Fahr zur Hölle, Alexa? Geht's noch unverständlicher? Das kapiert das blöde Ding doch nie, stöhne ich gequält vor mich hin und verpasse mir innerlich einen Facepalm, die unhörbare Klatsche mit der Hand vor die Stirn. Also schön, dann gleich nochmal. Aber bitte etwas deutlicher.
„Alexa! Fahr zur Hölle!"
Und tatsächlich scheint mein lautstarker Ausbruch geholfen zu haben, denn nun schweigt mein Puck beleidigt. Ist auch besser so. Am besten drehe ich ihm gleich den Saft ab, damit das nicht nochmal passiert. Mir hat das eine Mal, dass dieser Killer sich in meine Boxen geschlichen hat, voll und ganz gereicht. Wie um ganz sicherzugehen, packe ich mein Laptop in Alufolie und zusätzlich noch in einen Zip-Lock-Beutel. Dem Puck verpasse ich einen schicken Aluhut, der bis auf die Oberfläche des Sideboards reicht. Erst dann lege ich mich ins Bett. Den Rotwein vertage ich auf später.
Geschlafen habe ich trotzdem kaum. Vor lauter Grübeln bin ich immer wieder hochgeschreckt und ein verschlafenes Auge auf die beiden gut verpackten Übeltäter geworfen. Allein die Vorstellung, dass eine KI es geschafft hat, Textfragmente aus einem Buch, an dem ich gerade arbeite, zu einem computergenerierten „Song", der auch noch schauderhaft klingt, zu verwursten, ist der pure High-Tech-Horror für mich.
Was, wenn sich der Alexa-Puck mit meinem Laptop zu einer Einheit verbunden hat? Tritt dann mein Laptop aus Protest in den Hungerstreik, sobald ich seinen Partner in Crime außer Funktion setze? Oder umgekehrt? Ich hätte mir niemals diese schwarze Box mit LED-Beleuchtung aufschwätzen lassen und ablehnen sollen, so wie ich das supertolle 2:1-Angebot ausgeschlagen habe. Smart-TV, nein danke! Aber mir 'ne Alexa ins Haus holen? Facepalm Nummer Zwei. Jetzt kann nur noch einer helfen: Brüderchen. Ich schwöre, sobald ich die Entwürfe beim Verlag abgeliefert habe, klemme ich mich ans Telefon und rufe Jamil an.
Und jetzt, Tage später, stehe ich hier und starre Jamil fassungslos an. Am liebsten würde ich jeden seiner Vorschläge zum Thema Digital Detox einzeln in die Tonne treten, versuche aber, ruhig zu bleiben. Die letzten Tage hatte ich schon Aufregung genug.
„So mitgenommen, wie du aussiehst, könntest du nicht nur eine Mütze voll Schlaf gebrauchen", spricht er mit an die Nase gelegtem Zeigefinger. Ich kann förmlich sehen, wie sich die kleinen Rädchen in seinem Gehirn in Bewegung setzen. War ja klar, dass er mit dem Klassiker anfängt: Schlaf. Dich. Aus.
„Oh, besten Dank auch, Brüderchen", gebe ich zurück. „Aber du weißt schon, dass ich mir Herumgammeln gerade nicht leisten kann."
„Wie wär's statt dessen mit Sport?"
Guter Punkt, das wäre zwar kein Herumgammeln und ich würde zur Abwechslung sogar mal wieder was für mich tun. Die Sache hat nur einen Haken, den ich ihm dann auch sogleich präsentiere: „Sport? Tolle Idee, aber mit welchem Equipment?"
Jetzt bin ich gespannt, welchen Trumpf er als nächstes aus dem Ärmel zieht, denn mit meinen ollen Sneakers lässt sich nicht viel reißen. Dazu müsste ich erst mal durch die Läden zie-
„Geh mit Jasmin Shoppen!" kommt es dann auch wie aus der Pistole geschossen.
