4.2 ~ Revanche
♫ ♪ This is a gift, it comes with a price. Who is the lamb and who is the knife? Midas is king and he holds me so tight. And turns me to gold in the sunlight. ♪♫ (Florence Welch – Rabbit Heart)
Wenn mir nur nichts dazwischenkommt...
Schön wär's gewesen. Aber ich musste es mit dem Feiern ja mal wieder übertreiben. Was auch sonst. Man könnte fast meinen, ich hätte mir für das Treffen Mut antrinken müssen, dabei weiß ich doch ganz genau, was ich will. Eine Beschreibung des Katers, der auf meinen Exzess folgte, nachdem ich mit ihm telefoniert hatte, möchte ich euch an dieser Stelle lieber ersparen. Belassen wir's dabei, dass ich im Bad länger als sonst gebraucht habe und deswegen auf den letzten Drücker los bin. Das war früher mal anders. Ja, früher...
Okay, Szenenwechsel.
Der Minutenzeiger hat die Zwölf bereits überschritten, als ich die Tür unter hellem, für dieses Café so typischem Glöckchenklingeln öffne. Die Wärme kriecht in meinen vom Regen zum Glück noch nicht ganz durchnässten Hoodie und lässt die Luft darunter zur Sauna mutieren. Oh Mann, Lucy, eine Schicht weniger und dafür einen Schirm hätte es auch getan. Was bin ich froh, als ich dieses schwarze Ungetüm endlich los bin und werfe es einigermaßen lässig über den Garderobenständer neben der Tür. Ob es auf die Zeitungshalter dicht daneben tropft, ist mir erst einmal egal. Ich bin ja auch nicht zum Lesen hergekommen, sondern zum Reden. Mit Christopher.
Als ob er meine Gedanken erraten hätte, blickt er von seinem Platz am anderen Ende des Raumes auf und wirft mir ein kurzes, lautloses Nicken zu. Anscheinend sitzt er schon länger da, denn sonst würde es aus seiner Tasse kaum noch dampfen. Zu früh da sein und das Etikett des Teebeutels zwirbeln, an seiner Stelle würde ich mich auch wie auf glühenden Kohlen fühlen. Ich kann es sogar verstehen; würde mich jemand unter der Devise „Keine Leistung ohne Gegenleistung" anrufen und mich auf ein gewisses Stückchen Papier mit einer Nummer draum festnageln, mir wäre genauso unwohl. Obwohl Christopher heute bedeutend besser aussieht als an diesem einen Abend. Da hat ihn das nervöse Zittern seiner Hände zwar ebenfalls verraten, aber dafür ist die Traurigkeit, die damals in seinen Augen lag, beinahe verschwunden.
Hat die Therapie also doch etwas gebracht.
Du bist wie ich, nur so schön anders. Ja ja, ich weiß - ich und meine Angewohnheit, beim Friseur x-beliebige Artikel, die mich interessieren, aus den Heften zu reißen und ewig in meinen Taschen mit mir herumzutragen. Egal, ob Kurznachrichten, ganze Artikel oder, wie hier, Songtexte – es spielt keine Rolle, denn irgendwann entsorge ich sie doch. Und eigentlich hatte ich das gleiche bei diesem Fetzen Papier erwartet, alle Anzeichen sprachen dafür. Ich habe nämlich weder bis heute eine Ahnung davon, was dieser Tawil sonst noch so treibt, noch habe ich mir seinen Kram auf Spotify angehört. Und doch muss dieser scheinbar so belanglose Satz etwas in mir ausgelöst haben, sonst hätte ich doch niemals gezögert, mich von ihm zu trennen. Aber was tut man nicht alles für den guten Zweck?
Du bist wie ich, nur so schön anders. Chris – ich habe beschlossen, seinen Namen abzukürzen, weil es weniger sperrig klingt – hat den Zettel tatsächlich aufgehoben und schiebt ihn vor sich auf dem Tisch herum. So, als wolle er mir das Corpus Delicti wieder zurückgeben und hätte keine Ahnung, wie er das möglichst unauffällig anfangen soll. Meine Güte, es ist doch nichts dabei. Ein harmloser Fetzen, auf den ich in aller Eile Namen, Adresse und Nummer dieser Therapeutin gekritzelt habe, während er im Bad verschwunden war. Draußen dämmerte es schon, als wir uns wieder anzogen und das Motel verließen.
