür zum Besprechungsraum stehen und starre entgeistert die Wand gegenüber an. An der Magnettafel, Whiteboard genannt, weil sie sich strahlendweiß von den schwarzen Büromöbeln abhebt, hat jemand fünf Steckbriefe mit Magneten in unterschiedlichen Farben befestigt. Von Schwarz über Beige bis hin zu Elfenbein ist alles da. Ein Träumchen für Influencer.

Doch nicht sie sind der Grund dafür, dass mir beinahe das Tablett mit dem Kaffee für Harry, Margo und Jenny aus der Hand gerutscht wäre, sondern der Typ mit der schwarzen Hornbrille.

Mein letzter Wille: ein Mann mit Brille, kommt mir dieser dämliche Spruch in den Sinn, den schon mein Ex nicht witzig fand. Ich übrigens auch nicht mehr. Vor allem, weil schon der Typ, der den letzten Steckbrief mit einem Magneten in fröhlichem Steingrau anpinnt, meinen Puls hochjagt. Aber nicht vor freudiger Erwartung, sondern vor Ärger. Halleluja!

Kandidat Nummer Sechs: Andrej. Motto: Gemeinsam ist man stärker.

Beruf: Instrumentenbauer.

Die anderen beiden - Flugbegleiter und Tatortreiniger - sind nur Fassade, Ablenkungsmanöver als Teil des ersten Kennenlernspielchens. Womit Kandidat Nummer Sechs seine Brötchen verdient, ist dick unterstrichen. Damit unser guter Harry nicht den falschen Beruf nennt, wenn die Auflösung kommt.

Nur war das hier nie so geplant. Dabei hatten wir das Thema erst. Und natürlich muss es er sein, der seine Finger im Spiel hat: Damon – der sich bei wer weiß wem eingeschleimt hat. Ich weiß schon, warum ich dem von Anfang an nicht getraut hab. Und jetzt ratet mal, warum. Ich geb euch einen Tip: Der Typ ist erst seit drei Tagen dabei und spielt sich jetzt schon auf, als wäre er die Vertretung vom Chef und müsse unseren in letzter Zeit immer schusseligeren Harry briefen. Dabei ist das meine Aufgabe.

Wessen Einfall das auch immer war, jetzt könnte ich mich dafür ohrfeigen, dass ich mich habe breitschlagen lassen, für Kaffeenachschub zu sorgen und dieser falschen Schlange in die Karten zu spielen. Hat der echt gedacht, dass sein Schachzug à la Aus den Augen, aus dem Sinn zum gewünschten Erfolg führt? Freie Bahn mit Marzipan? Nee, nee, nee, mein Lieber. Du hast zwar hoch gepokert, aber diese Runde ist noch nicht vorbei. Na warte, du...

Süffisant vor mich hinlächelnd, gebe ich der Tür mit meinem Fuß einen Schubs, die mit einem sanften Klacken ins Schloss fällt und mache meine Runde am Tisch.

Zuerst die Bestellung für Harry, wie es sich gehört. Wie zu erwarten, hebt er den Becher, ohne auf die anderen zu warten. Dass er aber misstrauisch daran schnüffelt, um zweifelnd die Augenbrauen zusammenzuziehen, gefällt mir weniger. Fehlt nur noch, dass er daran nippt und angewidert das Gesicht verzieht. Aber was hat er gedacht, was ich ihm gebracht habe? Irish Coffee?

Ich denke mir mein Teil und gehe weiter zu Margo, die sich einen Cappuccino mit Hafermilch gewünscht hat, dann zu Jenny. Ein doppelter Espresso mit einem Glas Wasser. Mehr braucht sie nicht zum Glücklichsein. Und dann, ganz zuletzt: die Lücke am Tisch, vor einem leeren Stuhl - Damons Platz. Schwarzen Kaffee sollte ich organisieren. Kaffee, so schwarz wie deine Seele? Ha! Na warte, Freundchen, du wirst gleich nicht mehr so selbstgefällig grinsen.