Netter Versuch, Brüderchen, aber von welchem Geld? Und außerdem wisst ihr bestimmt, von wem nett die kleine Schwester ist... Unter nett versteht er übrigens auch, dass ich mir ein paar Mädels schnappen und mit ihnen durch die Clubs ziehen soll. Aber auch das fällt mangels Masse flach. Wegen fehlendem Outfit und so. Also wäre mal wieder Shoppen angesagt, aber wir wiederholen uns und produzieren eine rückläufige Schleife in seinem Flussdiagramm, die nirgendwo hin führen würde. Kann es sein, dass er nicht merkt, wie wir uns gerade im Kreis bewegen?
Als er dann noch mit einem lauernden Blick Tinder fallenlässt, reißt mir endgültig der Geduldsfaden.
„KI, KI... geht denn heute gar nichts mehr ohne diese ganzen Apps? Du weißt genau, wie ich dazu stehe. Wie ich es hasse, mein Handy mit einer App nach der anderen zuzupflastern. Und jetzt schlägst du mir allen Ernstes so eine KI-gesteuerte App vor? Ich fass es nicht."
Diesmal ist der Facepalm, den ich mir gebe, nur zu real. So real, dass ich Jamils merkwürdigen Blick, den er mir zuwirft, so verstehe, dass er mich jetzt für komplett durchgeknallt hält. Weil ich ausflippe, obwohl er mir doch gar nichts getan hat? Sein Zupfen am Ohrläppchen kenne ich. Das kann nichts gutes bedeuten, und trotzdem kann ich nicht länger an mich halten.
„Warum bist du jetzt schon der Zweite, der mir mit so einem Killefitz ankommt. Als ob mich nicht schon meine ganzen Follower auf Wattpad damit nerven würden, weil sie meinen, ich bräuchte unbedingt mal wieder ein Date und anders ginge es nicht."
Ja, genau, hau richtig auf die Kacke, Tessa. Gib alles... dann kannst du hinterher wenigstens sagen, dass du keinen Topf zum Zertrümmern ausgelassen und es so richtig verkackt hast.
Ich habe keine Ahnung, wie lange wir beide schon so dastehen, aber nach und nach komme ich wieder runter. Schon will ich einlenken, weil mir mein Ausraster leid tut, da kommt mir Jamil zuvor.
„Ach", erwidert er nur trocken, „und wie ginge es deiner Meinung nach, wenn du meinst, dass KI-gesteuerte Dating-Apps nichts bringen?"
„Äh..." - jetzt hat er mich eiskalt erwischt. Speed-Dating? Heiratsinstitut? Durch die Clubs ziehen, um jemanden für 'nen One Night Stand zu finden? Ach, daher weht der Wind? So ein Vorschlag sieht Jamil doch gar nicht ähnlich - das muss ich mir selbst gerade zusammenfantasieren.
„Aha, Tessa. Hat es dir die Sprache verschlagen?"
Tu doch nicht so unschuldig, was glaubst du denn...
„Auch gut. Wenigstens ziehst du nicht mehr so einen Flunsch wie vorhin. Eine letzte Idee hätte ich noch. Vielleicht wäre so eine Show mehr nach deinem Sinn?"
Vielleicht wäre so eine Show... Ich will ihm schon den Vogel zeigen, da zieht ein Restaurant mit zwei Kandidaten an meinem geistigen Auge vorbei. Ein Tisch für zwei, mit leckerem Essen, wo sich nicht nur Männlein und Weiblein miteinander unterhalten, und wenn's funkt, verabreden sie sich zu einem zweiten Date ohne Mithörer und Zuschauer? Und falls nichts draus wird, haben wir wenigstens einen netten Abend?
Wobei, was sagte ich vorhin zum Thema nett?
„Na ja", klinkt sich Jamil wieder ein, „an diesen südtiroler Sternekoch und Selbstdarsteller hab ich eigentlich nicht gedacht."
„Sondern?"
„Es gibt da so eine Show im Ersten, ohne nervige Werbeblöcke, die das Ganze unnötig in die Länge ziehen. Da treten sechs Kandidaten paarweise gegeneinander an, und am Ende darf das Publikum voten. Und wenn du zu den ganz Glücklichen gehörst, gibt's nicht nur ein Date, sondern auch noch den Jackpot obendrauf..."