Uns umfing der kühle Fahrtwind, als sich die Sonne über den Horizont schob, und für einen winzigen Augenblick ließ er ihn und mich frösteln. Doch nicht für lange. Ich hatte Wärme für uns beide. Meine Arme, um seine Taille gelegt, es schien, als wären wir zu einer Einheit verschmolzen. Wir sprachen kein Wort, als er mich vor meiner Tür absetzte und sich zu einem letzten Kuss zu mir hinunterbeugte. Ihn an mich zu ziehen und ihn auf ein letztes Mal hereinzubitten, wagte ich nicht, denn ich spürte, es hätte wenig Sinn gehabt. Gerade hast du dich geöffnet, und nun ziehst du dich von mir zurück. Sagen konnte ich nicht viel, und tun noch viel weniger, außer einem: ihm die Botschaft während unserer Umarmung zum Abschied in seine Jacke zu stecken und zu hoffen, dass er sie so schnell wie möglich finden würde.
Wie ich später herausgefunden habe, ist mein Plan tatsächlich aufgegangen und Chris hat sich tatsächlich bei Frau Doktor gemeldet. Lassen wir ihren Namen lieber im Dunkeln, es muss doch nicht sein, dass die Dame am Ende noch Ärger bekommt. Wegen dem Datenschutz und dem ganzen anderen Gedöns.
Wenn es um das Lernen und einen gewissen medizinischen Kodex geht, mag im Studium bei mir noch Luft nach oben sein. Halbwegs glaubhaft klingende Empfehlungen zu schreiben und die Sprechstundenhilfe am Empfang abzulenken, um einen Blick in ihren Terminkalender zu werfen, das kann ich jedoch. Auch das mit dem Verschleiern von Spuren habe ich inzwischen ganz gut drauf.
Doch was soll ich mich hier selber loben, viel brennender interessiert mich, ob Chris seitdem irgendwelche Fortschritte gemacht hat und wenn ja, welche.
Zur Zeit, so berichtet Chris stockend, seien sie noch bei der Deutung von Träumen. Aha, so eine ist also diese hochdekorierte Psychologin. Geht das alles überhaupt noch mit rechten Dingen zu? O, diese Ironie: Stellt euch vor, da gibt es eine Warteliste. Und die ist lang. Sehr lang sogar – da müsste es schon arg mit dem Teufel zugehen, wenn man alle anderen überspringt und ganz vorne landet. So wie Chris. Und by the way, der Teufel hat damit gar nichts zu tun – manchmal reicht eine persönliche Empfehlung von jemandem mit einem ganz bestimmten Namen. Aber Traumdeutung? Dieser alte Hut? Und den darf sich jetzt Chris aufsetzen?
„Der Alligator als Traumbild", fährt er fort, „es muss einen Grund haben, dass dieses grässliche Vieh bei mir in letzter Zeit ständig am Gartenzaun auftaucht..."
... und sich unten durch arbeitet? Mit knappen Worten fasst Chris das zusammen, was sich die feine Frau Doktor garantiert im Internet zusammengestöpselt hat. Der Alligator als Symbol für etwas Böses, das ihm Unbekannte wollen – als Warnsignal vor Feinden. Aha. Und sein Unterbewusstsein sendet ihm konkrete Hinweise, die er ernst nehmen sollte?
Am liebsten würde ich das Gehörte als völligen Quark abtun, wäre da nicht die Tatsache, dass ihm der Alligator nicht auf freiem Feld oder in der Kanalisation begegnet, sondern am Gartenzaun. Wie bei mir, denke ich und dichte Shakespeare völlig frei um in Es war der Alligator und nicht der Igel.
Ja, spinn' ich denn? Das klingt ja fast so, als hätte meine eigene Begegnung am Zaun Einzug in seine Träume gehalten hat und sich darin zu einem riesigen Monstrum aufgebläht. Du bist wie ich, nur so schön anders? In diesem Fall wäre das die pure Ironie und echtes Teufelswerk.
Der Träumende soll sein Umfeld genau beobachten, denn hier droht ihm Gefahr? Und jetzt komme ich daher und verlange von ihm, dass er Ellas Brief einschmuggelt und dafür sorgt, dass dieser ganz oben im Stapel mit den zur Auswahl stehenden Kandidaten landet. Legal ist das nicht, und im Moment bin ich mir nicht sicher, ob mich ein imaginärer Engel oder imaginärer Teufel auf meiner Schulter dazu getrieben hat.
Und noch etwas lässt mich die Stirn runzeln: Habe ich vorhin tatsächlich Guter Zweck gesagt? Guter Zweck! Ha! Damon würde sich totlachen, wenn das denn möglich wäre. Aber besser wäre es wahrscheinlich. Dann kann er mir wenigstens nicht in die Quere kommen.
A/N: Jetzt geht es Schlag auf Schlag weiter mit den Prompts aus dem April. Weiter geht es mit der Nummer 1 von Parluene23: „Du bist wie ich, nur so schön anders"- Adel Tawil.
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