Neeeinnn, wie uuungeschickt von mir.

Hoppla! Ist mir doch glatt die Tasse ins Wanken gekommen und übergeschwappt., Minimal nur. Gerade so viel, dass die anderen das Missgeschick nicht mal zur Kenntnis nehmen, weil sie wie gebannt an die Tafel starren – und doch gleichzeitig so dosiert, dass die schwarze Flüssigkeit vom Tisch tröpfeln und sich über die Sitzfläche des schwarzen Stuhls verteilen kann. Damon wird es erst merken, nachdem er sich breitbeinig hingefläzt hat. Aber dann sitze ich schon längst und schlürfe genüsslich meinen Tee.

Schubsen kann ich.



Rache ist süß und sollte kalt genossen werden. Die bittere Pille kommt nach dem Meeting, denn natürlich ist Damon klar, wer seinen schicken Designeranzug ruiniert hat. Jedenfalls so lange, bis das edle Teil wieder aus der Reinigung zurück ist. Jetzt muss er zähneknirschend fürs Erste mit Ersatzklamotten aus dem Fundus vorlieb nehmen, was ihn nicht unbedingt fröhlicher stimmt. Im Gegenteil, jetzt ist er noch unausstehlicher als sonst, und das lässt er mich auch ganz deutlich spüren.

„Sag mal, Benny, was soll der Scheiß?!!! Ich glaub, es hackt!"

„Wie bitte?" Tu ganz unschuldig und pfeif unauffällig La Paloma, bete ich mir im Stillen vor und versuche, möglichst unbeteiligt dreinzuschauen. „Ich weiß überhaupt nicht, was du meinst."

„Tu doch nicht so - ich weiß genau, dass du das warst. Du brauchst gar nichts abzustreiten."

„Abstreiten? Ich? Ich wüsste nicht was," setze ich die Schmierenkomödie fort, um so zu tun, als würde ich angestrengt nachdenken und hätte ganz plötzlich einen Gesitesblitz. „Ach, das..."

Die wegwerfende Handbewegung, mit der ich meine Antwort begleite, kann ihn jetzt nur noch auf die Palme bringen. Wetten, dass er jetzt Kindischergeht's ja wohl nicht mehr denkt? Mag sein, aber auch wenn ein alberner Prank so ungemein befreiend wirkt, verkneife ich mir ein Na, dann sind wir ja nun quitt. Statt dessen komme ich direkt zum Punkt, warum ich so angepisst bin.

„Und wenn wir schon dabei sind – wer hat denn mit den Spielchen angefangen?"

Rhetorische Fragen kommen immer gut, besonders wenn man dem Gegenüber keine Zeit lässt, darauf zu antworten. Also am besten gleich noch eine hinterher geschoben.

„Ach so, der Herr leidet an Amnesie? Na, dann, will ich deinem Gedächtnis mal auf die Sprünge helfen: Wessen Idee war es denn, Andrej entgegen vorher getroffener Absprachen Harry als sechsten Kandidaten zu präsentieren?"

Meine mit Sicherheit nicht!

Alles, was ich wollte, war diesen Bewerber als das auftreten zu lassen, wofür er sich beworben hat: Für den ersten Showteil an diesem Abend. Denn so lautet das Erfolgsrezept der Show: zuerst einen noch un- oder wenig bekannten jungen Künstler auftreten zu lassen, bevor später dann, im zweiten Teil ein internationaler Star die Bühne betritt.

„Du weißt selbst am besten, dass uns noch ein geeigneter Charakter gefehlt hat, während wir an Nachwuchskünstlern keinen Mangel haben", geht er tatsächlich auf meine Vorwürfe ein.

Geeigneter Charakter gefehlt... oh Gott, merkst du eigentlich nicht, dass du wie jemand klingst, der mit dem Script für eine Reality-Show beauftragt wurde? Oder noch schlimmer: Wie einer, der für sein neuestes Werk auf Wattpad die Liste der Haupt- und Nebenfiguren entwirft: der Bad Boy: Julian; die Rebellische: Tessa; das Mädchen von nebenan: Jess... Und das Ganze am besten noch mit Bildern, damit die Leser sich die Protagonisten besser vorstellen können?