Hört sich gut an - zu gut, für meinen Geschmack...
„... ach ja, und von jeder Kandidatin gibt es eine von drei Kurzbios, die die Kerle raten müssen. Und umgekehrt natürlich auch. Das wäre doch für dich die Gelegenheit, dich jobtechnisch ins Gespräch zu bringen. Vor einem Millionenpublikum."
Mit Millionenpublikum hat er mich schließlich. Ich weiß, eigentlich müsste ich mich an dieser Stelle daran erinnern, was es bedeutet, wenn sich eine Sache zu gut anhört, um wahr zu sein. Leider aber haben mir die vielen Facepalms das Hirn vernebelt, denn es fällt mir im entscheidenden Moment nicht ein. Und so nicke ich aufgeregt und signalisiere ihm, dass ich seine Idee für die beste des Jahres halte.
„Wusste ich doch, liebste Tessa, dass ich dich dafür begeistern kann. Pass auf, wir können das ganze noch steigern, damit du dir es nachher nicht wieder anders überlegst."
So, er möchte seinen ohnehin schon guten Einfall noch toppen. Damit er noch besser rüberkommt? Mit welchem Anreiz möchte er mich dafür ködern?
„Ich mach dir ein Angebot: Solltest du am Ende von ‚Geld oder Liebe' tatsächlich zu deinem Date kommen oder es anderweitig funken, kümmere ich mich ein Jahr lang um dein Technikgedöns."
O-Ha! Das läuft auf eine Wette hinaus, und ich weiß, ich sollte mich beherrschen und nicht die berühmte andere Frage stellen. Aber ich stelle sie trotzdem: „Und was, wenn ich damit baden gehe?"
„Dann, herzallerliebstes Schwesterchen..." Oh Gott, er zieht den Geschwister-Joker! Das wird ein Fiasko. Und doch gibt es jetzt kein Zurück mehr. „... dann - ja dann - dann machst du ein Jahr lang gratis Werbung für mich."
Ähhhh... das klingt zu schön, um wahr zu sein - zu schön für ihn. Aber jetzt ist die Katze aus dem Sack, und ich habe keine Ahnung, was ich darauf erwidern soll.
„Deal?"
Hm, haben wir einen Deal? Ich wüsste nicht, dass ich schon eingewilligt hätte.
„Oder no Deal?"
Aber andererseits hat der Gedanke, irgendein anderer Verlag da draußen könnte auf mich aufmerksam werden, schon seinen Reiz. Man soll ja schließlich seine Eisen schmieden, solange sie noch heiß sind. Und mal unter uns: Was habe ich schon groß zu verlieren? Außer ein paar Stunden am Samstagabend, die ich weder auf Tinder noch in irgendeinem vollgestopften Club verbracht hätte? Und so lasse ich die einzige Antwort fallen, die mir in diesem Moment in den Sinn kommt: „Deal! "
Deal?
Mein letzter Facepalm des Tages kommt spät, aber er kommt. Mit dem nachgeholten Glas Wein lasse ich meine Gedanken über das frühabendliche Häusermeer schweifen, als es mir wieder einfällt.
Wenn sich etwas zu schön anhört, um wahr zu sein, dann ist es vermutlich nicht wahr.
Wer auch immer das gesagt und vielleicht sogar recht damit hat, Jamil und ich haben die Wette besiegelt. Und auch wenn ich mir inzwischen nicht mehr sicher bin, ob das die richtige Entscheidung war - jetzt kann ich nicht mehr abspringen.
Aber vielleicht wollte ich das auch gar nicht von Anfang an.
A/N: So, hiermit wollte ich eigentlich Kapitel 5 mit allen Unterkapiteln offiziell für beendet erklären und mich in Ruhe den Schreibprompts des Monats Juni widmen.
Aber leider hat mir meine Unsortiertheit einen Streich gespielt, denn einen letzten Teil zu Kapitel 5 hätte ich noch - das folgt in den nächsten Tagen.
Wann jedoch die nächsten Kapitel kommen, kann ich jetzt leider noch nicht sagen.
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