Wir sind uns wirklich für nichts zu schade und lassen kein Klischee aus. Fehlt nur noch die Introvertierte, was mich sofort an Lara denken lässt. Und was diesen Marcus Janssen angeht... Profikicker? Im Ernst? Hier haben wir uns beim Griff in die berüchtigte Kiste wirklich selbst übertroffen. Schließlich weiß doch jeder, dass das Klischee lautet „Fußballer sind immer Red Flags!" Immer. Und als was will er Andrej präsentieren? Als das heimliche Genie?

Und überhaupt – als ob das nicht schon der Gipfel wäre, nennt der die von mir zusammengestellten Steckbriefe Moodboard. Zusammengestellt von mir! Als ob's sein Baby wäre.



Und wieso überhaupt wir? Wir - wenn ich das schon höre. Jetzt ist „Geld oder Liebe" plötzlich deine Show?

Ich merke, wie ich mich immer mehr in Rage steigere, während Damon erstaunlich gelassen bleibt und seine Brille langsam auf dem Tisch ablegt, anstatt mit ihr wütend herumzufuchteln. Dabei wollte ich ihn doch provozieren und dazu bringen, irgendetwas dummes zu tun, damit er mal so richtig eins auf den Deckel bekommt.

Ob er mich durchschaut hat? Denn wie es aussieht, ist mein Plan nicht aufgegangen. Ich glaube, ich werde es nie erfahren, denn mit zusammengekniffenen Augen löst er sich vom Tisch und schlendert auf die Tür zu. Nicht ohne mir im Vorbeigehen ein kaum merkliches und doch kühles Lächeln zuzuwerfen und mir Worte zuraunen, die mich augenblicklich erschaudern lassen.

„Glaub ja nicht, dass sie die Aktion rückgängig machen werden. Und falls du noch irgendeinen Plan in der Hinterhand hast – den kannst du vergessen. Oder du wirst mit den Konsequenzen leben müssen. Aber glaub mir, das wird kein Spaß!"

Das bösartige Zischen seiner Drohung hängt noch immer im Raum, obwohl er längst verschwunden ist. Die Brille hat er zurückgelassen. Um Himmels Willen, was war das denn? Mit einem Mal habe ich das Gefühl, dass es spürbar kälter geworden ist.

„Hey, deine Brille", will ich ihm hinterher rufen, doch die Worte bleiben mir im Hals stecken.



A/N: Das fünfte Kapitel beende ich gleich mit mehreren Prompts, die ich alle für passend hielt, damit die Geschichte rund wird. Als erstes: Schreibprompt Nummer 7 von Weltentaenzerin_2 (Ein Streit sorgt für eine Veränderung im Leben des Protagonisten). 

Außerdem habe ich Prompt Nummer 4 von _bookwriterin_ (Das Klischee lautet: „Fußballer sind immer Red Flags!") und Nummer 8 von Weltentaenzerin_2 (Gemeinsam ist man stärker) nicht gerade subtil eingeflochten. 

Prompt 1 von SteffiDa (Es ist deine Entscheidung. Entweder du zerbrichst an der Sache oder du ziehst eine Lehre daraus und wirst stärker) zu finden, könnte dagegen etwas länger dauern.


PS: Die von Damon als „Moodboard" bezeichnete Orientierungshilfe habe ich mit Bildern zusammengestellt, die (bis auf das für Andrej) von Pixabay stammen. Autoren der gemeinfreien Bilder (Free for use under the Pixabay Content License) sind: Elchinator (Jessica/Mathematik), danielkirsch (Marcus/Fußball), ? bzw. keine Angabe (Lara/SETI), JillWellington (Tessa/Federn) und 2103olew (Julian/Seehund):

Das für Andrej habe ich aufgenommen.


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